und vielen andern Staaten Deutschlands, ein Enteignungsgesetz gänz- lich mangelt, oder wie in Preußen eine Einheit in der Gesetzgebung nicht vorhanden ist, so ist es allerdings richtig, daß dem Einzelnen vielfach der gerichtliche Schutz gegen das Verfahren der Behörde fehlt, und derselbe bloß auf die Beschwerde bei den höheren Behörden ange- wiesen ist. Dieser Mangel wird um so mehr empfunden werden, je weniger man ein gesetzliches Beschwerdeverfahren hat, und der Einzelne wird dadurch unabweisbar den oft ganz individuellen Ansichten der einzelnen Behörde in der Enteignung unterworfen sein. Das ist ganz richtig; allein das ist kein Fehler der Regierung und des Verwaltungs- rechts, sondern es ist einfach ein Mangel der Gesetzgebung. Es ist Sache der Gesetzgebung, an die Stelle des Verordnungsrechts das gesetzliche Recht zu setzen, und damit ein Klagerecht vor den Gerichten möglich zu machen. So lange das nicht geschehen ist, ist die Regierung unbedingt darauf angewiesen und in ihrem vollen Recht, wenn sie ganz nach ihrem Ermessen handelt. Von diesem Standpunkt muß man bei diesem Theile des Verwaltungsrechts ausgehen.
Nun hat man versucht, dem sich daraus ergebenden Bedenken da- durch vorzubeugen, daß man den Gerichten einen Theil der Funktion der Verwaltung bei der einzelnen Enteignung hat überweisen wollen. Es ist klar, daß dieß schon principiell falsch ist; die Gerichte haben ihrem ganzen Wesen nach mit der Enteignung gar nichts zu thun; sie treten erst da auf, wo durch die Thätigkeit der Behörde ein gesetzliches Recht des Einzelnen für verletzt erklärt wird, und ihre einzige Funktion kann und soll nur die sein, in solchem Falle auch gegen die Be- hörde die rechtliche Haftung auszusprechen und zur Geltung zu bringen. In der That wäre es ein absoluter Widerspruch, durch Thätigkeit und Urtheil des Gerichts die mangelnde Gesetzgebung ersetzen, und dadurch die verordnende Gewalt der Regierung beschränken zu wollen. Desto schlimmer für den Einzelnen, wenn er durch den Mangel eines Gesetzes unter falschen Funktionen der Behörde leidet; aber das Gericht zu einem gesetzgebenden oder verwaltenden Organe zu machen, würde alle orga- nische Entwicklung des Staates stören. In Wahrheit aber ist jene Aufgabe des Gerichts, durch sein Urtheil die Verwaltung für die richtige Ausführung der Gesetze haftbar zu machen, ohnehin eine hinreichend schwierige; es ist nur ein Mangel an Vertrauen zur Gesetzgebung, wenn man ihm noch weitere Funktionen übergeben will, und das Folgende wird dieß im Einzelnen zeigen. -- Die weitere Consequenz einer solchen Herbeiziehung des Gerichts ist aber eben deßhalb eine unvermeidliche Unklarheit über das ganze Enteignungsrecht, wie es das französische Gesetz von 1841 zeigt, wo es ganz unthunlich ist, den Sinn des Art. 1:
und vielen andern Staaten Deutſchlands, ein Enteignungsgeſetz gänz- lich mangelt, oder wie in Preußen eine Einheit in der Geſetzgebung nicht vorhanden iſt, ſo iſt es allerdings richtig, daß dem Einzelnen vielfach der gerichtliche Schutz gegen das Verfahren der Behörde fehlt, und derſelbe bloß auf die Beſchwerde bei den höheren Behörden ange- wieſen iſt. Dieſer Mangel wird um ſo mehr empfunden werden, je weniger man ein geſetzliches Beſchwerdeverfahren hat, und der Einzelne wird dadurch unabweisbar den oft ganz individuellen Anſichten der einzelnen Behörde in der Enteignung unterworfen ſein. Das iſt ganz richtig; allein das iſt kein Fehler der Regierung und des Verwaltungs- rechts, ſondern es iſt einfach ein Mangel der Geſetzgebung. Es iſt Sache der Geſetzgebung, an die Stelle des Verordnungsrechts das geſetzliche Recht zu ſetzen, und damit ein Klagerecht vor den Gerichten möglich zu machen. So lange das nicht geſchehen iſt, iſt die Regierung unbedingt darauf angewieſen und in ihrem vollen Recht, wenn ſie ganz nach ihrem Ermeſſen handelt. Von dieſem Standpunkt muß man bei dieſem Theile des Verwaltungsrechts ausgehen.
Nun hat man verſucht, dem ſich daraus ergebenden Bedenken da- durch vorzubeugen, daß man den Gerichten einen Theil der Funktion der Verwaltung bei der einzelnen Enteignung hat überweiſen wollen. Es iſt klar, daß dieß ſchon principiell falſch iſt; die Gerichte haben ihrem ganzen Weſen nach mit der Enteignung gar nichts zu thun; ſie treten erſt da auf, wo durch die Thätigkeit der Behörde ein geſetzliches Recht des Einzelnen für verletzt erklärt wird, und ihre einzige Funktion kann und ſoll nur die ſein, in ſolchem Falle auch gegen die Be- hörde die rechtliche Haftung auszuſprechen und zur Geltung zu bringen. In der That wäre es ein abſoluter Widerſpruch, durch Thätigkeit und Urtheil des Gerichts die mangelnde Geſetzgebung erſetzen, und dadurch die verordnende Gewalt der Regierung beſchränken zu wollen. Deſto ſchlimmer für den Einzelnen, wenn er durch den Mangel eines Geſetzes unter falſchen Funktionen der Behörde leidet; aber das Gericht zu einem geſetzgebenden oder verwaltenden Organe zu machen, würde alle orga- niſche Entwicklung des Staates ſtören. In Wahrheit aber iſt jene Aufgabe des Gerichts, durch ſein Urtheil die Verwaltung für die richtige Ausführung der Geſetze haftbar zu machen, ohnehin eine hinreichend ſchwierige; es iſt nur ein Mangel an Vertrauen zur Geſetzgebung, wenn man ihm noch weitere Funktionen übergeben will, und das Folgende wird dieß im Einzelnen zeigen. — Die weitere Conſequenz einer ſolchen Herbeiziehung des Gerichts iſt aber eben deßhalb eine unvermeidliche Unklarheit über das ganze Enteignungsrecht, wie es das franzöſiſche Geſetz von 1841 zeigt, wo es ganz unthunlich iſt, den Sinn des Art. 1:
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und vielen andern Staaten Deutſchlands, ein Enteignungsgeſetz gänz-
lich mangelt, oder wie in Preußen eine Einheit in der Geſetzgebung
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vielfach der gerichtliche Schutz gegen das Verfahren der Behörde fehlt,
und derſelbe bloß auf die Beſchwerde bei den höheren Behörden ange-
wieſen iſt. Dieſer Mangel wird um ſo mehr empfunden werden, je
weniger man ein geſetzliches Beſchwerdeverfahren hat, und der Einzelne
wird dadurch unabweisbar den oft ganz individuellen Anſichten der
einzelnen Behörde in der Enteignung unterworfen ſein. Das iſt ganz
richtig; allein das iſt kein Fehler der Regierung und des Verwaltungs-
rechts, ſondern es iſt einfach ein Mangel der Geſetzgebung. Es
iſt Sache der Geſetzgebung, an die Stelle des Verordnungsrechts das
geſetzliche Recht zu ſetzen, und damit ein Klagerecht vor den Gerichten
möglich zu machen. So lange das nicht geſchehen iſt, iſt die Regierung
unbedingt darauf angewieſen und in ihrem vollen Recht, wenn ſie
ganz nach ihrem Ermeſſen handelt. Von dieſem Standpunkt muß man
bei dieſem Theile des Verwaltungsrechts ausgehen.
Nun hat man verſucht, dem ſich daraus ergebenden Bedenken da-
durch vorzubeugen, daß man den Gerichten einen Theil der Funktion
der Verwaltung bei der einzelnen Enteignung hat überweiſen wollen.
Es iſt klar, daß dieß ſchon principiell falſch iſt; die Gerichte haben
ihrem ganzen Weſen nach mit der Enteignung gar nichts zu thun; ſie
treten erſt da auf, wo durch die Thätigkeit der Behörde ein geſetzliches
Recht des Einzelnen für verletzt erklärt wird, und ihre einzige Funktion
kann und ſoll nur die ſein, in ſolchem Falle auch gegen die Be-
hörde die rechtliche Haftung auszuſprechen und zur Geltung zu bringen.
In der That wäre es ein abſoluter Widerſpruch, durch Thätigkeit und
Urtheil des Gerichts die mangelnde Geſetzgebung erſetzen, und dadurch
die verordnende Gewalt der Regierung beſchränken zu wollen. Deſto
ſchlimmer für den Einzelnen, wenn er durch den Mangel eines Geſetzes
unter falſchen Funktionen der Behörde leidet; aber das Gericht zu einem
geſetzgebenden oder verwaltenden Organe zu machen, würde alle orga-
niſche Entwicklung des Staates ſtören. In Wahrheit aber iſt jene
Aufgabe des Gerichts, durch ſein Urtheil die Verwaltung für die richtige
Ausführung der Geſetze haftbar zu machen, ohnehin eine hinreichend
ſchwierige; es iſt nur ein Mangel an Vertrauen zur Geſetzgebung, wenn
man ihm noch weitere Funktionen übergeben will, und das Folgende
wird dieß im Einzelnen zeigen. — Die weitere Conſequenz einer ſolchen
Herbeiziehung des Gerichts iſt aber eben deßhalb eine unvermeidliche
Unklarheit über das ganze Enteignungsrecht, wie es das franzöſiſche
Geſetz von 1841 zeigt, wo es ganz unthunlich iſt, den Sinn des Art. 1:
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/340>, abgerufen am 22.11.2024.
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