eine Strecke von 2300 Kilometern zu Pferde zurückgelegt hatte, wurde er ver- haftet und zur Desinfektion, die in dem kleinen Nest mit allen Schikanen aus- zuführen unmöglich war, auf einer zweitägigen Reise mit Bahn und Dampfer und ohne Isolirung von den übrigen Passagieren nach Ilha Grande, der Qurantaine- Insel von Rio de Janeiro, gebracht, um dort, ich weiss nicht wie viele Tage, aus- gelüftet zu werden.
Am 20. Juni Abends erreichten wir Santa Helena, die Fabrik des Kemme- richschen Fleischextraktes. Sie gehört dem Haus Tornquist in Buenos Aires, dessen Associe Herr Lynen sich das höchst dankenswerte Verdienst um unsere Reise erworben hatte, ihr eine Sendung von Fleischextrakt, Bouillonextrakt und Pepton zu stiften, und auch, wie wir bald erfuhren, so liebenswürdig gewesen war, uns hier anzumelden. Denn zu unserer Ueberraschung erklang aus einem Nachen, der in der Dunkelheit heranglitt, plötzlich die Frage herauf, ob die deutsche Expedition an Bord sei, und trat auch gleich darauf Herr Dr. Kemmerich in Person auf Deck mit einem Blumenstrauss und einer neuen inhaltsschweren Kiste ausgerüstet. Erfreulicher Weise musste der Dampfer Kohlen aufnehmen und blieb bis Mitternacht. Nur zu bereitwillig ergriffen wir die Gelegenheit, das Klaviergeklimper, Kartenspiel und die schrecklichen deklamatorischen Vor- träge des Kajütensalons mit einer behaglichen Familienstube zu vertauschen und folgten der Einladung des Gastfreundes. Zur grösseren Feierlichkeit hatte der Mayordomo auf den am Ufer aufgetürmten Knochenhügeln der Schlachtopfer zwei mächtige Pechfeuer angezündet, so dass die Fabrik in romantischer Be- leuchtung prangte. Damals "nur" 200 Ochsen täglich mussten hier ihr Leben lassen, doch war die Anstalt in gutem Aufschwung begriffen und sollte bald zu grösseren Verhältnissen erweitert werden. Herr Kemmerich hatte ein neues Präparat ersonnen, ein gelbliches, unter hydraulischem Druck hergestelltes Fleisch- mehl, in dem so viel Nährstoffe -- feingepulvertes Bratenfleisch, Speisefett, Peptone, Extrakt -- vereinigt waren, dass 100 gr dem Nährwerte von 500 gr frischen Fleisches entsprechen, und dass ein Mann ausschliesslich von dem Inhalt einer etwa spannenlangen zilindrischen Blechbüchse 3--4 Tage leben könne; er bat uns, dieses leicht transportable Gemenge von Kraft und Stoff auf der Reise in Form von Suppe zu versuchen. Wie ich schon hier anführen darf, sind uns die "Fleischpatronen" von solchem Nutzen gewesen, dass wir die Stunde segnen dürfen, wo wir sie erhielten.
In Corrientes mussten wir von unserm schönen, elektrisch beleuchteten Dampfer Abschied nehmen und auf den bescheideneren und kleineren "Rapido" übersiedeln. Dennoch war der Tausch ein guter, denn bei dem "Rio Parana" drohte das Auffahren auf den Sand chronisch zu werden.
Den 28. Juni Asuncion, den 29. Juni weiter. Wir überstürzten uns niemals. Am 30. Juni stoppten wir eine gute Weile, um für einen Ochsen, den wir mit uns führten, Gras zu schneiden. Bequemer wäre es noch gewesen, ihn sich am Lande satt fressen zu lassen.
eine Strecke von 2300 Kilometern zu Pferde zurückgelegt hatte, wurde er ver- haftet und zur Desinfektion, die in dem kleinen Nest mit allen Schikanen aus- zuführen unmöglich war, auf einer zweitägigen Reise mit Bahn und Dampfer und ohne Isolirung von den übrigen Passagieren nach Ilha Grande, der Qurantaine- Insel von Rio de Janeiro, gebracht, um dort, ich weiss nicht wie viele Tage, aus- gelüftet zu werden.
Am 20. Juni Abends erreichten wir Santa Helena, die Fabrik des Kemme- richschen Fleischextraktes. Sie gehört dem Haus Tornquist in Buenos Aires, dessen Associé Herr Lynen sich das höchst dankenswerte Verdienst um unsere Reise erworben hatte, ihr eine Sendung von Fleischextrakt, Bouillonextrakt und Pepton zu stiften, und auch, wie wir bald erfuhren, so liebenswürdig gewesen war, uns hier anzumelden. Denn zu unserer Ueberraschung erklang aus einem Nachen, der in der Dunkelheit heranglitt, plötzlich die Frage herauf, ob die deutsche Expedition an Bord sei, und trat auch gleich darauf Herr Dr. Kemmerich in Person auf Deck mit einem Blumenstrauss und einer neuen inhaltsschweren Kiste ausgerüstet. Erfreulicher Weise musste der Dampfer Kohlen aufnehmen und blieb bis Mitternacht. Nur zu bereitwillig ergriffen wir die Gelegenheit, das Klaviergeklimper, Kartenspiel und die schrecklichen deklamatorischen Vor- träge des Kajütensalons mit einer behaglichen Familienstube zu vertauschen und folgten der Einladung des Gastfreundes. Zur grösseren Feierlichkeit hatte der Mayordomo auf den am Ufer aufgetürmten Knochenhügeln der Schlachtopfer zwei mächtige Pechfeuer angezündet, so dass die Fabrik in romantischer Be- leuchtung prangte. Damals »nur« 200 Ochsen täglich mussten hier ihr Leben lassen, doch war die Anstalt in gutem Aufschwung begriffen und sollte bald zu grösseren Verhältnissen erweitert werden. Herr Kemmerich hatte ein neues Präparat ersonnen, ein gelbliches, unter hydraulischem Druck hergestelltes Fleisch- mehl, in dem so viel Nährstoffe — feingepulvertes Bratenfleisch, Speisefett, Peptone, Extrakt — vereinigt waren, dass 100 gr dem Nährwerte von 500 gr frischen Fleisches entsprechen, und dass ein Mann ausschliesslich von dem Inhalt einer etwa spannenlangen zilindrischen Blechbüchse 3—4 Tage leben könne; er bat uns, dieses leicht transportable Gemenge von Kraft und Stoff auf der Reise in Form von Suppe zu versuchen. Wie ich schon hier anführen darf, sind uns die »Fleischpatronen« von solchem Nutzen gewesen, dass wir die Stunde segnen dürfen, wo wir sie erhielten.
In Corrientes mussten wir von unserm schönen, elektrisch beleuchteten Dampfer Abschied nehmen und auf den bescheideneren und kleineren »Rapido« übersiedeln. Dennoch war der Tausch ein guter, denn bei dem »Rio Parana« drohte das Auffahren auf den Sand chronisch zu werden.
Den 28. Juni Asuncion, den 29. Juni weiter. Wir überstürzten uns niemals. Am 30. Juni stoppten wir eine gute Weile, um für einen Ochsen, den wir mit uns führten, Gras zu schneiden. Bequemer wäre es noch gewesen, ihn sich am Lande satt fressen zu lassen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0029"n="7"/>
eine Strecke von 2300 Kilometern zu Pferde zurückgelegt hatte, wurde er ver-<lb/>
haftet und zur Desinfektion, die in dem kleinen Nest mit allen Schikanen aus-<lb/>
zuführen unmöglich war, auf einer zweitägigen Reise mit Bahn und Dampfer<lb/>
und ohne Isolirung von den übrigen Passagieren nach Ilha Grande, der Qurantaine-<lb/>
Insel von Rio de Janeiro, gebracht, um dort, ich weiss nicht wie viele Tage, aus-<lb/>
gelüftet zu werden.</p><lb/><p>Am 20. Juni Abends erreichten wir Santa Helena, die Fabrik des Kemme-<lb/>
richschen Fleischextraktes. Sie gehört dem Haus Tornquist in Buenos Aires,<lb/>
dessen Associé Herr <hirendition="#g">Lynen</hi> sich das höchst dankenswerte Verdienst um unsere<lb/>
Reise erworben hatte, ihr eine Sendung von Fleischextrakt, Bouillonextrakt und<lb/>
Pepton zu stiften, und auch, wie wir bald erfuhren, so liebenswürdig gewesen<lb/>
war, uns hier anzumelden. Denn zu unserer Ueberraschung erklang aus einem<lb/>
Nachen, der in der Dunkelheit heranglitt, plötzlich die Frage herauf, ob die<lb/>
deutsche Expedition an Bord sei, und trat auch gleich darauf Herr Dr. <hirendition="#g">Kemmerich</hi><lb/>
in Person auf Deck mit einem Blumenstrauss und einer neuen inhaltsschweren<lb/>
Kiste ausgerüstet. Erfreulicher Weise musste der Dampfer Kohlen aufnehmen<lb/>
und blieb bis Mitternacht. Nur zu bereitwillig ergriffen wir die Gelegenheit,<lb/>
das Klaviergeklimper, Kartenspiel und die schrecklichen deklamatorischen Vor-<lb/>
träge des Kajütensalons mit einer behaglichen Familienstube zu vertauschen und<lb/>
folgten der Einladung des Gastfreundes. Zur grösseren Feierlichkeit hatte der<lb/>
Mayordomo auf den am Ufer aufgetürmten Knochenhügeln der Schlachtopfer<lb/>
zwei mächtige Pechfeuer angezündet, so dass die Fabrik in romantischer Be-<lb/>
leuchtung prangte. Damals »nur« 200 Ochsen täglich mussten hier ihr Leben<lb/>
lassen, doch war die Anstalt in gutem Aufschwung begriffen und sollte bald zu<lb/>
grösseren Verhältnissen erweitert werden. Herr Kemmerich hatte ein neues<lb/>
Präparat ersonnen, ein gelbliches, unter hydraulischem Druck hergestelltes Fleisch-<lb/>
mehl, in dem so viel Nährstoffe — feingepulvertes Bratenfleisch, Speisefett, Peptone,<lb/>
Extrakt — vereinigt waren, dass 100 gr dem Nährwerte von 500 gr frischen<lb/>
Fleisches entsprechen, und dass ein Mann ausschliesslich von dem Inhalt einer<lb/>
etwa spannenlangen zilindrischen Blechbüchse 3—4 Tage leben könne; er bat<lb/>
uns, dieses leicht transportable Gemenge von Kraft und Stoff auf der Reise in<lb/>
Form von Suppe zu versuchen. Wie ich schon hier anführen darf, sind uns die<lb/>
»Fleischpatronen« von solchem Nutzen gewesen, dass wir die Stunde segnen<lb/>
dürfen, wo wir sie erhielten.</p><lb/><p>In Corrientes mussten wir von unserm schönen, elektrisch beleuchteten<lb/>
Dampfer Abschied nehmen und auf den bescheideneren und kleineren »Rapido«<lb/>
übersiedeln. Dennoch war der Tausch ein guter, denn bei dem »Rio Parana«<lb/>
drohte das Auffahren auf den Sand chronisch zu werden.</p><lb/><p>Den 28. Juni <hirendition="#g">Asuncion</hi>, den 29. Juni weiter. Wir überstürzten uns niemals.<lb/>
Am 30. Juni stoppten wir eine gute Weile, um für einen Ochsen, den wir mit<lb/>
uns führten, Gras zu schneiden. Bequemer wäre es noch gewesen, ihn sich am<lb/>
Lande satt fressen zu lassen.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[7/0029]
eine Strecke von 2300 Kilometern zu Pferde zurückgelegt hatte, wurde er ver-
haftet und zur Desinfektion, die in dem kleinen Nest mit allen Schikanen aus-
zuführen unmöglich war, auf einer zweitägigen Reise mit Bahn und Dampfer
und ohne Isolirung von den übrigen Passagieren nach Ilha Grande, der Qurantaine-
Insel von Rio de Janeiro, gebracht, um dort, ich weiss nicht wie viele Tage, aus-
gelüftet zu werden.
Am 20. Juni Abends erreichten wir Santa Helena, die Fabrik des Kemme-
richschen Fleischextraktes. Sie gehört dem Haus Tornquist in Buenos Aires,
dessen Associé Herr Lynen sich das höchst dankenswerte Verdienst um unsere
Reise erworben hatte, ihr eine Sendung von Fleischextrakt, Bouillonextrakt und
Pepton zu stiften, und auch, wie wir bald erfuhren, so liebenswürdig gewesen
war, uns hier anzumelden. Denn zu unserer Ueberraschung erklang aus einem
Nachen, der in der Dunkelheit heranglitt, plötzlich die Frage herauf, ob die
deutsche Expedition an Bord sei, und trat auch gleich darauf Herr Dr. Kemmerich
in Person auf Deck mit einem Blumenstrauss und einer neuen inhaltsschweren
Kiste ausgerüstet. Erfreulicher Weise musste der Dampfer Kohlen aufnehmen
und blieb bis Mitternacht. Nur zu bereitwillig ergriffen wir die Gelegenheit,
das Klaviergeklimper, Kartenspiel und die schrecklichen deklamatorischen Vor-
träge des Kajütensalons mit einer behaglichen Familienstube zu vertauschen und
folgten der Einladung des Gastfreundes. Zur grösseren Feierlichkeit hatte der
Mayordomo auf den am Ufer aufgetürmten Knochenhügeln der Schlachtopfer
zwei mächtige Pechfeuer angezündet, so dass die Fabrik in romantischer Be-
leuchtung prangte. Damals »nur« 200 Ochsen täglich mussten hier ihr Leben
lassen, doch war die Anstalt in gutem Aufschwung begriffen und sollte bald zu
grösseren Verhältnissen erweitert werden. Herr Kemmerich hatte ein neues
Präparat ersonnen, ein gelbliches, unter hydraulischem Druck hergestelltes Fleisch-
mehl, in dem so viel Nährstoffe — feingepulvertes Bratenfleisch, Speisefett, Peptone,
Extrakt — vereinigt waren, dass 100 gr dem Nährwerte von 500 gr frischen
Fleisches entsprechen, und dass ein Mann ausschliesslich von dem Inhalt einer
etwa spannenlangen zilindrischen Blechbüchse 3—4 Tage leben könne; er bat
uns, dieses leicht transportable Gemenge von Kraft und Stoff auf der Reise in
Form von Suppe zu versuchen. Wie ich schon hier anführen darf, sind uns die
»Fleischpatronen« von solchem Nutzen gewesen, dass wir die Stunde segnen
dürfen, wo wir sie erhielten.
In Corrientes mussten wir von unserm schönen, elektrisch beleuchteten
Dampfer Abschied nehmen und auf den bescheideneren und kleineren »Rapido«
übersiedeln. Dennoch war der Tausch ein guter, denn bei dem »Rio Parana«
drohte das Auffahren auf den Sand chronisch zu werden.
Den 28. Juni Asuncion, den 29. Juni weiter. Wir überstürzten uns niemals.
Am 30. Juni stoppten wir eine gute Weile, um für einen Ochsen, den wir mit
uns führten, Gras zu schneiden. Bequemer wäre es noch gewesen, ihn sich am
Lande satt fressen zu lassen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/29>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.