waren, sich aber gut konservieren und tragen liessen, nicht trennte, sondern sie zur Anerkennung für die Mitwelt aufbewahrte und an seinem Leibe anbrachte. Wir finden dies um so natürlicher, als wir wissen, dass mit solchen Teilen nach seiner Meinung die Eigenschaften des Wildes erworben wurden. So trug er Krallen, Zähne und Federn als Trophäe und Talisman. Während er die meisten dieser Dinge an eine Schnur anbinden konnte, sah er sich mit einer Feder, die er zur Erinnerung an einen guten Schuss aufbewahren wollte, in Verlegenheit: er durchbohrte den Ohrzipfel und steckte sie dort hinein, wo sie festsass und ihn nicht behinderte. Hierauf sind auch die Vorfahren aller unserer Stämme verfallen; einige haben es sich bald nicht an den Ohrlöchern genügen lassen, sondern auch die Nase und Lippe durchbohrt. Denn der Begriff der Trophäe, anfangs nur auf den mühe- vollen Erwerb bezogen, dehnte sich aus auf ein mit nicht grade grossen Schmerzen oder Mühen verbundenes Tragen; eine neue Leistung entstand, die der Bewunderung wert war, und ein junger Mann kam sich gewiss im vollen Wortsinn "schneidiger" vor, wenn er sein Kleinod in einem Loch der Nase, der Lippe oder der Ohren zur Schau trug, als wenn er es an einer Schnur umhängen hatte. Wurde die Trophäe einmal gewohnheitsmässig getragen, so war es unausbleiblich, dass sich die Aufmerksamkeit auch ihren äusseren Eigenschaften, den früher sekundären Merkmalen der Farbe und Form, zuwandte. Selbst Gegenstände, die man nur gebraucht hatte, um die Löcher offen zu halten und das Zuheilen zu verhindern, wurden zu Schmuck und Zierrat. Mit den Vorstellungen über das Schwierige, Seltene, Kraftbegabte assoziierten sich die mehr oder minder dunkel empfundenen Wahrnehmungen gefälliger Farbenkontraste.
Die künstliche Verletzung wurde aber auch Selbstzweck durch den Umstand, dass sie ein dauerndes Kennzeichen lieferte und so mancherlei Formen der Sitte gestaltete. Sie war nicht nur vorzüglich geeignet, innerhalb eines Stammes mutige und herrschende Personen, die gewöhnlich auch die eitelsten waren, aus- zuzeichnen, sie bildete vielfach von Stamm zu Stamm das mit Bewusstsein ge- tragene Nationalitätsmerkmal. Sie gab das Mittel an die Hand, schon Kinder mit Dauermalen zu versehen. Die Indianer haben von jeher den Kinderraub bei fremden Stämmen mit Leidenschaft betrieben, um sich Krieger und Frauen auf- zuziehen; so markierte man die Kinder, um sie wiedererkennen zu können, wie der Herdenbesitzer sein Vieh stempelt. Als wir bei den Bororo waren, schwor eine alte Frau Stein und Bein, unser Antonio sei, obwol er kein Wort Bororo verstand, ihr vor Jahren von Feinden gestohlener Sohn, sie wehklagte und jammerte laut durch die Nacht; da war es denn merkwürdig zu sehen, wie sich die Bororo den halb lachenden, halb empörten Antonio gründlich vornahmen, seine Unterlippe genau untersuchten, die bei ihnen schon dem Säugling durch- bohrt wird, und ihn einmütig freigaben, als sie statt ihres Lippenlöchleins eine durchlöcherte Nasenscheidewand fanden. So waren unter den Bakairi geraubte Paressifrauen, unter den Nahuqua Mehinakuweiber, unter den Suya die gefangenen Manitsaua sofort nach den Stammesabzeichen von den Uebrigen zu unterscheiden.
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waren, sich aber gut konservieren und tragen liessen, nicht trennte, sondern sie zur Anerkennung für die Mitwelt aufbewahrte und an seinem Leibe anbrachte. Wir finden dies um so natürlicher, als wir wissen, dass mit solchen Teilen nach seiner Meinung die Eigenschaften des Wildes erworben wurden. So trug er Krallen, Zähne und Federn als Trophäe und Talisman. Während er die meisten dieser Dinge an eine Schnur anbinden konnte, sah er sich mit einer Feder, die er zur Erinnerung an einen guten Schuss aufbewahren wollte, in Verlegenheit: er durchbohrte den Ohrzipfel und steckte sie dort hinein, wo sie festsass und ihn nicht behinderte. Hierauf sind auch die Vorfahren aller unserer Stämme verfallen; einige haben es sich bald nicht an den Ohrlöchern genügen lassen, sondern auch die Nase und Lippe durchbohrt. Denn der Begriff der Trophäe, anfangs nur auf den mühe- vollen Erwerb bezogen, dehnte sich aus auf ein mit nicht grade grossen Schmerzen oder Mühen verbundenes Tragen; eine neue Leistung entstand, die der Bewunderung wert war, und ein junger Mann kam sich gewiss im vollen Wortsinn »schneidiger« vor, wenn er sein Kleinod in einem Loch der Nase, der Lippe oder der Ohren zur Schau trug, als wenn er es an einer Schnur umhängen hatte. Wurde die Trophäe einmal gewohnheitsmässig getragen, so war es unausbleiblich, dass sich die Aufmerksamkeit auch ihren äusseren Eigenschaften, den früher sekundären Merkmalen der Farbe und Form, zuwandte. Selbst Gegenstände, die man nur gebraucht hatte, um die Löcher offen zu halten und das Zuheilen zu verhindern, wurden zu Schmuck und Zierrat. Mit den Vorstellungen über das Schwierige, Seltene, Kraftbegabte assoziierten sich die mehr oder minder dunkel empfundenen Wahrnehmungen gefälliger Farbenkontraste.
Die künstliche Verletzung wurde aber auch Selbstzweck durch den Umstand, dass sie ein dauerndes Kennzeichen lieferte und so mancherlei Formen der Sitte gestaltete. Sie war nicht nur vorzüglich geeignet, innerhalb eines Stammes mutige und herrschende Personen, die gewöhnlich auch die eitelsten waren, aus- zuzeichnen, sie bildete vielfach von Stamm zu Stamm das mit Bewusstsein ge- tragene Nationalitätsmerkmal. Sie gab das Mittel an die Hand, schon Kinder mit Dauermalen zu versehen. Die Indianer haben von jeher den Kinderraub bei fremden Stämmen mit Leidenschaft betrieben, um sich Krieger und Frauen auf- zuziehen; so markierte man die Kinder, um sie wiedererkennen zu können, wie der Herdenbesitzer sein Vieh stempelt. Als wir bei den Bororó waren, schwor eine alte Frau Stein und Bein, unser Antonio sei, obwol er kein Wort Bororó verstand, ihr vor Jahren von Feinden gestohlener Sohn, sie wehklagte und jammerte laut durch die Nacht; da war es denn merkwürdig zu sehen, wie sich die Bororó den halb lachenden, halb empörten Antonio gründlich vornahmen, seine Unterlippe genau untersuchten, die bei ihnen schon dem Säugling durch- bohrt wird, und ihn einmütig freigaben, als sie statt ihres Lippenlöchleins eine durchlöcherte Nasenscheidewand fanden. So waren unter den Bakaïrí geraubte Paressífrauen, unter den Nahuquá Mehinakúweiber, unter den Suyá die gefangenen Manitsauá sofort nach den Stammesabzeichen von den Uebrigen zu unterscheiden.
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waren, sich aber gut konservieren und tragen liessen, nicht trennte, sondern sie
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Wir finden dies um so natürlicher, als wir wissen, dass mit solchen Teilen nach
seiner Meinung die Eigenschaften des Wildes erworben wurden. So trug er
Krallen, Zähne und Federn als Trophäe und Talisman. Während er die meisten
dieser Dinge an eine Schnur anbinden konnte, sah er sich mit einer Feder, die
er zur Erinnerung an einen guten Schuss aufbewahren wollte, in Verlegenheit: er
durchbohrte den Ohrzipfel und steckte sie dort hinein, wo sie festsass und ihn nicht
behinderte. Hierauf sind auch die Vorfahren aller unserer Stämme verfallen; einige
haben es sich bald nicht an den Ohrlöchern genügen lassen, sondern auch die Nase
und Lippe durchbohrt. Denn der Begriff der Trophäe, anfangs nur auf den mühe-
vollen Erwerb bezogen, dehnte sich aus auf ein mit nicht grade grossen Schmerzen
oder Mühen verbundenes Tragen; eine neue Leistung entstand, die der Bewunderung
wert war, und ein junger Mann kam sich gewiss im vollen Wortsinn »schneidiger«
vor, wenn er sein Kleinod in einem Loch der Nase, der Lippe oder der Ohren
zur Schau trug, als wenn er es an einer Schnur umhängen hatte. Wurde die
Trophäe einmal gewohnheitsmässig getragen, so war es unausbleiblich, dass sich
die Aufmerksamkeit auch ihren äusseren Eigenschaften, den früher sekundären
Merkmalen der Farbe und Form, zuwandte. Selbst Gegenstände, die man nur
gebraucht hatte, um die Löcher offen zu halten und das Zuheilen zu verhindern,
wurden zu Schmuck und Zierrat. Mit den Vorstellungen über das Schwierige,
Seltene, Kraftbegabte assoziierten sich die mehr oder minder dunkel empfundenen
Wahrnehmungen gefälliger Farbenkontraste.
Die künstliche Verletzung wurde aber auch Selbstzweck durch den Umstand,
dass sie ein dauerndes Kennzeichen lieferte und so mancherlei Formen der
Sitte gestaltete. Sie war nicht nur vorzüglich geeignet, innerhalb eines Stammes
mutige und herrschende Personen, die gewöhnlich auch die eitelsten waren, aus-
zuzeichnen, sie bildete vielfach von Stamm zu Stamm das mit Bewusstsein ge-
tragene Nationalitätsmerkmal. Sie gab das Mittel an die Hand, schon Kinder
mit Dauermalen zu versehen. Die Indianer haben von jeher den Kinderraub bei
fremden Stämmen mit Leidenschaft betrieben, um sich Krieger und Frauen auf-
zuziehen; so markierte man die Kinder, um sie wiedererkennen zu können, wie
der Herdenbesitzer sein Vieh stempelt. Als wir bei den Bororó waren, schwor
eine alte Frau Stein und Bein, unser Antonio sei, obwol er kein Wort Bororó
verstand, ihr vor Jahren von Feinden gestohlener Sohn, sie wehklagte und
jammerte laut durch die Nacht; da war es denn merkwürdig zu sehen, wie sich
die Bororó den halb lachenden, halb empörten Antonio gründlich vornahmen,
seine Unterlippe genau untersuchten, die bei ihnen schon dem Säugling durch-
bohrt wird, und ihn einmütig freigaben, als sie statt ihres Lippenlöchleins eine
durchlöcherte Nasenscheidewand fanden. So waren unter den Bakaïrí geraubte
Paressífrauen, unter den Nahuquá Mehinakúweiber, unter den Suyá die gefangenen
Manitsauá sofort nach den Stammesabzeichen von den Uebrigen zu unterscheiden.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/223>, abgerufen am 21.11.2024.
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