ähnliche zu unternehmen. Es war nicht leicht, gerade hier in die englischen und französischen Verhältnisse einzudringen und noch schwieriger, aus der scheinbar tiefen Verschiedenheit derselben wieder einmal zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß die europäischen Rechts- und Verwaltungsverhältnisse viel weniger von einander abweichen, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigte sich hier wieder einmal, daß der größte Fehler unserer sonst so achtungs- werthen deutschen Rechtsgeschichte darin besteht, eben nur deutsche Rechtsgeschichte sein zu wollen, und nicht zu begreifen, daß sie selbst nur ein Zweig an dem Baume der großen europäischen Rechts- geschichte ist und sich als solchen erkennen muß, will sie sich über- haupt aus gelehrtem Detail zu einer wirklichen geistigen Bedeutung erheben. Ich gestehe es offen, daß ich zu hoffen wage, in der vorliegenden Arbeit einen Theil der Grundlagen dieser Rechts- geschichte Europa's gegeben zu haben. Unsere größeren Nachfolger werden darüber urtheilen.
Das Enteignungsrecht im Besonderen hat endlich in der Ent- währungslehre seine richtige Stellung gefunden, und die Vergleichung zeigt uns auch hier, daß wir Deutsche darin wie in der Entlastung hinter England und Frankreich wesentlich zurückstehen. Ich will hier auf Einzelnes nicht eingehen. Aber das Resultat steht wohl fest, daß die gewaltige Macht, welche jene beiden Länder über die ganze Welt und namentlich über Deutschland ausgeübt haben und ja zum Theil noch ausüben, auf der früheren und großartigen Durchführung des Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft in den Rechtsord- nungen des Grundbesitzes, also speciell in der Durchführung der Entlastung beruht. Und das ist von so hoher Bedeutung, daß wir glauben müssen, es sei diese Entlastungs- und Entwährungslehre unter allen Gebieten der praktischen Staatswissenschaften dasjenige, welches am meisten sich eignet, die wahre Vorbildung für die Staatskunst der Zukunft zu werden.
Schließlich muß ich bedauern, die neueste Arbeit über die Enteignung von Dr. G. Meyer (das Recht der Expropriation 1868) nicht haben benützen zu können. Der Verfasser zeichnet sich vor allen bisherigen Behandlungen dadurch aus, daß er mit richtigem Gefühl die Agrarverhältnisse Roms an die Spitze der Enteignungs- lehre stellt, und so den Zusammenhang von Entlastung und Ent- eignung erkennt. Allein seine strenge, juristische Beschränkung auf
ähnliche zu unternehmen. Es war nicht leicht, gerade hier in die engliſchen und franzöſiſchen Verhältniſſe einzudringen und noch ſchwieriger, aus der ſcheinbar tiefen Verſchiedenheit derſelben wieder einmal zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß die europäiſchen Rechts- und Verwaltungsverhältniſſe viel weniger von einander abweichen, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigte ſich hier wieder einmal, daß der größte Fehler unſerer ſonſt ſo achtungs- werthen deutſchen Rechtsgeſchichte darin beſteht, eben nur deutſche Rechtsgeſchichte ſein zu wollen, und nicht zu begreifen, daß ſie ſelbſt nur ein Zweig an dem Baume der großen europäiſchen Rechts- geſchichte iſt und ſich als ſolchen erkennen muß, will ſie ſich über- haupt aus gelehrtem Detail zu einer wirklichen geiſtigen Bedeutung erheben. Ich geſtehe es offen, daß ich zu hoffen wage, in der vorliegenden Arbeit einen Theil der Grundlagen dieſer Rechts- geſchichte Europa’s gegeben zu haben. Unſere größeren Nachfolger werden darüber urtheilen.
Das Enteignungsrecht im Beſonderen hat endlich in der Ent- währungslehre ſeine richtige Stellung gefunden, und die Vergleichung zeigt uns auch hier, daß wir Deutſche darin wie in der Entlaſtung hinter England und Frankreich weſentlich zurückſtehen. Ich will hier auf Einzelnes nicht eingehen. Aber das Reſultat ſteht wohl feſt, daß die gewaltige Macht, welche jene beiden Länder über die ganze Welt und namentlich über Deutſchland ausgeübt haben und ja zum Theil noch ausüben, auf der früheren und großartigen Durchführung des Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft in den Rechtsord- nungen des Grundbeſitzes, alſo ſpeciell in der Durchführung der Entlaſtung beruht. Und das iſt von ſo hoher Bedeutung, daß wir glauben müſſen, es ſei dieſe Entlaſtungs- und Entwährungslehre unter allen Gebieten der praktiſchen Staatswiſſenſchaften dasjenige, welches am meiſten ſich eignet, die wahre Vorbildung für die Staatskunſt der Zukunft zu werden.
Schließlich muß ich bedauern, die neueſte Arbeit über die Enteignung von Dr. G. Meyer (das Recht der Expropriation 1868) nicht haben benützen zu können. Der Verfaſſer zeichnet ſich vor allen bisherigen Behandlungen dadurch aus, daß er mit richtigem Gefühl die Agrarverhältniſſe Roms an die Spitze der Enteignungs- lehre ſtellt, und ſo den Zuſammenhang von Entlaſtung und Ent- eignung erkennt. Allein ſeine ſtrenge, juriſtiſche Beſchränkung auf
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[VII/0013]
ähnliche zu unternehmen. Es war nicht leicht, gerade hier in die
engliſchen und franzöſiſchen Verhältniſſe einzudringen und noch
ſchwieriger, aus der ſcheinbar tiefen Verſchiedenheit derſelben wieder
einmal zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß die europäiſchen
Rechts- und Verwaltungsverhältniſſe viel weniger von einander
abweichen, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigte ſich hier
wieder einmal, daß der größte Fehler unſerer ſonſt ſo achtungs-
werthen deutſchen Rechtsgeſchichte darin beſteht, eben nur deutſche
Rechtsgeſchichte ſein zu wollen, und nicht zu begreifen, daß ſie ſelbſt
nur ein Zweig an dem Baume der großen europäiſchen Rechts-
geſchichte iſt und ſich als ſolchen erkennen muß, will ſie ſich über-
haupt aus gelehrtem Detail zu einer wirklichen geiſtigen Bedeutung
erheben. Ich geſtehe es offen, daß ich zu hoffen wage, in der
vorliegenden Arbeit einen Theil der Grundlagen dieſer Rechts-
geſchichte Europa’s gegeben zu haben. Unſere größeren Nachfolger
werden darüber urtheilen.
Das Enteignungsrecht im Beſonderen hat endlich in der Ent-
währungslehre ſeine richtige Stellung gefunden, und die Vergleichung
zeigt uns auch hier, daß wir Deutſche darin wie in der Entlaſtung
hinter England und Frankreich weſentlich zurückſtehen. Ich will hier
auf Einzelnes nicht eingehen. Aber das Reſultat ſteht wohl feſt,
daß die gewaltige Macht, welche jene beiden Länder über die ganze
Welt und namentlich über Deutſchland ausgeübt haben und ja zum
Theil noch ausüben, auf der früheren und großartigen Durchführung
des Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft in den Rechtsord-
nungen des Grundbeſitzes, alſo ſpeciell in der Durchführung der
Entlaſtung beruht. Und das iſt von ſo hoher Bedeutung, daß wir
glauben müſſen, es ſei dieſe Entlaſtungs- und Entwährungslehre
unter allen Gebieten der praktiſchen Staatswiſſenſchaften dasjenige,
welches am meiſten ſich eignet, die wahre Vorbildung für die
Staatskunſt der Zukunft zu werden.
Schließlich muß ich bedauern, die neueſte Arbeit über die
Enteignung von Dr. G. Meyer (das Recht der Expropriation 1868)
nicht haben benützen zu können. Der Verfaſſer zeichnet ſich vor
allen bisherigen Behandlungen dadurch aus, daß er mit richtigem
Gefühl die Agrarverhältniſſe Roms an die Spitze der Enteignungs-
lehre ſtellt, und ſo den Zuſammenhang von Entlaſtung und Ent-
eignung erkennt. Allein ſeine ſtrenge, juriſtiſche Beſchränkung auf
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/13>, abgerufen am 23.11.2024.
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