nach dem Schutze der eigenen Flagge und der inneren Produktion, zur Grundlage des Krieges mit Holland um den Alleinhandel im trans- atlantischen Verkehr, zum Anstoß der Verträge mit Portugal und an- dern Staaten. England will den Staat und seine Einmischung in sein wirthschaftliches Leben schon unter dem Merkantilsystem nur da, wo allein der Staat als solcher zu functioniren fähig ist und die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, in dem Gegensatz der Interessen der ganzen Nation gegenüber den andern Nationen. Das war schon im 17. Jahrhundert der Charakter der englischen Volkswirthschaftspflege und das ist er noch. Das Merkantilsystem als Princip der Verwaltung unterscheidet sich in England daher von dem aller andern Staaten genau so, wie der Charakter dieses Staates selbst von den übrigen des Continents. Jede Einmischung der Regierung in die inneren Angelegenheiten wird auch unter dem Merkantilsystem grundsätzlich ab- gewiesen. Nicht erst Adam Smith hat dieß Princip ausgesprochen, sondern er hat es nur auch auf den internationalen Verkehr ausgedehnt; sein Freihandel ist nichts anderes, als die Befreiung von jeder selb- ständigen Einmischung der Verwaltung auf dem einzigen Gebiete, auf dem die Nation sie bisher zugelassen oder gefordert. Von dem, was wir den Colbertismus nennen, ist in England gar keine Rede, eben so wenig unter der Herrschaft des Merkantilsystems als später. Da existirt keine Befreiung der Gewerbe, keine Erleichterung des inneren Handels, kein Kampf mit Monopolen, weil England sie nicht hatte; es existirt kein Versuch, den Stand der Kaufleute und Producenten zu heben oder zur Ehre zu bringen, weil England dessen nicht bedurfte; da entsteht kein Versuch, Musterfabriken, Kunstschulen oder ähnliches anzulegen, weil Englands Selbstverwaltung, die stolze Selbstgewißheit des Individuums, dem widersprach. Von einem System der Volks- wirthschaftspflege auf Grundlage der Principien des Merkantilsystems ist daher auch damals keine Rede; die Verschiedenheit von dem sich büreaukratisch organisirenden Frankreich und dem an einzelnen Maß- regeln herum experimentirenden, auch hier einheitslosen Deutschland ist eine durchgreifende; das verwaltungsrechtliche Princip des englischen Merkantilsystems ist: Schutz des Verkehrs nach Außen und völlige Selbstverwaltung ohne alle Regierungsthätigkeit im Innern. Nicht einmal das Nächstliegende, das Bankwesen und das Straßenwesen, ordnet die Regierung; von einem Wasserwesen, von einem Schifffahrts- wesen (die merchants chipping Act ist bekanntlich erst 1854 gegeben), von einer Wiesenpolizei, von einem Grundbuchswesen, von Land-, Forst- oder Bergbauordnungen im Sinne des Merkantilsystems ist keine Spur vorhanden. Vergleicht man Englands Merkantilsystem mit dem
nach dem Schutze der eigenen Flagge und der inneren Produktion, zur Grundlage des Krieges mit Holland um den Alleinhandel im trans- atlantiſchen Verkehr, zum Anſtoß der Verträge mit Portugal und an- dern Staaten. England will den Staat und ſeine Einmiſchung in ſein wirthſchaftliches Leben ſchon unter dem Merkantilſyſtem nur da, wo allein der Staat als ſolcher zu functioniren fähig iſt und die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, in dem Gegenſatz der Intereſſen der ganzen Nation gegenüber den andern Nationen. Das war ſchon im 17. Jahrhundert der Charakter der engliſchen Volkswirthſchaftspflege und das iſt er noch. Das Merkantilſyſtem als Princip der Verwaltung unterſcheidet ſich in England daher von dem aller andern Staaten genau ſo, wie der Charakter dieſes Staates ſelbſt von den übrigen des Continents. Jede Einmiſchung der Regierung in die inneren Angelegenheiten wird auch unter dem Merkantilſyſtem grundſätzlich ab- gewieſen. Nicht erſt Adam Smith hat dieß Princip ausgeſprochen, ſondern er hat es nur auch auf den internationalen Verkehr ausgedehnt; ſein Freihandel iſt nichts anderes, als die Befreiung von jeder ſelb- ſtändigen Einmiſchung der Verwaltung auf dem einzigen Gebiete, auf dem die Nation ſie bisher zugelaſſen oder gefordert. Von dem, was wir den Colbertismus nennen, iſt in England gar keine Rede, eben ſo wenig unter der Herrſchaft des Merkantilſyſtems als ſpäter. Da exiſtirt keine Befreiung der Gewerbe, keine Erleichterung des inneren Handels, kein Kampf mit Monopolen, weil England ſie nicht hatte; es exiſtirt kein Verſuch, den Stand der Kaufleute und Producenten zu heben oder zur Ehre zu bringen, weil England deſſen nicht bedurfte; da entſteht kein Verſuch, Muſterfabriken, Kunſtſchulen oder ähnliches anzulegen, weil Englands Selbſtverwaltung, die ſtolze Selbſtgewißheit des Individuums, dem widerſprach. Von einem Syſtem der Volks- wirthſchaftspflege auf Grundlage der Principien des Merkantilſyſtems iſt daher auch damals keine Rede; die Verſchiedenheit von dem ſich büreaukratiſch organiſirenden Frankreich und dem an einzelnen Maß- regeln herum experimentirenden, auch hier einheitsloſen Deutſchland iſt eine durchgreifende; das verwaltungsrechtliche Princip des engliſchen Merkantilſyſtems iſt: Schutz des Verkehrs nach Außen und völlige Selbſtverwaltung ohne alle Regierungsthätigkeit im Innern. Nicht einmal das Nächſtliegende, das Bankweſen und das Straßenweſen, ordnet die Regierung; von einem Waſſerweſen, von einem Schifffahrts- weſen (die merchants chipping Act iſt bekanntlich erſt 1854 gegeben), von einer Wieſenpolizei, von einem Grundbuchsweſen, von Land-, Forſt- oder Bergbauordnungen im Sinne des Merkantilſyſtems iſt keine Spur vorhanden. Vergleicht man Englands Merkantilſyſtem mit dem
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[24/0042]
nach dem Schutze der eigenen Flagge und der inneren Produktion,
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atlantiſchen Verkehr, zum Anſtoß der Verträge mit Portugal und an-
dern Staaten. England will den Staat und ſeine Einmiſchung in
ſein wirthſchaftliches Leben ſchon unter dem Merkantilſyſtem nur da,
wo allein der Staat als ſolcher zu functioniren fähig iſt und die Kraft
des Einzelnen nicht ausreicht, in dem Gegenſatz der Intereſſen der
ganzen Nation gegenüber den andern Nationen. Das war ſchon im
17. Jahrhundert der Charakter der engliſchen Volkswirthſchaftspflege
und das iſt er noch. Das Merkantilſyſtem als Princip der Verwaltung
unterſcheidet ſich in England daher von dem aller andern Staaten
genau ſo, wie der Charakter dieſes Staates ſelbſt von den übrigen
des Continents. Jede Einmiſchung der Regierung in die inneren
Angelegenheiten wird auch unter dem Merkantilſyſtem grundſätzlich ab-
gewieſen. Nicht erſt Adam Smith hat dieß Princip ausgeſprochen,
ſondern er hat es nur auch auf den internationalen Verkehr ausgedehnt;
ſein Freihandel iſt nichts anderes, als die Befreiung von jeder ſelb-
ſtändigen Einmiſchung der Verwaltung auf dem einzigen Gebiete, auf
dem die Nation ſie bisher zugelaſſen oder gefordert. Von dem, was
wir den Colbertismus nennen, iſt in England gar keine Rede, eben
ſo wenig unter der Herrſchaft des Merkantilſyſtems als ſpäter. Da
exiſtirt keine Befreiung der Gewerbe, keine Erleichterung des inneren
Handels, kein Kampf mit Monopolen, weil England ſie nicht hatte;
es exiſtirt kein Verſuch, den Stand der Kaufleute und Producenten
zu heben oder zur Ehre zu bringen, weil England deſſen nicht bedurfte;
da entſteht kein Verſuch, Muſterfabriken, Kunſtſchulen oder ähnliches
anzulegen, weil Englands Selbſtverwaltung, die ſtolze Selbſtgewißheit
des Individuums, dem widerſprach. Von einem Syſtem der Volks-
wirthſchaftspflege auf Grundlage der Principien des Merkantilſyſtems
iſt daher auch damals keine Rede; die Verſchiedenheit von dem ſich
büreaukratiſch organiſirenden Frankreich und dem an einzelnen Maß-
regeln herum experimentirenden, auch hier einheitsloſen Deutſchland iſt
eine durchgreifende; das verwaltungsrechtliche Princip des engliſchen
Merkantilſyſtems iſt: Schutz des Verkehrs nach Außen und völlige
Selbſtverwaltung ohne alle Regierungsthätigkeit im Innern. Nicht
einmal das Nächſtliegende, das Bankweſen und das Straßenweſen,
ordnet die Regierung; von einem Waſſerweſen, von einem Schifffahrts-
weſen (die merchants chipping Act iſt bekanntlich erſt 1854 gegeben),
von einer Wieſenpolizei, von einem Grundbuchsweſen, von Land-,
Forſt- oder Bergbauordnungen im Sinne des Merkantilſyſtems iſt keine
Spur vorhanden. Vergleicht man Englands Merkantilſyſtem mit dem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/42>, abgerufen am 23.11.2024.
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