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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Pause an einem fischreichen Orte; die Piranyas bissen so schnell zu, dass man die
Angel nur auszuwerfen brauchte und sie auch schon daran festhingen; ein grosser,
1 m langer Bagadu, den Antonio mit Leguanköder fing, zog den glücklichen
Fischer zu unserm Vergnügen bis in die Mitte des Flusses. Mehrere Angeln
wurden von den Piranyas abgebissen. Die Indianer lösten nach einiger Unter-
suchung sorgfältig den Unterkiefer aus, den sie zum Durchschneiden von Fäden
und auch zum Haarschneiden verwenden.

Wilhelm und ich, deren Boot wie gewöhnlich mit dem Tumayaua's den
anderen voraus war, trafen zuerst am eigentlichen Hafen ein und überraschten
dort drei Individuen, die nicht wenig erschreckt schienen. Es war ein hübscher
strammer Junge von etwa 18 Jahren, das Urbild der Crevaux'schen Rukuyenn
in Guyana, den Tumayaua als pima imeri, den Sohn eines Häuptlings, bezeichnete,
ein kleiner Knabe und als dritter ein junger Mehinaku.

Durch Tumayaua freundlich getröstet und beruhigt, lachte der kleine Häupt-
ling, zitterte aber am ganzen Leibe. Er hatte ein breites Baumwollbündel um
den Leib geschlungen und auch eine Unwickelung über den Waden. Den Hals
zierten zwei schöne Muschelketten. Ihre Tragkörbe waren mit Flussmuscheln
gefüllt. Bald eilten sie freudig erregt davon. "Kura karaiba", der Karaibe ist
gut, war ihnen hundertmal gesagt worden -- und Tumayaua rief ihnen noch
lange nach, sie sollten für reichlich Püserego sorgen. Den andern Morgen brachen
wir früh auf; nachdem wir ein Stückchen Campo cerrado passiert hatten, kamen
wir in den Wald. Es war grösstenteils Capoeira, junger Buschwald, der in früher
bepflanztem Terrain nachwächst. An den Bäumen bemerkten wir eine grosse
Zahl von plump eingeschnitzten menschlichen Figuren -- mehr als wir irgendwo
anders gesehen haben. Dieselben zeichneten sich durch gewaltige eselohrartige,
aber schmale Verlängerungen aus, die uns als Ohrfedern gedeutet wurden. Gegen
Ende des Weges fanden wir eine schöne Pflanzung von Piki-Bäumen (Caryocar brasi-
liensis); sie haben runde Früchte von der Form und dem Umfang recht grosser
Aepfel mit grüner Schale, buttergelbem Inhalt und dicken Kernen.

Nach zwei Stunden erreichten wir das Dorf, es lag in Totenstille. Unser
Zug betrat den Festplatz. Ein Kranz von zwölf nahe zusammenstehenden Häusern
und ein schönes Flötenhaus; lange Sitzbalken lagen zu unsern Füssen. Keine
Menschenseele begrüsste uns; nur in den Eingängen der schweigenden Bienen-
körbe liessen sich einige dunkele Gestalten unbestimmt unterscheiden. Tumayaua
rief, eifrig mit Bogen und Pfeil gestikulierend, in die Lüfte hinaus; unsere lange
Reihe harrte stummvergnügt der kommenden Ereignisse, dann fingen auch wir
an zu schreien, dass wir gut seien, und plötzlich sahen wir uns von einigen
vierzig Männern dicht umringt.

Mit Ausbrüchen der Freude, die einen verzweifelten Anstrich grosser Angst
nicht verbergen konnte, liessen sie uns einen neben dem anderen auf den dünnen
Sitzbalken niederhocken und schleppten Beijus und mächtige Kürbisschalen die
Hülle und Fülle herbei. Die Beijus thürmten sich in erschreckender Höhe auf;

Pause an einem fischreichen Orte; die Piranyas bissen so schnell zu, dass man die
Angel nur auszuwerfen brauchte und sie auch schon daran festhingen; ein grosser,
1 m langer Bagadú, den Antonio mit Leguanköder fing, zog den glücklichen
Fischer zu unserm Vergnügen bis in die Mitte des Flusses. Mehrere Angeln
wurden von den Piranyas abgebissen. Die Indianer lösten nach einiger Unter-
suchung sorgfältig den Unterkiefer aus, den sie zum Durchschneiden von Fäden
und auch zum Haarschneiden verwenden.

Wilhelm und ich, deren Boot wie gewöhnlich mit dem Tumayaua’s den
anderen voraus war, trafen zuerst am eigentlichen Hafen ein und überraschten
dort drei Individuen, die nicht wenig erschreckt schienen. Es war ein hübscher
strammer Junge von etwa 18 Jahren, das Urbild der Crevaux’schen Rukuyenn
in Guyana, den Tumayaua als píma iméri, den Sohn eines Häuptlings, bezeichnete,
ein kleiner Knabe und als dritter ein junger Mehinakú.

Durch Tumayaua freundlich getröstet und beruhigt, lachte der kleine Häupt-
ling, zitterte aber am ganzen Leibe. Er hatte ein breites Baumwollbündel um
den Leib geschlungen und auch eine Unwickelung über den Waden. Den Hals
zierten zwei schöne Muschelketten. Ihre Tragkörbe waren mit Flussmuscheln
gefüllt. Bald eilten sie freudig erregt davon. »Kúra karáiba«, der Karaibe ist
gut, war ihnen hundertmal gesagt worden — und Tumayaua rief ihnen noch
lange nach, sie sollten für reichlich Püserego sorgen. Den andern Morgen brachen
wir früh auf; nachdem wir ein Stückchen Campo cerrado passiert hatten, kamen
wir in den Wald. Es war grösstenteils Capoeira, junger Buschwald, der in früher
bepflanztem Terrain nachwächst. An den Bäumen bemerkten wir eine grosse
Zahl von plump eingeschnitzten menschlichen Figuren — mehr als wir irgendwo
anders gesehen haben. Dieselben zeichneten sich durch gewaltige eselohrartige,
aber schmale Verlängerungen aus, die uns als Ohrfedern gedeutet wurden. Gegen
Ende des Weges fanden wir eine schöne Pflanzung von Pikí-Bäumen (Caryocar brasi-
liensis); sie haben runde Früchte von der Form und dem Umfang recht grosser
Aepfel mit grüner Schale, buttergelbem Inhalt und dicken Kernen.

Nach zwei Stunden erreichten wir das Dorf, es lag in Totenstille. Unser
Zug betrat den Festplatz. Ein Kranz von zwölf nahe zusammenstehenden Häusern
und ein schönes Flötenhaus; lange Sitzbalken lagen zu unsern Füssen. Keine
Menschenseele begrüsste uns; nur in den Eingängen der schweigenden Bienen-
körbe liessen sich einige dunkele Gestalten unbestimmt unterscheiden. Tumayaua
rief, eifrig mit Bogen und Pfeil gestikulierend, in die Lüfte hinaus; unsere lange
Reihe harrte stummvergnügt der kommenden Ereignisse, dann fingen auch wir
an zu schreien, dass wir gut seien, und plötzlich sahen wir uns von einigen
vierzig Männern dicht umringt.

Mit Ausbrüchen der Freude, die einen verzweifelten Anstrich grosser Angst
nicht verbergen konnte, liessen sie uns einen neben dem anderen auf den dünnen
Sitzbalken niederhocken und schleppten Beijús und mächtige Kürbisschalen die
Hülle und Fülle herbei. Die Beijús thürmten sich in erschreckender Höhe auf;

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[96/0126] Pause an einem fischreichen Orte; die Piranyas bissen so schnell zu, dass man die Angel nur auszuwerfen brauchte und sie auch schon daran festhingen; ein grosser, 1 m langer Bagadú, den Antonio mit Leguanköder fing, zog den glücklichen Fischer zu unserm Vergnügen bis in die Mitte des Flusses. Mehrere Angeln wurden von den Piranyas abgebissen. Die Indianer lösten nach einiger Unter- suchung sorgfältig den Unterkiefer aus, den sie zum Durchschneiden von Fäden und auch zum Haarschneiden verwenden. Wilhelm und ich, deren Boot wie gewöhnlich mit dem Tumayaua’s den anderen voraus war, trafen zuerst am eigentlichen Hafen ein und überraschten dort drei Individuen, die nicht wenig erschreckt schienen. Es war ein hübscher strammer Junge von etwa 18 Jahren, das Urbild der Crevaux’schen Rukuyenn in Guyana, den Tumayaua als píma iméri, den Sohn eines Häuptlings, bezeichnete, ein kleiner Knabe und als dritter ein junger Mehinakú. Durch Tumayaua freundlich getröstet und beruhigt, lachte der kleine Häupt- ling, zitterte aber am ganzen Leibe. Er hatte ein breites Baumwollbündel um den Leib geschlungen und auch eine Unwickelung über den Waden. Den Hals zierten zwei schöne Muschelketten. Ihre Tragkörbe waren mit Flussmuscheln gefüllt. Bald eilten sie freudig erregt davon. »Kúra karáiba«, der Karaibe ist gut, war ihnen hundertmal gesagt worden — und Tumayaua rief ihnen noch lange nach, sie sollten für reichlich Püserego sorgen. Den andern Morgen brachen wir früh auf; nachdem wir ein Stückchen Campo cerrado passiert hatten, kamen wir in den Wald. Es war grösstenteils Capoeira, junger Buschwald, der in früher bepflanztem Terrain nachwächst. An den Bäumen bemerkten wir eine grosse Zahl von plump eingeschnitzten menschlichen Figuren — mehr als wir irgendwo anders gesehen haben. Dieselben zeichneten sich durch gewaltige eselohrartige, aber schmale Verlängerungen aus, die uns als Ohrfedern gedeutet wurden. Gegen Ende des Weges fanden wir eine schöne Pflanzung von Pikí-Bäumen (Caryocar brasi- liensis); sie haben runde Früchte von der Form und dem Umfang recht grosser Aepfel mit grüner Schale, buttergelbem Inhalt und dicken Kernen. Nach zwei Stunden erreichten wir das Dorf, es lag in Totenstille. Unser Zug betrat den Festplatz. Ein Kranz von zwölf nahe zusammenstehenden Häusern und ein schönes Flötenhaus; lange Sitzbalken lagen zu unsern Füssen. Keine Menschenseele begrüsste uns; nur in den Eingängen der schweigenden Bienen- körbe liessen sich einige dunkele Gestalten unbestimmt unterscheiden. Tumayaua rief, eifrig mit Bogen und Pfeil gestikulierend, in die Lüfte hinaus; unsere lange Reihe harrte stummvergnügt der kommenden Ereignisse, dann fingen auch wir an zu schreien, dass wir gut seien, und plötzlich sahen wir uns von einigen vierzig Männern dicht umringt. Mit Ausbrüchen der Freude, die einen verzweifelten Anstrich grosser Angst nicht verbergen konnte, liessen sie uns einen neben dem anderen auf den dünnen Sitzbalken niederhocken und schleppten Beijús und mächtige Kürbisschalen die Hülle und Fülle herbei. Die Beijús thürmten sich in erschreckender Höhe auf;

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/126>, abgerufen am 27.11.2024.