einer eigentlichen Herstellung eines freien Eigenthums war auch hier bis 1848 um so weniger die Rede, als man die Patrimonialgerichts- barkeit bis 1856 fast unangetastet ließ (Judeich S. 61, Sugenheim S. 450). Im Königreich Hannover hatte man seit 1800 gar nichts geändert und gebessert. Die nordalbingischen Länder waren überhaupt in einem etwas andern Verhältniß als die übrigen Theile Deutsch- lands; hier fehlte einerseits das bewegende Element des Stadtbürger- thums, das freie des gewerblichen Kapitals, und der Bauer stand fast allein dem Gutsherrn gegenüber. Wie daher überhaupt jede Bewegung, der Fortschritt wie der Rückschritt in jenen Gebieten sehr langsam vor sich geht, so auch die der Befreiung von der Geschlechterherrschaft. Daß Mecklenburg noch in diesem Augenblick das letzte Stück Mittel- alter ist, welches wir in Deutschland besitzen, ist bereits erwähnt. Hannover seinerseits pflanzte die alte Hörigkeit, die Zwangsdienste, die Frohnden in unerschütterter Ruhe fort bis zum Jahre 1830; es konnte sich beinahe mit Mecklenburg messen. Erst der Stoß jener Re- volution auf die ganze unfreie Geschlechterordnung Deutschlands traf auch Hannover (vgl. Sugenheim, S. 444--450). Das Gesetz vom 10. November 1830 hob auch hier erst die Leibeigenschaft auf, und zwar ohne Entschädigung; das Gesetz vom 23. Juli 1833 erklärte dann die Grundlasten für ablösbar, jedoch unter den zwei entscheidenden Be- dingungen, daß erstlich nur der Verpflichtete auf Ablösung antragen dürfe und zweitens, daß alle Erbpachtsverhältnisse nur gegen Kapital- zahlung ablösbar sein sollten. Gerade das machte den praktischen Er- folg sehr unbedeutend, um so mehr als die Patrimonialgerichtsbarkeit unerschüttert bestehen blieb; doch hat Hannover bereits 1840 (Verord- nung vom 8. September) eine Staatskreditanstalt für die Ablösung gegründet, welche durch Verordnung vom 18. Juni 1842 zur Landes- kreditanstalt erhoben wurde (Judeich S. 51--58. Bening, die hannoverische Landeskreditanstalt in Rau und Hansens Archiv Bd. IX. S. 273--302. 1851.) Aehnlich blieb in Oldenburg die Patrimonial- gerichtsbarkeit; doch war das Verhältniß Oldenburgs überhaupt viel besser als dasjenige Hannovers, da hier der Bauernstand durch den 30jährigen Krieg so gut als gar nicht gelitten hatte, und daher die Um- wandlung der alten Hörigkeit bereits 1694 in eine höchst mäßige Rente ziemlich vollständig durchgeführt war; die letzten Reste der alten Lasten wurden 1820 ziemlich gründlich beseitigt; hier blieb dem Jahre 1848 daher nur wenig zu thun übrig (Sugenheim, S. 442 nebst Literatur). In ganz gleichem Verhältniß war Schleswig-Holstein, und zwar nur für die Mitte und östliche Hälfte des Landes, während der Westen mit seinen urfreien Marschen der Friesen und Marsen niemals unter
einer eigentlichen Herſtellung eines freien Eigenthums war auch hier bis 1848 um ſo weniger die Rede, als man die Patrimonialgerichts- barkeit bis 1856 faſt unangetaſtet ließ (Judeich S. 61, Sugenheim S. 450). Im Königreich Hannover hatte man ſeit 1800 gar nichts geändert und gebeſſert. Die nordalbingiſchen Länder waren überhaupt in einem etwas andern Verhältniß als die übrigen Theile Deutſch- lands; hier fehlte einerſeits das bewegende Element des Stadtbürger- thums, das freie des gewerblichen Kapitals, und der Bauer ſtand faſt allein dem Gutsherrn gegenüber. Wie daher überhaupt jede Bewegung, der Fortſchritt wie der Rückſchritt in jenen Gebieten ſehr langſam vor ſich geht, ſo auch die der Befreiung von der Geſchlechterherrſchaft. Daß Mecklenburg noch in dieſem Augenblick das letzte Stück Mittel- alter iſt, welches wir in Deutſchland beſitzen, iſt bereits erwähnt. Hannover ſeinerſeits pflanzte die alte Hörigkeit, die Zwangsdienſte, die Frohnden in unerſchütterter Ruhe fort bis zum Jahre 1830; es konnte ſich beinahe mit Mecklenburg meſſen. Erſt der Stoß jener Re- volution auf die ganze unfreie Geſchlechterordnung Deutſchlands traf auch Hannover (vgl. Sugenheim, S. 444—450). Das Geſetz vom 10. November 1830 hob auch hier erſt die Leibeigenſchaft auf, und zwar ohne Entſchädigung; das Geſetz vom 23. Juli 1833 erklärte dann die Grundlaſten für ablösbar, jedoch unter den zwei entſcheidenden Be- dingungen, daß erſtlich nur der Verpflichtete auf Ablöſung antragen dürfe und zweitens, daß alle Erbpachtsverhältniſſe nur gegen Kapital- zahlung ablösbar ſein ſollten. Gerade das machte den praktiſchen Er- folg ſehr unbedeutend, um ſo mehr als die Patrimonialgerichtsbarkeit unerſchüttert beſtehen blieb; doch hat Hannover bereits 1840 (Verord- nung vom 8. September) eine Staatskreditanſtalt für die Ablöſung gegründet, welche durch Verordnung vom 18. Juni 1842 zur Landes- kreditanſtalt erhoben wurde (Judeich S. 51—58. Bening, die hannoveriſche Landeskreditanſtalt in Rau und Hanſens Archiv Bd. IX. S. 273—302. 1851.) Aehnlich blieb in Oldenburg die Patrimonial- gerichtsbarkeit; doch war das Verhältniß Oldenburgs überhaupt viel beſſer als dasjenige Hannovers, da hier der Bauernſtand durch den 30jährigen Krieg ſo gut als gar nicht gelitten hatte, und daher die Um- wandlung der alten Hörigkeit bereits 1694 in eine höchſt mäßige Rente ziemlich vollſtändig durchgeführt war; die letzten Reſte der alten Laſten wurden 1820 ziemlich gründlich beſeitigt; hier blieb dem Jahre 1848 daher nur wenig zu thun übrig (Sugenheim, S. 442 nebſt Literatur). In ganz gleichem Verhältniß war Schleswig-Holſtein, und zwar nur für die Mitte und öſtliche Hälfte des Landes, während der Weſten mit ſeinen urfreien Marſchen der Frieſen und Marſen niemals unter
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S. 450). Im Königreich Hannover hatte man ſeit 1800 gar nichts
geändert und gebeſſert. Die nordalbingiſchen Länder waren überhaupt
in einem etwas andern Verhältniß als die übrigen Theile Deutſch-
lands; hier fehlte einerſeits das bewegende Element des Stadtbürger-
thums, das freie des gewerblichen Kapitals, und der Bauer ſtand faſt
allein dem Gutsherrn gegenüber. Wie daher überhaupt jede Bewegung,
der Fortſchritt wie der Rückſchritt in jenen Gebieten ſehr langſam vor
ſich geht, ſo auch die der Befreiung von der Geſchlechterherrſchaft.
Daß Mecklenburg noch in dieſem Augenblick das letzte Stück Mittel-
alter iſt, welches wir in Deutſchland beſitzen, iſt bereits erwähnt.
Hannover ſeinerſeits pflanzte die alte Hörigkeit, die Zwangsdienſte,
die Frohnden in unerſchütterter Ruhe fort bis zum Jahre 1830; es
konnte ſich beinahe mit Mecklenburg meſſen. Erſt der Stoß jener Re-
volution auf die ganze unfreie Geſchlechterordnung Deutſchlands traf
auch Hannover (vgl. Sugenheim, S. 444—450). Das Geſetz vom
10. November 1830 hob auch hier erſt die Leibeigenſchaft auf, und
zwar ohne Entſchädigung; das Geſetz vom 23. Juli 1833 erklärte dann
die Grundlaſten für ablösbar, jedoch unter den zwei entſcheidenden Be-
dingungen, daß erſtlich nur der Verpflichtete auf Ablöſung antragen
dürfe und zweitens, daß alle Erbpachtsverhältniſſe nur gegen Kapital-
zahlung ablösbar ſein ſollten. Gerade das machte den praktiſchen Er-
folg ſehr unbedeutend, um ſo mehr als die Patrimonialgerichtsbarkeit
unerſchüttert beſtehen blieb; doch hat Hannover bereits 1840 (Verord-
nung vom 8. September) eine Staatskreditanſtalt für die Ablöſung
gegründet, welche durch Verordnung vom 18. Juni 1842 zur Landes-
kreditanſtalt erhoben wurde (Judeich S. 51—58. Bening, die
hannoveriſche Landeskreditanſtalt in Rau und Hanſens Archiv Bd. IX.
S. 273—302. 1851.) Aehnlich blieb in Oldenburg die Patrimonial-
gerichtsbarkeit; doch war das Verhältniß Oldenburgs überhaupt viel
beſſer als dasjenige Hannovers, da hier der Bauernſtand durch den
30jährigen Krieg ſo gut als gar nicht gelitten hatte, und daher die Um-
wandlung der alten Hörigkeit bereits 1694 in eine höchſt mäßige Rente
ziemlich vollſtändig durchgeführt war; die letzten Reſte der alten Laſten
wurden 1820 ziemlich gründlich beſeitigt; hier blieb dem Jahre 1848
daher nur wenig zu thun übrig (Sugenheim, S. 442 nebſt Literatur).
In ganz gleichem Verhältniß war Schleswig-Holſtein, und zwar
nur für die Mitte und öſtliche Hälfte des Landes, während der Weſten
mit ſeinen urfreien Marſchen der Frieſen und Marſen niemals unter
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/231>, abgerufen am 21.11.2024.
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