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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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mit dem Ganzen verwechsle, pars pro toto, und den Irrtum hege, das dem Teil
zugefügte Leid wachse zu einem Leid für das Ganze an, allein dies ist gar nicht
nötig. Der Teil hebt, sobald das Gefühl erregt ist, ja in der That die ganze
Assoziationsgruppe heraus; man kann vor einem Bild oder einem Stück Alles
empfinden, was man vor dem Original oder dem Ganzen zu empfinden vermag.
Dass der Talisman- oder Zaubergläubige z. B. Fähigkeiten, die nur dem Ganzen
zukommen, in den Teil, den er besitzt, hineinverlegt, rührt einfach daher, dass
von letzterem die Gefühle angeregt werden, die sich auf das Ganze beziehen und
die deshalb auch eine Kraftsteigerung bei ihm hervorrufen, als wenn er das Ganze
besässe. Gewiss sind Teile geeigneter dazu, die zu der erwünschten Wirkung
eine Beziehung haben wie Krallen und Zähne zur Körperstärke oder ein Stück
Haut zur Vergiftung, aber wesentlich ist diese Bedingung nicht. Der Hexende
nimmt, was er bekommen kann, wird aber immer geneigt sein, die Wirkung, die
er erreicht, von den Eigenschaften des betreffenden Teils entspringen zu lassen.
Bald wird nun auch die Erfahrung des Einzelnen zum Allgemeingut; es entstehen
die von Generation zu Generation empfohlenen "Mittel", über die kein Mensch
mehr nachdenkt.

Wir brauchen wahrlich nur um uns zu blicken, um zu erkennen, dass wir
uns noch auf keine Weise von der überzeugenden Macht der Gefühle haben be-
freien können. Wirkung in die Ferne und Talismane haben wir in Hülle und Fülle,
wir haben nur andere Namen dafür und schieben Zwischenglieder ein zwischen
Anfang und Ende des Prozesses, durch deren Vorhandensein der Ursprung aus
unserm eigenen Selbst verdeckt wird. Nehmen wir nur die trivialsten Beispiele.

Der Medizinmann, der einen Abwesenden dadurch umbringt, dass er einen
vergifteten Pfeil in seiner Richtung wirft, oder der Verliebte, der die entfernte
Freundin küsst, sie unterscheiden sich durch Nichts. Der Poet, der im glücklichen
Besitz eines von Schiller benutzten Tintenfasses wie Schiller dichtet, und der
Eingeborene, der mit einer Kette von Jaguarkrallen um den Hals wie ein Jaguar
stark ist, sie unterscheiden sich durch Nichts. Die Uebereinstimmung reicht
sogar bis zum Erklärungsversuch. Denn der Gelehrte, der die Seele, sei es als
ein einziges selbstthätiges Ding, sei es als eine Vielheit von persönlich geschäftigen
Zentren im Gehirn einquartiert, und der Indianer, der den Schatten im Schlaf
Fische fangen lässt, auch sie unterscheiden sich durch Nichts. Wenn der Medizin-
mann glaubt, er habe das gethan, was er geträumt oder halluziniert hat, so dart
er, ohne Schwindler zu sein, sich für einen Wundermann halten und darf auch
von Andern mit Recht dafür gehalten werden. Er kann dann thatsächlich mehr
als die Andern. Der Schwindel mag in der berufsmässigen Geschäftsübung und
in ihrer Uebertragung durch Unterricht auf jüngere Kräfte sich häufig bald ein-
stellen, jedoch ist es äusserst oberflächlich, darum die aus der ganz naturnot-
wendigen Verwechslung von Gefühl und Leistung
hervorgegangene Er-
scheinung des Zauberers mit dem Wort Humbug abzufertigen. Steckt ein solcher
Schwindler doch in Jedem von uns, so nüchtern er sein mag.


mit dem Ganzen verwechsle, pars pro toto, und den Irrtum hege, das dem Teil
zugefügte Leid wachse zu einem Leid für das Ganze an, allein dies ist gar nicht
nötig. Der Teil hebt, sobald das Gefühl erregt ist, ja in der That die ganze
Assoziationsgruppe heraus; man kann vor einem Bild oder einem Stück Alles
empfinden, was man vor dem Original oder dem Ganzen zu empfinden vermag.
Dass der Talisman- oder Zaubergläubige z. B. Fähigkeiten, die nur dem Ganzen
zukommen, in den Teil, den er besitzt, hineinverlegt, rührt einfach daher, dass
von letzterem die Gefühle angeregt werden, die sich auf das Ganze beziehen und
die deshalb auch eine Kraftsteigerung bei ihm hervorrufen, als wenn er das Ganze
besässe. Gewiss sind Teile geeigneter dazu, die zu der erwünschten Wirkung
eine Beziehung haben wie Krallen und Zähne zur Körperstärke oder ein Stück
Haut zur Vergiftung, aber wesentlich ist diese Bedingung nicht. Der Hexende
nimmt, was er bekommen kann, wird aber immer geneigt sein, die Wirkung, die
er erreicht, von den Eigenschaften des betreffenden Teils entspringen zu lassen.
Bald wird nun auch die Erfahrung des Einzelnen zum Allgemeingut; es entstehen
die von Generation zu Generation empfohlenen »Mittel«, über die kein Mensch
mehr nachdenkt.

Wir brauchen wahrlich nur um uns zu blicken, um zu erkennen, dass wir
uns noch auf keine Weise von der überzeugenden Macht der Gefühle haben be-
freien können. Wirkung in die Ferne und Talismane haben wir in Hülle und Fülle,
wir haben nur andere Namen dafür und schieben Zwischenglieder ein zwischen
Anfang und Ende des Prozesses, durch deren Vorhandensein der Ursprung aus
unserm eigenen Selbst verdeckt wird. Nehmen wir nur die trivialsten Beispiele.

Der Medizinmann, der einen Abwesenden dadurch umbringt, dass er einen
vergifteten Pfeil in seiner Richtung wirft, oder der Verliebte, der die entfernte
Freundin küsst, sie unterscheiden sich durch Nichts. Der Poet, der im glücklichen
Besitz eines von Schiller benutzten Tintenfasses wie Schiller dichtet, und der
Eingeborene, der mit einer Kette von Jaguarkrallen um den Hals wie ein Jaguar
stark ist, sie unterscheiden sich durch Nichts. Die Uebereinstimmung reicht
sogar bis zum Erklärungsversuch. Denn der Gelehrte, der die Seele, sei es als
ein einziges selbstthätiges Ding, sei es als eine Vielheit von persönlich geschäftigen
Zentren im Gehirn einquartiert, und der Indianer, der den Schatten im Schlaf
Fische fangen lässt, auch sie unterscheiden sich durch Nichts. Wenn der Medizin-
mann glaubt, er habe das gethan, was er geträumt oder halluziniert hat, so dart
er, ohne Schwindler zu sein, sich für einen Wundermann halten und darf auch
von Andern mit Recht dafür gehalten werden. Er kann dann thatsächlich mehr
als die Andern. Der Schwindel mag in der berufsmässigen Geschäftsübung und
in ihrer Uebertragung durch Unterricht auf jüngere Kräfte sich häufig bald ein-
stellen, jedoch ist es äusserst oberflächlich, darum die aus der ganz naturnot-
wendigen Verwechslung von Gefühl und Leistung
hervorgegangene Er-
scheinung des Zauberers mit dem Wort Humbug abzufertigen. Steckt ein solcher
Schwindler doch in Jedem von uns, so nüchtern er sein mag.


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[342/0406] mit dem Ganzen verwechsle, pars pro toto, und den Irrtum hege, das dem Teil zugefügte Leid wachse zu einem Leid für das Ganze an, allein dies ist gar nicht nötig. Der Teil hebt, sobald das Gefühl erregt ist, ja in der That die ganze Assoziationsgruppe heraus; man kann vor einem Bild oder einem Stück Alles empfinden, was man vor dem Original oder dem Ganzen zu empfinden vermag. Dass der Talisman- oder Zaubergläubige z. B. Fähigkeiten, die nur dem Ganzen zukommen, in den Teil, den er besitzt, hineinverlegt, rührt einfach daher, dass von letzterem die Gefühle angeregt werden, die sich auf das Ganze beziehen und die deshalb auch eine Kraftsteigerung bei ihm hervorrufen, als wenn er das Ganze besässe. Gewiss sind Teile geeigneter dazu, die zu der erwünschten Wirkung eine Beziehung haben wie Krallen und Zähne zur Körperstärke oder ein Stück Haut zur Vergiftung, aber wesentlich ist diese Bedingung nicht. Der Hexende nimmt, was er bekommen kann, wird aber immer geneigt sein, die Wirkung, die er erreicht, von den Eigenschaften des betreffenden Teils entspringen zu lassen. Bald wird nun auch die Erfahrung des Einzelnen zum Allgemeingut; es entstehen die von Generation zu Generation empfohlenen »Mittel«, über die kein Mensch mehr nachdenkt. Wir brauchen wahrlich nur um uns zu blicken, um zu erkennen, dass wir uns noch auf keine Weise von der überzeugenden Macht der Gefühle haben be- freien können. Wirkung in die Ferne und Talismane haben wir in Hülle und Fülle, wir haben nur andere Namen dafür und schieben Zwischenglieder ein zwischen Anfang und Ende des Prozesses, durch deren Vorhandensein der Ursprung aus unserm eigenen Selbst verdeckt wird. Nehmen wir nur die trivialsten Beispiele. Der Medizinmann, der einen Abwesenden dadurch umbringt, dass er einen vergifteten Pfeil in seiner Richtung wirft, oder der Verliebte, der die entfernte Freundin küsst, sie unterscheiden sich durch Nichts. Der Poet, der im glücklichen Besitz eines von Schiller benutzten Tintenfasses wie Schiller dichtet, und der Eingeborene, der mit einer Kette von Jaguarkrallen um den Hals wie ein Jaguar stark ist, sie unterscheiden sich durch Nichts. Die Uebereinstimmung reicht sogar bis zum Erklärungsversuch. Denn der Gelehrte, der die Seele, sei es als ein einziges selbstthätiges Ding, sei es als eine Vielheit von persönlich geschäftigen Zentren im Gehirn einquartiert, und der Indianer, der den Schatten im Schlaf Fische fangen lässt, auch sie unterscheiden sich durch Nichts. Wenn der Medizin- mann glaubt, er habe das gethan, was er geträumt oder halluziniert hat, so dart er, ohne Schwindler zu sein, sich für einen Wundermann halten und darf auch von Andern mit Recht dafür gehalten werden. Er kann dann thatsächlich mehr als die Andern. Der Schwindel mag in der berufsmässigen Geschäftsübung und in ihrer Uebertragung durch Unterricht auf jüngere Kräfte sich häufig bald ein- stellen, jedoch ist es äusserst oberflächlich, darum die aus der ganz naturnot- wendigen Verwechslung von Gefühl und Leistung hervorgegangene Er- scheinung des Zauberers mit dem Wort Humbug abzufertigen. Steckt ein solcher Schwindler doch in Jedem von uns, so nüchtern er sein mag.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/406>, abgerufen am 21.11.2024.