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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Pfeile und Steinbeile; der Bräutigam muss auch mit in der Rodung arbeiten, "um
zu zeigen, dass er es versteht", er hängt seine Hängematte über der des Mädchens
auf und Alles ist in Ordnung. Dass ältere Männer junge Frauen, jüngere Männer
ältere Frauen haben, war nur am Paranatinga deutlich ausgesprochen, am Kuli-
sehu dagegen nicht; (dieses Vorrecht der Alten tritt hier also erst bei dem Verfall
des Stammes auf). Wenigstens waren die paar Ehegemeinschaften, die ich in
Maigeri genauer kennen lernte, gleichartig zusammengefügt. Die Scheidung erfolge
bei den Bakairi ohne Umstände, auch wenn der Mann nicht damit einverstanden
sei. "Die Frau geht fort, vielleicht erwischt er sie wieder."

Ueber die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern habe ich bereits früher
gesprochen, vgl. S. 214 ff. Die Frau nahm keine unwürdige Stellung ein. Der
Mann liess sie mehr Last tragen, als er selbst trug, er hielt sie fern von dem
Flötenhaus, wo die Männer berieten, rauchten, Feste begingen, und wo die
Fremden beherbergt wurden, er war ihr Herr und Gebieter -- und that, was sie
wollte. Wenn Martius sagt, dass die Frau "trotz sklavischer Unterordnung in
Folge der heitern Geschäftigkeit" keine niedere Stellung einnehme, so trifft
das für unsere Indianer vollkommen mit der Massgabe zu, dass die sklavische
Unterordnung stark zurücktrat. Die Frau bedurfte des Schutzes einmal, weil sie
schwach war und bei jeder Gefahr "weinte", dann, weil sie vor fremden Gelüsten
bewahrt werden musste. Sie ging bei der Heimkehr von der Pflanzung nach
Hause vor dem Manne, da sie schwer bepackt rasch vorwärts eilte und Alles
sicher war, im Walde ging sie hinter ihm, damit er einer etwaigen Gefahr zuerst
begegne. Vor fremden Gästen wurde sie behütet, und wenn sie zweifelhafter
Natur waren wie wir, so liefen die Weiber und Kinder in den Wald.

Was bei Ehebruchsdramen geschieht, weiss ich nicht. Wir haben überhaupt
keine Gelegenheit gehabt, etwas zu beobachten, was in das Gebiet der Justiz-
pflege gehörte. Wenn ich mich bei Antonio nach Verbrechen irgendwelcher Art
erkundigte, so antwortete er immer, dergleichen sei früher wohl geschehen, komme
aber jetzt nicht mehr vor.

Diebstahl war jedenfalls uns gegenüber sehr häufig, ausgenommen bei den
Bakairi, wo indess Freund Luchu zur Zeit, da er uns in der Independencia be-
suchte, nicht mehr recht sicher war. Als die Verwirrung im Trumailager ent-
stand, weil ich ein Glas mir gestohlener Arsenikpillen zurückverlangen musste,
sahen wir, dass die mit uns gekommenen Yaulapiti Steinbeile der Trumai zu er-
wischen suchten. Immer und ganz ohne Ausnahme sollte es ein Fremder ge-
wesen sein, der gestohlen hatte. Die gemeinsam wohnenden Leute haben
auch wenig, was sie sich untereinander wegzunehmen brauchten, und der
Dieb könnte dessen kaum froh werden, ohne dass man ihn entdeckte. Nichts
ist also natürlicher, als dass sich der Begriff von Moral auf das Genaueste
an die Stammeszugehörigkeit anlehnt. Bei den Bakairi heisst kura "wir", "wir
alle", "unser" und gleichzeitig "gut" ("unsere Leut"), kurapa "nicht wir",
"nicht unser" und gleichzeitig "schlecht, geizig, ungesund". Alles Uebel kommt

Pfeile und Steinbeile; der Bräutigam muss auch mit in der Rodung arbeiten, »um
zu zeigen, dass er es versteht«, er hängt seine Hängematte über der des Mädchens
auf und Alles ist in Ordnung. Dass ältere Männer junge Frauen, jüngere Männer
ältere Frauen haben, war nur am Paranatinga deutlich ausgesprochen, am Kuli-
sehu dagegen nicht; (dieses Vorrecht der Alten tritt hier also erst bei dem Verfall
des Stammes auf). Wenigstens waren die paar Ehegemeinschaften, die ich in
Maigéri genauer kennen lernte, gleichartig zusammengefügt. Die Scheidung erfolge
bei den Bakaïrí ohne Umstände, auch wenn der Mann nicht damit einverstanden
sei. »Die Frau geht fort, vielleicht erwischt er sie wieder.«

Ueber die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern habe ich bereits früher
gesprochen, vgl. S. 214 ff. Die Frau nahm keine unwürdige Stellung ein. Der
Mann liess sie mehr Last tragen, als er selbst trug, er hielt sie fern von dem
Flötenhaus, wo die Männer berieten, rauchten, Feste begingen, und wo die
Fremden beherbergt wurden, er war ihr Herr und Gebieter — und that, was sie
wollte. Wenn Martius sagt, dass die Frau »trotz sklavischer Unterordnung in
Folge der heitern Geschäftigkeit« keine niedere Stellung einnehme, so trifft
das für unsere Indianer vollkommen mit der Massgabe zu, dass die sklavische
Unterordnung stark zurücktrat. Die Frau bedurfte des Schutzes einmal, weil sie
schwach war und bei jeder Gefahr »weinte«, dann, weil sie vor fremden Gelüsten
bewahrt werden musste. Sie ging bei der Heimkehr von der Pflanzung nach
Hause vor dem Manne, da sie schwer bepackt rasch vorwärts eilte und Alles
sicher war, im Walde ging sie hinter ihm, damit er einer etwaigen Gefahr zuerst
begegne. Vor fremden Gästen wurde sie behütet, und wenn sie zweifelhafter
Natur waren wie wir, so liefen die Weiber und Kinder in den Wald.

Was bei Ehebruchsdramen geschieht, weiss ich nicht. Wir haben überhaupt
keine Gelegenheit gehabt, etwas zu beobachten, was in das Gebiet der Justiz-
pflege gehörte. Wenn ich mich bei Antonio nach Verbrechen irgendwelcher Art
erkundigte, so antwortete er immer, dergleichen sei früher wohl geschehen, komme
aber jetzt nicht mehr vor.

Diebstahl war jedenfalls uns gegenüber sehr häufig, ausgenommen bei den
Bakaïrí, wo indess Freund Luchu zur Zeit, da er uns in der Independencia be-
suchte, nicht mehr recht sicher war. Als die Verwirrung im Trumaílager ent-
stand, weil ich ein Glas mir gestohlener Arsenikpillen zurückverlangen musste,
sahen wir, dass die mit uns gekommenen Yaulapiti Steinbeile der Trumaí zu er-
wischen suchten. Immer und ganz ohne Ausnahme sollte es ein Fremder ge-
wesen sein, der gestohlen hatte. Die gemeinsam wohnenden Leute haben
auch wenig, was sie sich untereinander wegzunehmen brauchten, und der
Dieb könnte dessen kaum froh werden, ohne dass man ihn entdeckte. Nichts
ist also natürlicher, als dass sich der Begriff von Moral auf das Genaueste
an die Stammeszugehörigkeit anlehnt. Bei den Bakaïrí heisst kurá »wir«, »wir
alle«, »unser« und gleichzeitig »gut« (»unsere Leut«), kurápa »nicht wir«,
»nicht unser« und gleichzeitig »schlecht, geizig, ungesund«. Alles Uebel kommt

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[332/0396] Pfeile und Steinbeile; der Bräutigam muss auch mit in der Rodung arbeiten, »um zu zeigen, dass er es versteht«, er hängt seine Hängematte über der des Mädchens auf und Alles ist in Ordnung. Dass ältere Männer junge Frauen, jüngere Männer ältere Frauen haben, war nur am Paranatinga deutlich ausgesprochen, am Kuli- sehu dagegen nicht; (dieses Vorrecht der Alten tritt hier also erst bei dem Verfall des Stammes auf). Wenigstens waren die paar Ehegemeinschaften, die ich in Maigéri genauer kennen lernte, gleichartig zusammengefügt. Die Scheidung erfolge bei den Bakaïrí ohne Umstände, auch wenn der Mann nicht damit einverstanden sei. »Die Frau geht fort, vielleicht erwischt er sie wieder.« Ueber die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern habe ich bereits früher gesprochen, vgl. S. 214 ff. Die Frau nahm keine unwürdige Stellung ein. Der Mann liess sie mehr Last tragen, als er selbst trug, er hielt sie fern von dem Flötenhaus, wo die Männer berieten, rauchten, Feste begingen, und wo die Fremden beherbergt wurden, er war ihr Herr und Gebieter — und that, was sie wollte. Wenn Martius sagt, dass die Frau »trotz sklavischer Unterordnung in Folge der heitern Geschäftigkeit« keine niedere Stellung einnehme, so trifft das für unsere Indianer vollkommen mit der Massgabe zu, dass die sklavische Unterordnung stark zurücktrat. Die Frau bedurfte des Schutzes einmal, weil sie schwach war und bei jeder Gefahr »weinte«, dann, weil sie vor fremden Gelüsten bewahrt werden musste. Sie ging bei der Heimkehr von der Pflanzung nach Hause vor dem Manne, da sie schwer bepackt rasch vorwärts eilte und Alles sicher war, im Walde ging sie hinter ihm, damit er einer etwaigen Gefahr zuerst begegne. Vor fremden Gästen wurde sie behütet, und wenn sie zweifelhafter Natur waren wie wir, so liefen die Weiber und Kinder in den Wald. Was bei Ehebruchsdramen geschieht, weiss ich nicht. Wir haben überhaupt keine Gelegenheit gehabt, etwas zu beobachten, was in das Gebiet der Justiz- pflege gehörte. Wenn ich mich bei Antonio nach Verbrechen irgendwelcher Art erkundigte, so antwortete er immer, dergleichen sei früher wohl geschehen, komme aber jetzt nicht mehr vor. Diebstahl war jedenfalls uns gegenüber sehr häufig, ausgenommen bei den Bakaïrí, wo indess Freund Luchu zur Zeit, da er uns in der Independencia be- suchte, nicht mehr recht sicher war. Als die Verwirrung im Trumaílager ent- stand, weil ich ein Glas mir gestohlener Arsenikpillen zurückverlangen musste, sahen wir, dass die mit uns gekommenen Yaulapiti Steinbeile der Trumaí zu er- wischen suchten. Immer und ganz ohne Ausnahme sollte es ein Fremder ge- wesen sein, der gestohlen hatte. Die gemeinsam wohnenden Leute haben auch wenig, was sie sich untereinander wegzunehmen brauchten, und der Dieb könnte dessen kaum froh werden, ohne dass man ihn entdeckte. Nichts ist also natürlicher, als dass sich der Begriff von Moral auf das Genaueste an die Stammeszugehörigkeit anlehnt. Bei den Bakaïrí heisst kurá »wir«, »wir alle«, »unser« und gleichzeitig »gut« (»unsere Leut«), kurápa »nicht wir«, »nicht unser« und gleichzeitig »schlecht, geizig, ungesund«. Alles Uebel kommt

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/396>, abgerufen am 21.11.2024.