Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.Gewalt sich langsam wieder erzeugt, tritt auch jener Proceß wieder Bei dieser Geschichte muß man nun davon ausgehen, daß die eigent- 1) Der Kampf der Staatsgewalt gegen Leibeigenschaft und Patrimonialgerichtsbarkeit. Das 16. Jahrhundert der deutschen Geschichte ist von dem 17. Gewalt ſich langſam wieder erzeugt, tritt auch jener Proceß wieder Bei dieſer Geſchichte muß man nun davon ausgehen, daß die eigent- 1) Der Kampf der Staatsgewalt gegen Leibeigenſchaft und Patrimonialgerichtsbarkeit. Das 16. Jahrhundert der deutſchen Geſchichte iſt von dem 17. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0210" n="192"/> Gewalt ſich langſam wieder erzeugt, tritt auch jener Proceß wieder<lb/> ein und ſein entſcheidendes Symptom iſt die Aufnahme des Kampfes<lb/> mit der herrſchenden Klaſſe, die hier als langſames, aber ſicheres Vor-<lb/> ſchreiten zur Befreiung des Bauernſtandes erſcheint, und mit dem Siege<lb/> der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung oder die Geſchlechterordnung<lb/> für Deutſchland erſt mit dem letzten Jahrzehnt endet. Dieſen Proceß<lb/> nennen wir die <hi rendition="#g">Geſchichte der Entlaſtung</hi>.</p><lb/> <p>Bei dieſer Geſchichte muß man nun davon ausgehen, daß die eigent-<lb/> liche Grundentlaſtung nur <hi rendition="#g">ein Stadium</hi> in derſelben bildet, und daher<lb/> ihre allgemeinere Bedeutung nicht in den einzelnen für dieſelbe zur Gel-<lb/> tung gebrachten poſitiven Beſtimmungen, ſondern in dem Verhältniß der-<lb/> ſelben zum geſammten Entwicklungsgange des Volkslebens findet. Die<lb/> folgende Arbeit iſt von dieſem Geſichtspunkte ausgegangen. Die eigentliche<lb/> juriſtiſch-nationalökonomiſche Lehre von Grundentlaſtung und Ablöſung<lb/> gehört bereits der Geſchichte an, und ihren Inhalt findet man, wie<lb/> bereits erwähnt, mit jetzt ziemlich werthloſer Breite in Rau und Roſcher;<lb/> wir werden von derſelben nur ſo viel aufnehmen, als für den Charakter<lb/> des Entwicklungsganges dieſer Frage unabweislich iſt. Das viel Wich-<lb/> tigere iſt der letztere ſelbſt. Derſelbe zerfällt in drei große Epochen.<lb/> Die erſte dieſer Epochen reicht bis zum Anfange dieſes Jahrhunderts;<lb/> die zweite bis zum Jahre 1848; die dritte umfaßt die jüngſte Zeit.<lb/> Wir bezeichnen die erſte als die Zeit des Kampfes der Staatsgewalt<lb/> mit der Leibeigenſchaft und der Patrimonialgerichtsbarkeit, die zweite<lb/> als die Zeit der volkswirthſchaftlichen, die dritte als die der ſtaats-<lb/> bürgerlichen Entlaſtung.</p><lb/> <div n="7"> <head>1) <hi rendition="#g">Der Kampf der Staatsgewalt gegen Leibeigenſchaft und<lb/> Patrimonialgerichtsbarkeit</hi>.</head><lb/> <p>Das 16. Jahrhundert der deutſchen Geſchichte iſt von dem 17.<lb/> weſentlich verſchieden. Es iſt die letzte Epoche, in welcher das deutſche<lb/> Reich als Ganzes den großen Verſuch einer Verwaltungsthätigkeit macht.<lb/> Die Reichstags- und Deputationsbeſchlüſſe und Abſchiede verſuchen ein<lb/> Verwaltungsrecht zu ſchaffen; die Einſetzung des Reichskammergerichts<lb/> iſt der Verſuch, demſelben eine ſelbſtändige Organiſation zu geben; der<lb/> Deputations-Abſchied von 1600 ſtellt ſogar den Grundſatz einer durch-<lb/> greifenden Organiſation und Controle „der Unter-, Ober- und Hofgerichte“<lb/> auf, „damit den Unterthanen, daß ſie rechtlos geſtellt worden ſeien,<lb/> Urſachen zu klagen abgeſchnitten ſei“ (vgl. <hi rendition="#g">Eichhorn</hi>, Deutſche Reichs-<lb/> und Rechtsgeſchichte <hi rendition="#aq">IV.</hi> §. 550). Allein der dreißigjährige Krieg, deſſen<lb/> furchtbare ſociale Wirkung niemand beſſer als <hi rendition="#g">Sugenheim</hi> aufgefaßt<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0210]
Gewalt ſich langſam wieder erzeugt, tritt auch jener Proceß wieder
ein und ſein entſcheidendes Symptom iſt die Aufnahme des Kampfes
mit der herrſchenden Klaſſe, die hier als langſames, aber ſicheres Vor-
ſchreiten zur Befreiung des Bauernſtandes erſcheint, und mit dem Siege
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung oder die Geſchlechterordnung
für Deutſchland erſt mit dem letzten Jahrzehnt endet. Dieſen Proceß
nennen wir die Geſchichte der Entlaſtung.
Bei dieſer Geſchichte muß man nun davon ausgehen, daß die eigent-
liche Grundentlaſtung nur ein Stadium in derſelben bildet, und daher
ihre allgemeinere Bedeutung nicht in den einzelnen für dieſelbe zur Gel-
tung gebrachten poſitiven Beſtimmungen, ſondern in dem Verhältniß der-
ſelben zum geſammten Entwicklungsgange des Volkslebens findet. Die
folgende Arbeit iſt von dieſem Geſichtspunkte ausgegangen. Die eigentliche
juriſtiſch-nationalökonomiſche Lehre von Grundentlaſtung und Ablöſung
gehört bereits der Geſchichte an, und ihren Inhalt findet man, wie
bereits erwähnt, mit jetzt ziemlich werthloſer Breite in Rau und Roſcher;
wir werden von derſelben nur ſo viel aufnehmen, als für den Charakter
des Entwicklungsganges dieſer Frage unabweislich iſt. Das viel Wich-
tigere iſt der letztere ſelbſt. Derſelbe zerfällt in drei große Epochen.
Die erſte dieſer Epochen reicht bis zum Anfange dieſes Jahrhunderts;
die zweite bis zum Jahre 1848; die dritte umfaßt die jüngſte Zeit.
Wir bezeichnen die erſte als die Zeit des Kampfes der Staatsgewalt
mit der Leibeigenſchaft und der Patrimonialgerichtsbarkeit, die zweite
als die Zeit der volkswirthſchaftlichen, die dritte als die der ſtaats-
bürgerlichen Entlaſtung.
1) Der Kampf der Staatsgewalt gegen Leibeigenſchaft und
Patrimonialgerichtsbarkeit.
Das 16. Jahrhundert der deutſchen Geſchichte iſt von dem 17.
weſentlich verſchieden. Es iſt die letzte Epoche, in welcher das deutſche
Reich als Ganzes den großen Verſuch einer Verwaltungsthätigkeit macht.
Die Reichstags- und Deputationsbeſchlüſſe und Abſchiede verſuchen ein
Verwaltungsrecht zu ſchaffen; die Einſetzung des Reichskammergerichts
iſt der Verſuch, demſelben eine ſelbſtändige Organiſation zu geben; der
Deputations-Abſchied von 1600 ſtellt ſogar den Grundſatz einer durch-
greifenden Organiſation und Controle „der Unter-, Ober- und Hofgerichte“
auf, „damit den Unterthanen, daß ſie rechtlos geſtellt worden ſeien,
Urſachen zu klagen abgeſchnitten ſei“ (vgl. Eichhorn, Deutſche Reichs-
und Rechtsgeſchichte IV. §. 550). Allein der dreißigjährige Krieg, deſſen
furchtbare ſociale Wirkung niemand beſſer als Sugenheim aufgefaßt
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