durch die Verwaltungsmaßregeln des Staats enthielt. Die einzelne Schule dagegen entstand, indem sich jene Ideen und Forderungen der Art von Gütern anpassen mußten, in der man den Reichthum des Volkes sah. Die Stellung der Nationalökonomie in diesen Schulen war nun sehr einfach. Die Schulen selbst sind zwar nicht die Geschichte der Nationalökonomie, aber sie enthalten dieselbe. Im Mer- kantilsystem ist die letztere noch gar nichts, als ein einfaches Beweis- mittel, ein Correlat des großen Systems der Volkswirthschaftspflege, das wir mit jenem Worte bezeichnen, ohne Bewußtsein ihrer Selbstän- digkeit, ohne eigene Begriffe und Definitionen. Die Nationalökonomie erscheint hier fast nur in den Folgen, welche das Merkantilsystem an- strebt. Im physiokratischen System dagegen beginnt die Güterlehre, ihre erste Selbständigkeit zu entwickeln. Allerdings wird sie noch eigent- lich nicht um ihrer selbst willen untersucht; daß es eine Lehre von den Gütern gebe, die einen Werth und eine Bedeutung habe, auch ohne praktische Anwendung für die Verwaltung, wird nicht erkannt, sondern höchstens geahnt. Aber doch ist das Verhältniß schon ein ganz anderes. Die nationalökonomische Grundlage des Merkantilsystems ist eine Be- hauptung, die des physiokratischen Systems aber schon ein Beweis. Die Gesetze der Nationalökonomie scheiden sich hier zuerst von den Ge- setzen des Staats, welche von jenen gefordert werden; aber auch jetzt noch stehen die erstern noch nicht um ihrer selbst willen da; sie werden noch immer nur deßhalb gesucht und entwickelt oder geglaubt, um einen Beweis für die Forderungen zu haben, die man in ihrem Namen an die Verwaltung stellt. Deßhalb findet auch in den nationalökonomischen Grundsätzen derselben kein Fortschritt, keine Bewegung statt, während die administrative Anwendung nach allen Richtungen hin sich ausdehnt. Dieß wird erst anders in dem sogenannten "Industrie-System," dessen Gründer Adam Smith ist. Hier ist die Scheidung zwischen National- ökonomie und Verwaltungslehre im Principe vollbracht; das ist der erste und prägnante Charakter dieser Schule; aber sie wird in der Wirklichkeit nicht durchgeführt, und darauf beruht der zweite Cha- rakter derselben. Dieselbe bietet daher ein durchstehendes Gemisch von rein nationalökonomischen und administrativen Begriffen, Gesetzen und Maßregeln; aber während die Elemente der Güterlehre in Arbeit und Werth hier zum erstenmal zur Geltung gelangen, fehlt der Begriff des Staats und der der Verwaltung. Dagegen tritt ein anderes, dieses System von den früheren tief unterscheidendes Merkmal auf. Durch das Eingehen auf die selbständigen Elemente der reinen Güterlehre entsteht die Erkenntniß, daß die Gesetze derselben an sich von der Ver- waltung ganz unabhängig, und die Meinung, daß die Interessen der
durch die Verwaltungsmaßregeln des Staats enthielt. Die einzelne Schule dagegen entſtand, indem ſich jene Ideen und Forderungen der Art von Gütern anpaſſen mußten, in der man den Reichthum des Volkes ſah. Die Stellung der Nationalökonomie in dieſen Schulen war nun ſehr einfach. Die Schulen ſelbſt ſind zwar nicht die Geſchichte der Nationalökonomie, aber ſie enthalten dieſelbe. Im Mer- kantilſyſtem iſt die letztere noch gar nichts, als ein einfaches Beweis- mittel, ein Correlat des großen Syſtems der Volkswirthſchaftspflege, das wir mit jenem Worte bezeichnen, ohne Bewußtſein ihrer Selbſtän- digkeit, ohne eigene Begriffe und Definitionen. Die Nationalökonomie erſcheint hier faſt nur in den Folgen, welche das Merkantilſyſtem an- ſtrebt. Im phyſiokratiſchen Syſtem dagegen beginnt die Güterlehre, ihre erſte Selbſtändigkeit zu entwickeln. Allerdings wird ſie noch eigent- lich nicht um ihrer ſelbſt willen unterſucht; daß es eine Lehre von den Gütern gebe, die einen Werth und eine Bedeutung habe, auch ohne praktiſche Anwendung für die Verwaltung, wird nicht erkannt, ſondern höchſtens geahnt. Aber doch iſt das Verhältniß ſchon ein ganz anderes. Die nationalökonomiſche Grundlage des Merkantilſyſtems iſt eine Be- hauptung, die des phyſiokratiſchen Syſtems aber ſchon ein Beweis. Die Geſetze der Nationalökonomie ſcheiden ſich hier zuerſt von den Ge- ſetzen des Staats, welche von jenen gefordert werden; aber auch jetzt noch ſtehen die erſtern noch nicht um ihrer ſelbſt willen da; ſie werden noch immer nur deßhalb geſucht und entwickelt oder geglaubt, um einen Beweis für die Forderungen zu haben, die man in ihrem Namen an die Verwaltung ſtellt. Deßhalb findet auch in den nationalökonomiſchen Grundſätzen derſelben kein Fortſchritt, keine Bewegung ſtatt, während die adminiſtrative Anwendung nach allen Richtungen hin ſich ausdehnt. Dieß wird erſt anders in dem ſogenannten „Induſtrie-Syſtem,“ deſſen Gründer Adam Smith iſt. Hier iſt die Scheidung zwiſchen National- ökonomie und Verwaltungslehre im Principe vollbracht; das iſt der erſte und prägnante Charakter dieſer Schule; aber ſie wird in der Wirklichkeit nicht durchgeführt, und darauf beruht der zweite Cha- rakter derſelben. Dieſelbe bietet daher ein durchſtehendes Gemiſch von rein nationalökonomiſchen und adminiſtrativen Begriffen, Geſetzen und Maßregeln; aber während die Elemente der Güterlehre in Arbeit und Werth hier zum erſtenmal zur Geltung gelangen, fehlt der Begriff des Staats und der der Verwaltung. Dagegen tritt ein anderes, dieſes Syſtem von den früheren tief unterſcheidendes Merkmal auf. Durch das Eingehen auf die ſelbſtändigen Elemente der reinen Güterlehre entſteht die Erkenntniß, daß die Geſetze derſelben an ſich von der Ver- waltung ganz unabhängig, und die Meinung, daß die Intereſſen der
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durch die Verwaltungsmaßregeln des Staats enthielt. Die einzelne
Schule dagegen entſtand, indem ſich jene Ideen und Forderungen
der Art von Gütern anpaſſen mußten, in der man den Reichthum
des Volkes ſah. Die Stellung der Nationalökonomie in dieſen Schulen
war nun ſehr einfach. Die Schulen ſelbſt ſind zwar nicht die Geſchichte
der Nationalökonomie, aber ſie enthalten dieſelbe. Im Mer-
kantilſyſtem iſt die letztere noch gar nichts, als ein einfaches Beweis-
mittel, ein Correlat des großen Syſtems der Volkswirthſchaftspflege,
das wir mit jenem Worte bezeichnen, ohne Bewußtſein ihrer Selbſtän-
digkeit, ohne eigene Begriffe und Definitionen. Die Nationalökonomie
erſcheint hier faſt nur in den Folgen, welche das Merkantilſyſtem an-
ſtrebt. Im phyſiokratiſchen Syſtem dagegen beginnt die Güterlehre,
ihre erſte Selbſtändigkeit zu entwickeln. Allerdings wird ſie noch eigent-
lich nicht um ihrer ſelbſt willen unterſucht; daß es eine Lehre von den
Gütern gebe, die einen Werth und eine Bedeutung habe, auch ohne
praktiſche Anwendung für die Verwaltung, wird nicht erkannt, ſondern
höchſtens geahnt. Aber doch iſt das Verhältniß ſchon ein ganz anderes.
Die nationalökonomiſche Grundlage des Merkantilſyſtems iſt eine Be-
hauptung, die des phyſiokratiſchen Syſtems aber ſchon ein Beweis.
Die Geſetze der Nationalökonomie ſcheiden ſich hier zuerſt von den Ge-
ſetzen des Staats, welche von jenen gefordert werden; aber auch jetzt
noch ſtehen die erſtern noch nicht um ihrer ſelbſt willen da; ſie werden
noch immer nur deßhalb geſucht und entwickelt oder geglaubt, um einen
Beweis für die Forderungen zu haben, die man in ihrem Namen an
die Verwaltung ſtellt. Deßhalb findet auch in den nationalökonomiſchen
Grundſätzen derſelben kein Fortſchritt, keine Bewegung ſtatt, während
die adminiſtrative Anwendung nach allen Richtungen hin ſich ausdehnt.
Dieß wird erſt anders in dem ſogenannten „Induſtrie-Syſtem,“ deſſen
Gründer Adam Smith iſt. Hier iſt die Scheidung zwiſchen National-
ökonomie und Verwaltungslehre im Principe vollbracht; das iſt
der erſte und prägnante Charakter dieſer Schule; aber ſie wird in der
Wirklichkeit nicht durchgeführt, und darauf beruht der zweite Cha-
rakter derſelben. Dieſelbe bietet daher ein durchſtehendes Gemiſch von
rein nationalökonomiſchen und adminiſtrativen Begriffen, Geſetzen und
Maßregeln; aber während die Elemente der Güterlehre in Arbeit und
Werth hier zum erſtenmal zur Geltung gelangen, fehlt der Begriff
des Staats und der der Verwaltung. Dagegen tritt ein anderes, dieſes
Syſtem von den früheren tief unterſcheidendes Merkmal auf. Durch
das Eingehen auf die ſelbſtändigen Elemente der reinen Güterlehre
entſteht die Erkenntniß, daß die Geſetze derſelben an ſich von der Ver-
waltung ganz unabhängig, und die Meinung, daß die Intereſſen der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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