III. Die Elemente der Geschichte des Enteignungsrechts.
(Die drei Epochen. Die Epoche des dominium eminens und der Regalität. Die Epoche des Verordnungsrechts mit dem Uebergange in die bürgerlichen Gesetzbücher. Die Epoche des Verfassungsrechts. Uebergang in die Verfassungs- urkunden. Entstehung der Enteignungsgesetze.)
Wenn es richtig ist, daß die Enteignung ein gesellschaftlicher Mo- ment und ihr Recht ein gesellschaftliches Recht ist, das nur durch die Verwaltung verwirklicht wird, so wird die Grundlage der Geschichte des Enteignungswesens zugleich in den großen Epochen der gesellschaftlichen Entwicklung Europas verlaufen. Und in der That ist dieß wie bei dem Entlastungs- so auch bei dem Enteignungswesen in so schlagender Weise der Fall, daß diese Geschichte ihrerseits als ein keineswegs unbedeutender Beitrag zur Geschichte der Gesellschaft erkannt werden muß.
Es ergibt sich daraus zunächst, daß von einer eigentlichen Ent- eignung unter der Geschlechter- und Ständeordnung gar keine Rede sein kann. Sie beginnt erst da, wo die staatsbürgerliche Gesellschafts- ordnung ihrerseits sich aus jenen beiden Formen loszumachen beginnt; und auch hier findet sie ihre erste und natürliche Vertretung in der neu entstehenden Gewalt der Landesregierungen. Die unbedeutenden An- knüpfungen an das Expropriationsrecht, die wir als Spuren im römi- schen Rechte finden, sind von Wendt und später von Häberlin an- geführt; die Pandekten-Jurisprudenz hat sie unverstanden gelassen; jeden- falls sind sie zu keinem juristischen System geworden. Die Rechtslehre Europas konnte daher an diese Quelle hier nicht anknüpfen. Sie mußte einen andern Weg einschlagen. Dieser lag vor im Gebiete des dominium eminens, auf dessen Geschichte wir hier verweisen; allein zu einem Be- griff und Rechte der Enteignung konnte das dominium eminens nicht führen, und es ist gänzlich falsch, wenn Bischof (S. 60) und zu- letzt Thiel (S. 1) ohne weiteres das dominium eminens als Grund- lage oder gar Synonimum der Expropriatio der spätern Zeit, oder als die Gestalt derselben in der Lehnsepoche ansehn. Denn der wesentliche Unterschied zwischen dominium eminens und expropriatio besteht darin, daß aus jenem Recht als einem Eigenthum der Krone zwar das Recht der Eigenthumsentziehung, nicht aber das der Entschädigung folgen kann. In der That stehen sich in dem dominium eminens die Krone und der Einzelne nicht als zwei Gleichberechtigte gegenüber, der letztere ist vielmehr der ersteren unterworfen, und das dominium eminens ent- hält daher eigentlich gar nicht den Gedanken, daß der dominus dem Andern dessen Recht entziehe, sondern nur den daß er sein eignes Recht gegen den Inhaber geltend macht, was den Begriff der Enteignung
III. Die Elemente der Geſchichte des Enteignungsrechts.
(Die drei Epochen. Die Epoche des dominium eminens und der Regalität. Die Epoche des Verordnungsrechts mit dem Uebergange in die bürgerlichen Geſetzbücher. Die Epoche des Verfaſſungsrechts. Uebergang in die Verfaſſungs- urkunden. Entſtehung der Enteignungsgeſetze.)
Wenn es richtig iſt, daß die Enteignung ein geſellſchaftlicher Mo- ment und ihr Recht ein geſellſchaftliches Recht iſt, das nur durch die Verwaltung verwirklicht wird, ſo wird die Grundlage der Geſchichte des Enteignungsweſens zugleich in den großen Epochen der geſellſchaftlichen Entwicklung Europas verlaufen. Und in der That iſt dieß wie bei dem Entlaſtungs- ſo auch bei dem Enteignungsweſen in ſo ſchlagender Weiſe der Fall, daß dieſe Geſchichte ihrerſeits als ein keineswegs unbedeutender Beitrag zur Geſchichte der Geſellſchaft erkannt werden muß.
Es ergibt ſich daraus zunächſt, daß von einer eigentlichen Ent- eignung unter der Geſchlechter- und Ständeordnung gar keine Rede ſein kann. Sie beginnt erſt da, wo die ſtaatsbürgerliche Geſellſchafts- ordnung ihrerſeits ſich aus jenen beiden Formen loszumachen beginnt; und auch hier findet ſie ihre erſte und natürliche Vertretung in der neu entſtehenden Gewalt der Landesregierungen. Die unbedeutenden An- knüpfungen an das Expropriationsrecht, die wir als Spuren im römi- ſchen Rechte finden, ſind von Wendt und ſpäter von Häberlin an- geführt; die Pandekten-Jurisprudenz hat ſie unverſtanden gelaſſen; jeden- falls ſind ſie zu keinem juriſtiſchen Syſtem geworden. Die Rechtslehre Europas konnte daher an dieſe Quelle hier nicht anknüpfen. Sie mußte einen andern Weg einſchlagen. Dieſer lag vor im Gebiete des dominium eminens, auf deſſen Geſchichte wir hier verweiſen; allein zu einem Be- griff und Rechte der Enteignung konnte das dominium eminens nicht führen, und es iſt gänzlich falſch, wenn Biſchof (S. 60) und zu- letzt Thiel (S. 1) ohne weiteres das dominium eminens als Grund- lage oder gar Synonimum der Expropriatio der ſpätern Zeit, oder als die Geſtalt derſelben in der Lehnsepoche anſehn. Denn der weſentliche Unterſchied zwiſchen dominium eminens und expropriatio beſteht darin, daß aus jenem Recht als einem Eigenthum der Krone zwar das Recht der Eigenthumsentziehung, nicht aber das der Entſchädigung folgen kann. In der That ſtehen ſich in dem dominium eminens die Krone und der Einzelne nicht als zwei Gleichberechtigte gegenüber, der letztere iſt vielmehr der erſteren unterworfen, und das dominium eminens ent- hält daher eigentlich gar nicht den Gedanken, daß der dominus dem Andern deſſen Recht entziehe, ſondern nur den daß er ſein eignes Recht gegen den Inhaber geltend macht, was den Begriff der Enteignung
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III. Die Elemente der Geſchichte des Enteignungsrechts.
(Die drei Epochen. Die Epoche des dominium eminens und der Regalität.
Die Epoche des Verordnungsrechts mit dem Uebergange in die bürgerlichen
Geſetzbücher. Die Epoche des Verfaſſungsrechts. Uebergang in die Verfaſſungs-
urkunden. Entſtehung der Enteignungsgeſetze.)
Wenn es richtig iſt, daß die Enteignung ein geſellſchaftlicher Mo-
ment und ihr Recht ein geſellſchaftliches Recht iſt, das nur durch die
Verwaltung verwirklicht wird, ſo wird die Grundlage der Geſchichte des
Enteignungsweſens zugleich in den großen Epochen der geſellſchaftlichen
Entwicklung Europas verlaufen. Und in der That iſt dieß wie bei dem
Entlaſtungs- ſo auch bei dem Enteignungsweſen in ſo ſchlagender Weiſe
der Fall, daß dieſe Geſchichte ihrerſeits als ein keineswegs unbedeutender
Beitrag zur Geſchichte der Geſellſchaft erkannt werden muß.
Es ergibt ſich daraus zunächſt, daß von einer eigentlichen Ent-
eignung unter der Geſchlechter- und Ständeordnung gar keine Rede
ſein kann. Sie beginnt erſt da, wo die ſtaatsbürgerliche Geſellſchafts-
ordnung ihrerſeits ſich aus jenen beiden Formen loszumachen beginnt;
und auch hier findet ſie ihre erſte und natürliche Vertretung in der neu
entſtehenden Gewalt der Landesregierungen. Die unbedeutenden An-
knüpfungen an das Expropriationsrecht, die wir als Spuren im römi-
ſchen Rechte finden, ſind von Wendt und ſpäter von Häberlin an-
geführt; die Pandekten-Jurisprudenz hat ſie unverſtanden gelaſſen; jeden-
falls ſind ſie zu keinem juriſtiſchen Syſtem geworden. Die Rechtslehre
Europas konnte daher an dieſe Quelle hier nicht anknüpfen. Sie mußte
einen andern Weg einſchlagen. Dieſer lag vor im Gebiete des dominium
eminens, auf deſſen Geſchichte wir hier verweiſen; allein zu einem Be-
griff und Rechte der Enteignung konnte das dominium eminens nicht
führen, und es iſt gänzlich falſch, wenn Biſchof (S. 60) und zu-
letzt Thiel (S. 1) ohne weiteres das dominium eminens als Grund-
lage oder gar Synonimum der Expropriatio der ſpätern Zeit, oder als
die Geſtalt derſelben in der Lehnsepoche anſehn. Denn der weſentliche
Unterſchied zwiſchen dominium eminens und expropriatio beſteht darin,
daß aus jenem Recht als einem Eigenthum der Krone zwar das Recht
der Eigenthumsentziehung, nicht aber das der Entſchädigung folgen
kann. In der That ſtehen ſich in dem dominium eminens die Krone
und der Einzelne nicht als zwei Gleichberechtigte gegenüber, der letztere
iſt vielmehr der erſteren unterworfen, und das dominium eminens ent-
hält daher eigentlich gar nicht den Gedanken, daß der dominus dem
Andern deſſen Recht entziehe, ſondern nur den daß er ſein eignes Recht
gegen den Inhaber geltend macht, was den Begriff der Enteignung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/319>, abgerufen am 27.07.2024.
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