Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Die künstliche Verletzung entwickelte sich also zu einer ständigen Einrichtung
der Zweckmässigkeit. Zudem galt das Fremde als hässlich oder komisch, das
Heimische als schön und edel.

Die Durchbohrung der Ohrläppchen ist allgemein bei den Männern
aller Stämme verbreitet. Sie dient allein für Federschmuck. Bei keinem
Stamm des Kulisehu haben die Frauen die Ohrläppchen durchbohrt, und keine
Frau trägt auch sonst am Körper irgendwelchen Federschmuck; die Frau jagt
nicht -- der Ursprung aus der Jagdtrophäe ist noch unverkennbar ausgeprägt.
Das Ohr der Knaben wird um die Zeit durchbohrt, wenn er anfängt, sich mit
Bogen und Pfeilen kleinen Formates zu üben.*)

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 12.

Holzmaske der Bakairi mit Ohr- und Nasenfedern.

Die Durchbohrung der Nasenscheidewand in ihrem untern Teil, sodass
dem hindurchgesteckten Gegenstand die Flügel leicht aufgestülpt aufsitzen, ist
nur bei den Bakairi anzutreffen, am Paranatinga und Rio Novo, am Batovy und
im ersten Kulisehudorf bei beiden Geschlechtern, im zweiten Kulisehudorf nur bei
den Männern, im dritten weder bei Männern noch bei Frauen. Diese geographische
Verteilung macht es mir nicht unwahrscheinlich, dass die Sitte an die der Paressi

*) Bei den Suya tragen Männer und Frauen im aufgeschlitzten, allmählich zu einem langen
Zügel erweiterten Ohrläppchen Rollen von Palmblattstreifen, aber auch hier beschränkt sich der
Federschmuck auf die Männer.

Die künstliche Verletzung entwickelte sich also zu einer ständigen Einrichtung
der Zweckmässigkeit. Zudem galt das Fremde als hässlich oder komisch, das
Heimische als schön und edel.

Die Durchbohrung der Ohrläppchen ist allgemein bei den Männern
aller Stämme verbreitet. Sie dient allein für Federschmuck. Bei keinem
Stamm des Kulisehu haben die Frauen die Ohrläppchen durchbohrt, und keine
Frau trägt auch sonst am Körper irgendwelchen Federschmuck; die Frau jagt
nicht — der Ursprung aus der Jagdtrophäe ist noch unverkennbar ausgeprägt.
Das Ohr der Knaben wird um die Zeit durchbohrt, wenn er anfängt, sich mit
Bogen und Pfeilen kleinen Formates zu üben.*)

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 12.

Holzmaske der Bakaïrí mit Ohr- und Nasenfedern.

Die Durchbohrung der Nasenscheidewand in ihrem untern Teil, sodass
dem hindurchgesteckten Gegenstand die Flügel leicht aufgestülpt aufsitzen, ist
nur bei den Bakaïrí anzutreffen, am Paranatinga und Rio Novo, am Batovy und
im ersten Kulisehudorf bei beiden Geschlechtern, im zweiten Kulisehudorf nur bei
den Männern, im dritten weder bei Männern noch bei Frauen. Diese geographische
Verteilung macht es mir nicht unwahrscheinlich, dass die Sitte an die der Paressí

*) Bei den Suyá tragen Männer und Frauen im aufgeschlitzten, allmählich zu einem langen
Zügel erweiterten Ohrläppchen Rollen von Palmblattstreifen, aber auch hier beschränkt sich der
Federschmuck auf die Männer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="180"/>
Die künstliche Verletzung entwickelte sich also zu einer ständigen Einrichtung<lb/>
der Zweckmässigkeit. Zudem galt das Fremde als hässlich oder komisch, das<lb/>
Heimische als schön und edel.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Durchbohrung der Ohrläppchen</hi> ist allgemein bei den <hi rendition="#g">Männern</hi><lb/>
aller Stämme verbreitet. Sie dient <hi rendition="#g">allein</hi> für <hi rendition="#g">Federschmuck</hi>. Bei keinem<lb/>
Stamm des Kulisehu haben die Frauen die Ohrläppchen durchbohrt, und keine<lb/>
Frau trägt auch sonst am Körper irgendwelchen Federschmuck; die Frau jagt<lb/>
nicht &#x2014; der Ursprung aus der Jagdtrophäe ist noch unverkennbar ausgeprägt.<lb/>
Das Ohr der Knaben wird um die Zeit durchbohrt, wenn er anfängt, sich mit<lb/>
Bogen und Pfeilen kleinen Formates zu üben.<note place="foot" n="*)">Bei den Suyá tragen Männer und Frauen im aufgeschlitzten, allmählich zu einem langen<lb/>
Zügel erweiterten Ohrläppchen Rollen von Palmblattstreifen, aber auch hier beschränkt sich der<lb/>
Federschmuck auf die Männer.</note></p><lb/>
          <figure/>
          <figure>
            <head>Abb. 12. </head>
            <p><hi rendition="#g">Holzmaske der Bakaïrí mit Ohr- und Nasenfedern</hi>.</p>
          </figure><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Durchbohrung der Nasenscheidewand</hi> in ihrem untern Teil, sodass<lb/>
dem hindurchgesteckten Gegenstand die Flügel leicht aufgestülpt aufsitzen, ist<lb/>
nur bei den Bakaïrí anzutreffen, am Paranatinga und Rio Novo, am Batovy und<lb/>
im ersten Kulisehudorf bei beiden Geschlechtern, im zweiten Kulisehudorf nur bei<lb/>
den Männern, im dritten weder bei Männern noch bei Frauen. Diese geographische<lb/>
Verteilung macht es mir nicht unwahrscheinlich, dass die Sitte an die der Paressí<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0224] Die künstliche Verletzung entwickelte sich also zu einer ständigen Einrichtung der Zweckmässigkeit. Zudem galt das Fremde als hässlich oder komisch, das Heimische als schön und edel. Die Durchbohrung der Ohrläppchen ist allgemein bei den Männern aller Stämme verbreitet. Sie dient allein für Federschmuck. Bei keinem Stamm des Kulisehu haben die Frauen die Ohrläppchen durchbohrt, und keine Frau trägt auch sonst am Körper irgendwelchen Federschmuck; die Frau jagt nicht — der Ursprung aus der Jagdtrophäe ist noch unverkennbar ausgeprägt. Das Ohr der Knaben wird um die Zeit durchbohrt, wenn er anfängt, sich mit Bogen und Pfeilen kleinen Formates zu üben. *) [Abbildung] [Abbildung Abb. 12. Holzmaske der Bakaïrí mit Ohr- und Nasenfedern. ] Die Durchbohrung der Nasenscheidewand in ihrem untern Teil, sodass dem hindurchgesteckten Gegenstand die Flügel leicht aufgestülpt aufsitzen, ist nur bei den Bakaïrí anzutreffen, am Paranatinga und Rio Novo, am Batovy und im ersten Kulisehudorf bei beiden Geschlechtern, im zweiten Kulisehudorf nur bei den Männern, im dritten weder bei Männern noch bei Frauen. Diese geographische Verteilung macht es mir nicht unwahrscheinlich, dass die Sitte an die der Paressí *) Bei den Suyá tragen Männer und Frauen im aufgeschlitzten, allmählich zu einem langen Zügel erweiterten Ohrläppchen Rollen von Palmblattstreifen, aber auch hier beschränkt sich der Federschmuck auf die Männer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/224
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/224>, abgerufen am 21.11.2024.