entlastung diese Grundherrlichkeit aufhebt, tritt die Möglichkeit der Selbstverwaltung für die Gemeinde ein; erst mit der Grundent- lastung ist die Möglichkeit einer freien Landgemeindeord- nung gegeben. Das ist das Element in der Grundentlastung, welches der Zukunft angehört. Sie ist keine Landgemeindeordnung, aber sie muß eine solche erzeugen. Alle Landgemeindeordnungen vor der definitiv durchgeführten Grundentlastung sind nothwendig unvollkommen und keine wahre Gemeindeordnungen; sie können die Selbstverwaltung vor- bereiten, aber dieselbe geben, können sie nicht. Die Grundentlastung ihrerseits macht daher zunächst eine neue, selbständige Landgemeindeord- nung überhaupt nothwendig; der Charakter dieser Landgemeindeordnungen aber, von der Geschlechterordnung unberührt, wird dann zum Aus- druck des Princips, welches in jedem einzelnen Staat für die Aner- kennung und Ausbildung der Selbstverwaltung überhaupt gilt. Und so kann man sagen, daß erst die Grundentlastung die vollständige Entwicklung und Geltung der eigenen und eigentlichen Natur jedes Staats bedingt; so lange sie nicht vollständig und rein durchgeführt ist, steht noch immer das grundherrliche Recht zwischen dem Staat und demjenigen Gemeindeleben, auf welchem er selbst beruht, so lange gibt es noch immer zwei Grundformen der Gemeinde, die Stadt- und die Landgemeinde, die darin so wesentlich verschieden sind, weil die erste der staatsbürgerlichen, die zweite der Geschlechterordnung angehört. Nach der Grundentlastung zerfällt dieser Unterschied, und damit tritt für die ganze Selbstverwaltung des Staats die Frage ein, ob die Natur derselben, und wie weit sie die Selbstverwaltung überhaupt zulassen, zu erzeugen und zu ertragen vermag. Und so wird der Zeitpunkt der Grundentlastung der entscheidende Zeitpunkt für die gesammte innere Entwicklung des Staats. Es ist unmöglich, sich darüber zu täuschen. Und es ist daher für jede allgemeinere Auffassung nicht möglich, bei der Grundentlastung als solcher stehen zn bleiben, oder sie vom bloß land- wirthschaftlichen oder rein juristischen Gesichtspunkt aufzufassen. Sie ist vielmehr gerade im obigen Sinne ein Stück der inneren Entwicklungs- geschichte des Staatslebens überhaupt, und ihre wahre Bedeutung liegt damit wesentlich in ihrem Verhältniß zu der von ihr erzeugten, auf ihr beruhenden Selbstverwaltung der Landgemeinde.
Ist dem nun so, so ergibt sich der dritte Gesichtspunkt für die höhere Auffassung der Grundentlastung. Derselbe läßt sich jetzt sehr sehr kurz bezeichnen. Während jener Proceß, dessen Schlußpunkt die Grundentlastung ist, in allen europäischen Staaten bei großer äußerer Verschiedenheit innerlich gleichartig erscheint, ist die Folge derselben, die Gestalt der neuen Landgemeinde speciell und das Auftreten der
entlaſtung dieſe Grundherrlichkeit aufhebt, tritt die Möglichkeit der Selbſtverwaltung für die Gemeinde ein; erſt mit der Grundent- laſtung iſt die Möglichkeit einer freien Landgemeindeord- nung gegeben. Das iſt das Element in der Grundentlaſtung, welches der Zukunft angehört. Sie iſt keine Landgemeindeordnung, aber ſie muß eine ſolche erzeugen. Alle Landgemeindeordnungen vor der definitiv durchgeführten Grundentlaſtung ſind nothwendig unvollkommen und keine wahre Gemeindeordnungen; ſie können die Selbſtverwaltung vor- bereiten, aber dieſelbe geben, können ſie nicht. Die Grundentlaſtung ihrerſeits macht daher zunächſt eine neue, ſelbſtändige Landgemeindeord- nung überhaupt nothwendig; der Charakter dieſer Landgemeindeordnungen aber, von der Geſchlechterordnung unberührt, wird dann zum Aus- druck des Princips, welches in jedem einzelnen Staat für die Aner- kennung und Ausbildung der Selbſtverwaltung überhaupt gilt. Und ſo kann man ſagen, daß erſt die Grundentlaſtung die vollſtändige Entwicklung und Geltung der eigenen und eigentlichen Natur jedes Staats bedingt; ſo lange ſie nicht vollſtändig und rein durchgeführt iſt, ſteht noch immer das grundherrliche Recht zwiſchen dem Staat und demjenigen Gemeindeleben, auf welchem er ſelbſt beruht, ſo lange gibt es noch immer zwei Grundformen der Gemeinde, die Stadt- und die Landgemeinde, die darin ſo weſentlich verſchieden ſind, weil die erſte der ſtaatsbürgerlichen, die zweite der Geſchlechterordnung angehört. Nach der Grundentlaſtung zerfällt dieſer Unterſchied, und damit tritt für die ganze Selbſtverwaltung des Staats die Frage ein, ob die Natur derſelben, und wie weit ſie die Selbſtverwaltung überhaupt zulaſſen, zu erzeugen und zu ertragen vermag. Und ſo wird der Zeitpunkt der Grundentlaſtung der entſcheidende Zeitpunkt für die geſammte innere Entwicklung des Staats. Es iſt unmöglich, ſich darüber zu täuſchen. Und es iſt daher für jede allgemeinere Auffaſſung nicht möglich, bei der Grundentlaſtung als ſolcher ſtehen zn bleiben, oder ſie vom bloß land- wirthſchaftlichen oder rein juriſtiſchen Geſichtspunkt aufzufaſſen. Sie iſt vielmehr gerade im obigen Sinne ein Stück der inneren Entwicklungs- geſchichte des Staatslebens überhaupt, und ihre wahre Bedeutung liegt damit weſentlich in ihrem Verhältniß zu der von ihr erzeugten, auf ihr beruhenden Selbſtverwaltung der Landgemeinde.
Iſt dem nun ſo, ſo ergibt ſich der dritte Geſichtspunkt für die höhere Auffaſſung der Grundentlaſtung. Derſelbe läßt ſich jetzt ſehr ſehr kurz bezeichnen. Während jener Proceß, deſſen Schlußpunkt die Grundentlaſtung iſt, in allen europäiſchen Staaten bei großer äußerer Verſchiedenheit innerlich gleichartig erſcheint, iſt die Folge derſelben, die Geſtalt der neuen Landgemeinde ſpeciell und das Auftreten der
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Selbſtverwaltung für die Gemeinde ein; erſt mit der Grundent-
laſtung iſt die Möglichkeit einer freien Landgemeindeord-
nung gegeben. Das iſt das Element in der Grundentlaſtung, welches
der Zukunft angehört. Sie iſt keine Landgemeindeordnung, aber ſie
muß eine ſolche erzeugen. Alle Landgemeindeordnungen vor der definitiv
durchgeführten Grundentlaſtung ſind nothwendig unvollkommen und
keine wahre Gemeindeordnungen; ſie können die Selbſtverwaltung vor-
bereiten, aber dieſelbe geben, können ſie nicht. Die Grundentlaſtung
ihrerſeits macht daher zunächſt eine neue, ſelbſtändige Landgemeindeord-
nung überhaupt nothwendig; der Charakter dieſer Landgemeindeordnungen
aber, von der Geſchlechterordnung unberührt, wird dann zum Aus-
druck des Princips, welches in jedem einzelnen Staat für die Aner-
kennung und Ausbildung der Selbſtverwaltung überhaupt gilt.
Und ſo kann man ſagen, daß erſt die Grundentlaſtung die vollſtändige
Entwicklung und Geltung der eigenen und eigentlichen Natur jedes
Staats bedingt; ſo lange ſie nicht vollſtändig und rein durchgeführt
iſt, ſteht noch immer das grundherrliche Recht zwiſchen dem Staat und
demjenigen Gemeindeleben, auf welchem er ſelbſt beruht, ſo lange gibt
es noch immer zwei Grundformen der Gemeinde, die Stadt- und die
Landgemeinde, die darin ſo weſentlich verſchieden ſind, weil die erſte
der ſtaatsbürgerlichen, die zweite der Geſchlechterordnung angehört. Nach
der Grundentlaſtung zerfällt dieſer Unterſchied, und damit tritt für
die ganze Selbſtverwaltung des Staats die Frage ein, ob die Natur
derſelben, und wie weit ſie die Selbſtverwaltung überhaupt zulaſſen, zu
erzeugen und zu ertragen vermag. Und ſo wird der Zeitpunkt
der Grundentlaſtung der entſcheidende Zeitpunkt für die geſammte innere
Entwicklung des Staats. Es iſt unmöglich, ſich darüber zu täuſchen.
Und es iſt daher für jede allgemeinere Auffaſſung nicht möglich, bei der
Grundentlaſtung als ſolcher ſtehen zn bleiben, oder ſie vom bloß land-
wirthſchaftlichen oder rein juriſtiſchen Geſichtspunkt aufzufaſſen. Sie iſt
vielmehr gerade im obigen Sinne ein Stück der inneren Entwicklungs-
geſchichte des Staatslebens überhaupt, und ihre wahre Bedeutung liegt
damit weſentlich in ihrem Verhältniß zu der von ihr erzeugten, auf ihr
beruhenden Selbſtverwaltung der Landgemeinde.
Iſt dem nun ſo, ſo ergibt ſich der dritte Geſichtspunkt für die
höhere Auffaſſung der Grundentlaſtung. Derſelbe läßt ſich jetzt ſehr
ſehr kurz bezeichnen. Während jener Proceß, deſſen Schlußpunkt die
Grundentlaſtung iſt, in allen europäiſchen Staaten bei großer äußerer
Verſchiedenheit innerlich gleichartig erſcheint, iſt die Folge derſelben,
die Geſtalt der neuen Landgemeinde ſpeciell und das Auftreten der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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