Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

besitzungen zurückbehalten hat. Sie weisen daher nicht auf einen
besondern Rechtstitel hin, sondern sie sind immanente Theile des herr-
schaftlichen Rechts, und werden daher unbedingt von den Grund-
herren in Anspruch genommen, ohne daß dieselben einen Beweis für
ihre Berechtigung führen, sondern dieselbe als selbstverständlich an-
nehmen; wie Freidank an einer bekannten Stelle singt: (76. 5.)

"Die vürsten twingent mit gewalt
uelt, steine, wazzer unde walt,
dar zuo wilt unde zam
si taeten lufte gerne alsam
der muoz uns noch gemeine sin.
möhtens uns der sonnen schin
verbieten, wint unde regen,
man müssen zins mit gelde wegen."

Daß dieß nun zum Theil mit Recht geschah, da wo die Herren
(vürsten) Hintersaßen auf ihrem grundherrlichen Boden niederließen und
sich jene Rechte wirklich vorbehielten, zum großen Theile aber mit Un-
recht, wo der Grundherr auch den ursprünglich freien Bauern jenen
Rechten eben in der von uns bezeichneten Epoche der gewaltsamen Ver-
schmelzung der beiden beherrschten Klassen unterwarf, ist leichtverständ-
lich; daher der Unmuth der "Bauern" über Jagd- und Weiderecht,
und daher auch das rücksichtslose Durchgreifen der Herren in dieser Be-
ziehung seit den Bauernkriegen. Eben so natürlich ist die Gestalt der
Wald- und Forstservituten der Grundholden gegenüber dem Walde des
Grundherrn; denn weder der eigentliche Bauer noch selbst der Leib-
eigene verlor jemals ganz die Vorstellung, daß der Wald als nicht auf
getheiltes Gemeindegut im Grunde den Gemeindemitgliedern eben so
gut als der Herrschaft gehöre, und daher jeder Insasse das Recht habe,
seinen Bedarf an Holz gerade aus dem später rein herrschaftlichen Walde
zu holen. Die vielfachen Streitigkeiten über alle jene Rechte enthielten
daher selten einen Streit über das Rechtsprincip, sondern waren meistens
Versuche, jenen Rechten eine feste Gränze zu geben; und man kann
im Allgemeinen sagen, daß dieß mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts
geschieht. Das ist nun aber auch zugleich die Zeit, in der der Kampf
gegen dieselben beginnt. Es ist nicht zu übersehen, daß die Frage nach
diesen Rechten, so viel wir sehen, niemals in den von uns charakteri-
sirten Streit über die Unfreiheit der Bauern im Allgemeinen und über
die gemessenen und ungemessenen Frohnden einbezogen ist (s. oben).
Denn bei ihnen trat der Charakter des Privateigenthums viel zu sehr
in den Vordergrund, namentlich in Analogie des römischen Servituten-

beſitzungen zurückbehalten hat. Sie weiſen daher nicht auf einen
beſondern Rechtstitel hin, ſondern ſie ſind immanente Theile des herr-
ſchaftlichen Rechts, und werden daher unbedingt von den Grund-
herren in Anſpruch genommen, ohne daß dieſelben einen Beweis für
ihre Berechtigung führen, ſondern dieſelbe als ſelbſtverſtändlich an-
nehmen; wie Freidank an einer bekannten Stelle ſingt: (76. 5.)

„Die vürsten twingent mit gewalt
uelt, steine, wazzer unde walt,
dar zuo wilt unde zam
si taeten lufte gerne alsam
der muoz uns noch gemeine sin.
möhtens uns der sonnen schin
verbieten, wint unde regen,
man müssen zins mit gelde wegen.“

Daß dieß nun zum Theil mit Recht geſchah, da wo die Herren
(vürsten) Hinterſaßen auf ihrem grundherrlichen Boden niederließen und
ſich jene Rechte wirklich vorbehielten, zum großen Theile aber mit Un-
recht, wo der Grundherr auch den urſprünglich freien Bauern jenen
Rechten eben in der von uns bezeichneten Epoche der gewaltſamen Ver-
ſchmelzung der beiden beherrſchten Klaſſen unterwarf, iſt leichtverſtänd-
lich; daher der Unmuth der „Bauern“ über Jagd- und Weiderecht,
und daher auch das rückſichtsloſe Durchgreifen der Herren in dieſer Be-
ziehung ſeit den Bauernkriegen. Eben ſo natürlich iſt die Geſtalt der
Wald- und Forſtſervituten der Grundholden gegenüber dem Walde des
Grundherrn; denn weder der eigentliche Bauer noch ſelbſt der Leib-
eigene verlor jemals ganz die Vorſtellung, daß der Wald als nicht auf
getheiltes Gemeindegut im Grunde den Gemeindemitgliedern eben ſo
gut als der Herrſchaft gehöre, und daher jeder Inſaſſe das Recht habe,
ſeinen Bedarf an Holz gerade aus dem ſpäter rein herrſchaftlichen Walde
zu holen. Die vielfachen Streitigkeiten über alle jene Rechte enthielten
daher ſelten einen Streit über das Rechtsprincip, ſondern waren meiſtens
Verſuche, jenen Rechten eine feſte Gränze zu geben; und man kann
im Allgemeinen ſagen, daß dieß mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts
geſchieht. Das iſt nun aber auch zugleich die Zeit, in der der Kampf
gegen dieſelben beginnt. Es iſt nicht zu überſehen, daß die Frage nach
dieſen Rechten, ſo viel wir ſehen, niemals in den von uns charakteri-
ſirten Streit über die Unfreiheit der Bauern im Allgemeinen und über
die gemeſſenen und ungemeſſenen Frohnden einbezogen iſt (ſ. oben).
Denn bei ihnen trat der Charakter des Privateigenthums viel zu ſehr
in den Vordergrund, namentlich in Analogie des römiſchen Servituten-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0261" n="243"/>
be&#x017F;itzungen <hi rendition="#g">zurückbehalten</hi> hat. Sie wei&#x017F;en daher <hi rendition="#g">nicht</hi> auf einen<lb/>
be&#x017F;ondern Rechtstitel hin, &#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;ind immanente Theile des herr-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Rechts, und werden daher <hi rendition="#g">unbedingt</hi> von den Grund-<lb/>
herren in An&#x017F;pruch genommen, ohne daß die&#x017F;elben einen <hi rendition="#g">Beweis</hi> für<lb/>
ihre Berechtigung führen, &#x017F;ondern die&#x017F;elbe als &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich an-<lb/>
nehmen; wie Freidank an einer bekannten Stelle &#x017F;ingt: (76. 5.)</p><lb/>
                  <lg type="poem">
                    <l> <hi rendition="#aq">&#x201E;Die vürsten twingent mit gewalt</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">uelt, steine, wazzer unde walt,</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">dar zuo wilt unde zam</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">si taeten lufte gerne alsam</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">der muoz uns noch gemeine sin.</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">möhtens uns der sonnen schin</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">verbieten, wint unde regen,</hi> </l><lb/>
                    <l> <hi rendition="#aq">man müssen zins mit gelde wegen.&#x201C;</hi> </l>
                  </lg><lb/>
                  <p>Daß dieß nun zum Theil mit Recht ge&#x017F;chah, da wo die Herren<lb/>
(<hi rendition="#aq">vürsten</hi>) Hinter&#x017F;aßen auf ihrem grundherrlichen Boden niederließen und<lb/>
&#x017F;ich jene Rechte wirklich vorbehielten, zum großen Theile aber mit Un-<lb/>
recht, wo der Grundherr auch den ur&#x017F;prünglich freien Bauern jenen<lb/>
Rechten eben in der von uns bezeichneten Epoche der gewalt&#x017F;amen Ver-<lb/>
&#x017F;chmelzung der beiden beherr&#x017F;chten Kla&#x017F;&#x017F;en unterwarf, i&#x017F;t leichtver&#x017F;tänd-<lb/>
lich; daher der Unmuth der &#x201E;Bauern&#x201C; über Jagd- und Weiderecht,<lb/>
und daher auch das rück&#x017F;ichtslo&#x017F;e Durchgreifen der Herren in die&#x017F;er Be-<lb/>
ziehung &#x017F;eit den Bauernkriegen. Eben &#x017F;o natürlich i&#x017F;t die Ge&#x017F;talt der<lb/>
Wald- und For&#x017F;t&#x017F;ervituten der Grundholden gegenüber dem Walde des<lb/>
Grundherrn; denn weder der eigentliche Bauer noch &#x017F;elb&#x017F;t der Leib-<lb/>
eigene verlor jemals ganz die Vor&#x017F;tellung, daß der Wald als nicht auf<lb/>
getheiltes <choice><sic>Gemein egut</sic><corr>Gemeindegut</corr></choice> im Grunde den Gemeindemitgliedern eben &#x017F;o<lb/>
gut als der Herr&#x017F;chaft gehöre, und daher <hi rendition="#g">jeder</hi> In&#x017F;a&#x017F;&#x017F;e das Recht habe,<lb/>
&#x017F;einen Bedarf an Holz gerade aus dem &#x017F;päter rein herr&#x017F;chaftlichen Walde<lb/>
zu holen. Die vielfachen Streitigkeiten über alle jene Rechte enthielten<lb/>
daher &#x017F;elten einen Streit über das Rechtsprincip, &#x017F;ondern waren mei&#x017F;tens<lb/>
Ver&#x017F;uche, jenen Rechten eine fe&#x017F;te Gränze zu geben; und man kann<lb/>
im Allgemeinen &#x017F;agen, daß dieß mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts<lb/>
ge&#x017F;chieht. Das i&#x017F;t nun aber auch zugleich die Zeit, in der der Kampf<lb/>
gegen die&#x017F;elben beginnt. Es i&#x017F;t nicht zu über&#x017F;ehen, daß die Frage nach<lb/>
die&#x017F;en Rechten, &#x017F;o viel wir &#x017F;ehen, <hi rendition="#g">niemals</hi> in den von uns charakteri-<lb/>
&#x017F;irten Streit über die Unfreiheit der Bauern im Allgemeinen und über<lb/>
die geme&#x017F;&#x017F;enen und ungeme&#x017F;&#x017F;enen Frohnden einbezogen i&#x017F;t (&#x017F;. oben).<lb/>
Denn bei ihnen trat der Charakter des Privateigenthums viel zu &#x017F;ehr<lb/>
in den Vordergrund, namentlich in Analogie des römi&#x017F;chen Servituten-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0261] beſitzungen zurückbehalten hat. Sie weiſen daher nicht auf einen beſondern Rechtstitel hin, ſondern ſie ſind immanente Theile des herr- ſchaftlichen Rechts, und werden daher unbedingt von den Grund- herren in Anſpruch genommen, ohne daß dieſelben einen Beweis für ihre Berechtigung führen, ſondern dieſelbe als ſelbſtverſtändlich an- nehmen; wie Freidank an einer bekannten Stelle ſingt: (76. 5.) „Die vürsten twingent mit gewalt uelt, steine, wazzer unde walt, dar zuo wilt unde zam si taeten lufte gerne alsam der muoz uns noch gemeine sin. möhtens uns der sonnen schin verbieten, wint unde regen, man müssen zins mit gelde wegen.“ Daß dieß nun zum Theil mit Recht geſchah, da wo die Herren (vürsten) Hinterſaßen auf ihrem grundherrlichen Boden niederließen und ſich jene Rechte wirklich vorbehielten, zum großen Theile aber mit Un- recht, wo der Grundherr auch den urſprünglich freien Bauern jenen Rechten eben in der von uns bezeichneten Epoche der gewaltſamen Ver- ſchmelzung der beiden beherrſchten Klaſſen unterwarf, iſt leichtverſtänd- lich; daher der Unmuth der „Bauern“ über Jagd- und Weiderecht, und daher auch das rückſichtsloſe Durchgreifen der Herren in dieſer Be- ziehung ſeit den Bauernkriegen. Eben ſo natürlich iſt die Geſtalt der Wald- und Forſtſervituten der Grundholden gegenüber dem Walde des Grundherrn; denn weder der eigentliche Bauer noch ſelbſt der Leib- eigene verlor jemals ganz die Vorſtellung, daß der Wald als nicht auf getheiltes Gemeindegut im Grunde den Gemeindemitgliedern eben ſo gut als der Herrſchaft gehöre, und daher jeder Inſaſſe das Recht habe, ſeinen Bedarf an Holz gerade aus dem ſpäter rein herrſchaftlichen Walde zu holen. Die vielfachen Streitigkeiten über alle jene Rechte enthielten daher ſelten einen Streit über das Rechtsprincip, ſondern waren meiſtens Verſuche, jenen Rechten eine feſte Gränze zu geben; und man kann im Allgemeinen ſagen, daß dieß mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts geſchieht. Das iſt nun aber auch zugleich die Zeit, in der der Kampf gegen dieſelben beginnt. Es iſt nicht zu überſehen, daß die Frage nach dieſen Rechten, ſo viel wir ſehen, niemals in den von uns charakteri- ſirten Streit über die Unfreiheit der Bauern im Allgemeinen und über die gemeſſenen und ungemeſſenen Frohnden einbezogen iſt (ſ. oben). Denn bei ihnen trat der Charakter des Privateigenthums viel zu ſehr in den Vordergrund, namentlich in Analogie des römiſchen Servituten-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/261
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/261>, abgerufen am 22.11.2024.