Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

praktisches Leben und Bedürfniß nennen mögen, immer hat das
Allgemeine seinen Einfluß und seinen Werth für die richtige Erkennt-
niß auch des Einzelnsten. Es ist überflüssig, darüber zu reden.
Aber selbst das bloß formale System gehört zu denjenigen Dingen,
die man in ihrer ganzen Bedeutung erst würdigen lernt, wenn man
in dieselben tiefer eindringt. Ein System, das nichts ist als eine
zweckmäßige Ordnung des Stoffes, ist in Wahrheit kein System.
Das wahre System bedeutet vielmehr das organische Verhältniß
des Einzelnen zum Ganzen; es zeigt, wie der Theil durch das
Ganze seine Bestimmung und seine Grenze empfängt; es ist der
Träger derjenigen Gewalt, welche aus dem Ganzen hervorgehend
im Einzelnen lebt; es gibt kein Verständniß und keine vollständige
Beherrschung dieses Einzelnen ohne ein Verständniß und ein klares
Bild seines Zusammenhanges mit dem Ganzen; und das bietet allein
das System. Ein wahres System ist daher niemals die Grund-
lage der Behandlung des Stoffes, sondern es ist selbst wieder nur
das Ergebniß des höheren Wesens desselben; darum wird es nie
fertig, ehe man das ganze Gebiet vollständig durchgearbeitet hat;
daher ist man sich über die Sache im Ganzen erst einig, wenn
man sich über die systematische Ordnung im Einzelnen klar ist; und
wenn man daher nach dem Verhältniß der Wissenschaft der wirth-
schaftlichen Verwaltung zu den einzelnen Gebieten fragt, so kann
man jetzt antworten, daß die erstere vor allen Dingen das zu geben
hat, was die letztere nie ohne dieselben empfangen können, das
System als formalen Ausdruck der organischen Auffassung des
Gesammtlebens aller einzelnen Theile.

Möge man nun das Streben des Verfassers zunächst von diesem
Standpunkte aus auffassen.

Was nun die Behandlung des vorliegenden ersten speciellen
Theiles, der Entwährungslehre, betrifft, so ist dieselbe allerdings
etwas anders geworden, als was manche sich darunter vielleicht
vorstellen mögen.

Ich habe zu dem, was in der Arbeit enthalten ist, nichts im
Allgemeinen hinzuzufügen, als daß sich dieselbe in der That zu den
Elementen der Geschichte der europäischen Agrarver-
fassung auf Grundlage der Geschichte der Gesellschaft

hat gestalten müssen. Der nächste Werth dieser Arbeit besteht viel-
leicht zumeist darin, daß noch niemals jemand versucht hat, eine

praktiſches Leben und Bedürfniß nennen mögen, immer hat das
Allgemeine ſeinen Einfluß und ſeinen Werth für die richtige Erkennt-
niß auch des Einzelnſten. Es iſt überflüſſig, darüber zu reden.
Aber ſelbſt das bloß formale Syſtem gehört zu denjenigen Dingen,
die man in ihrer ganzen Bedeutung erſt würdigen lernt, wenn man
in dieſelben tiefer eindringt. Ein Syſtem, das nichts iſt als eine
zweckmäßige Ordnung des Stoffes, iſt in Wahrheit kein Syſtem.
Das wahre Syſtem bedeutet vielmehr das organiſche Verhältniß
des Einzelnen zum Ganzen; es zeigt, wie der Theil durch das
Ganze ſeine Beſtimmung und ſeine Grenze empfängt; es iſt der
Träger derjenigen Gewalt, welche aus dem Ganzen hervorgehend
im Einzelnen lebt; es gibt kein Verſtändniß und keine vollſtändige
Beherrſchung dieſes Einzelnen ohne ein Verſtändniß und ein klares
Bild ſeines Zuſammenhanges mit dem Ganzen; und das bietet allein
das Syſtem. Ein wahres Syſtem iſt daher niemals die Grund-
lage der Behandlung des Stoffes, ſondern es iſt ſelbſt wieder nur
das Ergebniß des höheren Weſens deſſelben; darum wird es nie
fertig, ehe man das ganze Gebiet vollſtändig durchgearbeitet hat;
daher iſt man ſich über die Sache im Ganzen erſt einig, wenn
man ſich über die ſyſtematiſche Ordnung im Einzelnen klar iſt; und
wenn man daher nach dem Verhältniß der Wiſſenſchaft der wirth-
ſchaftlichen Verwaltung zu den einzelnen Gebieten fragt, ſo kann
man jetzt antworten, daß die erſtere vor allen Dingen das zu geben
hat, was die letztere nie ohne dieſelben empfangen können, das
Syſtem als formalen Ausdruck der organiſchen Auffaſſung des
Geſammtlebens aller einzelnen Theile.

Möge man nun das Streben des Verfaſſers zunächſt von dieſem
Standpunkte aus auffaſſen.

Was nun die Behandlung des vorliegenden erſten ſpeciellen
Theiles, der Entwährungslehre, betrifft, ſo iſt dieſelbe allerdings
etwas anders geworden, als was manche ſich darunter vielleicht
vorſtellen mögen.

Ich habe zu dem, was in der Arbeit enthalten iſt, nichts im
Allgemeinen hinzuzufügen, als daß ſich dieſelbe in der That zu den
Elementen der Geſchichte der europäiſchen Agrarver-
faſſung auf Grundlage der Geſchichte der Geſellſchaft

hat geſtalten müſſen. Der nächſte Werth dieſer Arbeit beſteht viel-
leicht zumeiſt darin, daß noch niemals jemand verſucht hat, eine

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="VI"/>
prakti&#x017F;ches Leben und Bedürfniß nennen mögen, immer hat das<lb/>
Allgemeine &#x017F;einen Einfluß und &#x017F;einen Werth für die richtige Erkennt-<lb/>
niß auch des Einzeln&#x017F;ten. Es i&#x017F;t überflü&#x017F;&#x017F;ig, darüber zu reden.<lb/>
Aber &#x017F;elb&#x017F;t das bloß formale Sy&#x017F;tem gehört zu denjenigen Dingen,<lb/>
die man in ihrer ganzen Bedeutung er&#x017F;t würdigen lernt, wenn man<lb/>
in die&#x017F;elben tiefer eindringt. Ein Sy&#x017F;tem, das nichts i&#x017F;t als eine<lb/>
zweckmäßige Ordnung des Stoffes, i&#x017F;t in Wahrheit kein Sy&#x017F;tem.<lb/>
Das wahre Sy&#x017F;tem bedeutet vielmehr das organi&#x017F;che Verhältniß<lb/>
des Einzelnen zum Ganzen; es zeigt, wie der Theil durch das<lb/>
Ganze &#x017F;eine Be&#x017F;timmung und &#x017F;eine Grenze empfängt; es i&#x017F;t der<lb/>
Träger derjenigen Gewalt, welche aus dem Ganzen hervorgehend<lb/>
im Einzelnen lebt; es gibt kein Ver&#x017F;tändniß und keine voll&#x017F;tändige<lb/>
Beherr&#x017F;chung die&#x017F;es Einzelnen ohne ein Ver&#x017F;tändniß und ein klares<lb/>
Bild &#x017F;eines Zu&#x017F;ammenhanges mit dem Ganzen; und das bietet allein<lb/>
das Sy&#x017F;tem. Ein wahres Sy&#x017F;tem i&#x017F;t daher <hi rendition="#g">niemals</hi> die Grund-<lb/>
lage der Behandlung des Stoffes, &#x017F;ondern es i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t wieder nur<lb/>
das Ergebniß des höheren We&#x017F;ens de&#x017F;&#x017F;elben; darum wird es nie<lb/>
fertig, ehe man das ganze Gebiet voll&#x017F;tändig durchgearbeitet hat;<lb/>
daher i&#x017F;t man &#x017F;ich über die Sache im Ganzen er&#x017F;t einig, wenn<lb/>
man &#x017F;ich über die &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Ordnung im Einzelnen klar i&#x017F;t; und<lb/>
wenn man daher nach dem Verhältniß der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der wirth-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Verwaltung zu den einzelnen Gebieten fragt, &#x017F;o kann<lb/>
man jetzt antworten, daß die er&#x017F;tere vor allen Dingen das zu geben<lb/>
hat, was die letztere nie ohne die&#x017F;elben empfangen können, das<lb/>
Sy&#x017F;tem als formalen Ausdruck der organi&#x017F;chen Auffa&#x017F;&#x017F;ung des<lb/>
Ge&#x017F;ammtlebens aller einzelnen Theile.</p><lb/>
        <p>Möge man nun das Streben des Verfa&#x017F;&#x017F;ers zunäch&#x017F;t von die&#x017F;em<lb/>
Standpunkte aus auffa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Was nun die Behandlung des vorliegenden er&#x017F;ten &#x017F;peciellen<lb/>
Theiles, der Entwährungslehre, betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;elbe allerdings<lb/>
etwas anders geworden, als was manche &#x017F;ich darunter vielleicht<lb/>
vor&#x017F;tellen mögen.</p><lb/>
        <p>Ich habe zu dem, was in der Arbeit enthalten i&#x017F;t, nichts im<lb/>
Allgemeinen hinzuzufügen, als daß &#x017F;ich die&#x017F;elbe in der That zu den<lb/><hi rendition="#g">Elementen der Ge&#x017F;chichte der europäi&#x017F;chen Agrarver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung auf Grundlage der Ge&#x017F;chichte der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi><lb/>
hat ge&#x017F;talten mü&#x017F;&#x017F;en. Der näch&#x017F;te Werth die&#x017F;er Arbeit be&#x017F;teht viel-<lb/>
leicht zumei&#x017F;t darin, daß noch niemals jemand ver&#x017F;ucht hat, eine<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VI/0012] praktiſches Leben und Bedürfniß nennen mögen, immer hat das Allgemeine ſeinen Einfluß und ſeinen Werth für die richtige Erkennt- niß auch des Einzelnſten. Es iſt überflüſſig, darüber zu reden. Aber ſelbſt das bloß formale Syſtem gehört zu denjenigen Dingen, die man in ihrer ganzen Bedeutung erſt würdigen lernt, wenn man in dieſelben tiefer eindringt. Ein Syſtem, das nichts iſt als eine zweckmäßige Ordnung des Stoffes, iſt in Wahrheit kein Syſtem. Das wahre Syſtem bedeutet vielmehr das organiſche Verhältniß des Einzelnen zum Ganzen; es zeigt, wie der Theil durch das Ganze ſeine Beſtimmung und ſeine Grenze empfängt; es iſt der Träger derjenigen Gewalt, welche aus dem Ganzen hervorgehend im Einzelnen lebt; es gibt kein Verſtändniß und keine vollſtändige Beherrſchung dieſes Einzelnen ohne ein Verſtändniß und ein klares Bild ſeines Zuſammenhanges mit dem Ganzen; und das bietet allein das Syſtem. Ein wahres Syſtem iſt daher niemals die Grund- lage der Behandlung des Stoffes, ſondern es iſt ſelbſt wieder nur das Ergebniß des höheren Weſens deſſelben; darum wird es nie fertig, ehe man das ganze Gebiet vollſtändig durchgearbeitet hat; daher iſt man ſich über die Sache im Ganzen erſt einig, wenn man ſich über die ſyſtematiſche Ordnung im Einzelnen klar iſt; und wenn man daher nach dem Verhältniß der Wiſſenſchaft der wirth- ſchaftlichen Verwaltung zu den einzelnen Gebieten fragt, ſo kann man jetzt antworten, daß die erſtere vor allen Dingen das zu geben hat, was die letztere nie ohne dieſelben empfangen können, das Syſtem als formalen Ausdruck der organiſchen Auffaſſung des Geſammtlebens aller einzelnen Theile. Möge man nun das Streben des Verfaſſers zunächſt von dieſem Standpunkte aus auffaſſen. Was nun die Behandlung des vorliegenden erſten ſpeciellen Theiles, der Entwährungslehre, betrifft, ſo iſt dieſelbe allerdings etwas anders geworden, als was manche ſich darunter vielleicht vorſtellen mögen. Ich habe zu dem, was in der Arbeit enthalten iſt, nichts im Allgemeinen hinzuzufügen, als daß ſich dieſelbe in der That zu den Elementen der Geſchichte der europäiſchen Agrarver- faſſung auf Grundlage der Geſchichte der Geſellſchaft hat geſtalten müſſen. Der nächſte Werth dieſer Arbeit beſteht viel- leicht zumeiſt darin, daß noch niemals jemand verſucht hat, eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/12
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/12>, abgerufen am 03.12.2024.