Ursprung aus der zeichnenden Geberde. Beschreibendes Zeichnen älter als künstlerisches. Sand- zeichnungen. Bleistiftzeichnungen. Erklärung der Tafeln. Profilstellung. Proportionen. Fingerzahl. Rindenzeichnungen.
Die einfachste Zeichnung, die wir beobachten können, ist wohl diejenige, die unmittelbar an eine erklärende Geberde anknüpft. Wie der Eingeborene zur Veranschaulichung für den Gehörsinn geschickt die charakteristischen Stimmtöne eines Tieres wiedergiebt und bei irgendwie belebter Erzählung dies zu thun immer versucht ist, so ahmt er das Tier auch für den Gesichtssinn in Haltung, Gang, Bewegungen nach und malt zum besseren Verständnis irgend welche absonderlichen Körperteile wie Ohren, Schnauze, Hörner in die freie Luft oder, indem er seine eigenen Körperteile mit der Hand entsprechend umschreibt. Die zeichnende Ge- berde geht dem Nachahmen der Tierstimme auf das Genaueste parallel. Sobald aber das Verfahren nicht ausreicht, zeichnet man auf die Erde oder in den Sand. Ich habe bei der Aufnahme der Wörterverzeichnisse mich ausserordentlich oft überzeugen können, dass sich die innere Anschauung unwillkürlich und ohne von mir dazu herausgefordert zu sein, in eine erklärende Sandzeichnung umsetzte. Es geschah freilich zumeist, wenn auch die Gestalt des Tieres besonders dazu geeignet war, wie bei Schlangen, einem Alligatorkopf und bei Fischen, wo ausserdem eine Stimme nicht nachgeahmt werden konnte. Es ist ferner ohne Weiteres zuzugeben, dass der Antrieb für den Bereich des Gehörsinns bei diesen Jägern ungleich kräftiger wirkte, und auch, dass man sich für den Gesichtssinn im Verkehr untereinander gewiss auf die zeichnende Geberde beschränkte. Ja, wirklich beschränken konnte. Mir gegenüber trat der Gedanke hinzu: "wie wollen wir, da der Mann unsere Sprache nicht versteht, in diesem Fall nur hinreichend deutlich sein?" und man zeichnete in den Sand.
Es genügt, wenn man aus dem Verhalten der Indianer zu schliessen berechtigt ist, dass sich die zeichnende Geberde auf einer Stufe, wo sie noch eine nicht un- wesentliche Ergänzung der Sprache bildet, mit Leichtigkeit zu wirklichem Zeichnen
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X. KAPITEL.
I. Das Zeichnen.
Ursprung aus der zeichnenden Geberde. Beschreibendes Zeichnen älter als künstlerisches. Sand- zeichnungen. Bleistiftzeichnungen. Erklärung der Tafeln. Profilstellung. Proportionen. Fingerzahl. Rindenzeichnungen.
Die einfachste Zeichnung, die wir beobachten können, ist wohl diejenige, die unmittelbar an eine erklärende Geberde anknüpft. Wie der Eingeborene zur Veranschaulichung für den Gehörsinn geschickt die charakteristischen Stimmtöne eines Tieres wiedergiebt und bei irgendwie belebter Erzählung dies zu thun immer versucht ist, so ahmt er das Tier auch für den Gesichtssinn in Haltung, Gang, Bewegungen nach und malt zum besseren Verständnis irgend welche absonderlichen Körperteile wie Ohren, Schnauze, Hörner in die freie Luft oder, indem er seine eigenen Körperteile mit der Hand entsprechend umschreibt. Die zeichnende Ge- berde geht dem Nachahmen der Tierstimme auf das Genaueste parallel. Sobald aber das Verfahren nicht ausreicht, zeichnet man auf die Erde oder in den Sand. Ich habe bei der Aufnahme der Wörterverzeichnisse mich ausserordentlich oft überzeugen können, dass sich die innere Anschauung unwillkürlich und ohne von mir dazu herausgefordert zu sein, in eine erklärende Sandzeichnung umsetzte. Es geschah freilich zumeist, wenn auch die Gestalt des Tieres besonders dazu geeignet war, wie bei Schlangen, einem Alligatorkopf und bei Fischen, wo ausserdem eine Stimme nicht nachgeahmt werden konnte. Es ist ferner ohne Weiteres zuzugeben, dass der Antrieb für den Bereich des Gehörsinns bei diesen Jägern ungleich kräftiger wirkte, und auch, dass man sich für den Gesichtssinn im Verkehr untereinander gewiss auf die zeichnende Geberde beschränkte. Ja, wirklich beschränken konnte. Mir gegenüber trat der Gedanke hinzu: »wie wollen wir, da der Mann unsere Sprache nicht versteht, in diesem Fall nur hinreichend deutlich sein?« und man zeichnete in den Sand.
Es genügt, wenn man aus dem Verhalten der Indianer zu schliessen berechtigt ist, dass sich die zeichnende Geberde auf einer Stufe, wo sie noch eine nicht un- wesentliche Ergänzung der Sprache bildet, mit Leichtigkeit zu wirklichem Zeichnen
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[[243]/0289]
X. KAPITEL.
I. Das Zeichnen.
Ursprung aus der zeichnenden Geberde. Beschreibendes Zeichnen älter als künstlerisches. Sand-
zeichnungen. Bleistiftzeichnungen. Erklärung der Tafeln. Profilstellung. Proportionen.
Fingerzahl. Rindenzeichnungen.
Die einfachste Zeichnung, die wir beobachten können, ist wohl diejenige,
die unmittelbar an eine erklärende Geberde anknüpft. Wie der Eingeborene zur
Veranschaulichung für den Gehörsinn geschickt die charakteristischen Stimmtöne
eines Tieres wiedergiebt und bei irgendwie belebter Erzählung dies zu thun immer
versucht ist, so ahmt er das Tier auch für den Gesichtssinn in Haltung, Gang,
Bewegungen nach und malt zum besseren Verständnis irgend welche absonderlichen
Körperteile wie Ohren, Schnauze, Hörner in die freie Luft oder, indem er seine
eigenen Körperteile mit der Hand entsprechend umschreibt. Die zeichnende Ge-
berde geht dem Nachahmen der Tierstimme auf das Genaueste parallel. Sobald
aber das Verfahren nicht ausreicht, zeichnet man auf die Erde oder in den Sand.
Ich habe bei der Aufnahme der Wörterverzeichnisse mich ausserordentlich oft
überzeugen können, dass sich die innere Anschauung unwillkürlich und ohne von
mir dazu herausgefordert zu sein, in eine erklärende Sandzeichnung umsetzte.
Es geschah freilich zumeist, wenn auch die Gestalt des Tieres besonders dazu
geeignet war, wie bei Schlangen, einem Alligatorkopf und bei Fischen, wo
ausserdem eine Stimme nicht nachgeahmt werden konnte. Es ist ferner ohne
Weiteres zuzugeben, dass der Antrieb für den Bereich des Gehörsinns bei diesen
Jägern ungleich kräftiger wirkte, und auch, dass man sich für den Gesichtssinn
im Verkehr untereinander gewiss auf die zeichnende Geberde beschränkte. Ja,
wirklich beschränken konnte. Mir gegenüber trat der Gedanke hinzu: »wie wollen
wir, da der Mann unsere Sprache nicht versteht, in diesem Fall nur hinreichend
deutlich sein?« und man zeichnete in den Sand.
Es genügt, wenn man aus dem Verhalten der Indianer zu schliessen berechtigt
ist, dass sich die zeichnende Geberde auf einer Stufe, wo sie noch eine nicht un-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. [243]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/289>, abgerufen am 21.11.2024.
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