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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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nicht auf landesherrlichen Verleihungen, sondern auf dem historischen
Rechte des Grundes und Bodens selbst beruhe. Ein Theil der Juristen
-- Neigung, persönliche Beziehungen, öffentliche Stellung mögen damals
wie immer vielfach auf die Richtung der Einzelnen eingewirkt haben
-- mußte daher zugestehen, daß die Gerichtsbarkeit des Herrn über
Leibeigene und Hintersassen die Natur des Privateigenthums be-
sitze; das Recht auf dieselben identificirt sich ihnen mit dem Recht auf
den Grund und Boden, sie ist erblich, wie dieser; sie ist ein Theil des
Patrimonii, und heißt daher jetzt Erb- oder Patrimonial-Gerichtsbarkeit.
Daß dieselbe gelegentlich dem Adel bestätigt wird (wie in Preußen,
Fischer I. §. 842) ändert die privatrechtliche Natur derselben nicht; es
wird ausdrücklich anerkannt, daß sie ihren Ursprung aus dem Eigen-
thumsrechte genommen habe" (Fischer a. a. O. §. 842 nebst der Lite-
ratur) und noch am Ende des vorigen Jahrhunderts gilt für die deutsche
Jurisprudenz dieser Satz als unzweifelhaft "die stillschweigende Con-
cession des Regenten ist eine ganz untaugliche und nichts aufklärende
Hypothese" (Runde §. 702). Allerdings war die Competenz dieser
Gerichte eben wegen ihrer historischen Stellung fraglich. Eine, an
Dissertationen sehr reiche Literatur beschäftigte sich im ganzen 18. Jahr-
hundert mit derselben (bei Fischer a. a. O. §. 841 die bekanntesten).
Das Gesammtresultat aber war, daß die Patrimonial- oder Erbgerichts-
barkeit für die gesammte niedere Justiz competent sei; der allgemeine
Ausdruck war: daß dieselbe "Polizeigewalt, Heimfallsrecht, Abzugsrecht
und das Fiscalrecht mit sich vereinigt" (Fischer ebend.)

Das nun war für die große sociale Frage des Bauernstandes ein
sehr ernstes Resultat. Die ganze Auffassung der römischen Juristen
und der Beamteten überhaupt ward durch dies Ergebniß wesentlich er-
schüttert. Die ständische Richtung der deutschen Jurisprudenz wußte
das gut zu benutzen. "Daß die lehre des Römischen rechtes von der
gerichtsbarkeit von der Teutschen gänzlich unterschieden sei, haben Gund-
ling
in den digestis über diesen Titel, Gebauer de jurisdictione,
Johann Leonh. Hauschild von der gerichts-verfassung der Teutschen
(Leipzig 1741, 4.) und besonders Fr. Esaias Pufendorf de juris-
dictione Germanica
(Lemgo 1740, 8.) wie ich auch in meinem unter-
richte von der abfassung der urthel mit mererem gezeigt" (Estor,
Deutsche Rechtsgelahrtheit anderer teil. Marb. 1758. §. 4924). Eben so
Fischer a. a. O. II. §. 24, der in §. 19 die ganze, mit Herm. Con-
ring
(Diss. de judiciis Reipubl. Germ. Helmst. 1644) beginnende Lite-
ratur über diese Frage aufführt. Uebrigens hatte auch die entgegen-
gesetzte Ansicht schon im 18. Jahrhundert eifrige Vertreter, namentlich
Selchow (Jur. Germ. Privat.) vgl. auch Runde a. a. O. In der

nicht auf landesherrlichen Verleihungen, ſondern auf dem hiſtoriſchen
Rechte des Grundes und Bodens ſelbſt beruhe. Ein Theil der Juriſten
— Neigung, perſönliche Beziehungen, öffentliche Stellung mögen damals
wie immer vielfach auf die Richtung der Einzelnen eingewirkt haben
— mußte daher zugeſtehen, daß die Gerichtsbarkeit des Herrn über
Leibeigene und Hinterſaſſen die Natur des Privateigenthums be-
ſitze; das Recht auf dieſelben identificirt ſich ihnen mit dem Recht auf
den Grund und Boden, ſie iſt erblich, wie dieſer; ſie iſt ein Theil des
Patrimonii, und heißt daher jetzt Erb- oder Patrimonial-Gerichtsbarkeit.
Daß dieſelbe gelegentlich dem Adel beſtätigt wird (wie in Preußen,
Fiſcher I. §. 842) ändert die privatrechtliche Natur derſelben nicht; es
wird ausdrücklich anerkannt, daß ſie ihren Urſprung aus dem Eigen-
thumsrechte genommen habe“ (Fiſcher a. a. O. §. 842 nebſt der Lite-
ratur) und noch am Ende des vorigen Jahrhunderts gilt für die deutſche
Jurisprudenz dieſer Satz als unzweifelhaft „die ſtillſchweigende Con-
ceſſion des Regenten iſt eine ganz untaugliche und nichts aufklärende
Hypotheſe“ (Runde §. 702). Allerdings war die Competenz dieſer
Gerichte eben wegen ihrer hiſtoriſchen Stellung fraglich. Eine, an
Diſſertationen ſehr reiche Literatur beſchäftigte ſich im ganzen 18. Jahr-
hundert mit derſelben (bei Fiſcher a. a. O. §. 841 die bekannteſten).
Das Geſammtreſultat aber war, daß die Patrimonial- oder Erbgerichts-
barkeit für die geſammte niedere Juſtiz competent ſei; der allgemeine
Ausdruck war: daß dieſelbe „Polizeigewalt, Heimfallsrecht, Abzugsrecht
und das Fiscalrecht mit ſich vereinigt“ (Fiſcher ebend.)

Das nun war für die große ſociale Frage des Bauernſtandes ein
ſehr ernſtes Reſultat. Die ganze Auffaſſung der römiſchen Juriſten
und der Beamteten überhaupt ward durch dies Ergebniß weſentlich er-
ſchüttert. Die ſtändiſche Richtung der deutſchen Jurisprudenz wußte
das gut zu benutzen. „Daß die lehre des Römiſchen rechtes von der
gerichtsbarkeit von der Teutſchen gänzlich unterſchieden ſei, haben Gund-
ling
in den digestis über dieſen Titel, Gebauer de jurisdictione,
Johann Leonh. Hauſchild von der gerichts-verfaſſung der Teutſchen
(Leipzig 1741, 4.) und beſonders Fr. Eſaias Pufendorf de juris-
dictione Germanica
(Lemgo 1740, 8.) wie ich auch in meinem unter-
richte von der abfaſſung der urthel mit mererem gezeigt“ (Eſtor,
Deutſche Rechtsgelahrtheit anderer teil. Marb. 1758. §. 4924). Eben ſo
Fiſcher a. a. O. II. §. 24, der in §. 19 die ganze, mit Herm. Con-
ring
(Diss. de judiciis Reipubl. Germ. Helmst. 1644) beginnende Lite-
ratur über dieſe Frage aufführt. Uebrigens hatte auch die entgegen-
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Selchow (Jur. Germ. Privat.) vgl. auch Runde a. a. O. In der

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[197/0215] nicht auf landesherrlichen Verleihungen, ſondern auf dem hiſtoriſchen Rechte des Grundes und Bodens ſelbſt beruhe. Ein Theil der Juriſten — Neigung, perſönliche Beziehungen, öffentliche Stellung mögen damals wie immer vielfach auf die Richtung der Einzelnen eingewirkt haben — mußte daher zugeſtehen, daß die Gerichtsbarkeit des Herrn über Leibeigene und Hinterſaſſen die Natur des Privateigenthums be- ſitze; das Recht auf dieſelben identificirt ſich ihnen mit dem Recht auf den Grund und Boden, ſie iſt erblich, wie dieſer; ſie iſt ein Theil des Patrimonii, und heißt daher jetzt Erb- oder Patrimonial-Gerichtsbarkeit. Daß dieſelbe gelegentlich dem Adel beſtätigt wird (wie in Preußen, Fiſcher I. §. 842) ändert die privatrechtliche Natur derſelben nicht; es wird ausdrücklich anerkannt, daß ſie ihren Urſprung aus dem Eigen- thumsrechte genommen habe“ (Fiſcher a. a. O. §. 842 nebſt der Lite- ratur) und noch am Ende des vorigen Jahrhunderts gilt für die deutſche Jurisprudenz dieſer Satz als unzweifelhaft „die ſtillſchweigende Con- ceſſion des Regenten iſt eine ganz untaugliche und nichts aufklärende Hypotheſe“ (Runde §. 702). Allerdings war die Competenz dieſer Gerichte eben wegen ihrer hiſtoriſchen Stellung fraglich. Eine, an Diſſertationen ſehr reiche Literatur beſchäftigte ſich im ganzen 18. Jahr- hundert mit derſelben (bei Fiſcher a. a. O. §. 841 die bekannteſten). Das Geſammtreſultat aber war, daß die Patrimonial- oder Erbgerichts- barkeit für die geſammte niedere Juſtiz competent ſei; der allgemeine Ausdruck war: daß dieſelbe „Polizeigewalt, Heimfallsrecht, Abzugsrecht und das Fiscalrecht mit ſich vereinigt“ (Fiſcher ebend.) Das nun war für die große ſociale Frage des Bauernſtandes ein ſehr ernſtes Reſultat. Die ganze Auffaſſung der römiſchen Juriſten und der Beamteten überhaupt ward durch dies Ergebniß weſentlich er- ſchüttert. Die ſtändiſche Richtung der deutſchen Jurisprudenz wußte das gut zu benutzen. „Daß die lehre des Römiſchen rechtes von der gerichtsbarkeit von der Teutſchen gänzlich unterſchieden ſei, haben Gund- ling in den digestis über dieſen Titel, Gebauer de jurisdictione, Johann Leonh. Hauſchild von der gerichts-verfaſſung der Teutſchen (Leipzig 1741, 4.) und beſonders Fr. Eſaias Pufendorf de juris- dictione Germanica (Lemgo 1740, 8.) wie ich auch in meinem unter- richte von der abfaſſung der urthel mit mererem gezeigt“ (Eſtor, Deutſche Rechtsgelahrtheit anderer teil. Marb. 1758. §. 4924). Eben ſo Fiſcher a. a. O. II. §. 24, der in §. 19 die ganze, mit Herm. Con- ring (Diss. de judiciis Reipubl. Germ. Helmst. 1644) beginnende Lite- ratur über dieſe Frage aufführt. Uebrigens hatte auch die entgegen- geſetzte Anſicht ſchon im 18. Jahrhundert eifrige Vertreter, namentlich Selchow (Jur. Germ. Privat.) vgl. auch Runde a. a. O. In der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/215>, abgerufen am 21.11.2024.