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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Am 4. Dezember entdeckte Antonio endlich Spuren eines Pferdes und eines
Maultieres, am 5. Dezember trafen wir gar ein niedriges Schutzdach aus Palm-
blättern, wo die Beiden geschlafen hatten, mit einer Feuerstelle und dabei einen
Rest Rehkeule von stärkstem Hautgoaut. Antonio ass noch davon und spaltete
die Knochen, um sich das Mark hervorzuholen. Die Hufspuren blieben sichtbar
bis zum 6. Dezember, wo wir einen sehr hoch angeschwollenen Quellbach und
jenseit desselben den eine breite Strecke unter Wasser gesetzten Wald zu passieren
hatten; hier schienen die Reiter zu einer anderen Stelle abgeschwenkt zu sein.

Mit unserm Proviant waren wir zu Ende. Am 7. Dezember hatten wir
noch 7 Tafeln Erbsensuppe und 7 Kemmerich'sche Patronen. Allein die Leute
verachteten mehr und mehr unsere Suppen. Sie kümmerten sich nicht um die
physiologische Berechnung des Nährwertes, und es ist richtig, selbst bei uns, die
wir bei noch gutem Allgemeinzustand gern eine Weile theoretisch satt wurden,
blieb jetzt ein Gefühl von Vereinsamung und Leere im Magen zurück, das der
Volksmund Hunger nennt. Das letzte Mandiokamehl von den Indianern war am
4. Dezember in Gestalt eines vorzüglichen "Eiermingau" verzehrt worden, eine
Schlussapotheose mit 8 dunkellila gefärbten, wie Billardkugeln spiegelnden Eiern,
die uns ein braves Rebhuhn auf den Weg gelegt hatte. Zwei Rehe tauchten
vor unserm freudigen Augen auf, da rannte der Hund Certeza ihnen eifrig
entgegen und vertrieb sie mit der ganzen seines Namens würdigen Sicherheit.
Es schadete nicht viel, dass Manoel unterwegs mehrere Teller und sämtliche
Gabeln und Löffel verlor. Von den Leuten war täglich der Eine oder Andere
für eine Stunde verschwunden, nicht immer dann, wenn er leicht zu entbehren
war, und der Grund war stets derselbe: Honig suchen. Zeitweise wurden sie
recht kleinmüthig, doch vergab man ihnen Alles, wenn z. B. der Mulatte Satyr
eine gebratene Wurzel aus der Asche aufnahm und laut auf Deutsch ausrief:
"Essen fertik. Sähr gut".

Die vegetabilische Kost, die die Umgebung bot, war recht dürftig, aber sie
füllte wenigstens: Palmkohl von der Guariroba, chininbitter, und die Wurzel der
"Mandioca de campo", Kampmandioka, yamsähnlich, holzig, nach Antonio auch
von den Bakairi unterwegs gegessen.

Glücklicher Weise hatten wir Tabak im Ueberfluss, den knurrenden Magen
zu besänftigen. Wir rauchten und tauschten in der Hängematte liegend die An-
sichten über eines Jeden Lieblingsspeisen aus. Da fielen Worte wie Clever
Spekulatius, Tutti Frutti, Schinkenbrod, Pumpernickel mit Schlagsahne, Saucischen,
junge Hasen mit Rahm, Schmorbraten, und es war ein Hochgefühl, wenn dem
Andern der Mund noch mehr wässerte als Einem selber. Durch ganz besondere
Urteile zeichnete sich Ehrenreich aus, der ein seltsames Gedächtnis für seine
kulinarischen Erlebnisse auf Reisen besass und Lob und Tadel schroff über die
Welt verteilte. Die besten Teltower Rübchen ass man nach der Erfahrung dieses
Berliners in Viktoria in der brasilischen Küstenprovinz Espiritu Santo, das Beste wurde
geliefert von Spiegeleiern am Bahnhof in Rom, von Baumkuchen am Bahnhof in

Am 4. Dezember entdeckte Antonio endlich Spuren eines Pferdes und eines
Maultieres, am 5. Dezember trafen wir gar ein niedriges Schutzdach aus Palm-
blättern, wo die Beiden geschlafen hatten, mit einer Feuerstelle und dabei einen
Rest Rehkeule von stärkstem Hautgoût. Antonio ass noch davon und spaltete
die Knochen, um sich das Mark hervorzuholen. Die Hufspuren blieben sichtbar
bis zum 6. Dezember, wo wir einen sehr hoch angeschwollenen Quellbach und
jenseit desselben den eine breite Strecke unter Wasser gesetzten Wald zu passieren
hatten; hier schienen die Reiter zu einer anderen Stelle abgeschwenkt zu sein.

Mit unserm Proviant waren wir zu Ende. Am 7. Dezember hatten wir
noch 7 Tafeln Erbsensuppe und 7 Kemmerich’sche Patronen. Allein die Leute
verachteten mehr und mehr unsere Suppen. Sie kümmerten sich nicht um die
physiologische Berechnung des Nährwertes, und es ist richtig, selbst bei uns, die
wir bei noch gutem Allgemeinzustand gern eine Weile theoretisch satt wurden,
blieb jetzt ein Gefühl von Vereinsamung und Leere im Magen zurück, das der
Volksmund Hunger nennt. Das letzte Mandiokamehl von den Indianern war am
4. Dezember in Gestalt eines vorzüglichen »Eiermingau« verzehrt worden, eine
Schlussapotheose mit 8 dunkellila gefärbten, wie Billardkugeln spiegelnden Eiern,
die uns ein braves Rebhuhn auf den Weg gelegt hatte. Zwei Rehe tauchten
vor unserm freudigen Augen auf, da rannte der Hund Certeza ihnen eifrig
entgegen und vertrieb sie mit der ganzen seines Namens würdigen Sicherheit.
Es schadete nicht viel, dass Manoel unterwegs mehrere Teller und sämtliche
Gabeln und Löffel verlor. Von den Leuten war täglich der Eine oder Andere
für eine Stunde verschwunden, nicht immer dann, wenn er leicht zu entbehren
war, und der Grund war stets derselbe: Honig suchen. Zeitweise wurden sie
recht kleinmüthig, doch vergab man ihnen Alles, wenn z. B. der Mulatte Satyr
eine gebratene Wurzel aus der Asche aufnahm und laut auf Deutsch ausrief:
»Essen fertik. Sähr gut«.

Die vegetabilische Kost, die die Umgebung bot, war recht dürftig, aber sie
füllte wenigstens: Palmkohl von der Guariroba, chininbitter, und die Wurzel der
»Mandioca de campo«, Kampmandioka, yamsähnlich, holzig, nach Antonio auch
von den Bakaïrí unterwegs gegessen.

Glücklicher Weise hatten wir Tabak im Ueberfluss, den knurrenden Magen
zu besänftigen. Wir rauchten und tauschten in der Hängematte liegend die An-
sichten über eines Jeden Lieblingsspeisen aus. Da fielen Worte wie Clever
Spekulatius, Tutti Frutti, Schinkenbrod, Pumpernickel mit Schlagsahne, Saucischen,
junge Hasen mit Rahm, Schmorbraten, und es war ein Hochgefühl, wenn dem
Andern der Mund noch mehr wässerte als Einem selber. Durch ganz besondere
Urteile zeichnete sich Ehrenreich aus, der ein seltsames Gedächtnis für seine
kulinarischen Erlebnisse auf Reisen besass und Lob und Tadel schroff über die
Welt verteilte. Die besten Teltower Rübchen ass man nach der Erfahrung dieses
Berliners in Viktoria in der brasilischen Küstenprovinz Espiritu Santo, das Beste wurde
geliefert von Spiegeleiern am Bahnhof in Rom, von Baumkuchen am Bahnhof in

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[143/0183] Am 4. Dezember entdeckte Antonio endlich Spuren eines Pferdes und eines Maultieres, am 5. Dezember trafen wir gar ein niedriges Schutzdach aus Palm- blättern, wo die Beiden geschlafen hatten, mit einer Feuerstelle und dabei einen Rest Rehkeule von stärkstem Hautgoût. Antonio ass noch davon und spaltete die Knochen, um sich das Mark hervorzuholen. Die Hufspuren blieben sichtbar bis zum 6. Dezember, wo wir einen sehr hoch angeschwollenen Quellbach und jenseit desselben den eine breite Strecke unter Wasser gesetzten Wald zu passieren hatten; hier schienen die Reiter zu einer anderen Stelle abgeschwenkt zu sein. Mit unserm Proviant waren wir zu Ende. Am 7. Dezember hatten wir noch 7 Tafeln Erbsensuppe und 7 Kemmerich’sche Patronen. Allein die Leute verachteten mehr und mehr unsere Suppen. Sie kümmerten sich nicht um die physiologische Berechnung des Nährwertes, und es ist richtig, selbst bei uns, die wir bei noch gutem Allgemeinzustand gern eine Weile theoretisch satt wurden, blieb jetzt ein Gefühl von Vereinsamung und Leere im Magen zurück, das der Volksmund Hunger nennt. Das letzte Mandiokamehl von den Indianern war am 4. Dezember in Gestalt eines vorzüglichen »Eiermingau« verzehrt worden, eine Schlussapotheose mit 8 dunkellila gefärbten, wie Billardkugeln spiegelnden Eiern, die uns ein braves Rebhuhn auf den Weg gelegt hatte. Zwei Rehe tauchten vor unserm freudigen Augen auf, da rannte der Hund Certeza ihnen eifrig entgegen und vertrieb sie mit der ganzen seines Namens würdigen Sicherheit. Es schadete nicht viel, dass Manoel unterwegs mehrere Teller und sämtliche Gabeln und Löffel verlor. Von den Leuten war täglich der Eine oder Andere für eine Stunde verschwunden, nicht immer dann, wenn er leicht zu entbehren war, und der Grund war stets derselbe: Honig suchen. Zeitweise wurden sie recht kleinmüthig, doch vergab man ihnen Alles, wenn z. B. der Mulatte Satyr eine gebratene Wurzel aus der Asche aufnahm und laut auf Deutsch ausrief: »Essen fertik. Sähr gut«. Die vegetabilische Kost, die die Umgebung bot, war recht dürftig, aber sie füllte wenigstens: Palmkohl von der Guariroba, chininbitter, und die Wurzel der »Mandioca de campo«, Kampmandioka, yamsähnlich, holzig, nach Antonio auch von den Bakaïrí unterwegs gegessen. Glücklicher Weise hatten wir Tabak im Ueberfluss, den knurrenden Magen zu besänftigen. Wir rauchten und tauschten in der Hängematte liegend die An- sichten über eines Jeden Lieblingsspeisen aus. Da fielen Worte wie Clever Spekulatius, Tutti Frutti, Schinkenbrod, Pumpernickel mit Schlagsahne, Saucischen, junge Hasen mit Rahm, Schmorbraten, und es war ein Hochgefühl, wenn dem Andern der Mund noch mehr wässerte als Einem selber. Durch ganz besondere Urteile zeichnete sich Ehrenreich aus, der ein seltsames Gedächtnis für seine kulinarischen Erlebnisse auf Reisen besass und Lob und Tadel schroff über die Welt verteilte. Die besten Teltower Rübchen ass man nach der Erfahrung dieses Berliners in Viktoria in der brasilischen Küstenprovinz Espiritu Santo, das Beste wurde geliefert von Spiegeleiern am Bahnhof in Rom, von Baumkuchen am Bahnhof in

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/183>, abgerufen am 24.11.2024.