Wie entsteht nun eine solche Auffassung und was hat sie für Folgen? Der Erwachende ist sich bewusst, Dinge gesehen und gehört zu haben. Er hat sie mit voller Deutlichkeit wahrgenommen. Also waren sie da. Hat der Körper des Schlafenden währenddes in der Hängematte gelegen, so fällt es deshalb Niemanden ein, die Frage aufzuwerfen, ob das Gesehene und Geschehene wirklich sei. Keinem der Stammesgenossen kommt es in den Sinn, an dem wahrheitsgetreuen Bericht zu zweifeln; man macht vielleicht im Lauf der Zeiten eine Art Erklärungsversuch, indem man die thatsächlich vom Körper nicht unter- nommene Ortsveränderung z. B. dem Schatten zuschreibt, allein das ist neben- sächlich und berührt niemals den Eindruck aus dem grade vorkommenden Fall, Denn dass man Etwas nicht versteht, ist kein Grund, die wirkliche Erfahrung der Sinne zurückzuweisen. Es ist nur ein Grund, dass man geträumten Ereignissen, die ein allgemeines Interesse haben, grosse Wichtigkeit beimisst, dass sich Alle darüber aufregen; das Geschehene ist etwas Besonderes, und der es erlebt hat, kann mehr als die Andern. Wir sehen, dass es für die Entscheidung, was wirklich sei, nicht in Betracht zu kommen braucht, ob Sinneseindrücke von aussen her unmittelbar eintreffen, oder ob solche, die schon von früher als Erinnerungs- bilder aufgespeichert waren, in erregtem Zustand die alte sinnliche Kraft wieder erhalten. Eine Verwechslung von Gefühl und Leistung ist aber, sobald das lebhaft Vorgestellte für wirklich gilt, ganz unvermeidlich. Denn die erhitzte Phantasie kann ja in Wahrheit alle Dinge beliebig gestalten, also kann, wer von ihr erfüllt ist, das sonst Unmögliche. Er selbst ist überzeugt und die Andern bewundern ihn wegen seiner von ihm selbst berichteten Thaten; vielfache falsche Schlüsse über die Verknüpfung der Geschehnisse und auch das Spiel der Zufällig- keiten wirken überzeugend in gleicher Richtung. Alles beruht auf den verschiedenen Formen der Suggestion.
Sie, die in der Wirklichkeit so schwer zu überwinden ist, die räumliche Entfernung, wird nun, wo Gefühle stark erregt werden, mit Sicherheit über- wunden. Nicht nur im Traum und in visionärem Zustand. Was der kritisch prüfende Goethe als rätselhaft empfindet, aber doch auch glaubt, der Natur- mensch empfindet es in weit grösserem Umfang als für den Bereich der innigen Beziehungen zwischen zwei Personen und glaubt es naturlich. An einem jeden mit starkem Gefühl der Liebe, des Hasses, der Furcht, der Bewunderung be- trachteten Gegenstand vollzieht sich das Wunder. Wie man im Traum die grösste Entfernung im Nu zurücklegt und den stärksten Feind durch Berührung mit dem kleinen Finger niederstrecken kann, so räumt auch eine erregte Ein- bildungskraft das Hindernis der räumlichen Trennung hinweg, wird unter leichten Manipulationen mit jedem Widerstand fertig und lässt umgekehrt jeden beliebigen Zuwachs an Stärke oder Geschicklichkeit entstehen. Verfüge ich z. B. über etwas vom Leib des Feindes, so verfüge ich über den Feind im Guten und im Schlechten, ich habe einen Talisman oder ein Mittel, ihn trotz der Entfernung zu vernichten. Gewöhnlich denkt man sich, der Hergang sei so, dass der Zaubernde den Teil
Wie entsteht nun eine solche Auffassung und was hat sie für Folgen? Der Erwachende ist sich bewusst, Dinge gesehen und gehört zu haben. Er hat sie mit voller Deutlichkeit wahrgenommen. Also waren sie da. Hat der Körper des Schlafenden währenddes in der Hängematte gelegen, so fällt es deshalb Niemanden ein, die Frage aufzuwerfen, ob das Gesehene und Geschehene wirklich sei. Keinem der Stammesgenossen kommt es in den Sinn, an dem wahrheitsgetreuen Bericht zu zweifeln; man macht vielleicht im Lauf der Zeiten eine Art Erklärungsversuch, indem man die thatsächlich vom Körper nicht unter- nommene Ortsveränderung z. B. dem Schatten zuschreibt, allein das ist neben- sächlich und berührt niemals den Eindruck aus dem grade vorkommenden Fall, Denn dass man Etwas nicht versteht, ist kein Grund, die wirkliche Erfahrung der Sinne zurückzuweisen. Es ist nur ein Grund, dass man geträumten Ereignissen, die ein allgemeines Interesse haben, grosse Wichtigkeit beimisst, dass sich Alle darüber aufregen; das Geschehene ist etwas Besonderes, und der es erlebt hat, kann mehr als die Andern. Wir sehen, dass es für die Entscheidung, was wirklich sei, nicht in Betracht zu kommen braucht, ob Sinneseindrücke von aussen her unmittelbar eintreffen, oder ob solche, die schon von früher als Erinnerungs- bilder aufgespeichert waren, in erregtem Zustand die alte sinnliche Kraft wieder erhalten. Eine Verwechslung von Gefühl und Leistung ist aber, sobald das lebhaft Vorgestellte für wirklich gilt, ganz unvermeidlich. Denn die erhitzte Phantasie kann ja in Wahrheit alle Dinge beliebig gestalten, also kann, wer von ihr erfüllt ist, das sonst Unmögliche. Er selbst ist überzeugt und die Andern bewundern ihn wegen seiner von ihm selbst berichteten Thaten; vielfache falsche Schlüsse über die Verknüpfung der Geschehnisse und auch das Spiel der Zufällig- keiten wirken überzeugend in gleicher Richtung. Alles beruht auf den verschiedenen Formen der Suggestion.
Sie, die in der Wirklichkeit so schwer zu überwinden ist, die räumliche Entfernung, wird nun, wo Gefühle stark erregt werden, mit Sicherheit über- wunden. Nicht nur im Traum und in visionärem Zustand. Was der kritisch prüfende Goethe als rätselhaft empfindet, aber doch auch glaubt, der Natur- mensch empfindet es in weit grösserem Umfang als für den Bereich der innigen Beziehungen zwischen zwei Personen und glaubt es naturlich. An einem jeden mit starkem Gefühl der Liebe, des Hasses, der Furcht, der Bewunderung be- trachteten Gegenstand vollzieht sich das Wunder. Wie man im Traum die grösste Entfernung im Nu zurücklegt und den stärksten Feind durch Berührung mit dem kleinen Finger niederstrecken kann, so räumt auch eine erregte Ein- bildungskraft das Hindernis der räumlichen Trennung hinweg, wird unter leichten Manipulationen mit jedem Widerstand fertig und lässt umgekehrt jeden beliebigen Zuwachs an Stärke oder Geschicklichkeit entstehen. Verfüge ich z. B. über etwas vom Leib des Feindes, so verfüge ich über den Feind im Guten und im Schlechten, ich habe einen Talisman oder ein Mittel, ihn trotz der Entfernung zu vernichten. Gewöhnlich denkt man sich, der Hergang sei so, dass der Zaubernde den Teil
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Wie entsteht nun eine solche Auffassung und was hat sie für Folgen? Der
Erwachende ist sich bewusst, Dinge gesehen und gehört zu haben. Er hat sie
mit voller Deutlichkeit wahrgenommen. Also waren sie da. Hat der Körper
des Schlafenden währenddes in der Hängematte gelegen, so fällt es deshalb
Niemanden ein, die Frage aufzuwerfen, ob das Gesehene und Geschehene
wirklich sei. Keinem der Stammesgenossen kommt es in den Sinn, an dem
wahrheitsgetreuen Bericht zu zweifeln; man macht vielleicht im Lauf der Zeiten
eine Art Erklärungsversuch, indem man die thatsächlich vom Körper nicht unter-
nommene Ortsveränderung z. B. dem Schatten zuschreibt, allein das ist neben-
sächlich und berührt niemals den Eindruck aus dem grade vorkommenden Fall,
Denn dass man Etwas nicht versteht, ist kein Grund, die wirkliche Erfahrung der
Sinne zurückzuweisen. Es ist nur ein Grund, dass man geträumten Ereignissen,
die ein allgemeines Interesse haben, grosse Wichtigkeit beimisst, dass sich Alle
darüber aufregen; das Geschehene ist etwas Besonderes, und der es erlebt hat,
kann mehr als die Andern. Wir sehen, dass es für die Entscheidung, was
wirklich sei, nicht in Betracht zu kommen braucht, ob Sinneseindrücke von aussen
her unmittelbar eintreffen, oder ob solche, die schon von früher als Erinnerungs-
bilder aufgespeichert waren, in erregtem Zustand die alte sinnliche Kraft wieder
erhalten. Eine Verwechslung von Gefühl und Leistung ist aber, sobald das
lebhaft Vorgestellte für wirklich gilt, ganz unvermeidlich. Denn die erhitzte
Phantasie kann ja in Wahrheit alle Dinge beliebig gestalten, also kann, wer von
ihr erfüllt ist, das sonst Unmögliche. Er selbst ist überzeugt und die Andern
bewundern ihn wegen seiner von ihm selbst berichteten Thaten; vielfache falsche
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keiten wirken überzeugend in gleicher Richtung. Alles beruht auf den verschiedenen
Formen der Suggestion.
Sie, die in der Wirklichkeit so schwer zu überwinden ist, die räumliche
Entfernung, wird nun, wo Gefühle stark erregt werden, mit Sicherheit über-
wunden. Nicht nur im Traum und in visionärem Zustand. Was der kritisch
prüfende Goethe als rätselhaft empfindet, aber doch auch glaubt, der Natur-
mensch empfindet es in weit grösserem Umfang als für den Bereich der innigen
Beziehungen zwischen zwei Personen und glaubt es naturlich. An einem jeden
mit starkem Gefühl der Liebe, des Hasses, der Furcht, der Bewunderung be-
trachteten Gegenstand vollzieht sich das Wunder. Wie man im Traum die
grösste Entfernung im Nu zurücklegt und den stärksten Feind durch Berührung
mit dem kleinen Finger niederstrecken kann, so räumt auch eine erregte Ein-
bildungskraft das Hindernis der räumlichen Trennung hinweg, wird unter leichten
Manipulationen mit jedem Widerstand fertig und lässt umgekehrt jeden beliebigen
Zuwachs an Stärke oder Geschicklichkeit entstehen. Verfüge ich z. B. über etwas
vom Leib des Feindes, so verfüge ich über den Feind im Guten und im Schlechten,
ich habe einen Talisman oder ein Mittel, ihn trotz der Entfernung zu vernichten.
Gewöhnlich denkt man sich, der Hergang sei so, dass der Zaubernde den Teil
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/405>, abgerufen am 21.11.2024.
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