eckigen Aufsatz so eingeflochten war, dass die beiden langen spitzen Zähne, die beliebten Bohr- und Schneidinstrumente des Indianers oben heraus- schauten.
Man sieht, der Tanz hat seine psychologische Entwicklung. In ihm spiegeln sich die Fortschritte der Kultur deutlich wieder. Im Anfang wird das Tier in der Pantomime vorgeführt, seine Stimme nachgeahmt und seine Gestalt in der Strohvermummung nachge- bildet, aus dem Fischnetz entwickelt sich die Masken- kunst mit ihren für alle Malerei fruchtbaren Motiven -- hier ist bereits das Gerät mit seiner Technik gegen- über der Tierfigur in den Vordergrund des Interesses getreten. Das Wurfbrett und die Keule, sie sterben aus als Waffen bei dem friedlicher gesinnten Feld- bebauer, aber sie erhalten sich als Tanzschmuck, die Wurfsteine werden am Pfeil durch Wachsklumpen ersetzt und kleine hängen als Amulette am Hals der Kinder. Der Bakairi macht zum Mittelpunkt seiner Tänze mit Buritiflechtwerk zwei in der Palme lebende Insekten. Der Kamayura trägt das Gebiss
[Abbildung]
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Abb. 120.
Hundsfisch-Tanzstab. Kamayura ( 1/6 nat. Gr.)
des Hundsfisches beim Fischtanz als Festzierrat, er und der Auetö macht sich auch Schmuckwirtel an Stelle der Arbeits-Spinnwirtel und kommt sofort zu neuen Mustern, weil er sie für den Zweck des Augenblicks nur mit ver- gänglichen Mustern zu bemalen braucht (vgl. Seite 274), der Bakairi schafft sich aus den Mandioka-Grabstöcken in den Rückenhölzern einen eigenartigen Tanzschmuck und auch hier entstehen in der freien Kunstübung neue Motive, sowohl der Form, indem sich der spitze Holzzilinder verwandelt, als der Zeichen- muster (vgl. Seite 265, 266, 284).
Ueberall finden wir hier noch vor dem Schmuck die nüchterne, nützliche Thätigkeit, sei es Jagd, Fischfang oder andere Arbeit. Noch einmal wollen wir es uns klar machen, der Mensch schmückte sich nicht, indem er sich in der freien Natur umschaute nach dem, was schön aussah und sich dies an seinem Körper anbrachte, sondern er entdeckte die Schönheit erst, nachdem er das Material um nützlicher Zwecke gesucht und in Gebrauch genommen hatte. Aber jetzt hat er mittlerweile einen grossen Vorrat an Form- und Farbenmotiven gewonnen, er sucht sie allerorts zu verwenden und hat das Schmücken selbst zu einer Art Kunst erhoben, die sich bei Tanz und Festspiel, wo der Ueberschuss der Kräfte zur Geltung kommt, am freiesten entfaltet.
Musikinstrumente. "Am lebhaftesten tritt in der Musik des Indianers das Gefühl für den Rythmus hervor, dagegen bringt er es nur zu schwachen Bruch- stücken von Melodieen und von der das Gemüt ergreifenden Kraft der Harmonie
eckigen Aufsatz so eingeflochten war, dass die beiden langen spitzen Zähne, die beliebten Bohr- und Schneidinstrumente des Indianers oben heraus- schauten.
Man sieht, der Tanz hat seine psychologische Entwicklung. In ihm spiegeln sich die Fortschritte der Kultur deutlich wieder. Im Anfang wird das Tier in der Pantomime vorgeführt, seine Stimme nachgeahmt und seine Gestalt in der Strohvermummung nachge- bildet, aus dem Fischnetz entwickelt sich die Masken- kunst mit ihren für alle Malerei fruchtbaren Motiven — hier ist bereits das Gerät mit seiner Technik gegen- über der Tierfigur in den Vordergrund des Interesses getreten. Das Wurfbrett und die Keule, sie sterben aus als Waffen bei dem friedlicher gesinnten Feld- bebauer, aber sie erhalten sich als Tanzschmuck, die Wurfsteine werden am Pfeil durch Wachsklumpen ersetzt und kleine hängen als Amulette am Hals der Kinder. Der Bakaïrí macht zum Mittelpunkt seiner Tänze mit Buritíflechtwerk zwei in der Palme lebende Insekten. Der Kamayurá trägt das Gebiss
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Abb. 120.
Hundsfisch-Tanzstab. Kamayurá (⅙ nat. Gr.)
des Hundsfisches beim Fischtanz als Festzierrat, er und der Auetö́ macht sich auch Schmuckwirtel an Stelle der Arbeits-Spinnwirtel und kommt sofort zu neuen Mustern, weil er sie für den Zweck des Augenblicks nur mit ver- gänglichen Mustern zu bemalen braucht (vgl. Seite 274), der Bakaïrí schafft sich aus den Mandioka-Grabstöcken in den Rückenhölzern einen eigenartigen Tanzschmuck und auch hier entstehen in der freien Kunstübung neue Motive, sowohl der Form, indem sich der spitze Holzzilinder verwandelt, als der Zeichen- muster (vgl. Seite 265, 266, 284).
Ueberall finden wir hier noch vor dem Schmuck die nüchterne, nützliche Thätigkeit, sei es Jagd, Fischfang oder andere Arbeit. Noch einmal wollen wir es uns klar machen, der Mensch schmückte sich nicht, indem er sich in der freien Natur umschaute nach dem, was schön aussah und sich dies an seinem Körper anbrachte, sondern er entdeckte die Schönheit erst, nachdem er das Material um nützlicher Zwecke gesucht und in Gebrauch genommen hatte. Aber jetzt hat er mittlerweile einen grossen Vorrat an Form- und Farbenmotiven gewonnen, er sucht sie allerorts zu verwenden und hat das Schmücken selbst zu einer Art Kunst erhoben, die sich bei Tanz und Festspiel, wo der Ueberschuss der Kräfte zur Geltung kommt, am freiesten entfaltet.
Musikinstrumente. »Am lebhaftesten tritt in der Musik des Indianers das Gefühl für den Rythmus hervor, dagegen bringt er es nur zu schwachen Bruch- stücken von Melodieen und von der das Gemüt ergreifenden Kraft der Harmonie
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langen spitzen Zähne, die beliebten Bohr- und
Schneidinstrumente des Indianers oben heraus-
schauten.
Man sieht, der Tanz hat seine psychologische
Entwicklung. In ihm spiegeln sich die Fortschritte der
Kultur deutlich wieder. Im Anfang wird das Tier in
der Pantomime vorgeführt, seine Stimme nachgeahmt
und seine Gestalt in der Strohvermummung nachge-
bildet, aus dem Fischnetz entwickelt sich die Masken-
kunst mit ihren für alle Malerei fruchtbaren Motiven —
hier ist bereits das Gerät mit seiner Technik gegen-
über der Tierfigur in den Vordergrund des Interesses
getreten. Das Wurfbrett und die Keule, sie sterben
aus als Waffen bei dem friedlicher gesinnten Feld-
bebauer, aber sie erhalten sich als Tanzschmuck, die
Wurfsteine werden am Pfeil durch Wachsklumpen
ersetzt und kleine hängen als Amulette am Hals der
Kinder. Der Bakaïrí macht zum Mittelpunkt seiner
Tänze mit Buritíflechtwerk zwei in der Palme
lebende Insekten. Der Kamayurá trägt das Gebiss
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[Abbildung Abb. 120.
Hundsfisch-Tanzstab.
Kamayurá (⅙ nat. Gr.)]
des Hundsfisches beim Fischtanz als Festzierrat, er und der Auetö́ macht
sich auch Schmuckwirtel an Stelle der Arbeits-Spinnwirtel und kommt sofort
zu neuen Mustern, weil er sie für den Zweck des Augenblicks nur mit ver-
gänglichen Mustern zu bemalen braucht (vgl. Seite 274), der Bakaïrí schafft
sich aus den Mandioka-Grabstöcken in den Rückenhölzern einen eigenartigen
Tanzschmuck und auch hier entstehen in der freien Kunstübung neue Motive,
sowohl der Form, indem sich der spitze Holzzilinder verwandelt, als der Zeichen-
muster (vgl. Seite 265, 266, 284).
Ueberall finden wir hier noch vor dem Schmuck die nüchterne, nützliche
Thätigkeit, sei es Jagd, Fischfang oder andere Arbeit. Noch einmal wollen wir
es uns klar machen, der Mensch schmückte sich nicht, indem er sich in der freien
Natur umschaute nach dem, was schön aussah und sich dies an seinem Körper
anbrachte, sondern er entdeckte die Schönheit erst, nachdem er das Material
um nützlicher Zwecke gesucht und in Gebrauch genommen hatte. Aber jetzt
hat er mittlerweile einen grossen Vorrat an Form- und Farbenmotiven gewonnen,
er sucht sie allerorts zu verwenden und hat das Schmücken selbst zu einer Art
Kunst erhoben, die sich bei Tanz und Festspiel, wo der Ueberschuss der Kräfte
zur Geltung kommt, am freiesten entfaltet.
Musikinstrumente. »Am lebhaftesten tritt in der Musik des Indianers das
Gefühl für den Rythmus hervor, dagegen bringt er es nur zu schwachen Bruch-
stücken von Melodieen und von der das Gemüt ergreifenden Kraft der Harmonie
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/389>, abgerufen am 21.11.2024.
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