improvisierten Holzrahmen erhalten. An einer der Seiten hing ein Leitriemen, den ein Schwimmer zwischen die Zähne fasste, während ein zweiter nebenher schwimmend steuerte. Bedeutend rascher herzustellen ist eine Pelota, die uns Antonio kennen lehrte. Er bog einfach ein dünnes Stück biegsamer Schlingpflanze zu einer rundovalen Schlinge -- an solchen Rahmen hängen die Fischnetze der Indianer -- und befestigte die Ochsenhaut ringsum mit Riemen.
Da gab es natürlich viel zu lachen, erst recht, wenn der in dem aufge- spannten Regenschirm sitzende Passagier auch seinerseits zu lächeln bestrebt war. Der ganze Tag ging mit dem Uebersetzen verloren, das Lager wurde auf der einen Seite abgebrochen und auf der andern wieder aufgeschlagen. Nur war hier wenig Raum, da hoher Wald an den Fluss herantrat. Fröhliches Rufen und Schreien erfüllte die Luft. Die Madrinha stand angebunden und klingelte ver- lockend. Nackte Menschen patschten und paddelten nach Art der Hunde im Wasser bei den schwimmenden Maultieren, Carlos Alles mit seinem lustigen "o diavo" übertönend. Nackte Menschen auch, immer bereit wieder in den Fluss zu stürzen, waren oben unter den niedrigen Akuripalmen beschäftigt, die Bruaken, die Säcke oder die ungeschickten langen Pfeilbündel zu schichten und das Sattel- zeug aufs Gerüste zu hängen. Daneben lauter Genrebildchen; Einer schlug die Hängematte auf, ein Anderer sass vor Antonio auf einem Fell und liess sich die Haare schneiden, Ehrenreich quälte sich, Columna einen Dorn aus dem Fuss zu ziehen, Perrot daneben schwang eifrig die Salmiakflasche -- man hatte die Wunde für einen Schlangenbiss gehalten und Carlos hatte sie ausgesogen. Wieder ein Anderer machte sich am Feuer zu schaffen und kochte oder briet, und hübsch genug sah es aus, wie der bläuliche Küchenrauch vor den Palmen aufstieg. Endlich war der letzte Esel drüben über den Abhang erschienen und herüber- gebracht; mit ihm kam der Papagei, den ein Soldat vom Kulisehu nach Hause nahm, auf der Hand seines schwimmenden Herrn. Nur Diamante, der schwer- fällige alte Köter, hatte noch keine Lust, das Ufer zu verlassen, solange er dort noch einen Rest Fleisch unverschlungen wusste. Denn Braten fehlte am "Rio do Arame", am Drahtfluss, nicht; es hatte sich endlich einmal ein Tapir schiessen lassen, und zwar endlich einmal einer, der ausnehmend zart war. Fette Stücke hielten den Vergleich mit gutem Roastbeef aus, und die Leber zerschmolz im Munde.
So fehlte es nicht an den Freuden des Daseins. Wir konstatierten, dass wir in jener Zeit einen ganz unglaublichen Fleischhunger hatten; wir assen, wenn es ein oder zwei Tage kein Wildpret gegeben hatte, einen stinkenden Bock, ohne mit der Wimper zu zucken. Freilich konstatierten wir bald nicht minder, dass wir einen unglaublichen Fetthunger hatten; wir wurden ordentlich tiefsinnig, als wir an einem alten Lagerplatz Rondons zwei leere Blechbüchsen fanden, in denen, der schönen Aufschrift nach zu urteilen, einst mehrere Kilo amerikanischen Schmalzes enthalten gewesen waren. Und endlich entwickelte sich ein Hunger nach Süssem, der an das Krankhafte grenzte. In Summa, wir hatten alle Arten von Hunger.
improvisierten Holzrahmen erhalten. An einer der Seiten hing ein Leitriemen, den ein Schwimmer zwischen die Zähne fasste, während ein zweiter nebenher schwimmend steuerte. Bedeutend rascher herzustellen ist eine Pelota, die uns Antonio kennen lehrte. Er bog einfach ein dünnes Stück biegsamer Schlingpflanze zu einer rundovalen Schlinge — an solchen Rahmen hängen die Fischnetze der Indianer — und befestigte die Ochsenhaut ringsum mit Riemen.
Da gab es natürlich viel zu lachen, erst recht, wenn der in dem aufge- spannten Regenschirm sitzende Passagier auch seinerseits zu lächeln bestrebt war. Der ganze Tag ging mit dem Uebersetzen verloren, das Lager wurde auf der einen Seite abgebrochen und auf der andern wieder aufgeschlagen. Nur war hier wenig Raum, da hoher Wald an den Fluss herantrat. Fröhliches Rufen und Schreien erfüllte die Luft. Die Madrinha stand angebunden und klingelte ver- lockend. Nackte Menschen patschten und paddelten nach Art der Hunde im Wasser bei den schwimmenden Maultieren, Carlos Alles mit seinem lustigen »o diavo« übertönend. Nackte Menschen auch, immer bereit wieder in den Fluss zu stürzen, waren oben unter den niedrigen Akurípalmen beschäftigt, die Bruaken, die Säcke oder die ungeschickten langen Pfeilbündel zu schichten und das Sattel- zeug aufs Gerüste zu hängen. Daneben lauter Genrebildchen; Einer schlug die Hängematte auf, ein Anderer sass vor Antonio auf einem Fell und liess sich die Haare schneiden, Ehrenreich quälte sich, Columna einen Dorn aus dem Fuss zu ziehen, Perrot daneben schwang eifrig die Salmiakflasche — man hatte die Wunde für einen Schlangenbiss gehalten und Carlos hatte sie ausgesogen. Wieder ein Anderer machte sich am Feuer zu schaffen und kochte oder briet, und hübsch genug sah es aus, wie der bläuliche Küchenrauch vor den Palmen aufstieg. Endlich war der letzte Esel drüben über den Abhang erschienen und herüber- gebracht; mit ihm kam der Papagei, den ein Soldat vom Kulisehu nach Hause nahm, auf der Hand seines schwimmenden Herrn. Nur Diamante, der schwer- fällige alte Köter, hatte noch keine Lust, das Ufer zu verlassen, solange er dort noch einen Rest Fleisch unverschlungen wusste. Denn Braten fehlte am »Rio do Arame«, am Drahtfluss, nicht; es hatte sich endlich einmal ein Tapir schiessen lassen, und zwar endlich einmal einer, der ausnehmend zart war. Fette Stücke hielten den Vergleich mit gutem Roastbeef aus, und die Leber zerschmolz im Munde.
So fehlte es nicht an den Freuden des Daseins. Wir konstatierten, dass wir in jener Zeit einen ganz unglaublichen Fleischhunger hatten; wir assen, wenn es ein oder zwei Tage kein Wildpret gegeben hatte, einen stinkenden Bock, ohne mit der Wimper zu zucken. Freilich konstatierten wir bald nicht minder, dass wir einen unglaublichen Fetthunger hatten; wir wurden ordentlich tiefsinnig, als wir an einem alten Lagerplatz Rondons zwei leere Blechbüchsen fanden, in denen, der schönen Aufschrift nach zu urteilen, einst mehrere Kilo amerikanischen Schmalzes enthalten gewesen waren. Und endlich entwickelte sich ein Hunger nach Süssem, der an das Krankhafte grenzte. In Summa, wir hatten alle Arten von Hunger.
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improvisierten Holzrahmen erhalten. An einer der Seiten hing ein Leitriemen,
den ein Schwimmer zwischen die Zähne fasste, während ein zweiter nebenher
schwimmend steuerte. Bedeutend rascher herzustellen ist eine Pelota, die uns
Antonio kennen lehrte. Er bog einfach ein dünnes Stück biegsamer Schlingpflanze
zu einer rundovalen Schlinge — an solchen Rahmen hängen die Fischnetze der
Indianer — und befestigte die Ochsenhaut ringsum mit Riemen.
Da gab es natürlich viel zu lachen, erst recht, wenn der in dem aufge-
spannten Regenschirm sitzende Passagier auch seinerseits zu lächeln bestrebt war.
Der ganze Tag ging mit dem Uebersetzen verloren, das Lager wurde auf der
einen Seite abgebrochen und auf der andern wieder aufgeschlagen. Nur war
hier wenig Raum, da hoher Wald an den Fluss herantrat. Fröhliches Rufen und
Schreien erfüllte die Luft. Die Madrinha stand angebunden und klingelte ver-
lockend. Nackte Menschen patschten und paddelten nach Art der Hunde im
Wasser bei den schwimmenden Maultieren, Carlos Alles mit seinem lustigen »o
diavo« übertönend. Nackte Menschen auch, immer bereit wieder in den Fluss
zu stürzen, waren oben unter den niedrigen Akurípalmen beschäftigt, die Bruaken,
die Säcke oder die ungeschickten langen Pfeilbündel zu schichten und das Sattel-
zeug aufs Gerüste zu hängen. Daneben lauter Genrebildchen; Einer schlug die
Hängematte auf, ein Anderer sass vor Antonio auf einem Fell und liess sich die
Haare schneiden, Ehrenreich quälte sich, Columna einen Dorn aus dem Fuss zu
ziehen, Perrot daneben schwang eifrig die Salmiakflasche — man hatte die Wunde
für einen Schlangenbiss gehalten und Carlos hatte sie ausgesogen. Wieder ein
Anderer machte sich am Feuer zu schaffen und kochte oder briet, und hübsch
genug sah es aus, wie der bläuliche Küchenrauch vor den Palmen aufstieg.
Endlich war der letzte Esel drüben über den Abhang erschienen und herüber-
gebracht; mit ihm kam der Papagei, den ein Soldat vom Kulisehu nach Hause
nahm, auf der Hand seines schwimmenden Herrn. Nur Diamante, der schwer-
fällige alte Köter, hatte noch keine Lust, das Ufer zu verlassen, solange er dort
noch einen Rest Fleisch unverschlungen wusste. Denn Braten fehlte am »Rio
do Arame«, am Drahtfluss, nicht; es hatte sich endlich einmal ein Tapir schiessen
lassen, und zwar endlich einmal einer, der ausnehmend zart war. Fette Stücke
hielten den Vergleich mit gutem Roastbeef aus, und die Leber zerschmolz im Munde.
So fehlte es nicht an den Freuden des Daseins. Wir konstatierten, dass
wir in jener Zeit einen ganz unglaublichen Fleischhunger hatten; wir assen, wenn
es ein oder zwei Tage kein Wildpret gegeben hatte, einen stinkenden Bock,
ohne mit der Wimper zu zucken. Freilich konstatierten wir bald nicht minder,
dass wir einen unglaublichen Fetthunger hatten; wir wurden ordentlich tiefsinnig,
als wir an einem alten Lagerplatz Rondons zwei leere Blechbüchsen fanden, in
denen, der schönen Aufschrift nach zu urteilen, einst mehrere Kilo amerikanischen
Schmalzes enthalten gewesen waren. Und endlich entwickelte sich ein Hunger
nach Süssem, der an das Krankhafte grenzte. In Summa, wir hatten alle Arten
von Hunger.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/180>, abgerufen am 24.11.2024.
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