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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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bei unsern praehistorischen Funden eine ältere Zeit unterscheiden können, wo die
Steingeräte durch Zuhauen und Zersplittern der Steine, und eine jüngere Zeit,
wo sie durch Schleifen hergestestellt wurden, und hat sich nun nicht begnügt,
diesen Gang -- ich sage nicht, diesen Entwicklungsgang -- auf die Gebiete zu
beschränken, wo man ihn beobachtet, sondern, die Erfahrungen verallgemeinernd,
geschlossen, der Mensch habe notwendig, um seine Werkzeuge zu gewinnen,
überall damit begonnen, Steine zu zerschlagen, und sei dazu fortgeschritten, sie
zu schleifen. Während die Praehistorie erst dort für die Erklärung der Kultur-
anfänge das entscheidende Wort sprechen und die Definitionen liefern sollte, wo
die Beobachtung an den Naturvölkern ihre Grenze findet, gelten heute die Mitteilungen
aus Alaska oder von einer Südseeinsel vorwiegend als schätzbares Material für den
Praehistoriker, der mit Freude sieht, wie seine scharfsinnigen Deutungen durch die
Wirklichkeit bestätigt werden, und wenn andrerseits der Forschungs-
reisende irgendwohin gelangt, wo die Leute keine Metalle kennen,
so ruft er aus, sie leben in der "Steinzeit" -- eine Thorheit, die
mir deshalb sehr klar geworden ist, weil ich sie selbst häufig be-
gangen habe. Gingen wir zunächst einmal von den Naturvölkern
aus, wie es sich gebührt, so würden wir nicht verkennen, dass sich
unter ihnen noch heute paläolithische sowohl als neolithische Arbeit
je nach den vorhandenen Gesteinarten, je nach dem anderweitig ge-
gebenen Material und je nach den technischen Zwecken vorfindet.
Wir würden sehen, dass der negative Ausdruck "metalllos" natürlich
zutrifft, dass aber der positive Name "Steinzeit" sehr unglücklich
sein kann. Wir würden auch den Fall berücksichtigen, wo der
Mensch gar keine oder nur ungeeignete Steine hat und doch seine
Geräte und Waffen vortrefflich herstellt. Als unbefangener
Beobachter wäre ich kaum je darauf verfallen, zu behaupten,
dass die Schingu-Indianer in der "Steinzeit" leben.

Es trifft gewiss zu, dass ihre schwierigsten Leistungen -- Wald-
lichten, Häuserbauen, Kanubauen, Verfertigen von Schemeln und

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 20.

Steinbeil.
( 1/8 nat. Gr.)

dergleichen -- dem Steinbeil zukommen. Allein die verschiedenen Stämme waren
ganz abhängig von einer Fundstätte, die im Besitz der Trumai war. Weder
Bakairi noch Nahuqua noch Mehinaku nebst Verwandten, noch Auetö
noch Kamayura hatten Steinbeile eigener Arbeit
. Ihr Sandstein eignete
sich nicht zu Beilen. Genau ein Gleiches habe ich von der früheren Zeit der zahmen
Bakairi des Paranatinga auszusagen: in diesem Gebiet hatten die Kayabi das Mo-
nopol der Steinbeile; die benachbarten Bakairi mussten sie sich von ihnen, ihren
späteren Todfeinden, beschaffen. Die Stämme des Batovy, Kulisehu und Kuluene
erhielten ihre Steinbeile von den Trumai; (die am Hauptfluss wohnenden Suya hatten
selbst welche). Das Steinbeil tritt uns hier also als ein Einfuhrartikel entgegen.

Auf meine Erkundigungen wurde mir geantwortet, die Steine würden "an
einem Bach im Sand" gefunden. Das Material ist von Herrn Professor Arzruni

bei unsern praehistorischen Funden eine ältere Zeit unterscheiden können, wo die
Steingeräte durch Zuhauen und Zersplittern der Steine, und eine jüngere Zeit,
wo sie durch Schleifen hergestestellt wurden, und hat sich nun nicht begnügt,
diesen Gang — ich sage nicht, diesen Entwicklungsgang — auf die Gebiete zu
beschränken, wo man ihn beobachtet, sondern, die Erfahrungen verallgemeinernd,
geschlossen, der Mensch habe notwendig, um seine Werkzeuge zu gewinnen,
überall damit begonnen, Steine zu zerschlagen, und sei dazu fortgeschritten, sie
zu schleifen. Während die Praehistorie erst dort für die Erklärung der Kultur-
anfänge das entscheidende Wort sprechen und die Definitionen liefern sollte, wo
die Beobachtung an den Naturvölkern ihre Grenze findet, gelten heute die Mitteilungen
aus Alaska oder von einer Südseeinsel vorwiegend als schätzbares Material für den
Praehistoriker, der mit Freude sieht, wie seine scharfsinnigen Deutungen durch die
Wirklichkeit bestätigt werden, und wenn andrerseits der Forschungs-
reisende irgendwohin gelangt, wo die Leute keine Metalle kennen,
so ruft er aus, sie leben in der »Steinzeit« — eine Thorheit, die
mir deshalb sehr klar geworden ist, weil ich sie selbst häufig be-
gangen habe. Gingen wir zunächst einmal von den Naturvölkern
aus, wie es sich gebührt, so würden wir nicht verkennen, dass sich
unter ihnen noch heute paläolithische sowohl als neolithische Arbeit
je nach den vorhandenen Gesteinarten, je nach dem anderweitig ge-
gebenen Material und je nach den technischen Zwecken vorfindet.
Wir würden sehen, dass der negative Ausdruck »metalllos« natürlich
zutrifft, dass aber der positive Name »Steinzeit« sehr unglücklich
sein kann. Wir würden auch den Fall berücksichtigen, wo der
Mensch gar keine oder nur ungeeignete Steine hat und doch seine
Geräte und Waffen vortrefflich herstellt. Als unbefangener
Beobachter wäre ich kaum je darauf verfallen, zu behaupten,
dass die Schingú-Indianer in der »Steinzeit« leben.

Es trifft gewiss zu, dass ihre schwierigsten Leistungen — Wald-
lichten, Häuserbauen, Kanubauen, Verfertigen von Schemeln und

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 20.

Steinbeil.
(⅛ nat. Gr.)

dergleichen — dem Steinbeil zukommen. Allein die verschiedenen Stämme waren
ganz abhängig von einer Fundstätte, die im Besitz der Trumaí war. Weder
Bakaïrí noch Nahuquá noch Mehinakú nebst Verwandten, noch Auetö́
noch Kamayurá hatten Steinbeile eigener Arbeit
. Ihr Sandstein eignete
sich nicht zu Beilen. Genau ein Gleiches habe ich von der früheren Zeit der zahmen
Bakaïrí des Paranatinga auszusagen: in diesem Gebiet hatten die Kayabí das Mo-
nopol der Steinbeile; die benachbarten Bakaïrí mussten sie sich von ihnen, ihren
späteren Todfeinden, beschaffen. Die Stämme des Batovy, Kulisehu und Kuluëne
erhielten ihre Steinbeile von den Trumaí; (die am Hauptfluss wohnenden Suyá hatten
selbst welche). Das Steinbeil tritt uns hier also als ein Einfuhrartikel entgegen.

Auf meine Erkundigungen wurde mir geantwortet, die Steine würden »an
einem Bach im Sand« gefunden. Das Material ist von Herrn Professor Arzruni

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[203/0247] bei unsern praehistorischen Funden eine ältere Zeit unterscheiden können, wo die Steingeräte durch Zuhauen und Zersplittern der Steine, und eine jüngere Zeit, wo sie durch Schleifen hergestestellt wurden, und hat sich nun nicht begnügt, diesen Gang — ich sage nicht, diesen Entwicklungsgang — auf die Gebiete zu beschränken, wo man ihn beobachtet, sondern, die Erfahrungen verallgemeinernd, geschlossen, der Mensch habe notwendig, um seine Werkzeuge zu gewinnen, überall damit begonnen, Steine zu zerschlagen, und sei dazu fortgeschritten, sie zu schleifen. Während die Praehistorie erst dort für die Erklärung der Kultur- anfänge das entscheidende Wort sprechen und die Definitionen liefern sollte, wo die Beobachtung an den Naturvölkern ihre Grenze findet, gelten heute die Mitteilungen aus Alaska oder von einer Südseeinsel vorwiegend als schätzbares Material für den Praehistoriker, der mit Freude sieht, wie seine scharfsinnigen Deutungen durch die Wirklichkeit bestätigt werden, und wenn andrerseits der Forschungs- reisende irgendwohin gelangt, wo die Leute keine Metalle kennen, so ruft er aus, sie leben in der »Steinzeit« — eine Thorheit, die mir deshalb sehr klar geworden ist, weil ich sie selbst häufig be- gangen habe. Gingen wir zunächst einmal von den Naturvölkern aus, wie es sich gebührt, so würden wir nicht verkennen, dass sich unter ihnen noch heute paläolithische sowohl als neolithische Arbeit je nach den vorhandenen Gesteinarten, je nach dem anderweitig ge- gebenen Material und je nach den technischen Zwecken vorfindet. Wir würden sehen, dass der negative Ausdruck »metalllos« natürlich zutrifft, dass aber der positive Name »Steinzeit« sehr unglücklich sein kann. Wir würden auch den Fall berücksichtigen, wo der Mensch gar keine oder nur ungeeignete Steine hat und doch seine Geräte und Waffen vortrefflich herstellt. Als unbefangener Beobachter wäre ich kaum je darauf verfallen, zu behaupten, dass die Schingú-Indianer in der »Steinzeit« leben. Es trifft gewiss zu, dass ihre schwierigsten Leistungen — Wald- lichten, Häuserbauen, Kanubauen, Verfertigen von Schemeln und [Abbildung] [Abbildung Abb. 20. Steinbeil. (⅛ nat. Gr.)] dergleichen — dem Steinbeil zukommen. Allein die verschiedenen Stämme waren ganz abhängig von einer Fundstätte, die im Besitz der Trumaí war. Weder Bakaïrí noch Nahuquá noch Mehinakú nebst Verwandten, noch Auetö́ noch Kamayurá hatten Steinbeile eigener Arbeit. Ihr Sandstein eignete sich nicht zu Beilen. Genau ein Gleiches habe ich von der früheren Zeit der zahmen Bakaïrí des Paranatinga auszusagen: in diesem Gebiet hatten die Kayabí das Mo- nopol der Steinbeile; die benachbarten Bakaïrí mussten sie sich von ihnen, ihren späteren Todfeinden, beschaffen. Die Stämme des Batovy, Kulisehu und Kuluëne erhielten ihre Steinbeile von den Trumaí; (die am Hauptfluss wohnenden Suyá hatten selbst welche). Das Steinbeil tritt uns hier also als ein Einfuhrartikel entgegen. Auf meine Erkundigungen wurde mir geantwortet, die Steine würden »an einem Bach im Sand« gefunden. Das Material ist von Herrn Professor Arzruni

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/247>, abgerufen am 21.11.2024.