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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Die Tapuya sind die ostbrasilischen Aboriginer, die Waldbewohner des
Küstengebietes und die Bewohner des Innern bis zu einer westlichen Grenze, als
die für den Hauptstock der Schingu gelten kann. Sie zerfallen in zwei Abteilungen,
eine westliche, die Ges nach Martius, und eine östliche, zu denen die primitiven
Waldstämme des Ostens und die Botokuden gehören. Die westlichsten Vor-
posten der Ges sind die Kayapo und Suya. Mit letzteren haben wir uns bei dem
Bericht über die zweite Expedition nicht weiter aufzuhalten, nur muss jetzt die
interessante Thatsache nachgetragen werden, dass die Suya früher noch viel weiter
westlich gewohnt haben. Sie waren im Westen des Paranatinga an seinem linken
Nebenfluss, dem Rio Verde, in der Nachbarschaft der Kayabi und Bakairi ansässig
und wurden vor nicht langer Zeit von hier zum Schingu, man darf wohl sagen,
zurück vertrieben. Die ganze Masse der Ges sitzt seit undenklichen Zeiten östlich
des Schingu, und die nächsten Verwandten der Suya, die Apinages, wohnen in
dem Winkel, wo Araguay und Tokantins zusammenfliessen.

Die Tupi sind über ungeheure Strecken zersplittert. Ihre Nordgrenze liegt
im Grossen und Ganzen an den nördlichen Nebenflüssen des Amazonas; sie hielten
die Küste von der Mündung des Amazonas bis zu der des La Plata besetzt; die
Guarani von Paraguay reden nur einen Dialekt des Tupi. Wir begegnen den
Tupi an dem Oberlauf des Schingu, des Tapajoz, des Madeira, ja des Maranhao.
Ihre Sprache wurde von den Jesuiten zu der Verkehrssprache, der "Lingoa geral"
erhoben. Zum grossen Nutzen für die Praxis, zum Unglück für die Sprachen-
kunde. Das Interesse für das Tupi hat die Wissenschaft in Brasilien alle andern
Sprachen höchst stiefmütterlich behandeln lassen, zahllose Bände aus alter und
neuer Zeit sind ihm gewidmet, von keinem der Tapuyastämme, weder von den
Botokuden noch einem Ges-Stamm, deren linguistische Erforschung wegen der
niederen Kulturstufe zu den wichtigsten der Erde gehören würde, und die in
Wirklichkeit den Kern der ostbrasilischen Urbevölkerung gebildet haben, giebt es
mehr als dürftige Vokabularien. Sub spezie des Tupi sieht der brasilische Gelehrte
ungefähr Alles, was über die Eingeborenen gedacht wird. Er ist glücklich, die Tupi in
nächste Verwandtschaft mit den Ariern zu setzen und leitet von dem Tupi die übrigen
Sprachen seines Vaterlandes ab; diese Eingeborenen sind aber wirklich so weit ver-
breitet, dass es recht überflüssig ist, sie jetzt auch noch dort unterzubringen, wo
sie selbst noch nie hingekommen sind. Am Kulisehu gehören zu ihnen die Auetö
und die Kamayura, letztere in grösserer Uebereinstimmung mit der Lingoa geral.

Die Karaiben sind im Norden des Amazonenstromes seit den Zeiten der
Entdecker bekannt. Am Kulisehu waren wir die Karaiben; und so sind wohl
auch ursprünglich die ersten Karaiben die ersten Fremden gewesen, die, wie in
zahlreichen andern Fällen geschehen und wie wirklich bei dem Empfangslärm in
einer unbekannten Sprache oft schwer zu vermeiden ist, den Stammesnamen un-
richtig auffassten und das auf sie selbst bezügliche Wort dazu machten. Der
Name wird natürlich von den Tupimanen aus dem weder auf den Kleinen Antillen
noch an der Nordküste des Kontinents gesprochenen Tupi abgeleitet. Die Bakairi

Die Tapuya sind die ostbrasilischen Aboriginer, die Waldbewohner des
Küstengebietes und die Bewohner des Innern bis zu einer westlichen Grenze, als
die für den Hauptstock der Schingú gelten kann. Sie zerfallen in zwei Abteilungen,
eine westliche, die Gēs nach Martius, und eine östliche, zu denen die primitiven
Waldstämme des Ostens und die Botokuden gehören. Die westlichsten Vor-
posten der Gēs sind die Kayapó und Suyá. Mit letzteren haben wir uns bei dem
Bericht über die zweite Expedition nicht weiter aufzuhalten, nur muss jetzt die
interessante Thatsache nachgetragen werden, dass die Suyá früher noch viel weiter
westlich gewohnt haben. Sie waren im Westen des Paranatinga an seinem linken
Nebenfluss, dem Rio Verde, in der Nachbarschaft der Kayabí und Bakaïrí ansässig
und wurden vor nicht langer Zeit von hier zum Schingú, man darf wohl sagen,
zurück vertrieben. Die ganze Masse der Gēs sitzt seit undenklichen Zeiten östlich
des Schingú, und die nächsten Verwandten der Suyá, die Apinagēs, wohnen in
dem Winkel, wo Araguay und Tokantins zusammenfliessen.

Die Tupí sind über ungeheure Strecken zersplittert. Ihre Nordgrenze liegt
im Grossen und Ganzen an den nördlichen Nebenflüssen des Amazonas; sie hielten
die Küste von der Mündung des Amazonas bis zu der des La Plata besetzt; die
Guaraní von Paraguay reden nur einen Dialekt des Tupí. Wir begegnen den
Tupí an dem Oberlauf des Schingú, des Tapajoz, des Madeira, ja des Maranhão.
Ihre Sprache wurde von den Jesuiten zu der Verkehrssprache, der »Lingoa geral«
erhoben. Zum grossen Nutzen für die Praxis, zum Unglück für die Sprachen-
kunde. Das Interesse für das Tupí hat die Wissenschaft in Brasilien alle andern
Sprachen höchst stiefmütterlich behandeln lassen, zahllose Bände aus alter und
neuer Zeit sind ihm gewidmet, von keinem der Tapuyastämme, weder von den
Botokuden noch einem Gēs-Stamm, deren linguistische Erforschung wegen der
niederen Kulturstufe zu den wichtigsten der Erde gehören würde, und die in
Wirklichkeit den Kern der ostbrasilischen Urbevölkerung gebildet haben, giebt es
mehr als dürftige Vokabularien. Sub spezie des Tupí sieht der brasilische Gelehrte
ungefähr Alles, was über die Eingeborenen gedacht wird. Er ist glücklich, die Tupí in
nächste Verwandtschaft mit den Ariern zu setzen und leitet von dem Tupí die übrigen
Sprachen seines Vaterlandes ab; diese Eingeborenen sind aber wirklich so weit ver-
breitet, dass es recht überflüssig ist, sie jetzt auch noch dort unterzubringen, wo
sie selbst noch nie hingekommen sind. Am Kulisehu gehören zu ihnen die Auetö́
und die Kamayurá, letztere in grösserer Uebereinstimmung mit der Lingoa geral.

Die Karaiben sind im Norden des Amazonenstromes seit den Zeiten der
Entdecker bekannt. Am Kulisehu waren wir die Karaiben; und so sind wohl
auch ursprünglich die ersten Karaiben die ersten Fremden gewesen, die, wie in
zahlreichen andern Fällen geschehen und wie wirklich bei dem Empfangslärm in
einer unbekannten Sprache oft schwer zu vermeiden ist, den Stammesnamen un-
richtig auffassten und das auf sie selbst bezügliche Wort dazu machten. Der
Name wird natürlich von den Tupímanen aus dem weder auf den Kleinen Antillen
noch an der Nordküste des Kontinents gesprochenen Tupí abgeleitet. Die Bakaïrí

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[157/0197] Die Tapuya sind die ostbrasilischen Aboriginer, die Waldbewohner des Küstengebietes und die Bewohner des Innern bis zu einer westlichen Grenze, als die für den Hauptstock der Schingú gelten kann. Sie zerfallen in zwei Abteilungen, eine westliche, die Gēs nach Martius, und eine östliche, zu denen die primitiven Waldstämme des Ostens und die Botokuden gehören. Die westlichsten Vor- posten der Gēs sind die Kayapó und Suyá. Mit letzteren haben wir uns bei dem Bericht über die zweite Expedition nicht weiter aufzuhalten, nur muss jetzt die interessante Thatsache nachgetragen werden, dass die Suyá früher noch viel weiter westlich gewohnt haben. Sie waren im Westen des Paranatinga an seinem linken Nebenfluss, dem Rio Verde, in der Nachbarschaft der Kayabí und Bakaïrí ansässig und wurden vor nicht langer Zeit von hier zum Schingú, man darf wohl sagen, zurück vertrieben. Die ganze Masse der Gēs sitzt seit undenklichen Zeiten östlich des Schingú, und die nächsten Verwandten der Suyá, die Apinagēs, wohnen in dem Winkel, wo Araguay und Tokantins zusammenfliessen. Die Tupí sind über ungeheure Strecken zersplittert. Ihre Nordgrenze liegt im Grossen und Ganzen an den nördlichen Nebenflüssen des Amazonas; sie hielten die Küste von der Mündung des Amazonas bis zu der des La Plata besetzt; die Guaraní von Paraguay reden nur einen Dialekt des Tupí. Wir begegnen den Tupí an dem Oberlauf des Schingú, des Tapajoz, des Madeira, ja des Maranhão. Ihre Sprache wurde von den Jesuiten zu der Verkehrssprache, der »Lingoa geral« erhoben. Zum grossen Nutzen für die Praxis, zum Unglück für die Sprachen- kunde. Das Interesse für das Tupí hat die Wissenschaft in Brasilien alle andern Sprachen höchst stiefmütterlich behandeln lassen, zahllose Bände aus alter und neuer Zeit sind ihm gewidmet, von keinem der Tapuyastämme, weder von den Botokuden noch einem Gēs-Stamm, deren linguistische Erforschung wegen der niederen Kulturstufe zu den wichtigsten der Erde gehören würde, und die in Wirklichkeit den Kern der ostbrasilischen Urbevölkerung gebildet haben, giebt es mehr als dürftige Vokabularien. Sub spezie des Tupí sieht der brasilische Gelehrte ungefähr Alles, was über die Eingeborenen gedacht wird. Er ist glücklich, die Tupí in nächste Verwandtschaft mit den Ariern zu setzen und leitet von dem Tupí die übrigen Sprachen seines Vaterlandes ab; diese Eingeborenen sind aber wirklich so weit ver- breitet, dass es recht überflüssig ist, sie jetzt auch noch dort unterzubringen, wo sie selbst noch nie hingekommen sind. Am Kulisehu gehören zu ihnen die Auetö́ und die Kamayurá, letztere in grösserer Uebereinstimmung mit der Lingoa geral. Die Karaiben sind im Norden des Amazonenstromes seit den Zeiten der Entdecker bekannt. Am Kulisehu waren wir die Karaiben; und so sind wohl auch ursprünglich die ersten Karaiben die ersten Fremden gewesen, die, wie in zahlreichen andern Fällen geschehen und wie wirklich bei dem Empfangslärm in einer unbekannten Sprache oft schwer zu vermeiden ist, den Stammesnamen un- richtig auffassten und das auf sie selbst bezügliche Wort dazu machten. Der Name wird natürlich von den Tupímanen aus dem weder auf den Kleinen Antillen noch an der Nordküste des Kontinents gesprochenen Tupí abgeleitet. Die Bakaïrí

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/197>, abgerufen am 22.11.2024.