gangen. Es sind nur Figuren. Und dennoch sind sie auch wieder mehr. Denn mögen sie auch irgendwann gemacht sein, als Kunstwerke wie seine Tierschemel oder Sandzeichnungen kann er sie nicht auffassen, weil sie sich bewegen und in- mitten eines höchst wechselvollen Treibens von Wind, Wolken und Wetter be- finden, das sich selbständig, ohne dass man irgend einen Menschen sieht, abspielt. Sie müssen verzaubert sein.
Um so mehr, als man auf anderm Wege zu gleichem Ergebnis gelangt. Sie sind notwendig die ältesten Tiere und Dinge, die es giebt. Jedes frühere Geschlecht, was es auch von ihnen dachte, hat sie ebenso fertig gesehen wie die Gegenwart, während nach aller heutigen und früheren Erfahrung die Flüsse und Bäume und Bewohner der Erde aller Art erst klein sind und dann gross werden. Nun sind die sämtlichen Vorfahren verschwunden, es verschwinden Jahr aus, Jahr ein immer wieder solche, die sterben -- wo sollen die ältesten Leute anders sein als bei den ältesten Dingen? Sterben aber ist verhext und verwandelt werden, wie sich der Medizinmann, der Gift nimmt und stirbt, in beliebige Tier- gestalt verwandelt. Ergo haben wir da oben die verzauberten ältesten Leute und Dinge. Der Federball, der Geier, der Jaguar, der Tapir beweisen dem Indianer Thaten der ältesten Medizinmänner. Zum vollen logischen Abschluss würde nur noch gehören, dass er in jedem Traum einen verzauberten Zustand erblickte.
Wie der verbindende Text der Sagen, ehe noch eine verblasste historische Tradition besondern Stoff liefert, zu Stande kommt, habe ich bereits an den Märchen von Geier und Schildkröte besprochen. An Material fehlt es nicht, da die verschiedenen Tiere und Dinge, die man dort oben nebeneinander sieht, nach ihren Eigenschaften mannigfaltige Einfälle, die ihr Zusammensein erklären, anregen müssen. So berichtet die Sage, dass der Königsgeier, ehe ihm Keri die Sonne wegnahm, mit ihr in dem dunkeln Loch der Milchstrasse erschien und dann am Himmel umherflog. Nun, die Sonne wird als ein Federball apperzipiert, sie er- reicht am Tage die höchsten Höhen des Himmels, wo man Nachts ein dunkles Loch erblickt, und der "rote Urubu" oder prachtvoll gefärbte Königsgeier, "der Fürst und Beherrscher seiner Sippschaft (Brehm)" ist dort der auffallendste Bürger im Reich der Luft -- ist dieser Stoff gesammelt, so bedarf es nur der neu- gierigen Frage und die Verknüpfung kann nicht ausbleiben. Mit dem Mond giebt man sich nicht viel Mühe. Er war "zuerst mit der Sonne zusammen"; später teilten sich Keri und Kame in die Federn.
Von fünf Sternen im Perseus erhielt ich folgende Geschichte. Das Riesen- gürteltier -- wir haben gesehen, dass es als grösstes, der Schmutz hinterlassenden, kugligen Tatus den Mond zuletzt bedeckt -- traf Keri auf seinem Wege. Es trug einen Korb mit Pikifrüchten, gab Keri davon und ging. Keri rief ihm nach, es hielt an, gab Keri noch einmal und sagte: "mehr gebe ich nicht." Da packte er das Tatu, die Früchte rollten umher, und das Tatu wühlte sich in den Boden. Keri machte sich Klauen aus Jatobaharz und grub es aus. Es wühlte sich wieder
gangen. Es sind nur Figuren. Und dennoch sind sie auch wieder mehr. Denn mögen sie auch irgendwann gemacht sein, als Kunstwerke wie seine Tierschemel oder Sandzeichnungen kann er sie nicht auffassen, weil sie sich bewegen und in- mitten eines höchst wechselvollen Treibens von Wind, Wolken und Wetter be- finden, das sich selbständig, ohne dass man irgend einen Menschen sieht, abspielt. Sie müssen verzaubert sein.
Um so mehr, als man auf anderm Wege zu gleichem Ergebnis gelangt. Sie sind notwendig die ältesten Tiere und Dinge, die es giebt. Jedes frühere Geschlecht, was es auch von ihnen dachte, hat sie ebenso fertig gesehen wie die Gegenwart, während nach aller heutigen und früheren Erfahrung die Flüsse und Bäume und Bewohner der Erde aller Art erst klein sind und dann gross werden. Nun sind die sämtlichen Vorfahren verschwunden, es verschwinden Jahr aus, Jahr ein immer wieder solche, die sterben — wo sollen die ältesten Leute anders sein als bei den ältesten Dingen? Sterben aber ist verhext und verwandelt werden, wie sich der Medizinmann, der Gift nimmt und stirbt, in beliebige Tier- gestalt verwandelt. Ergo haben wir da oben die verzauberten ältesten Leute und Dinge. Der Federball, der Geier, der Jaguar, der Tapir beweisen dem Indianer Thaten der ältesten Medizinmänner. Zum vollen logischen Abschluss würde nur noch gehören, dass er in jedem Traum einen verzauberten Zustand erblickte.
Wie der verbindende Text der Sagen, ehe noch eine verblasste historische Tradition besondern Stoff liefert, zu Stande kommt, habe ich bereits an den Märchen von Geier und Schildkröte besprochen. An Material fehlt es nicht, da die verschiedenen Tiere und Dinge, die man dort oben nebeneinander sieht, nach ihren Eigenschaften mannigfaltige Einfälle, die ihr Zusammensein erklären, anregen müssen. So berichtet die Sage, dass der Königsgeier, ehe ihm Keri die Sonne wegnahm, mit ihr in dem dunkeln Loch der Milchstrasse erschien und dann am Himmel umherflog. Nun, die Sonne wird als ein Federball apperzipiert, sie er- reicht am Tage die höchsten Höhen des Himmels, wo man Nachts ein dunkles Loch erblickt, und der »rote Urubú« oder prachtvoll gefärbte Königsgeier, »der Fürst und Beherrscher seiner Sippschaft (Brehm)« ist dort der auffallendste Bürger im Reich der Luft — ist dieser Stoff gesammelt, so bedarf es nur der neu- gierigen Frage und die Verknüpfung kann nicht ausbleiben. Mit dem Mond giebt man sich nicht viel Mühe. Er war »zuerst mit der Sonne zusammen«; später teilten sich Keri und Kame in die Federn.
Von fünf Sternen im Perseus erhielt ich folgende Geschichte. Das Riesen- gürteltier — wir haben gesehen, dass es als grösstes, der Schmutz hinterlassenden, kugligen Tatús den Mond zuletzt bedeckt — traf Keri auf seinem Wege. Es trug einen Korb mit Pikífrüchten, gab Keri davon und ging. Keri rief ihm nach, es hielt an, gab Keri noch einmal und sagte: »mehr gebe ich nicht.« Da packte er das Tatú, die Früchte rollten umher, und das Tatú wühlte sich in den Boden. Keri machte sich Klauen aus Jatobáharz und grub es aus. Es wühlte sich wieder
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gangen. Es sind nur Figuren. Und dennoch sind sie auch wieder mehr. Denn
mögen sie auch irgendwann gemacht sein, als Kunstwerke wie seine Tierschemel
oder Sandzeichnungen kann er sie nicht auffassen, weil sie sich bewegen und in-
mitten eines höchst wechselvollen Treibens von Wind, Wolken und Wetter be-
finden, das sich selbständig, ohne dass man irgend einen Menschen sieht, abspielt.
Sie müssen verzaubert sein.
Um so mehr, als man auf anderm Wege zu gleichem Ergebnis gelangt.
Sie sind notwendig die ältesten Tiere und Dinge, die es giebt. Jedes frühere
Geschlecht, was es auch von ihnen dachte, hat sie ebenso fertig gesehen wie die
Gegenwart, während nach aller heutigen und früheren Erfahrung die Flüsse und
Bäume und Bewohner der Erde aller Art erst klein sind und dann gross werden.
Nun sind die sämtlichen Vorfahren verschwunden, es verschwinden Jahr aus, Jahr
ein immer wieder solche, die sterben — wo sollen die ältesten Leute anders
sein als bei den ältesten Dingen? Sterben aber ist verhext und verwandelt
werden, wie sich der Medizinmann, der Gift nimmt und stirbt, in beliebige Tier-
gestalt verwandelt. Ergo haben wir da oben die verzauberten ältesten Leute
und Dinge. Der Federball, der Geier, der Jaguar, der Tapir beweisen
dem Indianer Thaten der ältesten Medizinmänner. Zum vollen logischen
Abschluss würde nur noch gehören, dass er in jedem Traum einen verzauberten
Zustand erblickte.
Wie der verbindende Text der Sagen, ehe noch eine verblasste historische
Tradition besondern Stoff liefert, zu Stande kommt, habe ich bereits an den
Märchen von Geier und Schildkröte besprochen. An Material fehlt es nicht, da
die verschiedenen Tiere und Dinge, die man dort oben nebeneinander sieht, nach
ihren Eigenschaften mannigfaltige Einfälle, die ihr Zusammensein erklären, anregen
müssen. So berichtet die Sage, dass der Königsgeier, ehe ihm Keri die Sonne
wegnahm, mit ihr in dem dunkeln Loch der Milchstrasse erschien und dann am
Himmel umherflog. Nun, die Sonne wird als ein Federball apperzipiert, sie er-
reicht am Tage die höchsten Höhen des Himmels, wo man Nachts ein dunkles
Loch erblickt, und der »rote Urubú« oder prachtvoll gefärbte Königsgeier, »der
Fürst und Beherrscher seiner Sippschaft (Brehm)« ist dort der auffallendste Bürger
im Reich der Luft — ist dieser Stoff gesammelt, so bedarf es nur der neu-
gierigen Frage und die Verknüpfung kann nicht ausbleiben. Mit dem Mond
giebt man sich nicht viel Mühe. Er war »zuerst mit der Sonne zusammen«;
später teilten sich Keri und Kame in die Federn.
Von fünf Sternen im Perseus erhielt ich folgende Geschichte. Das Riesen-
gürteltier — wir haben gesehen, dass es als grösstes, der Schmutz hinterlassenden,
kugligen Tatús den Mond zuletzt bedeckt — traf Keri auf seinem Wege. Es
trug einen Korb mit Pikífrüchten, gab Keri davon und ging. Keri rief ihm nach,
es hielt an, gab Keri noch einmal und sagte: »mehr gebe ich nicht.« Da packte
er das Tatú, die Früchte rollten umher, und das Tatú wühlte sich in den Boden.
Keri machte sich Klauen aus Jatobáharz und grub es aus. Es wühlte sich wieder
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/425>, abgerufen am 21.11.2024.
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