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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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bekommen. Das wenige Mandiokamehl, das ich bemerke, ist durch und durch
rot verschimmelt. Sie rösten Bakayuva-Nüsse, und ich entdecke nur einen einzigen
abgeknabberten Maiskolben. Auf hölzernen Gestellen werden vor den Hütten
Fische gebraten, selbst dies nur kleine elende Tiere: es ist ein unheimlicher Ge-
danke, dass davon mehrere Personen satt werden sollen.

Später am Abend kam ein Mann, Namens Moritona, der mit seiner
kräftigen Stimme und seinem frischen Auftreten wieder etwas Leben in die Gesell-
schaft brachte; er hatte einen schwarzen Streifen mitten durch das Gesicht gemalt.
Mit Stolz nannte er sofort seinen Namen, er sei ein grosser Zauberarzt, "yatoma
Moritona Mehinaku
", erklärte er, "Moritona Kamayura, Moritona Auetö, Moritona
Trumai
" -- bei allen Stämmen war Moritona als Arzt willkommen und, wo Einer
krank war, blies er das Leiden weg. Er malte das mit einer Kraft der Ueber-
zeugung aus, dass man die Krankheiten vor seinem Hauch wie Nebel ver-
schwinden sah. Wir hatten uns eine Tafel Erbsensuppe gekocht: mit dem Rest
rieb sich der edle Moritona die Brust ein und fragte mich treuherzig, ob das gut
thue. Zu unserem Abendessen hatten uns die Yaulapiti nur Wasser liefern und
einen Topf und zwei Kuyen leihen können. Und trotz ihrer Armut lag ihnen
viel mehr an Perlen als an Messern.

Am anderen Morgen wurde ich aus der Hütte herausgerufen, es sei wieder
ein Häuptling da, den ich begrüssen müsse. Auch hatte die Anzahl der Leute
zugenommen. Sie waren, wie ich später erst verstand, aus einem zweiten
Yaulapitidorf, von dem ich damals noch nichts wusste, herübergekommen. In die
Mitte des Platzes, neben eine umzäunte Grabstätte, hatte man einen Schemel
hingestellt. Viel Volks ringsum. Wir warteten. Der mir bekannte Häuptling
sass links von mir ein wenig entfernt und rauchte; damit mir die Zeit nicht zu
lang wurde, folgte ich seinem Beispiel. Das war offenbar unrichtig, denn die den
endlich herankommenden Häuptling führende Frau stiess einen Laut der Unzu-
friedenheit aus. Der alte Mapukayaka war blind, die Augen getrübt. Er setzte
sich mir gegenüber und die bekannte Unterhaltung nahm ihren Verlauf. Er schilderte
die Armut seines Stammes und drückte sich seufzend zur besseren Deutlichkeit
die Hand auf den leeren Bauch. Wir hätten den Bakairi so viel gegeben --
diese Wendung kehrt immer wieder -- ich müsste auch ihn beschenken. Gerührt
ging ich, ihm einen blanken Löffel holen. Was unter den Umstehenden freudige
Anerkennung erweckte. Der alte Häuptling betastete mich und jammerte über seine
Blindheit mit solchem Anstand, dass er mir wirklich herzlich leid that. Er rieb seine
Hand über meine Hand und darauf über seine Augen; er machte es ebenso mit dem
Arm. Er wies auf den Begräbnisort hin, wo sein Sohn oder Enkel liege. Er er-
zählte, dass die Yaulapiti früher viel stärker gewesen, durch die Manitsaua aber be-
drängt worden seien; kurz er hatte nur von dunkeln Seiten des Lebens zu berichten
und versetzte mich in eine ganz melancholische Stimmung. Die Manitsaua seien
dann ihrerseits wieder von den Suya bezwungen worden, wie wir denn 1884 bei
den Suya eine Anzahl gefangener Manitsaua angetroffen haben. Zum ersten

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 8

bekommen. Das wenige Mandiokamehl, das ich bemerke, ist durch und durch
rot verschimmelt. Sie rösten Bakayuva-Nüsse, und ich entdecke nur einen einzigen
abgeknabberten Maiskolben. Auf hölzernen Gestellen werden vor den Hütten
Fische gebraten, selbst dies nur kleine elende Tiere: es ist ein unheimlicher Ge-
danke, dass davon mehrere Personen satt werden sollen.

Später am Abend kam ein Mann, Namens Moritona, der mit seiner
kräftigen Stimme und seinem frischen Auftreten wieder etwas Leben in die Gesell-
schaft brachte; er hatte einen schwarzen Streifen mitten durch das Gesicht gemalt.
Mit Stolz nannte er sofort seinen Namen, er sei ein grosser Zauberarzt, „yatóma
Moritona Mehinakú
“, erklärte er, „Moritona Kamayurá, Moritona Auetö́, Moritona
Trumaí
“ — bei allen Stämmen war Moritona als Arzt willkommen und, wo Einer
krank war, blies er das Leiden weg. Er malte das mit einer Kraft der Ueber-
zeugung aus, dass man die Krankheiten vor seinem Hauch wie Nebel ver-
schwinden sah. Wir hatten uns eine Tafel Erbsensuppe gekocht: mit dem Rest
rieb sich der edle Moritona die Brust ein und fragte mich treuherzig, ob das gut
thue. Zu unserem Abendessen hatten uns die Yaulapiti nur Wasser liefern und
einen Topf und zwei Kuyen leihen können. Und trotz ihrer Armut lag ihnen
viel mehr an Perlen als an Messern.

Am anderen Morgen wurde ich aus der Hütte herausgerufen, es sei wieder
ein Häuptling da, den ich begrüssen müsse. Auch hatte die Anzahl der Leute
zugenommen. Sie waren, wie ich später erst verstand, aus einem zweiten
Yaulapitidorf, von dem ich damals noch nichts wusste, herübergekommen. In die
Mitte des Platzes, neben eine umzäunte Grabstätte, hatte man einen Schemel
hingestellt. Viel Volks ringsum. Wir warteten. Der mir bekannte Häuptling
sass links von mir ein wenig entfernt und rauchte; damit mir die Zeit nicht zu
lang wurde, folgte ich seinem Beispiel. Das war offenbar unrichtig, denn die den
endlich herankommenden Häuptling führende Frau stiess einen Laut der Unzu-
friedenheit aus. Der alte Mapukáyaka war blind, die Augen getrübt. Er setzte
sich mir gegenüber und die bekannte Unterhaltung nahm ihren Verlauf. Er schilderte
die Armut seines Stammes und drückte sich seufzend zur besseren Deutlichkeit
die Hand auf den leeren Bauch. Wir hätten den Bakaïrí so viel gegeben —
diese Wendung kehrt immer wieder — ich müsste auch ihn beschenken. Gerührt
ging ich, ihm einen blanken Löffel holen. Was unter den Umstehenden freudige
Anerkennung erweckte. Der alte Häuptling betastete mich und jammerte über seine
Blindheit mit solchem Anstand, dass er mir wirklich herzlich leid that. Er rieb seine
Hand über meine Hand und darauf über seine Augen; er machte es ebenso mit dem
Arm. Er wies auf den Begräbnisort hin, wo sein Sohn oder Enkel liege. Er er-
zählte, dass die Yaulapiti früher viel stärker gewesen, durch die Manitsauá aber be-
drängt worden seien; kurz er hatte nur von dunkeln Seiten des Lebens zu berichten
und versetzte mich in eine ganz melancholische Stimmung. Die Manitsauá seien
dann ihrerseits wieder von den Suyá bezwungen worden, wie wir denn 1884 bei
den Suyá eine Anzahl gefangener Manitsauá angetroffen haben. Zum ersten

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[113/0147] bekommen. Das wenige Mandiokamehl, das ich bemerke, ist durch und durch rot verschimmelt. Sie rösten Bakayuva-Nüsse, und ich entdecke nur einen einzigen abgeknabberten Maiskolben. Auf hölzernen Gestellen werden vor den Hütten Fische gebraten, selbst dies nur kleine elende Tiere: es ist ein unheimlicher Ge- danke, dass davon mehrere Personen satt werden sollen. Später am Abend kam ein Mann, Namens Moritona, der mit seiner kräftigen Stimme und seinem frischen Auftreten wieder etwas Leben in die Gesell- schaft brachte; er hatte einen schwarzen Streifen mitten durch das Gesicht gemalt. Mit Stolz nannte er sofort seinen Namen, er sei ein grosser Zauberarzt, „yatóma Moritona Mehinakú“, erklärte er, „Moritona Kamayurá, Moritona Auetö́, Moritona Trumaí“ — bei allen Stämmen war Moritona als Arzt willkommen und, wo Einer krank war, blies er das Leiden weg. Er malte das mit einer Kraft der Ueber- zeugung aus, dass man die Krankheiten vor seinem Hauch wie Nebel ver- schwinden sah. Wir hatten uns eine Tafel Erbsensuppe gekocht: mit dem Rest rieb sich der edle Moritona die Brust ein und fragte mich treuherzig, ob das gut thue. Zu unserem Abendessen hatten uns die Yaulapiti nur Wasser liefern und einen Topf und zwei Kuyen leihen können. Und trotz ihrer Armut lag ihnen viel mehr an Perlen als an Messern. Am anderen Morgen wurde ich aus der Hütte herausgerufen, es sei wieder ein Häuptling da, den ich begrüssen müsse. Auch hatte die Anzahl der Leute zugenommen. Sie waren, wie ich später erst verstand, aus einem zweiten Yaulapitidorf, von dem ich damals noch nichts wusste, herübergekommen. In die Mitte des Platzes, neben eine umzäunte Grabstätte, hatte man einen Schemel hingestellt. Viel Volks ringsum. Wir warteten. Der mir bekannte Häuptling sass links von mir ein wenig entfernt und rauchte; damit mir die Zeit nicht zu lang wurde, folgte ich seinem Beispiel. Das war offenbar unrichtig, denn die den endlich herankommenden Häuptling führende Frau stiess einen Laut der Unzu- friedenheit aus. Der alte Mapukáyaka war blind, die Augen getrübt. Er setzte sich mir gegenüber und die bekannte Unterhaltung nahm ihren Verlauf. Er schilderte die Armut seines Stammes und drückte sich seufzend zur besseren Deutlichkeit die Hand auf den leeren Bauch. Wir hätten den Bakaïrí so viel gegeben — diese Wendung kehrt immer wieder — ich müsste auch ihn beschenken. Gerührt ging ich, ihm einen blanken Löffel holen. Was unter den Umstehenden freudige Anerkennung erweckte. Der alte Häuptling betastete mich und jammerte über seine Blindheit mit solchem Anstand, dass er mir wirklich herzlich leid that. Er rieb seine Hand über meine Hand und darauf über seine Augen; er machte es ebenso mit dem Arm. Er wies auf den Begräbnisort hin, wo sein Sohn oder Enkel liege. Er er- zählte, dass die Yaulapiti früher viel stärker gewesen, durch die Manitsauá aber be- drängt worden seien; kurz er hatte nur von dunkeln Seiten des Lebens zu berichten und versetzte mich in eine ganz melancholische Stimmung. Die Manitsauá seien dann ihrerseits wieder von den Suyá bezwungen worden, wie wir denn 1884 bei den Suyá eine Anzahl gefangener Manitsauá angetroffen haben. Zum ersten v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 8

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/147>, abgerufen am 09.11.2024.