so waren dabei doch grobe Irrtümer unvermeidlich. Sie sagten leider oft andere Dinge, als sie nach meinen Wünschen sagen sollten, und kritisierten die Handlung, anstatt sie zu benennen. Sie dachten für sich und nicht für mich. Und bei diesen Bemühungen wirkte ihre Bereitwilligkeit, nachzuahmen, in hohem Grade störend. Ich glaubte, nichts sei einfacher als wenigstens diejenigen intransitiven Zeitwörter zu erhalten, die sich durch eindeutige Mimik meinerseits herausfordern liessen, ich brauchte ja nur zu niesen, husten, weinen, gähnen, schnarchen, nur aufzustehen, niederzusitzen, zu fallen u. s. w., um auch sofort mit den zugehörigen Wörtern belohnt zu werden. Aber sie klebten entweder an der Anschauung des Vorgangs selbst, meinten, ich wolle fortgehen, wenn ich aufstand, gähnten recht- schaffen mit, weil sie auch müde waren, oder amüsierten sich königlich über mein sonderbares Gethue und gaben sich daran, unter vielem Lachen ebenfalls zu niesen, zu husten, und zu schnarchen, ohne aber die erlösenden Wörter auszu- sprechen.
Am besten kam ich vorwärts, wenn ich ihnen das portugiesische Wort gab, und die Formel anwandte: der Karaibe sagt so, wie sagt der Bakairi? Hier stiess ich endlich fast immer auf Verständnis und Gegenliebe, denn sie waren versessen darauf, von meiner Sprache zu lernen.
Es betrübte sie sehr, dass sie mich nicht besser verstanden und, Hören und Verstehen verwechselnd, baten sie mich, sie zu kurieren: ich musste Speichel auf meinen Finger nehmen und ihnen damit den Gehöreingang einreiben. Ihre Auf- fassung des Portugiesischen war sogar mangelhafter als sie selbst ahnten. Sie haben kein f in ihrem Lautschatz und ersetzen es durch p: sagte ich fogo (Feuer), fumo (Tabak), so sprachen sie pogo, pumo aus. Aber sie hörten, richtiger apperzipirten das f auch als p, sie waren, soweit ich zu sehen vermochte, fest überzeugt, denselben Laut auszusprechen, den ich ihnen vorsagte. Denn ihr Verhalten war ganz anders, wenn ich ihnen z. B. ein zu langes Wort aufgab, sie plagten sich und verzweifelten daran, aber fogo, fumo, f . . . ., je nachdrücklicher und lauter ich es sagte, um so nachdrücklicher und lauter fielen sie auch ein: pogo, pumo, p . . . ., mit merklicher Entrüstung über meine Unzufriedenheit.
Ich musste mich begnügen, das Vokabular so viel als möglich zu vervoll- ständigen und die Sätze nach bestem Wissen zu deuten. Zu einem eigentlichen Uebersetzen, das den Feinheiten ihrer Sprache gerecht geworden wäre, kam ich nicht; was ich in dieser Beziehung in meinem Buch "Die Bakairi-Sprache" (Leipzig, K. F. Köhler, 1892), bringen konnte, verdanke ich Antonio. Ganz be- sonders eigentümlich berührte mich ihre Freude über den Reichtum ihres Wörter- vorrats. Sie bekundeten ein grosses Vergnügen, für jedes Ding auch ein Wort zu haben, als wenn der Name selbst eine Art Ding und Besitzgegenstand wäre. Dass die Zahl der Begriffe in erster Linie vom Interesse abhängt, lag klar zu Tage. Auf der einen Seite im Vergleich mit unsern Sprachen eine Fülle von Wörtern, wie bei den Tier- oder Verwandtennamen, auf der andern eine zunächst befremdende Armut: yelo heisst "Blitz" und "Donner", kkhopö Regen,
so waren dabei doch grobe Irrtümer unvermeidlich. Sie sagten leider oft andere Dinge, als sie nach meinen Wünschen sagen sollten, und kritisierten die Handlung, anstatt sie zu benennen. Sie dachten für sich und nicht für mich. Und bei diesen Bemühungen wirkte ihre Bereitwilligkeit, nachzuahmen, in hohem Grade störend. Ich glaubte, nichts sei einfacher als wenigstens diejenigen intransitiven Zeitwörter zu erhalten, die sich durch eindeutige Mimik meinerseits herausfordern liessen, ich brauchte ja nur zu niesen, husten, weinen, gähnen, schnarchen, nur aufzustehen, niederzusitzen, zu fallen u. s. w., um auch sofort mit den zugehörigen Wörtern belohnt zu werden. Aber sie klebten entweder an der Anschauung des Vorgangs selbst, meinten, ich wolle fortgehen, wenn ich aufstand, gähnten recht- schaffen mit, weil sie auch müde waren, oder amüsierten sich königlich über mein sonderbares Gethue und gaben sich daran, unter vielem Lachen ebenfalls zu niesen, zu husten, und zu schnarchen, ohne aber die erlösenden Wörter auszu- sprechen.
Am besten kam ich vorwärts, wenn ich ihnen das portugiesische Wort gab, und die Formel anwandte: der Karaibe sagt so, wie sagt der Bakaïrí? Hier stiess ich endlich fast immer auf Verständnis und Gegenliebe, denn sie waren versessen darauf, von meiner Sprache zu lernen.
Es betrübte sie sehr, dass sie mich nicht besser verstanden und, Hören und Verstehen verwechselnd, baten sie mich, sie zu kurieren: ich musste Speichel auf meinen Finger nehmen und ihnen damit den Gehöreingang einreiben. Ihre Auf- fassung des Portugiesischen war sogar mangelhafter als sie selbst ahnten. Sie haben kein f in ihrem Lautschatz und ersetzen es durch p: sagte ich fogo (Feuer), fumo (Tabak), so sprachen sie pogo, pumo aus. Aber sie hörten, richtiger apperzipirten das f auch als p, sie waren, soweit ich zu sehen vermochte, fest überzeugt, denselben Laut auszusprechen, den ich ihnen vorsagte. Denn ihr Verhalten war ganz anders, wenn ich ihnen z. B. ein zu langes Wort aufgab, sie plagten sich und verzweifelten daran, aber fogo, fumo, f . . . ., je nachdrücklicher und lauter ich es sagte, um so nachdrücklicher und lauter fielen sie auch ein: pogo, pumo, p . . . ., mit merklicher Entrüstung über meine Unzufriedenheit.
Ich musste mich begnügen, das Vokabular so viel als möglich zu vervoll- ständigen und die Sätze nach bestem Wissen zu deuten. Zu einem eigentlichen Uebersetzen, das den Feinheiten ihrer Sprache gerecht geworden wäre, kam ich nicht; was ich in dieser Beziehung in meinem Buch »Die Bakaïrí-Sprache« (Leipzig, K. F. Köhler, 1892), bringen konnte, verdanke ich Antonio. Ganz be- sonders eigentümlich berührte mich ihre Freude über den Reichtum ihres Wörter- vorrats. Sie bekundeten ein grosses Vergnügen, für jedes Ding auch ein Wort zu haben, als wenn der Name selbst eine Art Ding und Besitzgegenstand wäre. Dass die Zahl der Begriffe in erster Linie vom Interesse abhängt, lag klar zu Tage. Auf der einen Seite im Vergleich mit unsern Sprachen eine Fülle von Wörtern, wie bei den Tier- oder Verwandtennamen, auf der andern eine zunächst befremdende Armut: yélo heisst »Blitz« und »Donner«, kχópö Regen,
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anstatt sie zu benennen. Sie dachten für sich und nicht für mich. Und bei
diesen Bemühungen wirkte ihre Bereitwilligkeit, nachzuahmen, in hohem Grade
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Zeitwörter zu erhalten, die sich durch eindeutige Mimik meinerseits herausfordern
liessen, ich brauchte ja nur zu niesen, husten, weinen, gähnen, schnarchen, nur
aufzustehen, niederzusitzen, zu fallen u. s. w., um auch sofort mit den zugehörigen
Wörtern belohnt zu werden. Aber sie klebten entweder an der Anschauung des
Vorgangs selbst, meinten, ich wolle fortgehen, wenn ich aufstand, gähnten recht-
schaffen mit, weil sie auch müde waren, oder amüsierten sich königlich über mein
sonderbares Gethue und gaben sich daran, unter vielem Lachen ebenfalls zu
niesen, zu husten, und zu schnarchen, ohne aber die erlösenden Wörter auszu-
sprechen.
Am besten kam ich vorwärts, wenn ich ihnen das portugiesische Wort gab,
und die Formel anwandte: der Karaibe sagt so, wie sagt der Bakaïrí? Hier stiess
ich endlich fast immer auf Verständnis und Gegenliebe, denn sie waren versessen
darauf, von meiner Sprache zu lernen.
Es betrübte sie sehr, dass sie mich nicht besser verstanden und, Hören und
Verstehen verwechselnd, baten sie mich, sie zu kurieren: ich musste Speichel auf
meinen Finger nehmen und ihnen damit den Gehöreingang einreiben. Ihre Auf-
fassung des Portugiesischen war sogar mangelhafter als sie selbst ahnten. Sie
haben kein f in ihrem Lautschatz und ersetzen es durch p: sagte ich fogo
(Feuer), fumo (Tabak), so sprachen sie pogo, pumo aus. Aber sie hörten, richtiger
apperzipirten das f auch als p, sie waren, soweit ich zu sehen vermochte, fest
überzeugt, denselben Laut auszusprechen, den ich ihnen vorsagte. Denn ihr
Verhalten war ganz anders, wenn ich ihnen z. B. ein zu langes Wort aufgab, sie
plagten sich und verzweifelten daran, aber fogo, fumo, f . . . ., je nachdrücklicher
und lauter ich es sagte, um so nachdrücklicher und lauter fielen sie auch ein:
pogo, pumo, p . . . ., mit merklicher Entrüstung über meine Unzufriedenheit.
Ich musste mich begnügen, das Vokabular so viel als möglich zu vervoll-
ständigen und die Sätze nach bestem Wissen zu deuten. Zu einem eigentlichen
Uebersetzen, das den Feinheiten ihrer Sprache gerecht geworden wäre, kam ich
nicht; was ich in dieser Beziehung in meinem Buch »Die Bakaïrí-Sprache«
(Leipzig, K. F. Köhler, 1892), bringen konnte, verdanke ich Antonio. Ganz be-
sonders eigentümlich berührte mich ihre Freude über den Reichtum ihres Wörter-
vorrats. Sie bekundeten ein grosses Vergnügen, für jedes Ding auch ein Wort
zu haben, als wenn der Name selbst eine Art Ding und Besitzgegenstand
wäre. Dass die Zahl der Begriffe in erster Linie vom Interesse abhängt, lag
klar zu Tage. Auf der einen Seite im Vergleich mit unsern Sprachen eine Fülle
von Wörtern, wie bei den Tier- oder Verwandtennamen, auf der andern eine
zunächst befremdende Armut: yélo heisst »Blitz« und »Donner«, kχópö Regen,
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/110>, abgerufen am 27.11.2024.
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