Bevormundung auch in wirthschaftlicher Hinsicht; er fordert unbedingt an ihrer Stelle die freie Selbstbestimmung des Einzelnen; er erklärt geradezu, es sei eine "impertinence and presumtion of the Government, to watch over the industry of private people." Das waren Gedanken, welche dem Engländer vollkommen geläufig waren; dem Continente waren sie neu, und mußten in jener Zeit als das Evangelium der wirthschaftlichen Freiheit der neuen staatsbürgerlichen Gesellschaft begrüßt werden. Und die nächste natürliche Folge war die, daß diejenige Nationalökonomie, welche die Wahrheit dieses Princips durch die absoluten Grundsätze der Güterlehre bewies, an und für sich als die wahre Nationalökonomie begrüßt wurde. Man nahm das wirth- schaftliche Princip um der freiheitlichen Consequenz willen und bewies das freiheitliche Princip wieder durch die wirthschaftlichen Consequenzen des Systems. Das Losungswort der Nationalökonomie ward durch Adam Smith die "Arbeit," das Losungswort der gesammten Staats- wissenschaft dagegen die "Freiheit."
Das ist es nun, was der ganzen theoretischen Bewegung auf diesen beiden Gebieten in unserem Jahrhundert ihre Gestalt gegeben hat. Wir überlassen dabei die nationalökonomische Seite der Geschichte der Volks- wirthschaftslehre; aber der Gang der Volkswirthschaftspflege bedarf doch einiger Bemerkungen.
Adam Smith hatte sein Princip der wirthschaftlichen Freiheit in ächt englischer Weise aufgefaßt, als die einfache Negation des Staats und seiner Berechtigung in volkswirthschaftlichen Dingen. Die erste große Folge davon war, daß man von ihm aus die Nationalökonomie principiell von der übrigen Wissenschaft scheiden, und sie als eine selbständige Wissenschaft behandeln lernte. Man kann, namentlich bei der gegenwärtig herrschenden Verwirrung aller Begriffe auf diesem Ge- biete, nicht oft und nachdrücklich genug darauf hinweisen, daß bis zum Anfang unseres Jahrhunderts überhaupt keine selbständige Na- tionalökonomie existirt hat, sondern daß sie nur als begründendes Moment an der Volkswirthschaftspflege vorkommt; selbst Quesnay konnte sie aus dieser Verschmelzung nicht herausreißen. Erst jetzt beginnt man zu verstehen, daß es eine Nationalökonomie gibt, und von da an fängt die eigentlich nationalökonomische Literatur an, ihre Stellung einzu- nehmen. Allein sie steht beinahe ausschließlich auf den Schultern von Adam Smith. Nun ließ sich aber, trotz aller Macht dieser Lehre, denn doch nicht so einfach das Dasein, die Nothwendigkeit, ja die Function des Staats und seiner Verwaltung nicht bloß in Recht und Verfassung, sondern auch in der Volkswirthschaft abweisen. Die große, systematisch ausgearbeitete staatsrechtliche Literatur stand aufrecht da; die Rechts-
Bevormundung auch in wirthſchaftlicher Hinſicht; er fordert unbedingt an ihrer Stelle die freie Selbſtbeſtimmung des Einzelnen; er erklärt geradezu, es ſei eine „impertinence and presumtion of the Government, to watch over the industry of private people.“ Das waren Gedanken, welche dem Engländer vollkommen geläufig waren; dem Continente waren ſie neu, und mußten in jener Zeit als das Evangelium der wirthſchaftlichen Freiheit der neuen ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft begrüßt werden. Und die nächſte natürliche Folge war die, daß diejenige Nationalökonomie, welche die Wahrheit dieſes Princips durch die abſoluten Grundſätze der Güterlehre bewies, an und für ſich als die wahre Nationalökonomie begrüßt wurde. Man nahm das wirth- ſchaftliche Princip um der freiheitlichen Conſequenz willen und bewies das freiheitliche Princip wieder durch die wirthſchaftlichen Conſequenzen des Syſtems. Das Loſungswort der Nationalökonomie ward durch Adam Smith die „Arbeit,“ das Loſungswort der geſammten Staats- wiſſenſchaft dagegen die „Freiheit.“
Das iſt es nun, was der ganzen theoretiſchen Bewegung auf dieſen beiden Gebieten in unſerem Jahrhundert ihre Geſtalt gegeben hat. Wir überlaſſen dabei die nationalökonomiſche Seite der Geſchichte der Volks- wirthſchaftslehre; aber der Gang der Volkswirthſchaftspflege bedarf doch einiger Bemerkungen.
Adam Smith hatte ſein Princip der wirthſchaftlichen Freiheit in ächt engliſcher Weiſe aufgefaßt, als die einfache Negation des Staats und ſeiner Berechtigung in volkswirthſchaftlichen Dingen. Die erſte große Folge davon war, daß man von ihm aus die Nationalökonomie principiell von der übrigen Wiſſenſchaft ſcheiden, und ſie als eine ſelbſtändige Wiſſenſchaft behandeln lernte. Man kann, namentlich bei der gegenwärtig herrſchenden Verwirrung aller Begriffe auf dieſem Ge- biete, nicht oft und nachdrücklich genug darauf hinweiſen, daß bis zum Anfang unſeres Jahrhunderts überhaupt keine ſelbſtändige Na- tionalökonomie exiſtirt hat, ſondern daß ſie nur als begründendes Moment an der Volkswirthſchaftspflege vorkommt; ſelbſt Quesnay konnte ſie aus dieſer Verſchmelzung nicht herausreißen. Erſt jetzt beginnt man zu verſtehen, daß es eine Nationalökonomie gibt, und von da an fängt die eigentlich nationalökonomiſche Literatur an, ihre Stellung einzu- nehmen. Allein ſie ſteht beinahe ausſchließlich auf den Schultern von Adam Smith. Nun ließ ſich aber, trotz aller Macht dieſer Lehre, denn doch nicht ſo einfach das Daſein, die Nothwendigkeit, ja die Function des Staats und ſeiner Verwaltung nicht bloß in Recht und Verfaſſung, ſondern auch in der Volkswirthſchaft abweiſen. Die große, ſyſtematiſch ausgearbeitete ſtaatsrechtliche Literatur ſtand aufrecht da; die Rechts-
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Bevormundung auch in wirthſchaftlicher Hinſicht; er fordert
unbedingt an ihrer Stelle die freie Selbſtbeſtimmung des Einzelnen;
er erklärt geradezu, es ſei eine „impertinence and presumtion of the
Government, to watch over the industry of private people.“ Das
waren Gedanken, welche dem Engländer vollkommen geläufig waren;
dem Continente waren ſie neu, und mußten in jener Zeit als das
Evangelium der wirthſchaftlichen Freiheit der neuen ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaft begrüßt werden. Und die nächſte natürliche Folge war die,
daß diejenige Nationalökonomie, welche die Wahrheit dieſes Princips
durch die abſoluten Grundſätze der Güterlehre bewies, an und für ſich
als die wahre Nationalökonomie begrüßt wurde. Man nahm das wirth-
ſchaftliche Princip um der freiheitlichen Conſequenz willen und bewies
das freiheitliche Princip wieder durch die wirthſchaftlichen Conſequenzen
des Syſtems. Das Loſungswort der Nationalökonomie ward durch
Adam Smith die „Arbeit,“ das Loſungswort der geſammten Staats-
wiſſenſchaft dagegen die „Freiheit.“
Das iſt es nun, was der ganzen theoretiſchen Bewegung auf dieſen
beiden Gebieten in unſerem Jahrhundert ihre Geſtalt gegeben hat. Wir
überlaſſen dabei die nationalökonomiſche Seite der Geſchichte der Volks-
wirthſchaftslehre; aber der Gang der Volkswirthſchaftspflege bedarf doch
einiger Bemerkungen.
Adam Smith hatte ſein Princip der wirthſchaftlichen Freiheit in
ächt engliſcher Weiſe aufgefaßt, als die einfache Negation des Staats
und ſeiner Berechtigung in volkswirthſchaftlichen Dingen. Die erſte
große Folge davon war, daß man von ihm aus die Nationalökonomie
principiell von der übrigen Wiſſenſchaft ſcheiden, und ſie als eine
ſelbſtändige Wiſſenſchaft behandeln lernte. Man kann, namentlich bei
der gegenwärtig herrſchenden Verwirrung aller Begriffe auf dieſem Ge-
biete, nicht oft und nachdrücklich genug darauf hinweiſen, daß bis zum
Anfang unſeres Jahrhunderts überhaupt keine ſelbſtändige Na-
tionalökonomie exiſtirt hat, ſondern daß ſie nur als begründendes
Moment an der Volkswirthſchaftspflege vorkommt; ſelbſt Quesnay konnte
ſie aus dieſer Verſchmelzung nicht herausreißen. Erſt jetzt beginnt man
zu verſtehen, daß es eine Nationalökonomie gibt, und von da an fängt
die eigentlich nationalökonomiſche Literatur an, ihre Stellung einzu-
nehmen. Allein ſie ſteht beinahe ausſchließlich auf den Schultern von
Adam Smith. Nun ließ ſich aber, trotz aller Macht dieſer Lehre, denn
doch nicht ſo einfach das Daſein, die Nothwendigkeit, ja die Function
des Staats und ſeiner Verwaltung nicht bloß in Recht und Verfaſſung,
ſondern auch in der Volkswirthſchaft abweiſen. Die große, ſyſtematiſch
ausgearbeitete ſtaatsrechtliche Literatur ſtand aufrecht da; die Rechts-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/57>, abgerufen am 17.02.2025.
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