Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsrecht I. §. 95; Lassalle, Theorie der erworbenen Rechte 1.
S. 133), und die, mit andern Erscheinungen zusammengehalten, wieder
jenes Schwanken in der Landgemeindeordnung hervorrief, das wir an
einer andern Stelle genauer darzustellen haben. Von zweifelhaftem
Werthe mußte unter diesen Umständen die Bestimmung erscheinen, daß
die durch Gesetz vom 2. März 1850 creirten Rentenbanken ihre Ver-
mittlung zur Ablösung der Grundlasten mit dem Jahre 1859 einzu-
stellen haben (Gesetz vom 26. April 1858), was den Rest der Ent-
lastung nicht erleichtert hat (vgl. Judeich S. 48. 49). Es mangelt
in dieser ganzen Bewegung somit jene großartige Sicherheit, welche
Willen und Ausführung als ein unzweifelhaftes Ganzes erscheinen
läßt; den Eindruck, daß hier die Herrschaft der Geschlechter endgültig
beseitigt sei, hat man nicht, und die Statistik hat gerade auf diesem
Gebiete zu wenig geleistet, um diesen Eindruck durch definitive That-
sachen herzustellen.

Im Allgemeinen jedoch wiederholt sich nun derselbe Proceß, dessen
Charakter wir oben bezeichnet haben, in den Mittelstaaten Deutsch-
lands. Bayern führte die Grundentlastung durch mit Gesetz vom
4. Juni 1848, welches fixirte Grundabgaben statt der Naturaldienste
und Giebigkeiten amtlich herstellte, und diese Abgaben ablösbar
machte. Gleichzeitig werden durch zwei Gesetze von demselben Datum
der Lehnsverband ablösbar erklärt, und eine Ablösungskasse
errichtet. In Württemberg erschien 1848 eine ganze Reihe von Ge-
setzen, die mit dem Gesetz vom 14. April 1848 beginnen, und als
deren Schlußstein Judeich mit Recht das Gesetz vom 24. August 1849
bezeichnet. Es fehlt in diesen Gesetzen die Einheitlichkeit der Auffassung;
und zwar ist es kaum zweifelhaft, daß die württembergische Gesetz-
gebung im Grunde nur die Befreiung von den alten Unterthans-
leistungen wollte; zu der vollen Anerkennung der staatsbürgerlichen
Freiheit des Grundbesitzes hat Württemberg sich nicht erheben können.
Allerdings konnte in Beziehung auf jene Lasten die Verordnung vom
14. December 1852 sogar bestimmen, daß alle bis zum 30. Juni 1854
nicht angegebenen Berechtigungen ohne allen Ersatz als aufgehoben
angesehen werden sollten; dagegen aber sagt Judeich mit Recht (S. 95)
"der nicht bäuerliche Lehensverband, die Theilung des Eigenthums in
Ober- und Untereigenthum und erbliches Nützungsrecht, die in den
Grund-, Unterpfand- und Gerichtsbüchern vorgemerkten Realberech-
tigungen und ländlichen Dienstbarkeiten dauern also fort" --
trotz des letzten Gesetzes vom 26. März 1862, das allerdings hier
manches Einzelne gebessert hat. Der Blick auf diesen Theil der würt-
tembergischen Zustände ist somit kein wohlthuender; jene Reste des

Staatsrecht I. §. 95; Laſſalle, Theorie der erworbenen Rechte 1.
S. 133), und die, mit andern Erſcheinungen zuſammengehalten, wieder
jenes Schwanken in der Landgemeindeordnung hervorrief, das wir an
einer andern Stelle genauer darzuſtellen haben. Von zweifelhaftem
Werthe mußte unter dieſen Umſtänden die Beſtimmung erſcheinen, daß
die durch Geſetz vom 2. März 1850 creirten Rentenbanken ihre Ver-
mittlung zur Ablöſung der Grundlaſten mit dem Jahre 1859 einzu-
ſtellen haben (Geſetz vom 26. April 1858), was den Reſt der Ent-
laſtung nicht erleichtert hat (vgl. Judeich S. 48. 49). Es mangelt
in dieſer ganzen Bewegung ſomit jene großartige Sicherheit, welche
Willen und Ausführung als ein unzweifelhaftes Ganzes erſcheinen
läßt; den Eindruck, daß hier die Herrſchaft der Geſchlechter endgültig
beſeitigt ſei, hat man nicht, und die Statiſtik hat gerade auf dieſem
Gebiete zu wenig geleiſtet, um dieſen Eindruck durch definitive That-
ſachen herzuſtellen.

Im Allgemeinen jedoch wiederholt ſich nun derſelbe Proceß, deſſen
Charakter wir oben bezeichnet haben, in den Mittelſtaaten Deutſch-
lands. Bayern führte die Grundentlaſtung durch mit Geſetz vom
4. Juni 1848, welches fixirte Grundabgaben ſtatt der Naturaldienſte
und Giebigkeiten amtlich herſtellte, und dieſe Abgaben ablösbar
machte. Gleichzeitig werden durch zwei Geſetze von demſelben Datum
der Lehnsverband ablösbar erklärt, und eine Ablöſungskaſſe
errichtet. In Württemberg erſchien 1848 eine ganze Reihe von Ge-
ſetzen, die mit dem Geſetz vom 14. April 1848 beginnen, und als
deren Schlußſtein Judeich mit Recht das Geſetz vom 24. Auguſt 1849
bezeichnet. Es fehlt in dieſen Geſetzen die Einheitlichkeit der Auffaſſung;
und zwar iſt es kaum zweifelhaft, daß die württembergiſche Geſetz-
gebung im Grunde nur die Befreiung von den alten Unterthans-
leiſtungen wollte; zu der vollen Anerkennung der ſtaatsbürgerlichen
Freiheit des Grundbeſitzes hat Württemberg ſich nicht erheben können.
Allerdings konnte in Beziehung auf jene Laſten die Verordnung vom
14. December 1852 ſogar beſtimmen, daß alle bis zum 30. Juni 1854
nicht angegebenen Berechtigungen ohne allen Erſatz als aufgehoben
angeſehen werden ſollten; dagegen aber ſagt Judeich mit Recht (S. 95)
„der nicht bäuerliche Lehensverband, die Theilung des Eigenthums in
Ober- und Untereigenthum und erbliches Nützungsrecht, die in den
Grund-, Unterpfand- und Gerichtsbüchern vorgemerkten Realberech-
tigungen und ländlichen Dienſtbarkeiten dauern alſo fort“ —
trotz des letzten Geſetzes vom 26. März 1862, das allerdings hier
manches Einzelne gebeſſert hat. Der Blick auf dieſen Theil der würt-
tembergiſchen Zuſtände iſt ſomit kein wohlthuender; jene Reſte des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0248" n="230"/>
Staatsrecht <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 95; <hi rendition="#g">La&#x017F;&#x017F;alle</hi>, Theorie der erworbenen Rechte 1.<lb/>
S. 133), und die, mit andern Er&#x017F;cheinungen zu&#x017F;ammengehalten, wieder<lb/>
jenes Schwanken in der Landgemeindeordnung hervorrief, das wir an<lb/>
einer andern Stelle genauer darzu&#x017F;tellen haben. Von zweifelhaftem<lb/>
Werthe mußte unter die&#x017F;en Um&#x017F;tänden die Be&#x017F;timmung er&#x017F;cheinen, daß<lb/>
die durch Ge&#x017F;etz vom 2. März 1850 creirten Rentenbanken ihre Ver-<lb/>
mittlung zur Ablö&#x017F;ung der Grundla&#x017F;ten mit dem Jahre 1859 einzu-<lb/>
&#x017F;tellen haben (Ge&#x017F;etz vom 26. April 1858), was den Re&#x017F;t der Ent-<lb/>
la&#x017F;tung <hi rendition="#g">nicht</hi> erleichtert hat (vgl. <hi rendition="#g">Judeich</hi> S. 48. 49). Es mangelt<lb/>
in die&#x017F;er ganzen Bewegung &#x017F;omit jene großartige Sicherheit, welche<lb/>
Willen und Ausführung als ein unzweifelhaftes Ganzes er&#x017F;cheinen<lb/>
läßt; den Eindruck, daß hier die Herr&#x017F;chaft der Ge&#x017F;chlechter endgültig<lb/>
be&#x017F;eitigt &#x017F;ei, hat man <hi rendition="#g">nicht</hi>, und die Stati&#x017F;tik hat gerade auf die&#x017F;em<lb/>
Gebiete zu wenig gelei&#x017F;tet, um die&#x017F;en Eindruck durch definitive That-<lb/>
&#x017F;achen herzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
                    <p>Im Allgemeinen jedoch wiederholt &#x017F;ich nun der&#x017F;elbe Proceß, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Charakter wir oben bezeichnet haben, in den Mittel&#x017F;taaten Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands. <hi rendition="#g">Bayern</hi> führte die Grundentla&#x017F;tung durch mit Ge&#x017F;etz vom<lb/>
4. Juni 1848, welches fixirte Grundabgaben &#x017F;tatt der Naturaldien&#x017F;te<lb/>
und Giebigkeiten <hi rendition="#g">amtlich</hi> her&#x017F;tellte, und die&#x017F;e Abgaben ablösbar<lb/>
machte. Gleichzeitig werden durch zwei Ge&#x017F;etze von dem&#x017F;elben Datum<lb/>
der <hi rendition="#g">Lehnsverband</hi> ablösbar erklärt, und eine <hi rendition="#g">Ablö&#x017F;ungska&#x017F;&#x017F;e</hi><lb/>
errichtet. In <hi rendition="#g">Württemberg</hi> er&#x017F;chien 1848 eine ganze Reihe von Ge-<lb/>
&#x017F;etzen, die mit dem Ge&#x017F;etz vom 14. April 1848 beginnen, und als<lb/>
deren Schluß&#x017F;tein Judeich mit Recht das Ge&#x017F;etz vom 24. Augu&#x017F;t 1849<lb/>
bezeichnet. Es fehlt in die&#x017F;en Ge&#x017F;etzen die Einheitlichkeit der Auffa&#x017F;&#x017F;ung;<lb/>
und zwar i&#x017F;t es kaum zweifelhaft, daß die württembergi&#x017F;che Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebung im Grunde nur die Befreiung von den alten Unterthans-<lb/>
lei&#x017F;tungen wollte; zu der vollen Anerkennung der &#x017F;taatsbürgerlichen<lb/>
Freiheit des Grundbe&#x017F;itzes hat Württemberg &#x017F;ich <hi rendition="#g">nicht</hi> erheben können.<lb/>
Allerdings konnte in Beziehung auf jene La&#x017F;ten die Verordnung vom<lb/>
14. December 1852 &#x017F;ogar be&#x017F;timmen, daß alle bis zum 30. Juni 1854<lb/>
nicht angegebenen Berechtigungen ohne allen Er&#x017F;atz als aufgehoben<lb/>
ange&#x017F;ehen werden &#x017F;ollten; dagegen aber &#x017F;agt Judeich mit Recht (S. 95)<lb/>
&#x201E;der nicht bäuerliche Lehensverband, die Theilung des Eigenthums in<lb/>
Ober- und Untereigenthum und erbliches Nützungsrecht, die in den<lb/>
Grund-, Unterpfand- und Gerichtsbüchern vorgemerkten Realberech-<lb/>
tigungen und <hi rendition="#g">ländlichen Dien&#x017F;tbarkeiten</hi> dauern al&#x017F;o fort&#x201C; &#x2014;<lb/>
trotz des letzten Ge&#x017F;etzes vom 26. März 1862, das allerdings hier<lb/>
manches Einzelne gebe&#x017F;&#x017F;ert hat. Der Blick auf die&#x017F;en Theil der würt-<lb/>
tembergi&#x017F;chen Zu&#x017F;tände i&#x017F;t &#x017F;omit kein wohlthuender; jene Re&#x017F;te des<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0248] Staatsrecht I. §. 95; Laſſalle, Theorie der erworbenen Rechte 1. S. 133), und die, mit andern Erſcheinungen zuſammengehalten, wieder jenes Schwanken in der Landgemeindeordnung hervorrief, das wir an einer andern Stelle genauer darzuſtellen haben. Von zweifelhaftem Werthe mußte unter dieſen Umſtänden die Beſtimmung erſcheinen, daß die durch Geſetz vom 2. März 1850 creirten Rentenbanken ihre Ver- mittlung zur Ablöſung der Grundlaſten mit dem Jahre 1859 einzu- ſtellen haben (Geſetz vom 26. April 1858), was den Reſt der Ent- laſtung nicht erleichtert hat (vgl. Judeich S. 48. 49). Es mangelt in dieſer ganzen Bewegung ſomit jene großartige Sicherheit, welche Willen und Ausführung als ein unzweifelhaftes Ganzes erſcheinen läßt; den Eindruck, daß hier die Herrſchaft der Geſchlechter endgültig beſeitigt ſei, hat man nicht, und die Statiſtik hat gerade auf dieſem Gebiete zu wenig geleiſtet, um dieſen Eindruck durch definitive That- ſachen herzuſtellen. Im Allgemeinen jedoch wiederholt ſich nun derſelbe Proceß, deſſen Charakter wir oben bezeichnet haben, in den Mittelſtaaten Deutſch- lands. Bayern führte die Grundentlaſtung durch mit Geſetz vom 4. Juni 1848, welches fixirte Grundabgaben ſtatt der Naturaldienſte und Giebigkeiten amtlich herſtellte, und dieſe Abgaben ablösbar machte. Gleichzeitig werden durch zwei Geſetze von demſelben Datum der Lehnsverband ablösbar erklärt, und eine Ablöſungskaſſe errichtet. In Württemberg erſchien 1848 eine ganze Reihe von Ge- ſetzen, die mit dem Geſetz vom 14. April 1848 beginnen, und als deren Schlußſtein Judeich mit Recht das Geſetz vom 24. Auguſt 1849 bezeichnet. Es fehlt in dieſen Geſetzen die Einheitlichkeit der Auffaſſung; und zwar iſt es kaum zweifelhaft, daß die württembergiſche Geſetz- gebung im Grunde nur die Befreiung von den alten Unterthans- leiſtungen wollte; zu der vollen Anerkennung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit des Grundbeſitzes hat Württemberg ſich nicht erheben können. Allerdings konnte in Beziehung auf jene Laſten die Verordnung vom 14. December 1852 ſogar beſtimmen, daß alle bis zum 30. Juni 1854 nicht angegebenen Berechtigungen ohne allen Erſatz als aufgehoben angeſehen werden ſollten; dagegen aber ſagt Judeich mit Recht (S. 95) „der nicht bäuerliche Lehensverband, die Theilung des Eigenthums in Ober- und Untereigenthum und erbliches Nützungsrecht, die in den Grund-, Unterpfand- und Gerichtsbüchern vorgemerkten Realberech- tigungen und ländlichen Dienſtbarkeiten dauern alſo fort“ — trotz des letzten Geſetzes vom 26. März 1862, das allerdings hier manches Einzelne gebeſſert hat. Der Blick auf dieſen Theil der würt- tembergiſchen Zuſtände iſt ſomit kein wohlthuender; jene Reſte des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/248
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/248>, abgerufen am 21.11.2024.