That aber lag der tiefe Unterschied im socialen Sinne des Wortes nicht bloß in dem, dem römischen Rechte unverständlichen Eigenthum an der Gerichtsbarkeit, sondern eben so sehr in dem rein polizeilichen Strafrecht der Erbgerichtsbarkeit, das den Bauern ganz in die Hand des Herrn gab. Welche Folgen dieß Recht hatte, davon hat uns Sugenheim eine Reihe von schlagenden Beispielen gesammelt (S. 376 und öfter). Der Gutsherr als Gerichts- und namentlich als Polizeiherr hatte das Recht, alle seinem Erbgerichte unterstehenden Bauern nach Ermessen prügeln zu lassen; es bedarf keiner weiteren Darlegung, wie ein solches, in der "Polizei" liegendes Recht des Grundherrn jeden Rest der Selbständigkeit der Bauern vernichten mußte; das Gericht des Herrn war nur eine Form der Willkür, und der Zustand war trauriger als je. Dazu kam endlich noch das sogenannte "Legen" der Bauernhöfe, das Vertreiben der Bauern aus ihren Höfen und die Ver- einigung der letzteren mit dem gutsherrlichen Hofe. Die Art und Weise wie dieß geschah, war verschieden; bald griff der Gutsherr mit Gewalt durch, bald benutzte er den Vorwand der Nichtentrichtung der gutsherr- lichen Lasten, bald entfernte er die Kinder beim Tode des Vaters. Die vom Hofe getriebenen Bauern mußten dann Taglöhner werden; damit verschwand der letzte Rest des Unterschiedes zwischen Bauer und Leib- eigenen, und somit gelangte die Geschlechterordnung bei ihrem letzten Stadium der Unfreiheit an. Es war ein elender Zustand.
Und dennoch war es vielleicht gerade dieser letzte Punkt, der die kaum noch zur rechten Kraft gelangte Staatsgewalt dazu brachte, gegen jene Verhältnisse einzuschreiten. Mit dem selbständigen Landesfürsten- thum war einerseits das Gefühl der Souveränetät gewaltsam, anderer- seits aber auch das Bedürfniß nach Abgaben gestiegen. Eine Gerichts- barkeit, welche mit Ausnahme des peinlichen Halsgerichts alle Funktionen des Staats erblich als Eigenthum besaß, mußte das erstere vernichten, eine völlige Vernichtung des Bauernstandes mußte die Erfüllung des zweiten unmöglich machen. In Frankreich hatte schon Sully den Bauern- stand als die wahre Grundlage des Staatsreichthums erkannt; die fran- zösische Literatur, viel höher in ihrer staatsmännischen Auffassung stehend, als die rein juristische deutsche, gab durch ihren Einfluß den freieren Blick auf die Verhältnisse; das Beamtenthum drängte vorwärts, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit zwar als eine andere, aber zugleich als eine nicht ebenbürtige, sich untergeordnete betrachtend, und die Noth der Kriege des 18. Jahrhunderts Hand in Hand mit der fürstlichen Verschwendung zwang die Regierungen, sich des zu Grunde gehenden Bauernstandes anzunehmen. So entstand, von der Staatsgewalt aus- gehend, eine Bewegung, welche die erste Hülfe brachte.
That aber lag der tiefe Unterſchied im ſocialen Sinne des Wortes nicht bloß in dem, dem römiſchen Rechte unverſtändlichen Eigenthum an der Gerichtsbarkeit, ſondern eben ſo ſehr in dem rein polizeilichen Strafrecht der Erbgerichtsbarkeit, das den Bauern ganz in die Hand des Herrn gab. Welche Folgen dieß Recht hatte, davon hat uns Sugenheim eine Reihe von ſchlagenden Beiſpielen geſammelt (S. 376 und öfter). Der Gutsherr als Gerichts- und namentlich als Polizeiherr hatte das Recht, alle ſeinem Erbgerichte unterſtehenden Bauern nach Ermeſſen prügeln zu laſſen; es bedarf keiner weiteren Darlegung, wie ein ſolches, in der „Polizei“ liegendes Recht des Grundherrn jeden Reſt der Selbſtändigkeit der Bauern vernichten mußte; das Gericht des Herrn war nur eine Form der Willkür, und der Zuſtand war trauriger als je. Dazu kam endlich noch das ſogenannte „Legen“ der Bauernhöfe, das Vertreiben der Bauern aus ihren Höfen und die Ver- einigung der letzteren mit dem gutsherrlichen Hofe. Die Art und Weiſe wie dieß geſchah, war verſchieden; bald griff der Gutsherr mit Gewalt durch, bald benutzte er den Vorwand der Nichtentrichtung der gutsherr- lichen Laſten, bald entfernte er die Kinder beim Tode des Vaters. Die vom Hofe getriebenen Bauern mußten dann Taglöhner werden; damit verſchwand der letzte Reſt des Unterſchiedes zwiſchen Bauer und Leib- eigenen, und ſomit gelangte die Geſchlechterordnung bei ihrem letzten Stadium der Unfreiheit an. Es war ein elender Zuſtand.
Und dennoch war es vielleicht gerade dieſer letzte Punkt, der die kaum noch zur rechten Kraft gelangte Staatsgewalt dazu brachte, gegen jene Verhältniſſe einzuſchreiten. Mit dem ſelbſtändigen Landesfürſten- thum war einerſeits das Gefühl der Souveränetät gewaltſam, anderer- ſeits aber auch das Bedürfniß nach Abgaben geſtiegen. Eine Gerichts- barkeit, welche mit Ausnahme des peinlichen Halsgerichts alle Funktionen des Staats erblich als Eigenthum beſaß, mußte das erſtere vernichten, eine völlige Vernichtung des Bauernſtandes mußte die Erfüllung des zweiten unmöglich machen. In Frankreich hatte ſchon Sully den Bauern- ſtand als die wahre Grundlage des Staatsreichthums erkannt; die fran- zöſiſche Literatur, viel höher in ihrer ſtaatsmänniſchen Auffaſſung ſtehend, als die rein juriſtiſche deutſche, gab durch ihren Einfluß den freieren Blick auf die Verhältniſſe; das Beamtenthum drängte vorwärts, die gutsherrliche Gerichtsbarkeit zwar als eine andere, aber zugleich als eine nicht ebenbürtige, ſich untergeordnete betrachtend, und die Noth der Kriege des 18. Jahrhunderts Hand in Hand mit der fürſtlichen Verſchwendung zwang die Regierungen, ſich des zu Grunde gehenden Bauernſtandes anzunehmen. So entſtand, von der Staatsgewalt aus- gehend, eine Bewegung, welche die erſte Hülfe brachte.
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That aber lag der tiefe Unterſchied im ſocialen Sinne des Wortes nicht
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der Gerichtsbarkeit, ſondern eben ſo ſehr in dem rein polizeilichen
Strafrecht der Erbgerichtsbarkeit, das den Bauern ganz in die Hand
des Herrn gab. Welche Folgen dieß Recht hatte, davon hat uns
Sugenheim eine Reihe von ſchlagenden Beiſpielen geſammelt (S. 376
und öfter). Der Gutsherr als Gerichts- und namentlich als Polizeiherr
hatte das Recht, alle ſeinem Erbgerichte unterſtehenden Bauern nach
Ermeſſen prügeln zu laſſen; es bedarf keiner weiteren Darlegung, wie
ein ſolches, in der „Polizei“ liegendes Recht des Grundherrn jeden
Reſt der Selbſtändigkeit der Bauern vernichten mußte; das Gericht
des Herrn war nur eine Form der Willkür, und der Zuſtand war
trauriger als je. Dazu kam endlich noch das ſogenannte „Legen“ der
Bauernhöfe, das Vertreiben der Bauern aus ihren Höfen und die Ver-
einigung der letzteren mit dem gutsherrlichen Hofe. Die Art und Weiſe
wie dieß geſchah, war verſchieden; bald griff der Gutsherr mit Gewalt
durch, bald benutzte er den Vorwand der Nichtentrichtung der gutsherr-
lichen Laſten, bald entfernte er die Kinder beim Tode des Vaters. Die
vom Hofe getriebenen Bauern mußten dann Taglöhner werden; damit
verſchwand der letzte Reſt des Unterſchiedes zwiſchen Bauer und Leib-
eigenen, und ſomit gelangte die Geſchlechterordnung bei ihrem letzten
Stadium der Unfreiheit an. Es war ein elender Zuſtand.
Und dennoch war es vielleicht gerade dieſer letzte Punkt, der die
kaum noch zur rechten Kraft gelangte Staatsgewalt dazu brachte, gegen
jene Verhältniſſe einzuſchreiten. Mit dem ſelbſtändigen Landesfürſten-
thum war einerſeits das Gefühl der Souveränetät gewaltſam, anderer-
ſeits aber auch das Bedürfniß nach Abgaben geſtiegen. Eine Gerichts-
barkeit, welche mit Ausnahme des peinlichen Halsgerichts alle Funktionen
des Staats erblich als Eigenthum beſaß, mußte das erſtere vernichten,
eine völlige Vernichtung des Bauernſtandes mußte die Erfüllung des
zweiten unmöglich machen. In Frankreich hatte ſchon Sully den Bauern-
ſtand als die wahre Grundlage des Staatsreichthums erkannt; die fran-
zöſiſche Literatur, viel höher in ihrer ſtaatsmänniſchen Auffaſſung
ſtehend, als die rein juriſtiſche deutſche, gab durch ihren Einfluß den
freieren Blick auf die Verhältniſſe; das Beamtenthum drängte vorwärts,
die gutsherrliche Gerichtsbarkeit zwar als eine andere, aber zugleich als
eine nicht ebenbürtige, ſich untergeordnete betrachtend, und die Noth
der Kriege des 18. Jahrhunderts Hand in Hand mit der fürſtlichen
Verſchwendung zwang die Regierungen, ſich des zu Grunde gehenden
Bauernſtandes anzunehmen. So entſtand, von der Staatsgewalt aus-
gehend, eine Bewegung, welche die erſte Hülfe brachte.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/216>, abgerufen am 21.11.2024.
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