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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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In der That nämlich haben diese drei Systeme allerdings für
ganz Europa gegolten. Allein von der Verwaltung ausgehend und
für sie bestimmt, werden sie dem Wesen nach für alle gleich, doch in
der Wirklichkeit von der individuellen, nationalen Gestalt des concreten
Staatslebens der einzelnen Staaten erfaßt und nehmen dadurch selbst
eine specifische, nationale Gestalt an. Sie sind andere in jedem Staate.
Es genügt nicht, einfach ihre Theorie hinzustellen; man muß sie in
den einzelnen Staaten je nach der Besonderheit derselben wirksam
sehen; und das wieder beruht darauf, daß sie sich an bestimmte prak-
tische Zustände und Aufgaben der Verwaltung anschließen und ihre
Verschiedenheit von der Verschiedenheit der Verhältnisse empfangen,
auf die ihr Princip angewendet wird. Die Geschichte Europas ist
auch hier eine Geschichte großer individueller Gestaltungen
auf gleichartiger Grundlage; in dem Verständniß dieses Elementes des
Werdens ruht sein Reichthum.

Wir werden daher, wenn auch nur in Andeutung, die einzelnen
Systeme von diesem Standpunkt charakterisiren. Ihren allgemeinen
Inhalt dürfen wir als bekannt voraussetzen.

a) Das Merkantilsystem in England, Frankreich und Deutschland.

England. Daß und warum England, seinem ganzen auf Selbst-
verwaltung beruhenden Staatsleben nach, von jeher unfähig war und
ist, ein Eingreifen der Regierung in das Leben des Volkes zu erzeugen
oder zu ertragen, ist schon früher bezeichnet. Wenn daher trotzdem
hier ein "System" für die Verwaltung der wirthschaftlichen Interessen
auftreten und zur Geltung gelangen konnte, so mußte sich dasselbe
naturgemäß zunächst und vor allem auf dasjenige Gebiet beziehen, auf
dem der Einzelne und sogar die Selbstverwaltung ohnmächtig ist. Das
ist die Thätigkeit der Staatsverwaltung für den auswärtigen Verkehr, bei
der die Rückwirkungen derselben auf den inneren dann der Natur
der Sache überlassen werden. Und dieß ist das Verhältniß des Mer-
kantilsystems in England.

In England zuerst ist das Merkantilsystem überhaupt nie zu
einem System der inneren wirthschaftlichen Verwaltung geworden,
sondern tritt von Anfang an als das Princip für die Volkswirthschafts-
pflege im internationalen Verkehr auf. Und zwar ist das nicht
bloß der Charakter desselben in der Theorie des 17. Jahrhunderts
seit Man und Culpepper, sondern eben so sehr des wirklich geltenden
Rechts. Das Merkantilsystem mit seinen nationalökonomischen Grund-
gedanken des Geldreichthums wird für die Verwaltung zur Forderung

In der That nämlich haben dieſe drei Syſteme allerdings für
ganz Europa gegolten. Allein von der Verwaltung ausgehend und
für ſie beſtimmt, werden ſie dem Weſen nach für alle gleich, doch in
der Wirklichkeit von der individuellen, nationalen Geſtalt des concreten
Staatslebens der einzelnen Staaten erfaßt und nehmen dadurch ſelbſt
eine ſpecifiſche, nationale Geſtalt an. Sie ſind andere in jedem Staate.
Es genügt nicht, einfach ihre Theorie hinzuſtellen; man muß ſie in
den einzelnen Staaten je nach der Beſonderheit derſelben wirkſam
ſehen; und das wieder beruht darauf, daß ſie ſich an beſtimmte prak-
tiſche Zuſtände und Aufgaben der Verwaltung anſchließen und ihre
Verſchiedenheit von der Verſchiedenheit der Verhältniſſe empfangen,
auf die ihr Princip angewendet wird. Die Geſchichte Europas iſt
auch hier eine Geſchichte großer individueller Geſtaltungen
auf gleichartiger Grundlage; in dem Verſtändniß dieſes Elementes des
Werdens ruht ſein Reichthum.

Wir werden daher, wenn auch nur in Andeutung, die einzelnen
Syſteme von dieſem Standpunkt charakteriſiren. Ihren allgemeinen
Inhalt dürfen wir als bekannt vorausſetzen.

a) Das Merkantilſyſtem in England, Frankreich und Deutſchland.

England. Daß und warum England, ſeinem ganzen auf Selbſt-
verwaltung beruhenden Staatsleben nach, von jeher unfähig war und
iſt, ein Eingreifen der Regierung in das Leben des Volkes zu erzeugen
oder zu ertragen, iſt ſchon früher bezeichnet. Wenn daher trotzdem
hier ein „Syſtem“ für die Verwaltung der wirthſchaftlichen Intereſſen
auftreten und zur Geltung gelangen konnte, ſo mußte ſich daſſelbe
naturgemäß zunächſt und vor allem auf dasjenige Gebiet beziehen, auf
dem der Einzelne und ſogar die Selbſtverwaltung ohnmächtig iſt. Das
iſt die Thätigkeit der Staatsverwaltung für den auswärtigen Verkehr, bei
der die Rückwirkungen derſelben auf den inneren dann der Natur
der Sache überlaſſen werden. Und dieß iſt das Verhältniß des Mer-
kantilſyſtems in England.

In England zuerſt iſt das Merkantilſyſtem überhaupt nie zu
einem Syſtem der inneren wirthſchaftlichen Verwaltung geworden,
ſondern tritt von Anfang an als das Princip für die Volkswirthſchafts-
pflege im internationalen Verkehr auf. Und zwar iſt das nicht
bloß der Charakter deſſelben in der Theorie des 17. Jahrhunderts
ſeit Man und Culpepper, ſondern eben ſo ſehr des wirklich geltenden
Rechts. Das Merkantilſyſtem mit ſeinen nationalökonomiſchen Grund-
gedanken des Geldreichthums wird für die Verwaltung zur Forderung

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[23/0041] In der That nämlich haben dieſe drei Syſteme allerdings für ganz Europa gegolten. Allein von der Verwaltung ausgehend und für ſie beſtimmt, werden ſie dem Weſen nach für alle gleich, doch in der Wirklichkeit von der individuellen, nationalen Geſtalt des concreten Staatslebens der einzelnen Staaten erfaßt und nehmen dadurch ſelbſt eine ſpecifiſche, nationale Geſtalt an. Sie ſind andere in jedem Staate. Es genügt nicht, einfach ihre Theorie hinzuſtellen; man muß ſie in den einzelnen Staaten je nach der Beſonderheit derſelben wirkſam ſehen; und das wieder beruht darauf, daß ſie ſich an beſtimmte prak- tiſche Zuſtände und Aufgaben der Verwaltung anſchließen und ihre Verſchiedenheit von der Verſchiedenheit der Verhältniſſe empfangen, auf die ihr Princip angewendet wird. Die Geſchichte Europas iſt auch hier eine Geſchichte großer individueller Geſtaltungen auf gleichartiger Grundlage; in dem Verſtändniß dieſes Elementes des Werdens ruht ſein Reichthum. Wir werden daher, wenn auch nur in Andeutung, die einzelnen Syſteme von dieſem Standpunkt charakteriſiren. Ihren allgemeinen Inhalt dürfen wir als bekannt vorausſetzen. a) Das Merkantilſyſtem in England, Frankreich und Deutſchland. England. Daß und warum England, ſeinem ganzen auf Selbſt- verwaltung beruhenden Staatsleben nach, von jeher unfähig war und iſt, ein Eingreifen der Regierung in das Leben des Volkes zu erzeugen oder zu ertragen, iſt ſchon früher bezeichnet. Wenn daher trotzdem hier ein „Syſtem“ für die Verwaltung der wirthſchaftlichen Intereſſen auftreten und zur Geltung gelangen konnte, ſo mußte ſich daſſelbe naturgemäß zunächſt und vor allem auf dasjenige Gebiet beziehen, auf dem der Einzelne und ſogar die Selbſtverwaltung ohnmächtig iſt. Das iſt die Thätigkeit der Staatsverwaltung für den auswärtigen Verkehr, bei der die Rückwirkungen derſelben auf den inneren dann der Natur der Sache überlaſſen werden. Und dieß iſt das Verhältniß des Mer- kantilſyſtems in England. In England zuerſt iſt das Merkantilſyſtem überhaupt nie zu einem Syſtem der inneren wirthſchaftlichen Verwaltung geworden, ſondern tritt von Anfang an als das Princip für die Volkswirthſchafts- pflege im internationalen Verkehr auf. Und zwar iſt das nicht bloß der Charakter deſſelben in der Theorie des 17. Jahrhunderts ſeit Man und Culpepper, ſondern eben ſo ſehr des wirklich geltenden Rechts. Das Merkantilſyſtem mit ſeinen nationalökonomiſchen Grund- gedanken des Geldreichthums wird für die Verwaltung zur Forderung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/41>, abgerufen am 21.11.2024.