in ihrem Wesen und ihrem Recht erzeugt, das Leben derselben muß sie auch zum Verständniß bringen.
Die staatsbürgerliche Gesellschaft beruht darauf, daß jeder Einzelne aus sich selbst heraus zur vollen und freien Entwicklung seiner Persön- lichkeit gelange. Sie ist daher jedem Zustande und jedem Rechte feindlich, die sich dieser freien individuellen Entwicklung entgegen stellen. In dem Bewußtsein, daß sie damit ein höchstes persönliches Princip vertritt, dessen Verwirklichung zuletzt die höchste Verwirklichung aller im Wesen der Persönlichkeit liegenden Idee enthält, macht sie aus denjenigen Forde- rungen, welche sich als unabweisbare Consequenzen jener Idee ergeben, selbständige Rechtssätze, denen sie jedes andere Recht unterordnet, und das Wesen der Enteignung wird daher auch seinerseits seine Be- gründung und Entwicklung in diesem Principe zu finden haben.
Die Wirthschaftslehre zeigt nun, daß die erste Bedingung der voll- ständigen wirthschaftlichen Entwicklung jedes Einzelnen in der vollen Freiheit des Erwerbes liegt. Jeder Zustand, der diese volle Frei- heit des individuellen Erwerbes beschränkt, ist daher ein Widerspruch mit dem Grundprincip der staatsbürgerlichen Gesellschaft. Die Auf- hebung eines solchen Zustandes wird mithin zum Princip des wirth- schaftlichen Rechts derselben, dem sich jedes andere Recht des wirth- schaftlichen Lebens unterwirft, weil es seine sittliche Berechtigung eben nicht im Wesen des Einzelrechts, sondern in der höchsten Natur der Persönlichkeit findet. Im Namen dieses Rechts hebt die staatsbürger- liche Gesellschaftsordnung die alte Form des Gesammteigenthums der Geschlechter- und Ständeordnung auf, und setzt an ihre Stelle das freie Einzeleigenthum; wir haben bisher gesehen, in welchen Formen sie dieß thut, und es ist kein Zweifel, daß hier der Punkt ist, wo die Enteignung der Entlastung zu folgen hat.
In der That nämlich kann es nun im wirthschaftlichen Leben Fälle geben, wo eben dieß, auf diese Weise gewonnene Einzeleigenthum an einem bestimmten Grundbesitze zum Hinderniß für die volle Entwicklung des Erwerbes aller Anderen wird. Das Einzeleigenthum kann daher unter dieser Bedingung in Widerspruch mit dem höchsten Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaft überhaupt gerathen, aus der es doch eben hervorgegangen ist. Das Einzelrecht tritt in solchem Falle in unauf- löslichen Gegensatz -- nicht mehr mit dem Begriffe der staatsbürger- lichen Freiheit und Gleichheit, wie in der Entlastung und der Auf- hebung der Privilegien -- sondern mit dem Rechte Aller auf das, was die Bedingung der wirthschaftlichen Entwickelung jedes Einzelnen ist. Auf diesem Punkte bildet daher die staatsbürgerliche Gesellschaft sich ein neues Recht. Dieses Recht, als strenge Consequenz des Wesens
in ihrem Weſen und ihrem Recht erzeugt, das Leben derſelben muß ſie auch zum Verſtändniß bringen.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft beruht darauf, daß jeder Einzelne aus ſich ſelbſt heraus zur vollen und freien Entwicklung ſeiner Perſön- lichkeit gelange. Sie iſt daher jedem Zuſtande und jedem Rechte feindlich, die ſich dieſer freien individuellen Entwicklung entgegen ſtellen. In dem Bewußtſein, daß ſie damit ein höchſtes perſönliches Princip vertritt, deſſen Verwirklichung zuletzt die höchſte Verwirklichung aller im Weſen der Perſönlichkeit liegenden Idee enthält, macht ſie aus denjenigen Forde- rungen, welche ſich als unabweisbare Conſequenzen jener Idee ergeben, ſelbſtändige Rechtsſätze, denen ſie jedes andere Recht unterordnet, und das Weſen der Enteignung wird daher auch ſeinerſeits ſeine Be- gründung und Entwicklung in dieſem Principe zu finden haben.
Die Wirthſchaftslehre zeigt nun, daß die erſte Bedingung der voll- ſtändigen wirthſchaftlichen Entwicklung jedes Einzelnen in der vollen Freiheit des Erwerbes liegt. Jeder Zuſtand, der dieſe volle Frei- heit des individuellen Erwerbes beſchränkt, iſt daher ein Widerſpruch mit dem Grundprincip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Die Auf- hebung eines ſolchen Zuſtandes wird mithin zum Princip des wirth- ſchaftlichen Rechts derſelben, dem ſich jedes andere Recht des wirth- ſchaftlichen Lebens unterwirft, weil es ſeine ſittliche Berechtigung eben nicht im Weſen des Einzelrechts, ſondern in der höchſten Natur der Perſönlichkeit findet. Im Namen dieſes Rechts hebt die ſtaatsbürger- liche Geſellſchaftsordnung die alte Form des Geſammteigenthums der Geſchlechter- und Ständeordnung auf, und ſetzt an ihre Stelle das freie Einzeleigenthum; wir haben bisher geſehen, in welchen Formen ſie dieß thut, und es iſt kein Zweifel, daß hier der Punkt iſt, wo die Enteignung der Entlaſtung zu folgen hat.
In der That nämlich kann es nun im wirthſchaftlichen Leben Fälle geben, wo eben dieß, auf dieſe Weiſe gewonnene Einzeleigenthum an einem beſtimmten Grundbeſitze zum Hinderniß für die volle Entwicklung des Erwerbes aller Anderen wird. Das Einzeleigenthum kann daher unter dieſer Bedingung in Widerſpruch mit dem höchſten Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft überhaupt gerathen, aus der es doch eben hervorgegangen iſt. Das Einzelrecht tritt in ſolchem Falle in unauf- löslichen Gegenſatz — nicht mehr mit dem Begriffe der ſtaatsbürger- lichen Freiheit und Gleichheit, wie in der Entlaſtung und der Auf- hebung der Privilegien — ſondern mit dem Rechte Aller auf das, was die Bedingung der wirthſchaftlichen Entwickelung jedes Einzelnen iſt. Auf dieſem Punkte bildet daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich ein neues Recht. Dieſes Recht, als ſtrenge Conſequenz des Weſens
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in ihrem Weſen und ihrem Recht erzeugt, das Leben derſelben muß ſie
auch zum Verſtändniß bringen.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft beruht darauf, daß jeder Einzelne
aus ſich ſelbſt heraus zur vollen und freien Entwicklung ſeiner Perſön-
lichkeit gelange. Sie iſt daher jedem Zuſtande und jedem Rechte feindlich,
die ſich dieſer freien individuellen Entwicklung entgegen ſtellen. In dem
Bewußtſein, daß ſie damit ein höchſtes perſönliches Princip vertritt, deſſen
Verwirklichung zuletzt die höchſte Verwirklichung aller im Weſen der
Perſönlichkeit liegenden Idee enthält, macht ſie aus denjenigen Forde-
rungen, welche ſich als unabweisbare Conſequenzen jener Idee ergeben,
ſelbſtändige Rechtsſätze, denen ſie jedes andere Recht unterordnet,
und das Weſen der Enteignung wird daher auch ſeinerſeits ſeine Be-
gründung und Entwicklung in dieſem Principe zu finden haben.
Die Wirthſchaftslehre zeigt nun, daß die erſte Bedingung der voll-
ſtändigen wirthſchaftlichen Entwicklung jedes Einzelnen in der vollen
Freiheit des Erwerbes liegt. Jeder Zuſtand, der dieſe volle Frei-
heit des individuellen Erwerbes beſchränkt, iſt daher ein Widerſpruch
mit dem Grundprincip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft. Die Auf-
hebung eines ſolchen Zuſtandes wird mithin zum Princip des wirth-
ſchaftlichen Rechts derſelben, dem ſich jedes andere Recht des wirth-
ſchaftlichen Lebens unterwirft, weil es ſeine ſittliche Berechtigung eben
nicht im Weſen des Einzelrechts, ſondern in der höchſten Natur der
Perſönlichkeit findet. Im Namen dieſes Rechts hebt die ſtaatsbürger-
liche Geſellſchaftsordnung die alte Form des Geſammteigenthums der
Geſchlechter- und Ständeordnung auf, und ſetzt an ihre Stelle das
freie Einzeleigenthum; wir haben bisher geſehen, in welchen Formen
ſie dieß thut, und es iſt kein Zweifel, daß hier der Punkt iſt, wo die
Enteignung der Entlaſtung zu folgen hat.
In der That nämlich kann es nun im wirthſchaftlichen Leben Fälle
geben, wo eben dieß, auf dieſe Weiſe gewonnene Einzeleigenthum an
einem beſtimmten Grundbeſitze zum Hinderniß für die volle Entwicklung
des Erwerbes aller Anderen wird. Das Einzeleigenthum kann daher
unter dieſer Bedingung in Widerſpruch mit dem höchſten Princip der
ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft überhaupt gerathen, aus der es doch eben
hervorgegangen iſt. Das Einzelrecht tritt in ſolchem Falle in unauf-
löslichen Gegenſatz — nicht mehr mit dem Begriffe der ſtaatsbürger-
lichen Freiheit und Gleichheit, wie in der Entlaſtung und der Auf-
hebung der Privilegien — ſondern mit dem Rechte Aller auf das, was
die Bedingung der wirthſchaftlichen Entwickelung jedes Einzelnen iſt.
Auf dieſem Punkte bildet daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich
ein neues Recht. Dieſes Recht, als ſtrenge Conſequenz des Weſens
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/312>, abgerufen am 27.07.2024.
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