Auf schmale Tafeln von geschwärzter Baumrinde waren Tüpfel, Ringe, lineare Muster und dazwischen ein paar Fischzeichnungen mit weissem Lehm aufgetragen. Zu unserm grössten Erstaunen galten auch Dreiecke und Vierecke als Abbildungen konkreter Vorlagen und waren eben noch keine "geometrische Figuren". Wilhelm zeichnete den ganzen Fries mit peinlicher Gewissenhaftigkeit ab, wie ihn die Tafeln 20 und 21 wiedergeben. Ich werde später die Erfahrungen bei den Bakairi mit den bei den übrigen Kulisehu-Stämmen zusammenstellen. Leider war es nicht möglich, die Originale heimzubringen. Der Lehm war so lose aufgetragen, dass er sofort abbröckelte, und so grobkörnig, dass er nicht, wie es bei den Masken gelang, durch Ueberstreichen mit Collodium festgehalten werden konnte.
Gegen Sonnenuntergang gingen wir, von Aramöke, der in seinem roten Halstuch stolzierte, geleitet, nach dem Lager, das nun an dem eigentlichen Hafen aufgeschlagen war, und trafen dort nach dem neuen Schiffbruch grosse "Trocken- wäsche". Auch war Antonios Ruder gebrochen.
Eine Anzahl Indianer standen und sassen auf dem Uferhang herum, als wir am 6. Oktober kurz nach 7 Uhr abfuhren. Joao Pedro hatte sich noch ein Halbdutzend frischer Beijus bestellt und wurde pünktlich in der Frühe wie vom zivilisierten Bäcker bedient.
Die kräftige Stromschnelle, "kuluri" von den Bakairi genannt, die wir bald ohne Fährlichkeiten durchschnitten, war die letzte des Kulisehu: "tukhu ale", die Steine sind "alle". Der Fluss ähnelte auf dieser Strecke wieder sehr dem Stück hinter der Independencia; viele gestürzte Bäume im Wasser, häufig hochgelegener Sandstrand oder auch steiles Lehmufer, die Strömung etwas beschleunigter. Der kleine Masarico trippelte mit seinen roten Beinchen eilfertig über den Sand uns entgegen, rief "geh weg, komm, komm" und flog eine Strecke voraus, um uns dort wieder zu erwarten. Die Windungen des Flusses waren sehr zahlreich, und die Fahrt wurde sterbenslangweilig. Dabei wurde das Sonnenlicht von dem hellen Sand grell reflektiert und das Wasser blitzte unerträglich. Um 23/4 Uhr kamen wir an einen rechten Nebenbach von etwa 8 m Breite vorüber, dem Pakuneru. Das ist derselbe Name, den der Paranatinga bei den Bakairi führt. An seinen Quellen -- weitweg ih . . . . -- sollen die kayakho, die Kayapo, wohnen; Tumayaua erklärte, dass er sie habe schreien hören. Es ist wahrscheinlich, dass von ihnen der Feuerschein herrührte, den wir wiederholt im Osten bemerkt hatten und der auf der Independencia regelmässig am Abend beobachtet worden war. Ein Stündchen später mündete links, etwa 12 m breit, der Kewayeli ein. An beiden Ufern Queimada und Pflanzung.
Tumayaua hatte als Begleiter Pakurali aus dem zweiten Dorf mitgenommen, einen untersetzten vierschrötigen Alten, dem man nicht ansah, dass er für einen grossen Zauberer galt, und der bei uns respektlos der "Droschkenkutscher" hiess. Sie hatten wenig Gepäck bei sich und bargen es leicht in den Mayakus, ihren Tragkiepen. Nicht Baumwollhängematten, sondern Hängematten aus Palmfaser, die leichter sind und rasch trocknen, wenn sie durchnässt werden, hatten sie
Auf schmale Tafeln von geschwärzter Baumrinde waren Tüpfel, Ringe, lineare Muster und dazwischen ein paar Fischzeichnungen mit weissem Lehm aufgetragen. Zu unserm grössten Erstaunen galten auch Dreiecke und Vierecke als Abbildungen konkreter Vorlagen und waren eben noch keine »geometrische Figuren«. Wilhelm zeichnete den ganzen Fries mit peinlicher Gewissenhaftigkeit ab, wie ihn die Tafeln 20 und 21 wiedergeben. Ich werde später die Erfahrungen bei den Bakaïrí mit den bei den übrigen Kulisehu-Stämmen zusammenstellen. Leider war es nicht möglich, die Originale heimzubringen. Der Lehm war so lose aufgetragen, dass er sofort abbröckelte, und so grobkörnig, dass er nicht, wie es bei den Masken gelang, durch Ueberstreichen mit Collodium festgehalten werden konnte.
Gegen Sonnenuntergang gingen wir, von Aramöke, der in seinem roten Halstuch stolzierte, geleitet, nach dem Lager, das nun an dem eigentlichen Hafen aufgeschlagen war, und trafen dort nach dem neuen Schiffbruch grosse »Trocken- wäsche«. Auch war Antonios Ruder gebrochen.
Eine Anzahl Indianer standen und sassen auf dem Uferhang herum, als wir am 6. Oktober kurz nach 7 Uhr abfuhren. João Pedro hatte sich noch ein Halbdutzend frischer Beijús bestellt und wurde pünktlich in der Frühe wie vom zivilisierten Bäcker bedient.
Die kräftige Stromschnelle, »kulúri« von den Bakaïrí genannt, die wir bald ohne Fährlichkeiten durchschnitten, war die letzte des Kulisehu: »túχu åle«, die Steine sind »alle«. Der Fluss ähnelte auf dieser Strecke wieder sehr dem Stück hinter der Independencia; viele gestürzte Bäume im Wasser, häufig hochgelegener Sandstrand oder auch steiles Lehmufer, die Strömung etwas beschleunigter. Der kleine Masarico trippelte mit seinen roten Beinchen eilfertig über den Sand uns entgegen, rief »geh weg, komm, komm« und flog eine Strecke voraus, um uns dort wieder zu erwarten. Die Windungen des Flusses waren sehr zahlreich, und die Fahrt wurde sterbenslangweilig. Dabei wurde das Sonnenlicht von dem hellen Sand grell reflektiert und das Wasser blitzte unerträglich. Um 2¾ Uhr kamen wir an einen rechten Nebenbach von etwa 8 m Breite vorüber, dem Pakuneru. Das ist derselbe Name, den der Paranatinga bei den Bakaïrí führt. An seinen Quellen — weitweg ih . . . . — sollen die kayáχo, die Kayapó, wohnen; Tumayaua erklärte, dass er sie habe schreien hören. Es ist wahrscheinlich, dass von ihnen der Feuerschein herrührte, den wir wiederholt im Osten bemerkt hatten und der auf der Independencia regelmässig am Abend beobachtet worden war. Ein Stündchen später mündete links, etwa 12 m breit, der Kewayeli ein. An beiden Ufern Queimada und Pflanzung.
Tumayaua hatte als Begleiter Pakurali aus dem zweiten Dorf mitgenommen, einen untersetzten vierschrötigen Alten, dem man nicht ansah, dass er für einen grossen Zauberer galt, und der bei uns respektlos der »Droschkenkutscher« hiess. Sie hatten wenig Gepäck bei sich und bargen es leicht in den Mayakus, ihren Tragkiepen. Nicht Baumwollhängematten, sondern Hängematten aus Palmfaser, die leichter sind und rasch trocknen, wenn sie durchnässt werden, hatten sie
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Auf schmale Tafeln von geschwärzter Baumrinde waren Tüpfel, Ringe, lineare
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Zu unserm grössten Erstaunen galten auch Dreiecke und Vierecke als Abbildungen
konkreter Vorlagen und waren eben noch keine »geometrische Figuren«. Wilhelm
zeichnete den ganzen Fries mit peinlicher Gewissenhaftigkeit ab, wie ihn die
Tafeln 20 und 21 wiedergeben. Ich werde später die Erfahrungen bei den Bakaïrí
mit den bei den übrigen Kulisehu-Stämmen zusammenstellen. Leider war es nicht
möglich, die Originale heimzubringen. Der Lehm war so lose aufgetragen, dass
er sofort abbröckelte, und so grobkörnig, dass er nicht, wie es bei den Masken
gelang, durch Ueberstreichen mit Collodium festgehalten werden konnte.
Gegen Sonnenuntergang gingen wir, von Aramöke, der in seinem roten
Halstuch stolzierte, geleitet, nach dem Lager, das nun an dem eigentlichen Hafen
aufgeschlagen war, und trafen dort nach dem neuen Schiffbruch grosse »Trocken-
wäsche«. Auch war Antonios Ruder gebrochen.
Eine Anzahl Indianer standen und sassen auf dem Uferhang herum, als wir
am 6. Oktober kurz nach 7 Uhr abfuhren. João Pedro hatte sich noch ein
Halbdutzend frischer Beijús bestellt und wurde pünktlich in der Frühe wie vom
zivilisierten Bäcker bedient.
Die kräftige Stromschnelle, »kulúri« von den Bakaïrí genannt, die wir bald
ohne Fährlichkeiten durchschnitten, war die letzte des Kulisehu: »túχu åle«, die
Steine sind »alle«. Der Fluss ähnelte auf dieser Strecke wieder sehr dem Stück
hinter der Independencia; viele gestürzte Bäume im Wasser, häufig hochgelegener
Sandstrand oder auch steiles Lehmufer, die Strömung etwas beschleunigter. Der
kleine Masarico trippelte mit seinen roten Beinchen eilfertig über den Sand uns
entgegen, rief »geh weg, komm, komm« und flog eine Strecke voraus, um uns
dort wieder zu erwarten. Die Windungen des Flusses waren sehr zahlreich, und
die Fahrt wurde sterbenslangweilig. Dabei wurde das Sonnenlicht von dem hellen
Sand grell reflektiert und das Wasser blitzte unerträglich. Um 2¾ Uhr kamen
wir an einen rechten Nebenbach von etwa 8 m Breite vorüber, dem Pakuneru.
Das ist derselbe Name, den der Paranatinga bei den Bakaïrí führt. An seinen
Quellen — weitweg ih . . . . — sollen die kayáχo, die Kayapó, wohnen; Tumayaua
erklärte, dass er sie habe schreien hören. Es ist wahrscheinlich, dass von ihnen
der Feuerschein herrührte, den wir wiederholt im Osten bemerkt hatten und der
auf der Independencia regelmässig am Abend beobachtet worden war. Ein
Stündchen später mündete links, etwa 12 m breit, der Kewayeli ein. An beiden
Ufern Queimada und Pflanzung.
Tumayaua hatte als Begleiter Pakurali aus dem zweiten Dorf mitgenommen,
einen untersetzten vierschrötigen Alten, dem man nicht ansah, dass er für einen
grossen Zauberer galt, und der bei uns respektlos der »Droschkenkutscher« hiess. Sie
hatten wenig Gepäck bei sich und bargen es leicht in den Mayakus, ihren
Tragkiepen. Nicht Baumwollhängematten, sondern Hängematten aus Palmfaser,
die leichter sind und rasch trocknen, wenn sie durchnässt werden, hatten sie
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/121>, abgerufen am 27.11.2024.
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