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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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war, sein unbestrittenes Verdienst. Man hatte bis zu seiner Reise geglaubt, die
Karaiben seien ausgestorben -- und auf den Inseln waren sie allerdings nament-
lich in Kämpfen mit den Franzosen -- zu Grunde gegangen oder hatten sich
mit Negersklaven vermischt; die letzten Reste waren von den Engländern Ende
des vorigen Jahrhunderts nach einer Insel im Golf von Honduras befördert worden.

Durch Humboldt wurde die Aufmerksamkeit nun erst wieder auf die Fest-
land
-Karaiben gelenkt, die in einer auf 40000 Seelen veranschlagten Gesamtzahl
sämtlich im Norden des Amazonenstroms zwischen seinen von links kommenden
Nebenflüssen oder im weiten Gebiet des Orinoko sassen. Den damals bekannten
Stämmen hat die neuere Zeit nicht wenige Namen hinzufügen können.

So musste naturgemäss die Ansicht zu Wort kommen, dass die Karaiben
in demjenigen Lande, in dem sie am dichtesten vereinigt erscheinen, in dem
Gebiet der Llanos von Venezuela und in dem heutigen Guyanas, also im Norden
oder Nordosten des südamerikanischen Kontinents, von wo aus sie zu den Inseln
übergesetzt waren, wahrscheinlich auch ihre Heimat hätten.

Indess diese Lösung war nicht befriedigend. Bei aller Verwandtschaft wiesen
die Stämme nicht nur eine allgemein auffallende und stark ausgeprägte Ver-
schiedenheit der Sprachen auf, sie verleugneten auch in ewigem Kampf mit andern
Völkerschaften, besonders mit den altangesessenen Aruak nirgendwo den Charakter
erobernder Eindringlinge. Hatte man also von den Inselkaraiben eingesehen: sie
kamen vom südlich gelegenen Festland, traf man Karaibenstämme dort auch
wirklich in unerwartet grosser Menge an, -- so musste man sich doch jetzt sagen:
auch hier sind sie nicht zu Hause.

Es blieb die Möglichkeit: sie sind vom Süden her eingewandert, sie haben
den Amazonenstrom überschritten, sind einem oder mehreren seiner mächtigen
Süd-Nebenflüsse entlang nach Norden vorgedrungen und entstammen irgend einem
Gebiet der ungeheueren brasilischen Ländermasse. Doch gelangte man zu dieser
Erwägung eigentlich nur, weil man sich nicht anders zu helfen wusste. Leider
kannte man gar keine Karaiben in Brasilien; nur bei einem kleinen Stamm hoch
im Nordosten des Reiches, bei den Pimenteira, hatte man in der Sprache deut-
lich karaibische Elemente finden können, aber so abscheulich entstellt und ver-
stümmelt, dass sie keinen sicheren Anhaltspunkt gewährten. Das Einzige, was
man als eine Stütze der neuen Vermutung vorbringen konnte, war ein Motiv
mehr subjektiver Natur. Ueber das heutige Brasilien, der Küste entlang wie weit
durch das tiefste Innere zerstreut, über das Paraguay-La-Plata-Gebiet bis nach
Bolivien hinein und zum obern Amazonas waren die Tupivölker verbreitet, nicht
minder seetüchtig, nicht minder wanderlustig als die Karaiben; diese Tupi konnten
nun ja die Verwandten und Stammväter der Karaiben sein. Der Vorschlag fand
seine besten Anwälte in einem Orbigny und vor allem in der Person des aus-
gezeichneten Begründers der brasilischen Ethnographie, in Martius, einem Manne,
der sich um die Erforschung der amerikanischen Menschheit ungleich höhere
Verdienste erworben hat als Humboldt. "Woher sind die Karaiben ursprünglich

war, sein unbestrittenes Verdienst. Man hatte bis zu seiner Reise geglaubt, die
Karaiben seien ausgestorben — und auf den Inseln waren sie allerdings nament-
lich in Kämpfen mit den Franzosen — zu Grunde gegangen oder hatten sich
mit Negersklaven vermischt; die letzten Reste waren von den Engländern Ende
des vorigen Jahrhunderts nach einer Insel im Golf von Honduras befördert worden.

Durch Humboldt wurde die Aufmerksamkeit nun erst wieder auf die Fest-
land
-Karaiben gelenkt, die in einer auf 40000 Seelen veranschlagten Gesamtzahl
sämtlich im Norden des Amazonenstroms zwischen seinen von links kommenden
Nebenflüssen oder im weiten Gebiet des Orinoko sassen. Den damals bekannten
Stämmen hat die neuere Zeit nicht wenige Namen hinzufügen können.

So musste naturgemäss die Ansicht zu Wort kommen, dass die Karaiben
in demjenigen Lande, in dem sie am dichtesten vereinigt erscheinen, in dem
Gebiet der Llanos von Venezuela und in dem heutigen Guyanas, also im Norden
oder Nordosten des südamerikanischen Kontinents, von wo aus sie zu den Inseln
übergesetzt waren, wahrscheinlich auch ihre Heimat hätten.

Indess diese Lösung war nicht befriedigend. Bei aller Verwandtschaft wiesen
die Stämme nicht nur eine allgemein auffallende und stark ausgeprägte Ver-
schiedenheit der Sprachen auf, sie verleugneten auch in ewigem Kampf mit andern
Völkerschaften, besonders mit den altangesessenen Aruak nirgendwo den Charakter
erobernder Eindringlinge. Hatte man also von den Inselkaraiben eingesehen: sie
kamen vom südlich gelegenen Festland, traf man Karaibenstämme dort auch
wirklich in unerwartet grosser Menge an, — so musste man sich doch jetzt sagen:
auch hier sind sie nicht zu Hause.

Es blieb die Möglichkeit: sie sind vom Süden her eingewandert, sie haben
den Amazonenstrom überschritten, sind einem oder mehreren seiner mächtigen
Süd-Nebenflüsse entlang nach Norden vorgedrungen und entstammen irgend einem
Gebiet der ungeheueren brasilischen Ländermasse. Doch gelangte man zu dieser
Erwägung eigentlich nur, weil man sich nicht anders zu helfen wusste. Leider
kannte man gar keine Karaiben in Brasilien; nur bei einem kleinen Stamm hoch
im Nordosten des Reiches, bei den Pimenteira, hatte man in der Sprache deut-
lich karaibische Elemente finden können, aber so abscheulich entstellt und ver-
stümmelt, dass sie keinen sicheren Anhaltspunkt gewährten. Das Einzige, was
man als eine Stütze der neuen Vermutung vorbringen konnte, war ein Motiv
mehr subjektiver Natur. Ueber das heutige Brasilien, der Küste entlang wie weit
durch das tiefste Innere zerstreut, über das Paraguay-La-Plata-Gebiet bis nach
Bolivien hinein und zum obern Amazonas waren die Tupívölker verbreitet, nicht
minder seetüchtig, nicht minder wanderlustig als die Karaiben; diese Tupí konnten
nun ja die Verwandten und Stammväter der Karaiben sein. Der Vorschlag fand
seine besten Anwälte ín einem Orbigny und vor allem in der Person des aus-
gezeichneten Begründers der brasilischen Ethnographie, in Martius, einem Manne,
der sich um die Erforschung der amerikanischen Menschheit ungleich höhere
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[397/0461] war, sein unbestrittenes Verdienst. Man hatte bis zu seiner Reise geglaubt, die Karaiben seien ausgestorben — und auf den Inseln waren sie allerdings nament- lich in Kämpfen mit den Franzosen — zu Grunde gegangen oder hatten sich mit Negersklaven vermischt; die letzten Reste waren von den Engländern Ende des vorigen Jahrhunderts nach einer Insel im Golf von Honduras befördert worden. Durch Humboldt wurde die Aufmerksamkeit nun erst wieder auf die Fest- land-Karaiben gelenkt, die in einer auf 40000 Seelen veranschlagten Gesamtzahl sämtlich im Norden des Amazonenstroms zwischen seinen von links kommenden Nebenflüssen oder im weiten Gebiet des Orinoko sassen. Den damals bekannten Stämmen hat die neuere Zeit nicht wenige Namen hinzufügen können. So musste naturgemäss die Ansicht zu Wort kommen, dass die Karaiben in demjenigen Lande, in dem sie am dichtesten vereinigt erscheinen, in dem Gebiet der Llanos von Venezuela und in dem heutigen Guyanas, also im Norden oder Nordosten des südamerikanischen Kontinents, von wo aus sie zu den Inseln übergesetzt waren, wahrscheinlich auch ihre Heimat hätten. Indess diese Lösung war nicht befriedigend. Bei aller Verwandtschaft wiesen die Stämme nicht nur eine allgemein auffallende und stark ausgeprägte Ver- schiedenheit der Sprachen auf, sie verleugneten auch in ewigem Kampf mit andern Völkerschaften, besonders mit den altangesessenen Aruak nirgendwo den Charakter erobernder Eindringlinge. Hatte man also von den Inselkaraiben eingesehen: sie kamen vom südlich gelegenen Festland, traf man Karaibenstämme dort auch wirklich in unerwartet grosser Menge an, — so musste man sich doch jetzt sagen: auch hier sind sie nicht zu Hause. Es blieb die Möglichkeit: sie sind vom Süden her eingewandert, sie haben den Amazonenstrom überschritten, sind einem oder mehreren seiner mächtigen Süd-Nebenflüsse entlang nach Norden vorgedrungen und entstammen irgend einem Gebiet der ungeheueren brasilischen Ländermasse. Doch gelangte man zu dieser Erwägung eigentlich nur, weil man sich nicht anders zu helfen wusste. Leider kannte man gar keine Karaiben in Brasilien; nur bei einem kleinen Stamm hoch im Nordosten des Reiches, bei den Pimenteira, hatte man in der Sprache deut- lich karaibische Elemente finden können, aber so abscheulich entstellt und ver- stümmelt, dass sie keinen sicheren Anhaltspunkt gewährten. Das Einzige, was man als eine Stütze der neuen Vermutung vorbringen konnte, war ein Motiv mehr subjektiver Natur. Ueber das heutige Brasilien, der Küste entlang wie weit durch das tiefste Innere zerstreut, über das Paraguay-La-Plata-Gebiet bis nach Bolivien hinein und zum obern Amazonas waren die Tupívölker verbreitet, nicht minder seetüchtig, nicht minder wanderlustig als die Karaiben; diese Tupí konnten nun ja die Verwandten und Stammväter der Karaiben sein. Der Vorschlag fand seine besten Anwälte ín einem Orbigny und vor allem in der Person des aus- gezeichneten Begründers der brasilischen Ethnographie, in Martius, einem Manne, der sich um die Erforschung der amerikanischen Menschheit ungleich höhere Verdienste erworben hat als Humboldt. »Woher sind die Karaiben ursprünglich

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/461>, abgerufen am 22.11.2024.