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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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fahrung gewiss leicht erkennen lässt, wird wiederum vollständig verwischt, weil das
in unsern anatomischen Kenntnissen begründete Hindernis wegfällt. Man bedenke
einen Augenblick, was unser Volksglaube, das Versehen betreffend, in dieser Be-
ziehung leistet; da bekommt man auch ein wirkliches Mausefell, einen wirklichen
Hundefuss u. s. w. Wenn der Indianer durch die Vermischung von verschiedenen
Tierarten untereinander oder durch die von Tier und Mensch irgend etwas er-
klären
kann, so hindert ihn nichts, sie zu behaupten, so sieht er sie im
Gegenteil bewiesen
und schliesst höchstens, dergleichen geschieht jetzt nicht
mehr, wo es nicht mehr nötig ist. Heute, sagen unsere Gelehrten, giebt es keine
generatio aequivoca mehr, aber einst hat es sie sicherlich gegeben. Der Unter-
schied ist um so mehr verwischt, als der Eingeborene das bequeme Erklärungs-
prinzip der Verwandlungen im grössten Umfang benutzen muss. Es kommt
endlich hinzu, dass er sich mit der Fortpflanzung innerhalb der Art, da das Kind
nichts anderes ist als der Vater, nicht weiter beschäftigt: die Art oder der Stamm
ist wie ein einziges Individuum, das immer unter demselben Namen erscheint;
verschiedene Unterarten, z. B. die Jaguarkatzen, grosse und kleine und der Farbe
nach verschiedene, sind Brüder. Aber jeder dieser "Jaguare" nach seinem Namen,
"Kampfuchs", "Reh", "Ameisenbär" -- sie erscheinen in beliebigen Geschichten
und Niemand fragt, ob es etwa Kampfuchs "V" oder Kampfuchs "XXIII" war.
Das ist auch genau dasselbe für die menschlichen Stammväter der
Ahnensage
; man setzt meist die Frauen und immer die Stammgenossen, die
jene begleiten, als gegeben voraus.

Ich wiederhole, der Ausdruck "anthropomorphisieren" ist nur als Schema
für uns berechtigt, und er wird falsch, wenn man ihn so fassen wollte, als ob
der Indianer sagte "ich bin ein Mensch und lasse auch die Tiere wie Menschen
handeln." Das Umgekehrte, dass Menschen Tiere sind, kommt ebenso vor,
und zwar im guten und im schlechten Sinn. Die Trumai sind Wassertiere, weil
sie auf dem Grund des Flusses schlafen. So sagen die Bakairi in allem Ernst.
Wir begegnen dem gleichen Glauben an Menschen, die im Wasser leben, auch
bei andern Stämmen. Die Bororo behaupten; man könne Stunden lang, wenn
man gewisse Blätter kaut, unter der Oberfläche des Wassers verweilen und Fische
fangen. Ich habe nichts Besonderes von dem "Wasserleben" der Trumai mehr
erfahren können, als dass sie mit Vorliebe andere Stämme auf dem Fluss an-
greifen und die Gefangenen mit gefesselten Armen in das Wasser werfen sollen.
Ich weiss nicht, ob sie früher wie die Guato Flussnomaden gewesen sind; den
Feldbau haben sie jedenfalls von den Nachbarn erst erlernt. Was auch den Glauben
der Bakairi über sie angeregt habe, er wird nicht etwa durch die Schlussfolgerung
entkräftet, die wir auf Grund unserer Naturgesetze aufstellen: "aber die Trumai
sind doch keine Tiere, keine Fische", sondern der Bakairi schliesst, weil die
Trumai im Flusse schlafen, sind sie Wassertiere und verspottet und verachtet
sie, wie jedem Stamm mit fremdartigen Sitten geschieht. Die Bororo rühmen
sich selbst, dass sie rote Araras seien. Sie gehen nicht nur nach dem Tode

fahrung gewiss leicht erkennen lässt, wird wiederum vollständig verwischt, weil das
in unsern anatomischen Kenntnissen begründete Hindernis wegfällt. Man bedenke
einen Augenblick, was unser Volksglaube, das Versehen betreffend, in dieser Be-
ziehung leistet; da bekommt man auch ein wirkliches Mausefell, einen wirklichen
Hundefuss u. s. w. Wenn der Indianer durch die Vermischung von verschiedenen
Tierarten untereinander oder durch die von Tier und Mensch irgend etwas er-
klären
kann, so hindert ihn nichts, sie zu behaupten, so sieht er sie im
Gegenteil bewiesen
und schliesst höchstens, dergleichen geschieht jetzt nicht
mehr, wo es nicht mehr nötig ist. Heute, sagen unsere Gelehrten, giebt es keine
generatio aequivoca mehr, aber einst hat es sie sicherlich gegeben. Der Unter-
schied ist um so mehr verwischt, als der Eingeborene das bequeme Erklärungs-
prinzip der Verwandlungen im grössten Umfang benutzen muss. Es kommt
endlich hinzu, dass er sich mit der Fortpflanzung innerhalb der Art, da das Kind
nichts anderes ist als der Vater, nicht weiter beschäftigt: die Art oder der Stamm
ist wie ein einziges Individuum, das immer unter demselben Namen erscheint;
verschiedene Unterarten, z. B. die Jaguarkatzen, grosse und kleine und der Farbe
nach verschiedene, sind Brüder. Aber jeder dieser »Jaguare« nach seinem Namen,
»Kampfuchs«, »Reh«, »Ameisenbär« — sie erscheinen in beliebigen Geschichten
und Niemand fragt, ob es etwa Kampfuchs »V« oder Kampfuchs »XXIII« war.
Das ist auch genau dasselbe für die menschlichen Stammväter der
Ahnensage
; man setzt meist die Frauen und immer die Stammgenossen, die
jene begleiten, als gegeben voraus.

Ich wiederhole, der Ausdruck »anthropomorphisieren« ist nur als Schema
für uns berechtigt, und er wird falsch, wenn man ihn so fassen wollte, als ob
der Indianer sagte »ich bin ein Mensch und lasse auch die Tiere wie Menschen
handeln.« Das Umgekehrte, dass Menschen Tiere sind, kommt ebenso vor,
und zwar im guten und im schlechten Sinn. Die Trumaí sind Wassertiere, weil
sie auf dem Grund des Flusses schlafen. So sagen die Bakaïrí in allem Ernst.
Wir begegnen dem gleichen Glauben an Menschen, die im Wasser leben, auch
bei andern Stämmen. Die Bororó behaupten; man könne Stunden lang, wenn
man gewisse Blätter kaut, unter der Oberfläche des Wassers verweilen und Fische
fangen. Ich habe nichts Besonderes von dem »Wasserleben« der Trumaí mehr
erfahren können, als dass sie mit Vorliebe andere Stämme auf dem Fluss an-
greifen und die Gefangenen mit gefesselten Armen in das Wasser werfen sollen.
Ich weiss nicht, ob sie früher wie die Guató Flussnomaden gewesen sind; den
Feldbau haben sie jedenfalls von den Nachbarn erst erlernt. Was auch den Glauben
der Bakaïrí über sie angeregt habe, er wird nicht etwa durch die Schlussfolgerung
entkräftet, die wir auf Grund unserer Naturgesetze aufstellen: »aber die Trumaí
sind doch keine Tiere, keine Fische«, sondern der Bakaïrí schliesst, weil die
Trumaí im Flusse schlafen, sind sie Wassertiere und verspottet und verachtet
sie, wie jedem Stamm mit fremdartigen Sitten geschieht. Die Bororó rühmen
sich selbst, dass sie rote Araras seien. Sie gehen nicht nur nach dem Tode

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[352/0416] fahrung gewiss leicht erkennen lässt, wird wiederum vollständig verwischt, weil das in unsern anatomischen Kenntnissen begründete Hindernis wegfällt. Man bedenke einen Augenblick, was unser Volksglaube, das Versehen betreffend, in dieser Be- ziehung leistet; da bekommt man auch ein wirkliches Mausefell, einen wirklichen Hundefuss u. s. w. Wenn der Indianer durch die Vermischung von verschiedenen Tierarten untereinander oder durch die von Tier und Mensch irgend etwas er- klären kann, so hindert ihn nichts, sie zu behaupten, so sieht er sie im Gegenteil bewiesen und schliesst höchstens, dergleichen geschieht jetzt nicht mehr, wo es nicht mehr nötig ist. Heute, sagen unsere Gelehrten, giebt es keine generatio aequivoca mehr, aber einst hat es sie sicherlich gegeben. Der Unter- schied ist um so mehr verwischt, als der Eingeborene das bequeme Erklärungs- prinzip der Verwandlungen im grössten Umfang benutzen muss. Es kommt endlich hinzu, dass er sich mit der Fortpflanzung innerhalb der Art, da das Kind nichts anderes ist als der Vater, nicht weiter beschäftigt: die Art oder der Stamm ist wie ein einziges Individuum, das immer unter demselben Namen erscheint; verschiedene Unterarten, z. B. die Jaguarkatzen, grosse und kleine und der Farbe nach verschiedene, sind Brüder. Aber jeder dieser »Jaguare« nach seinem Namen, »Kampfuchs«, »Reh«, »Ameisenbär« — sie erscheinen in beliebigen Geschichten und Niemand fragt, ob es etwa Kampfuchs »V« oder Kampfuchs »XXIII« war. Das ist auch genau dasselbe für die menschlichen Stammväter der Ahnensage; man setzt meist die Frauen und immer die Stammgenossen, die jene begleiten, als gegeben voraus. Ich wiederhole, der Ausdruck »anthropomorphisieren« ist nur als Schema für uns berechtigt, und er wird falsch, wenn man ihn so fassen wollte, als ob der Indianer sagte »ich bin ein Mensch und lasse auch die Tiere wie Menschen handeln.« Das Umgekehrte, dass Menschen Tiere sind, kommt ebenso vor, und zwar im guten und im schlechten Sinn. Die Trumaí sind Wassertiere, weil sie auf dem Grund des Flusses schlafen. So sagen die Bakaïrí in allem Ernst. Wir begegnen dem gleichen Glauben an Menschen, die im Wasser leben, auch bei andern Stämmen. Die Bororó behaupten; man könne Stunden lang, wenn man gewisse Blätter kaut, unter der Oberfläche des Wassers verweilen und Fische fangen. Ich habe nichts Besonderes von dem »Wasserleben« der Trumaí mehr erfahren können, als dass sie mit Vorliebe andere Stämme auf dem Fluss an- greifen und die Gefangenen mit gefesselten Armen in das Wasser werfen sollen. Ich weiss nicht, ob sie früher wie die Guató Flussnomaden gewesen sind; den Feldbau haben sie jedenfalls von den Nachbarn erst erlernt. Was auch den Glauben der Bakaïrí über sie angeregt habe, er wird nicht etwa durch die Schlussfolgerung entkräftet, die wir auf Grund unserer Naturgesetze aufstellen: »aber die Trumaí sind doch keine Tiere, keine Fische«, sondern der Bakaïrí schliesst, weil die Trumaí im Flusse schlafen, sind sie Wassertiere und verspottet und verachtet sie, wie jedem Stamm mit fremdartigen Sitten geschieht. Die Bororó rühmen sich selbst, dass sie rote Araras seien. Sie gehen nicht nur nach dem Tode

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/416>, abgerufen am 21.11.2024.