Jahre 1848 überlassen, trotz der offenbaren Unhaltbarkeit des doppel- gearteten Zustandes. In Bayern dagegen erschöpfte die Regierung ihre Kraft mit der Aufhebung der Leibeigenschaft durch Edikt vom 31. August 1808 und die Erklärung der Verfassung von 1818 (Tit. IV. 6), daß dieselbe nebst allen ihren Wirkungen ohne Entschädigung aufge- hoben bleiben solle. Von einer Beseitigung der Patrimonialjurisdiktion dagegen war keine Rede; hat doch noch Pözl sie in seinem bayerischen Ver- fassungsrecht bis auf den heutigen Tag neben der Staatsgerichtsbarkeit fortführen zu müssen geglaubt. Die Verordnung vom 8. Februar 1825 sowie die Verordnung vom 19. Juni 1832 erklärten im Grunde nur die Ablösung für "erlaubt," und das bayerische Staatsrecht jener Zeit wie das von Moy (II. 1. §. 108) enthielt das gemeine Recht der immer noch unerschütterten wirthschaftlichen Unfreiheit des Bauernthums. Dem- nach blieben auch die übrigen Staaten eben so weit zurück; viele bis 1830 noch viel weiter. Es klingt in unseren Tagen fast unglaublich, daß erst die Bewegung von 1830 in einem großen Theile Deutschlands die Leibeigenschaft beseitigte. So hat Kurhessen erst durch seine Verfassung vom 5. Januar 1831 die Leibeigenschaft aufgehoben; noch bis 1830 mußte sich dort der Bauer freikaufen! (Sugenheim, S. 450--452 -- war doch hier den Söhnen der Bauern und Bürger bis dahin das Studiren verboten!) Zugleich wurden einige der ver- haßtesten Frohnden und Dienste sogleich aufgehoben, andere in gemessene umgewandelt, und mit Gesetz vom 23. Juni 1832 die Ablösbarkeit überhaupt ausgesprochen, ohne daß der Staat sich der Sache weiter angenommen hätte (Judeich S. 97--99). Im Großherzogthum Hessen war die Leibeigenschaft allerdings bereits durch die Verfassung vom 17. December (Art. 25) beseitigt, die ungemessenen Frohnden durch Art. 26 abgeschafft; die Frohnden konnten in Renten verwandelt werden, blieben jedoch als Reallast; nur die Jagdfrohnden schaffte man unentgeltlich ab. Erst das Gesetz vom 27. Juni 1836 organisirte die Ablösbarkeit aller Reallasten, aber die Patrimonialgerichtsbarkeit blieb, so wie die meisten Vorrechte der Standesherren. Im Königreich Sachsen ist die Leibeigenschaft nie durch ein förmliches Gesetz auf- gehoben, daher sie auch noch in einigen Theilen bis 1830 bestand (Sugenheim, S. 450); dagegen hat Sachsen die Ablösungsgesetzgebung mit den Mandaten von 1824, 1828 und vom 13. August 1830 be- gonnen, die jedoch dieselbe nicht zur Pflicht machten, sondern nur die freiwillige Ablösung befördern sollten. Erst das Gesetz vom 17. März 1832 führte eine theilweise gezwungene Befreiung des Bauernstandes von Diensten und Leistungen ein, zunächst derjenigen, welche aus dem "obsolet gewordenen" Leibeigenschaftsverhältnisse herrührte; allein von
Jahre 1848 überlaſſen, trotz der offenbaren Unhaltbarkeit des doppel- gearteten Zuſtandes. In Bayern dagegen erſchöpfte die Regierung ihre Kraft mit der Aufhebung der Leibeigenſchaft durch Edikt vom 31. Auguſt 1808 und die Erklärung der Verfaſſung von 1818 (Tit. IV. 6), daß dieſelbe nebſt allen ihren Wirkungen ohne Entſchädigung aufge- hoben bleiben ſolle. Von einer Beſeitigung der Patrimonialjurisdiktion dagegen war keine Rede; hat doch noch Pözl ſie in ſeinem bayeriſchen Ver- faſſungsrecht bis auf den heutigen Tag neben der Staatsgerichtsbarkeit fortführen zu müſſen geglaubt. Die Verordnung vom 8. Februar 1825 ſowie die Verordnung vom 19. Juni 1832 erklärten im Grunde nur die Ablöſung für „erlaubt,“ und das bayeriſche Staatsrecht jener Zeit wie das von Moy (II. 1. §. 108) enthielt das gemeine Recht der immer noch unerſchütterten wirthſchaftlichen Unfreiheit des Bauernthums. Dem- nach blieben auch die übrigen Staaten eben ſo weit zurück; viele bis 1830 noch viel weiter. Es klingt in unſeren Tagen faſt unglaublich, daß erſt die Bewegung von 1830 in einem großen Theile Deutſchlands die Leibeigenſchaft beſeitigte. So hat Kurheſſen erſt durch ſeine Verfaſſung vom 5. Januar 1831 die Leibeigenſchaft aufgehoben; noch bis 1830 mußte ſich dort der Bauer freikaufen! (Sugenheim, S. 450—452 — war doch hier den Söhnen der Bauern und Bürger bis dahin das Studiren verboten!) Zugleich wurden einige der ver- haßteſten Frohnden und Dienſte ſogleich aufgehoben, andere in gemeſſene umgewandelt, und mit Geſetz vom 23. Juni 1832 die Ablösbarkeit überhaupt ausgeſprochen, ohne daß der Staat ſich der Sache weiter angenommen hätte (Judeich S. 97—99). Im Großherzogthum Heſſen war die Leibeigenſchaft allerdings bereits durch die Verfaſſung vom 17. December (Art. 25) beſeitigt, die ungemeſſenen Frohnden durch Art. 26 abgeſchafft; die Frohnden konnten in Renten verwandelt werden, blieben jedoch als Reallaſt; nur die Jagdfrohnden ſchaffte man unentgeltlich ab. Erſt das Geſetz vom 27. Juni 1836 organiſirte die Ablösbarkeit aller Reallaſten, aber die Patrimonialgerichtsbarkeit blieb, ſo wie die meiſten Vorrechte der Standesherren. Im Königreich Sachſen iſt die Leibeigenſchaft nie durch ein förmliches Geſetz auf- gehoben, daher ſie auch noch in einigen Theilen bis 1830 beſtand (Sugenheim, S. 450); dagegen hat Sachſen die Ablöſungsgeſetzgebung mit den Mandaten von 1824, 1828 und vom 13. Auguſt 1830 be- gonnen, die jedoch dieſelbe nicht zur Pflicht machten, ſondern nur die freiwillige Ablöſung befördern ſollten. Erſt das Geſetz vom 17. März 1832 führte eine theilweiſe gezwungene Befreiung des Bauernſtandes von Dienſten und Leiſtungen ein, zunächſt derjenigen, welche aus dem „obſolet gewordenen“ Leibeigenſchaftsverhältniſſe herrührte; allein von
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ihre Kraft mit der Aufhebung der Leibeigenſchaft durch Edikt vom
31. Auguſt 1808 und die Erklärung der Verfaſſung von 1818 (Tit. IV. 6),
daß dieſelbe nebſt allen ihren Wirkungen ohne Entſchädigung aufge-
hoben bleiben ſolle. Von einer Beſeitigung der Patrimonialjurisdiktion
dagegen war keine Rede; hat doch noch Pözl ſie in ſeinem bayeriſchen Ver-
faſſungsrecht bis auf den heutigen Tag neben der Staatsgerichtsbarkeit
fortführen zu müſſen geglaubt. Die Verordnung vom 8. Februar 1825
ſowie die Verordnung vom 19. Juni 1832 erklärten im Grunde nur die
Ablöſung für „erlaubt,“ und das bayeriſche Staatsrecht jener Zeit wie
das von Moy (II. 1. §. 108) enthielt das gemeine Recht der immer
noch unerſchütterten wirthſchaftlichen Unfreiheit des Bauernthums. Dem-
nach blieben auch die übrigen Staaten eben ſo weit zurück; viele bis
1830 noch viel weiter. Es klingt in unſeren Tagen faſt unglaublich,
daß erſt die Bewegung von 1830 in einem großen Theile Deutſchlands
die Leibeigenſchaft beſeitigte. So hat Kurheſſen erſt durch
ſeine Verfaſſung vom 5. Januar 1831 die Leibeigenſchaft aufgehoben;
noch bis 1830 mußte ſich dort der Bauer freikaufen! (Sugenheim,
S. 450—452 — war doch hier den Söhnen der Bauern und Bürger
bis dahin das Studiren verboten!) Zugleich wurden einige der ver-
haßteſten Frohnden und Dienſte ſogleich aufgehoben, andere in gemeſſene
umgewandelt, und mit Geſetz vom 23. Juni 1832 die Ablösbarkeit
überhaupt ausgeſprochen, ohne daß der Staat ſich der Sache weiter
angenommen hätte (Judeich S. 97—99). Im Großherzogthum
Heſſen war die Leibeigenſchaft allerdings bereits durch die Verfaſſung
vom 17. December (Art. 25) beſeitigt, die ungemeſſenen Frohnden durch
Art. 26 abgeſchafft; die Frohnden konnten in Renten verwandelt
werden, blieben jedoch als Reallaſt; nur die Jagdfrohnden ſchaffte
man unentgeltlich ab. Erſt das Geſetz vom 27. Juni 1836 organiſirte
die Ablösbarkeit aller Reallaſten, aber die Patrimonialgerichtsbarkeit
blieb, ſo wie die meiſten Vorrechte der Standesherren. Im Königreich
Sachſen iſt die Leibeigenſchaft nie durch ein förmliches Geſetz auf-
gehoben, daher ſie auch noch in einigen Theilen bis 1830 beſtand
(Sugenheim, S. 450); dagegen hat Sachſen die Ablöſungsgeſetzgebung
mit den Mandaten von 1824, 1828 und vom 13. Auguſt 1830 be-
gonnen, die jedoch dieſelbe nicht zur Pflicht machten, ſondern nur die
freiwillige Ablöſung befördern ſollten. Erſt das Geſetz vom 17. März
1832 führte eine theilweiſe gezwungene Befreiung des Bauernſtandes
von Dienſten und Leiſtungen ein, zunächſt derjenigen, welche aus dem
„obſolet gewordenen“ Leibeigenſchaftsverhältniſſe herrührte; allein von
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/230>, abgerufen am 16.02.2025.
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