Die zweite Art der Verwandlung ist die des Zauberers selbst in eine be- liebige Tiergestalt. Wie er das macht, scheint man nicht zu wissen. Er wird aber nicht eigentlich das Tier selbst, er geht stets in das Tier hinein und steckt stets in dem Tier, ja er kann in dem Fusse eines Tapirs sein und den Geier packen. Tritt nun die "Seele" aus der einen Person in die andere hinein? Allein dann dürfen wir wenigstens nicht fragen, weder, wo die Seele des Tieres noch wo der Körper des Kulturheros bleibt, noch ob der "Schatten", der ja bei dem modernen in der Hängematte liegenden, nar- kotisierten Medizinmann für die Verwandlung in Jaguar oder Schlangen den Körper verlässt, vorher "im Innern" des Medizinmanns war, noch ob der Schatten in das Innere eines Tieres geraten kann -- ich glaube, wir thun leicht des Guten ein wenig zu viel, wenn wir von dem Treiben der "Seele" bei den Naturvölkern reden. Ich wenigstens habe nur den Eindruck gewonnen, dass die Indianer betreffs der "Seele" bald an den Schatten, bald an den Atem denken, sich aber über alle genaueren Einzelheiten gar keine Rechenschaft geben, sondern immer die Vorstellung der ganzen "leibhaftigen" Persönlichkeit be- halten. Am nächsten, scheint mir, kommt man dem richtigen Verhältnis, wenn man sich den Zauberer in einem Tier ungefähr so veranschaulicht, wie den Indianer in einer Tiermaske, der nun z. B. eine Taube ist und sich in Stimme und Bewegung wie eine Taube geberdet, dennoch aber der Stammgenosse N. N. bleibt und so, obwohl er ein Vogel ist, eine Kürbisschale mit Pogu bei den Frauen holen kann.
Keri und Kame und die Ahnensage. Die allgemeine Grundlage der Welt- anschauung des Bakairi ist sein Verhältnis zum Tierleben. Sie aber vorausgesetzt, könnte man sagen, dass seine Wissenschaft und Poesie himmlischen Ursprungs ist. Die ältesten Bakairi lebten im Himmel; das wird uns bewiesen durch Alles, was wir von Sonne und Mond wissen, und Alles, was wir dort oben sehen, die Figuren der Milchstrasse, die sternleeren Stellen und die leuchtenden Magelhaes- schen Wolken. Merkwürdiger Weise war von Vorstellungen, die bei andern Völkern in ähnlichem Sinn fruchtbar sind, über Gewitter, Sturm, Wolken, Regen Nichts zu erfahren. Es machte den Eindruck, als ob die Meteorologie noch ganz unbearbeitet sei. Immer blieben es die astronomischen Himmelstiere, zu denen die Personen der Ahnensage hinzutraten. In den Erinnerungen des Stammes fliesst die zweite Hauptquelle des Sagenstoffes, aber die beiden Zuflüsse mischen sich so innig, dass es kaum möglich ist zu unterscheiden, was von dem einen und was von dem andern ursprünglich geliefert ist. Der Jaguar, hinter dem sich ein kannibalischer Nachbarstamm der alten Zeit verbirgt, ist mit dem Jaguar der Milchstrasse eins geworden und die zoologischen Varietäten der Jaguar- familie stehen obendrein als eine Anzahl von Brüdern zur Verfügung.
Dass fremdem, und zwar aruakischem Einfluss eine bedeutende Rolle zuge- fallen ist, geht aus den Namen Keri und Kame hervor. Es sind die Namen für Mond und Sonne der Nu-Aruakstämme, sie sind gar keine karaibischen
Die zweite Art der Verwandlung ist die des Zauberers selbst in eine be- liebige Tiergestalt. Wie er das macht, scheint man nicht zu wissen. Er wird aber nicht eigentlich das Tier selbst, er geht stets in das Tier hinein und steckt stets in dem Tier, ja er kann in dem Fusse eines Tapirs sein und den Geier packen. Tritt nun die »Seele« aus der einen Person in die andere hinein? Allein dann dürfen wir wenigstens nicht fragen, weder, wo die Seele des Tieres noch wo der Körper des Kulturheros bleibt, noch ob der »Schatten«, der ja bei dem modernen in der Hängematte liegenden, nar- kotisierten Medizinmann für die Verwandlung in Jaguar oder Schlangen den Körper verlässt, vorher »im Innern« des Medizinmanns war, noch ob der Schatten in das Innere eines Tieres geraten kann — ich glaube, wir thun leicht des Guten ein wenig zu viel, wenn wir von dem Treiben der »Seele« bei den Naturvölkern reden. Ich wenigstens habe nur den Eindruck gewonnen, dass die Indianer betreffs der »Seele« bald an den Schatten, bald an den Atem denken, sich aber über alle genaueren Einzelheiten gar keine Rechenschaft geben, sondern immer die Vorstellung der ganzen »leibhaftigen« Persönlichkeit be- halten. Am nächsten, scheint mir, kommt man dem richtigen Verhältnis, wenn man sich den Zauberer in einem Tier ungefähr so veranschaulicht, wie den Indianer in einer Tiermaske, der nun z. B. eine Taube ist und sich in Stimme und Bewegung wie eine Taube geberdet, dennoch aber der Stammgenosse N. N. bleibt und so, obwohl er ein Vogel ist, eine Kürbisschale mit Pogu bei den Frauen holen kann.
Keri und Kame und die Ahnensage. Die allgemeine Grundlage der Welt- anschauung des Bakaïrí ist sein Verhältnis zum Tierleben. Sie aber vorausgesetzt, könnte man sagen, dass seine Wissenschaft und Poesie himmlischen Ursprungs ist. Die ältesten Bakaïrí lebten im Himmel; das wird uns bewiesen durch Alles, was wir von Sonne und Mond wissen, und Alles, was wir dort oben sehen, die Figuren der Milchstrasse, die sternleeren Stellen und die leuchtenden Magelhães- schen Wolken. Merkwürdiger Weise war von Vorstellungen, die bei andern Völkern in ähnlichem Sinn fruchtbar sind, über Gewitter, Sturm, Wolken, Regen Nichts zu erfahren. Es machte den Eindruck, als ob die Meteorologie noch ganz unbearbeitet sei. Immer blieben es die astronomischen Himmelstiere, zu denen die Personen der Ahnensage hinzutraten. In den Erinnerungen des Stammes fliesst die zweite Hauptquelle des Sagenstoffes, aber die beiden Zuflüsse mischen sich so innig, dass es kaum möglich ist zu unterscheiden, was von dem einen und was von dem andern ursprünglich geliefert ist. Der Jaguar, hinter dem sich ein kannibalischer Nachbarstamm der alten Zeit verbirgt, ist mit dem Jaguar der Milchstrasse eins geworden und die zoologischen Varietäten der Jaguar- familie stehen obendrein als eine Anzahl von Brüdern zur Verfügung.
Dass fremdem, und zwar aruakischem Einfluss eine bedeutende Rolle zuge- fallen ist, geht aus den Namen Keri und Kame hervor. Es sind die Namen für Mond und Sonne der Nu-Aruakstämme, sie sind gar keine karaibischen
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Die zweite Art der Verwandlung ist die des Zauberers selbst in eine be-
liebige Tiergestalt. Wie er das macht, scheint man nicht zu wissen. Er wird
aber nicht eigentlich das Tier selbst, er geht stets in das Tier hinein
und steckt stets in dem Tier, ja er kann in dem Fusse eines Tapirs
sein und den Geier packen. Tritt nun die »Seele« aus der einen Person in
die andere hinein? Allein dann dürfen wir wenigstens nicht fragen, weder, wo
die Seele des Tieres noch wo der Körper des Kulturheros bleibt, noch ob
der »Schatten«, der ja bei dem modernen in der Hängematte liegenden, nar-
kotisierten Medizinmann für die Verwandlung in Jaguar oder Schlangen den
Körper verlässt, vorher »im Innern« des Medizinmanns war, noch ob der
Schatten in das Innere eines Tieres geraten kann — ich glaube, wir thun leicht
des Guten ein wenig zu viel, wenn wir von dem Treiben der »Seele« bei den
Naturvölkern reden. Ich wenigstens habe nur den Eindruck gewonnen, dass die
Indianer betreffs der »Seele« bald an den Schatten, bald an den Atem denken,
sich aber über alle genaueren Einzelheiten gar keine Rechenschaft geben,
sondern immer die Vorstellung der ganzen »leibhaftigen« Persönlichkeit be-
halten. Am nächsten, scheint mir, kommt man dem richtigen Verhältnis, wenn
man sich den Zauberer in einem Tier ungefähr so veranschaulicht, wie den
Indianer in einer Tiermaske, der nun z. B. eine Taube ist und sich in Stimme
und Bewegung wie eine Taube geberdet, dennoch aber der Stammgenosse N. N.
bleibt und so, obwohl er ein Vogel ist, eine Kürbisschale mit Pogu bei den
Frauen holen kann.
Keri und Kame und die Ahnensage. Die allgemeine Grundlage der Welt-
anschauung des Bakaïrí ist sein Verhältnis zum Tierleben. Sie aber vorausgesetzt,
könnte man sagen, dass seine Wissenschaft und Poesie himmlischen Ursprungs
ist. Die ältesten Bakaïrí lebten im Himmel; das wird uns bewiesen durch Alles,
was wir von Sonne und Mond wissen, und Alles, was wir dort oben sehen, die
Figuren der Milchstrasse, die sternleeren Stellen und die leuchtenden Magelhães-
schen Wolken. Merkwürdiger Weise war von Vorstellungen, die bei andern
Völkern in ähnlichem Sinn fruchtbar sind, über Gewitter, Sturm, Wolken, Regen
Nichts zu erfahren. Es machte den Eindruck, als ob die Meteorologie noch ganz
unbearbeitet sei. Immer blieben es die astronomischen Himmelstiere, zu denen
die Personen der Ahnensage hinzutraten. In den Erinnerungen des
Stammes fliesst die zweite Hauptquelle des Sagenstoffes, aber die beiden Zuflüsse
mischen sich so innig, dass es kaum möglich ist zu unterscheiden, was von dem
einen und was von dem andern ursprünglich geliefert ist. Der Jaguar, hinter
dem sich ein kannibalischer Nachbarstamm der alten Zeit verbirgt, ist mit dem
Jaguar der Milchstrasse eins geworden und die zoologischen Varietäten der Jaguar-
familie stehen obendrein als eine Anzahl von Brüdern zur Verfügung.
Dass fremdem, und zwar aruakischem Einfluss eine bedeutende Rolle zuge-
fallen ist, geht aus den Namen Keri und Kame hervor. Es sind die Namen
für Mond und Sonne der Nu-Aruakstämme, sie sind gar keine karaibischen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/428>, abgerufen am 21.11.2024.
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