des Continents, so ist es keine Frage, daß dasselbe überhaupt gar nicht vom Standpunkt einer nationalökonomischen Theorie, sondern nur von dem des englischen Staatslebens aus verstanden werden könne.
Wesentlich anders ist dagegen das Bild des Merkantilsystems in Frankreich. Die Gewalt des persönlichen Staats und der Gedanke, daß die höchste Entwicklung des Einzelnen nur durch die Macht und den Glanz des Staats begründet werden könne -- dieß specifische Princip der romanischen Völker ist bereits durch Richelieu fest begründet. Es steht fest, daß die Selbständigkeit des Einzelnen eine Gefahr für das Ganze ist. Es folgt, daß wie in andern Dingen, so auch in volks- wirthschaftlichen Interessen, der Fortschritt des Einzelnen nur durch die Thätigkeit des Ganzen gewonnen werden kann. So wie daher im Merkantilsystem die entscheidende Wichtigkeit der volkswirthschaftlichen Entwicklung für den Staat zum Bewußtsein kommt, und die Regierung Ludwigs XIV. des Geldes und wieder des Geldes bedarf, so beginnt der Staat es als seine erste Aufgabe anzusehen, die gesammte Volks- wirthschaftspflege im Sinne jener Principien in die Hand zu nehmen. Auf diese Weise entsteht das erste, als ein Ganzes aufgefaßte und mit blendendem Glanze durchgeführte System der Volkswirthschaftspflege in Europa. Und zwar ist dasselbe in Beziehung auf den internationalen Verkehr allerdings dem englischen natürlich gleichartig. Daß er den Schutz der einheimischen Produktion durch Navigationszölle und Schutzzölle gegen fremde Concurrenz will, ist natürlich, und nicht das Eigenthüm- liche des französischen Merkantilsystems. Dasselbe besteht vielmehr cha- rakteristisch in dem großartig durchgeführten Versuch, durch alle der Verwaltung zu Gebote stehenden Mittel die innere industrielle Produktion zu fördern. Es ist wahr, daß die Volkswirthschafts- pflege, die sich daraus ergiebt, wesentlich nur eine Sorge für die höhere Industrie ist; allein das ist sie in einem Maße, die ganz Europa blendet, und die allenthalben durch ihre glänzenden Erfolge zur Nach- ahmung oder wenigstens zur Bewunderung hinreißt. Frankreich selbst erkennt das; es folgt auf allen Punkten willig und dankbar der mäch- tigen Hand, die es leitet; es will auch in der Industrie beherrscht werden von der Staatsgewalt, und es wird beherrscht. Unter dem mächtigen Schutze der höchsten Gewalt regt sich die industrielle Tüchtig- keit der Nation; sie tritt alsbald siegreich auf dem ihr eigenthümlichen Gebiete auf; es ist die Kunst und der Geschmack im Dienste der wirth- schaftlichen Produktion, es ist der unerschöpfliche freie Werth, der sich zur Basis der industriellen Stellung Frankreichs mit der Welt macht, und die Regierung mit richtigem Verständniß des Charakters ihrer Nation geht voran. Sie errichtet Manufakturen und Fabriken, sie
des Continents, ſo iſt es keine Frage, daß daſſelbe überhaupt gar nicht vom Standpunkt einer nationalökonomiſchen Theorie, ſondern nur von dem des engliſchen Staatslebens aus verſtanden werden könne.
Weſentlich anders iſt dagegen das Bild des Merkantilſyſtems in Frankreich. Die Gewalt des perſönlichen Staats und der Gedanke, daß die höchſte Entwicklung des Einzelnen nur durch die Macht und den Glanz des Staats begründet werden könne — dieß ſpecifiſche Princip der romaniſchen Völker iſt bereits durch Richelieu feſt begründet. Es ſteht feſt, daß die Selbſtändigkeit des Einzelnen eine Gefahr für das Ganze iſt. Es folgt, daß wie in andern Dingen, ſo auch in volks- wirthſchaftlichen Intereſſen, der Fortſchritt des Einzelnen nur durch die Thätigkeit des Ganzen gewonnen werden kann. So wie daher im Merkantilſyſtem die entſcheidende Wichtigkeit der volkswirthſchaftlichen Entwicklung für den Staat zum Bewußtſein kommt, und die Regierung Ludwigs XIV. des Geldes und wieder des Geldes bedarf, ſo beginnt der Staat es als ſeine erſte Aufgabe anzuſehen, die geſammte Volks- wirthſchaftspflege im Sinne jener Principien in die Hand zu nehmen. Auf dieſe Weiſe entſteht das erſte, als ein Ganzes aufgefaßte und mit blendendem Glanze durchgeführte Syſtem der Volkswirthſchaftspflege in Europa. Und zwar iſt daſſelbe in Beziehung auf den internationalen Verkehr allerdings dem engliſchen natürlich gleichartig. Daß er den Schutz der einheimiſchen Produktion durch Navigationszölle und Schutzzölle gegen fremde Concurrenz will, iſt natürlich, und nicht das Eigenthüm- liche des franzöſiſchen Merkantilſyſtems. Daſſelbe beſteht vielmehr cha- rakteriſtiſch in dem großartig durchgeführten Verſuch, durch alle der Verwaltung zu Gebote ſtehenden Mittel die innere induſtrielle Produktion zu fördern. Es iſt wahr, daß die Volkswirthſchafts- pflege, die ſich daraus ergiebt, weſentlich nur eine Sorge für die höhere Induſtrie iſt; allein das iſt ſie in einem Maße, die ganz Europa blendet, und die allenthalben durch ihre glänzenden Erfolge zur Nach- ahmung oder wenigſtens zur Bewunderung hinreißt. Frankreich ſelbſt erkennt das; es folgt auf allen Punkten willig und dankbar der mäch- tigen Hand, die es leitet; es will auch in der Induſtrie beherrſcht werden von der Staatsgewalt, und es wird beherrſcht. Unter dem mächtigen Schutze der höchſten Gewalt regt ſich die induſtrielle Tüchtig- keit der Nation; ſie tritt alsbald ſiegreich auf dem ihr eigenthümlichen Gebiete auf; es iſt die Kunſt und der Geſchmack im Dienſte der wirth- ſchaftlichen Produktion, es iſt der unerſchöpfliche freie Werth, der ſich zur Baſis der induſtriellen Stellung Frankreichs mit der Welt macht, und die Regierung mit richtigem Verſtändniß des Charakters ihrer Nation geht voran. Sie errichtet Manufakturen und Fabriken, ſie
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des Continents, ſo iſt es keine Frage, daß daſſelbe überhaupt gar
nicht vom Standpunkt einer nationalökonomiſchen Theorie, ſondern nur
von dem des engliſchen Staatslebens aus verſtanden werden könne.
Weſentlich anders iſt dagegen das Bild des Merkantilſyſtems in
Frankreich. Die Gewalt des perſönlichen Staats und der Gedanke,
daß die höchſte Entwicklung des Einzelnen nur durch die Macht und
den Glanz des Staats begründet werden könne — dieß ſpecifiſche Princip
der romaniſchen Völker iſt bereits durch Richelieu feſt begründet. Es
ſteht feſt, daß die Selbſtändigkeit des Einzelnen eine Gefahr für das
Ganze iſt. Es folgt, daß wie in andern Dingen, ſo auch in volks-
wirthſchaftlichen Intereſſen, der Fortſchritt des Einzelnen nur durch die
Thätigkeit des Ganzen gewonnen werden kann. So wie daher im
Merkantilſyſtem die entſcheidende Wichtigkeit der volkswirthſchaftlichen
Entwicklung für den Staat zum Bewußtſein kommt, und die Regierung
Ludwigs XIV. des Geldes und wieder des Geldes bedarf, ſo beginnt
der Staat es als ſeine erſte Aufgabe anzuſehen, die geſammte Volks-
wirthſchaftspflege im Sinne jener Principien in die Hand zu nehmen.
Auf dieſe Weiſe entſteht das erſte, als ein Ganzes aufgefaßte und mit
blendendem Glanze durchgeführte Syſtem der Volkswirthſchaftspflege in
Europa. Und zwar iſt daſſelbe in Beziehung auf den internationalen
Verkehr allerdings dem engliſchen natürlich gleichartig. Daß er den
Schutz der einheimiſchen Produktion durch Navigationszölle und Schutzzölle
gegen fremde Concurrenz will, iſt natürlich, und nicht das Eigenthüm-
liche des franzöſiſchen Merkantilſyſtems. Daſſelbe beſteht vielmehr cha-
rakteriſtiſch in dem großartig durchgeführten Verſuch, durch alle der
Verwaltung zu Gebote ſtehenden Mittel die innere induſtrielle
Produktion zu fördern. Es iſt wahr, daß die Volkswirthſchafts-
pflege, die ſich daraus ergiebt, weſentlich nur eine Sorge für die höhere
Induſtrie iſt; allein das iſt ſie in einem Maße, die ganz Europa
blendet, und die allenthalben durch ihre glänzenden Erfolge zur Nach-
ahmung oder wenigſtens zur Bewunderung hinreißt. Frankreich ſelbſt
erkennt das; es folgt auf allen Punkten willig und dankbar der mäch-
tigen Hand, die es leitet; es will auch in der Induſtrie beherrſcht
werden von der Staatsgewalt, und es wird beherrſcht. Unter dem
mächtigen Schutze der höchſten Gewalt regt ſich die induſtrielle Tüchtig-
keit der Nation; ſie tritt alsbald ſiegreich auf dem ihr eigenthümlichen
Gebiete auf; es iſt die Kunſt und der Geſchmack im Dienſte der wirth-
ſchaftlichen Produktion, es iſt der unerſchöpfliche freie Werth, der ſich
zur Baſis der induſtriellen Stellung Frankreichs mit der Welt macht,
und die Regierung mit richtigem Verſtändniß des Charakters ihrer
Nation geht voran. Sie errichtet Manufakturen und Fabriken, ſie
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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