Baumwurzeln aufsass. Dies war die Zufluchtsstätte der Weiber, wenn sie aus Angst vor dem Besuch der Fremden weglaufen. Hier allerdings hätten wir sie, wenn wir selbst gewollt hätten, niemals finden können.
Der Kanal war stellenweise so schmal und so versperrt, dass wir uns nur mühsam hindurchschoben. Auf den Seitenkanälen, bedeutete mich der Yaulapiti, konnte man links zu den Mehinaku und rechts zu den Trumai gelangen.
Es passte schlecht in das Bild der Sumpflandschaft, so angenehm ich den Mangel auch empfand, dass uns gar keine Moskitos und Schnaken belästigten. Unser Führer schaute eifrig nach Fischen aus und suchte sie mit dem Pfeil, der eine lange Knochenspitze trug, aufzuspiessen, wobei er eintauchend häufig die Strahlenbrechung im Wasser mass: er spiesste jedoch nur eine kleine Trahira. Gern stiess er das Kanu mit dem Bogen weiter.
Nach fünfviertel Stunde Fahrt waren wir am Ende des Auetö-Kanals. Dort liessen wir das Kanu liegen und traten auf festes Land. Die Auetö hatten hier eine Pflanzung und bearbeiteten dieselbe offenbar, indem sie tagelang draussen blieben. Wir fanden etwa ein Dutzend Schutzhütten, mehrere Feuerstellen und eine Anzahl grosser und kleiner Töpfe. Wir gingen dann eine Stunde durch offene idyllische Buschgegend auf einem etwas schlangenförmig gewundenen Pfad über Land und erreichten wieder einen sehr schmalen sumpfigen Kanal. Hier mussten wir, im Sumpfe sitzend, längere Zeit warten, während unser Yaulapiti den Kanal ein Stück entlang gegangen war und den lauthallenden Ruf nach einem Kanu ertönen liess. Endlich kam eins herbei, erschien in unserem Kanal und brachte uns nach wenigen Augenblicken in eine schöne Lagune, deren reines Wasser den Augen wohlthat. Das Ufer war ringsum mit Buritipalmen bestanden; wir durchkreuzten den See und erreichten in einer halben Stunde das Yaulapitidorf.
Ein kurzer Weg führte zu den Häusern hinauf; es waren ihrer sechs und mehrere stark verfallen. Kein Flötenhaus war vorhanden, man brachte uns in eine leere Hütte und holte für Antonio und mich je einen Schemel herbei. Ein merkwürdiger Empfang. Nach langer Zeit erst humpelte am Stock der Häuptling herbei und blieb eine Weile, hinter mir rauchend, sitzen. Allmählich kam er aber näher, rückte mir gegenüber und begann die Unterhaltung. Er: ich bin ein Yaulapiti. Ich: ich bin ein Karaibe. Er: ich bin gut, Yaulapiti sind gut. Ich: ich bin gut, die Karaiben sind gut. Er: ich bin ein Yatoma (Zauber- arzt). Ich: ich bin ein Yatoma. Dann liess er eine Schale stickig schmeckenden, ungeniessbaren Mandiokagetränkes bringen, erhielt sein Messer und gab mir eine Zigarre.
Es ist erstaunlich, welche Unterschiede es sogar bei diesen Naturvölkern zwischen Arm und Reich giebt. Die Leute haben nichts vor mir geflüchtet, man erkennt sofort, dass sie eben nichts mehr besitzen als das Notdürftigste, dass hier nicht ausgeräumt ist wie bei den Nahuqua, sondern wirklicher Mangel herrscht. Ich kann mich nicht dazu entschliessen, den einzigen vorhandenen Beiju anzunehmen, und gebe gern Perlen, auch ohne dies trostlose Exemplar zu
Baumwurzeln aufsass. Dies war die Zufluchtsstätte der Weiber, wenn sie aus Angst vor dem Besuch der Fremden weglaufen. Hier allerdings hätten wir sie, wenn wir selbst gewollt hätten, niemals finden können.
Der Kanal war stellenweise so schmal und so versperrt, dass wir uns nur mühsam hindurchschoben. Auf den Seitenkanälen, bedeutete mich der Yaulapiti, konnte man links zu den Mehinakú und rechts zu den Trumaí gelangen.
Es passte schlecht in das Bild der Sumpflandschaft, so angenehm ich den Mangel auch empfand, dass uns gar keine Moskitos und Schnaken belästigten. Unser Führer schaute eifrig nach Fischen aus und suchte sie mit dem Pfeil, der eine lange Knochenspitze trug, aufzuspiessen, wobei er eintauchend häufig die Strahlenbrechung im Wasser mass: er spiesste jedoch nur eine kleine Trahira. Gern stiess er das Kanu mit dem Bogen weiter.
Nach fünfviertel Stunde Fahrt waren wir am Ende des Auetö́-Kanals. Dort liessen wir das Kanu liegen und traten auf festes Land. Die Auetö́ hatten hier eine Pflanzung und bearbeiteten dieselbe offenbar, indem sie tagelang draussen blieben. Wir fanden etwa ein Dutzend Schutzhütten, mehrere Feuerstellen und eine Anzahl grosser und kleiner Töpfe. Wir gingen dann eine Stunde durch offene idyllische Buschgegend auf einem etwas schlangenförmig gewundenen Pfad über Land und erreichten wieder einen sehr schmalen sumpfigen Kanal. Hier mussten wir, im Sumpfe sitzend, längere Zeit warten, während unser Yaulapiti den Kanal ein Stück entlang gegangen war und den lauthallenden Ruf nach einem Kanu ertönen liess. Endlich kam eins herbei, erschien in unserem Kanal und brachte uns nach wenigen Augenblicken in eine schöne Lagune, deren reines Wasser den Augen wohlthat. Das Ufer war ringsum mit Buritípalmen bestanden; wir durchkreuzten den See und erreichten in einer halben Stunde das Yaulapitidorf.
Ein kurzer Weg führte zu den Häusern hinauf; es waren ihrer sechs und mehrere stark verfallen. Kein Flötenhaus war vorhanden, man brachte uns in eine leere Hütte und holte für Antonio und mich je einen Schemel herbei. Ein merkwürdiger Empfang. Nach langer Zeit erst humpelte am Stock der Häuptling herbei und blieb eine Weile, hinter mir rauchend, sitzen. Allmählich kam er aber näher, rückte mir gegenüber und begann die Unterhaltung. Er: ich bin ein Yaulapiti. Ich: ich bin ein Karaibe. Er: ich bin gut, Yaulapiti sind gut. Ich: ich bin gut, die Karaiben sind gut. Er: ich bin ein Yatoma (Zauber- arzt). Ich: ich bin ein Yatoma. Dann liess er eine Schale stickig schmeckenden, ungeniessbaren Mandiokagetränkes bringen, erhielt sein Messer und gab mir eine Zigarre.
Es ist erstaunlich, welche Unterschiede es sogar bei diesen Naturvölkern zwischen Arm und Reich giebt. Die Leute haben nichts vor mir geflüchtet, man erkennt sofort, dass sie eben nichts mehr besitzen als das Notdürftigste, dass hier nicht ausgeräumt ist wie bei den Nahuquá, sondern wirklicher Mangel herrscht. Ich kann mich nicht dazu entschliessen, den einzigen vorhandenen Beijú anzunehmen, und gebe gern Perlen, auch ohne dies trostlose Exemplar zu
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Baumwurzeln aufsass. Dies war die Zufluchtsstätte der Weiber, wenn sie aus
Angst vor dem Besuch der Fremden weglaufen. Hier allerdings hätten wir sie,
wenn wir selbst gewollt hätten, niemals finden können.
Der Kanal war stellenweise so schmal und so versperrt, dass wir uns nur
mühsam hindurchschoben. Auf den Seitenkanälen, bedeutete mich der Yaulapiti,
konnte man links zu den Mehinakú und rechts zu den Trumaí gelangen.
Es passte schlecht in das Bild der Sumpflandschaft, so angenehm ich den
Mangel auch empfand, dass uns gar keine Moskitos und Schnaken belästigten.
Unser Führer schaute eifrig nach Fischen aus und suchte sie mit dem Pfeil, der
eine lange Knochenspitze trug, aufzuspiessen, wobei er eintauchend häufig die
Strahlenbrechung im Wasser mass: er spiesste jedoch nur eine kleine Trahira.
Gern stiess er das Kanu mit dem Bogen weiter.
Nach fünfviertel Stunde Fahrt waren wir am Ende des Auetö́-Kanals. Dort
liessen wir das Kanu liegen und traten auf festes Land. Die Auetö́ hatten hier
eine Pflanzung und bearbeiteten dieselbe offenbar, indem sie tagelang draussen
blieben. Wir fanden etwa ein Dutzend Schutzhütten, mehrere Feuerstellen und
eine Anzahl grosser und kleiner Töpfe. Wir gingen dann eine Stunde durch
offene idyllische Buschgegend auf einem etwas schlangenförmig gewundenen Pfad
über Land und erreichten wieder einen sehr schmalen sumpfigen Kanal. Hier
mussten wir, im Sumpfe sitzend, längere Zeit warten, während unser Yaulapiti
den Kanal ein Stück entlang gegangen war und den lauthallenden Ruf nach
einem Kanu ertönen liess. Endlich kam eins herbei, erschien in unserem Kanal
und brachte uns nach wenigen Augenblicken in eine schöne Lagune, deren reines
Wasser den Augen wohlthat. Das Ufer war ringsum mit Buritípalmen bestanden;
wir durchkreuzten den See und erreichten in einer halben Stunde das Yaulapitidorf.
Ein kurzer Weg führte zu den Häusern hinauf; es waren ihrer sechs
und mehrere stark verfallen. Kein Flötenhaus war vorhanden, man brachte
uns in eine leere Hütte und holte für Antonio und mich je einen Schemel herbei.
Ein merkwürdiger Empfang. Nach langer Zeit erst humpelte am Stock der
Häuptling herbei und blieb eine Weile, hinter mir rauchend, sitzen. Allmählich
kam er aber näher, rückte mir gegenüber und begann die Unterhaltung. Er:
ich bin ein Yaulapiti. Ich: ich bin ein Karaibe. Er: ich bin gut, Yaulapiti sind
gut. Ich: ich bin gut, die Karaiben sind gut. Er: ich bin ein Yatoma (Zauber-
arzt). Ich: ich bin ein Yatoma. Dann liess er eine Schale stickig schmeckenden,
ungeniessbaren Mandiokagetränkes bringen, erhielt sein Messer und gab mir eine
Zigarre.
Es ist erstaunlich, welche Unterschiede es sogar bei diesen Naturvölkern
zwischen Arm und Reich giebt. Die Leute haben nichts vor mir geflüchtet,
man erkennt sofort, dass sie eben nichts mehr besitzen als das Notdürftigste,
dass hier nicht ausgeräumt ist wie bei den Nahuquá, sondern wirklicher Mangel
herrscht. Ich kann mich nicht dazu entschliessen, den einzigen vorhandenen
Beijú anzunehmen, und gebe gern Perlen, auch ohne dies trostlose Exemplar zu
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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