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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Zum Fluss hinunter war am Morgen und Abend ein fortwährendes Kommen
und Gehen. Die Frauen holten Wasser, erschienen aber stets zu mehreren oder
in Begleitung eines Mannes. Natürlich wurden wir, da wir Bücher bei uns hatten,
Notizen machten und mit wunderbaren Instrumenten hantirten, von der schlecht
ernährten, kränklichen Gesellschaft fleissig um unsern ärztlichen Rath gefragt.
"Ich bitte", lautete dann die Ansprache, "um die grosse Freundlickeit, mir den
Puls zu fühlen", oder "sind Sie der Herr, der den Puls fühlt?" Gern suchten
wir aus unserer Apotheke ein Trostmittelchen hervor und erhoben Ehrenreich,
der von uns das ernsteste Gesicht hatte, ein für alle Mal auf den Posten des
"Herrn, der den Puls fühlt".

Von dem Neuen, was sie bei uns sahen, erregten ausser einem überall
bewunderten dreiläufigen Gewehr am meisten ihr Erstaunen die aus Kautschuk
und Gummi verfertigten Sachen, da sie gelegentlich ausziehen, um die "Seringa",
den Saft der Siphonia, zumal im Distrikt des Rio Beijaflor, zu sammeln. Es
war die reine Zauberei, als wir mit zwei aufgeblasenen Gummikissen ein schwer
lahmendes Maultier, das in einem vorspringenden Ast gerannt war und nicht
zu schwimmen vermochte, hinter dem Kanu über den Rio Manso bugsirten.
Ein Kamm und gar eine Tabakspfeife aus Kautschuck! "Was gibt es nicht
alles in dieser Gotteswelt, ihr Leute -- neste mundo de Christo, oh, djente,
djente!" Die Frauen, die wir im Sitio des Boaventura sprachen, waren Zeit
ihres Lebens noch nicht einmal in Rosario oder bei der heiligen Senhora von
Guia gewesen. Alles wird aber besser werden, "wenn erst die -- Eisenbahn
kommt".

Hier möchte ich auch einer kleinen romantischen Episode gedenken, in der
wir unbewusst als Schützer treuer Liebe wirkten. Am 17. Tage sahen wir, in
aller Morgenfrühe aufbrechend, vor uns ein seltsames Paar wandern, das wir
bald einholten. Es war ein Neger, zerlumpt, hässlich schielend, aber gutmütig
ausschauend, und eine Negerin, jung, hübsch, jedenfalls viel zu hübsch für ihren
Begleiter, er auf dem Rücken, sie auf ihrem schwarzen Tituskopf ein grosses weisses
Bündel tragend. Beide gingen barfuss und zwar sie in einem rosafarbenen Kattun-
kleid mit himmelblauen Volants, er das Buschmesser, sie eine ungeschlachte Pistole in
der Hand. Woher? "Von Cuyaba." Wohin? "Zu den Bakairi am Paranatinga." Er
war Fuhrknecht in der Stadt gewesen und sie, die er heiraten wollte, Sklavin; ihr
Herr hatte seinen Konsens verweigert, und der Preis, sie loszukaufen, war uner-
schwinglich gewesen. Der gute Bischof, den sie um Beistand anflehte, riet
ihnen -- er heisst Carlos Luiz d'Amour -- das Weite zu suchen, bis er die
Angelegenheit in Ordnung gebracht habe. Ob auch er oder ein anderer milder
Genius den Gedanken eingegeben hat, ich weiss es nicht -- sie liessen sich auf
ihrer Flucht durch unsern Zug Ziel und Weg weisen, pilgerten, ohne dass wir
eine Ahnung davon hatten, dicht hinter uns her, schliefen in der Nähe unserer
Lagerplätze und fanden dort nach unserm Abmarsch, wenn wir Jagdglück gehabt
hatten, auch noch einen Rest Wildpret zum Morgenimbiss. Einer der Fazendeiros,

Zum Fluss hinunter war am Morgen und Abend ein fortwährendes Kommen
und Gehen. Die Frauen holten Wasser, erschienen aber stets zu mehreren oder
in Begleitung eines Mannes. Natürlich wurden wir, da wir Bücher bei uns hatten,
Notizen machten und mit wunderbaren Instrumenten hantirten, von der schlecht
ernährten, kränklichen Gesellschaft fleissig um unsern ärztlichen Rath gefragt.
»Ich bitte«, lautete dann die Ansprache, »um die grosse Freundlickeit, mir den
Puls zu fühlen«, oder »sind Sie der Herr, der den Puls fühlt?« Gern suchten
wir aus unserer Apotheke ein Trostmittelchen hervor und erhoben Ehrenreich,
der von uns das ernsteste Gesicht hatte, ein für alle Mal auf den Posten des
»Herrn, der den Puls fühlt«.

Von dem Neuen, was sie bei uns sahen, erregten ausser einem überall
bewunderten dreiläufigen Gewehr am meisten ihr Erstaunen die aus Kautschuk
und Gummi verfertigten Sachen, da sie gelegentlich ausziehen, um die »Seringa«,
den Saft der Siphonia, zumal im Distrikt des Rio Beijaflor, zu sammeln. Es
war die reine Zauberei, als wir mit zwei aufgeblasenen Gummikissen ein schwer
lahmendes Maultier, das in einem vorspringenden Ast gerannt war und nicht
zu schwimmen vermochte, hinter dem Kanu über den Rio Manso bugsirten.
Ein Kamm und gar eine Tabakspfeife aus Kautschuck! »Was gibt es nicht
alles in dieser Gotteswelt, ihr Leute — neste mundo de Christo, oh, djente,
djente!« Die Frauen, die wir im Sitio des Boaventura sprachen, waren Zeit
ihres Lebens noch nicht einmal in Rosario oder bei der heiligen Senhora von
Guia gewesen. Alles wird aber besser werden, »wenn erst die — Eisenbahn
kommt«.

Hier möchte ich auch einer kleinen romantischen Episode gedenken, in der
wir unbewusst als Schützer treuer Liebe wirkten. Am 17. Tage sahen wir, in
aller Morgenfrühe aufbrechend, vor uns ein seltsames Paar wandern, das wir
bald einholten. Es war ein Neger, zerlumpt, hässlich schielend, aber gutmütig
ausschauend, und eine Negerin, jung, hübsch, jedenfalls viel zu hübsch für ihren
Begleiter, er auf dem Rücken, sie auf ihrem schwarzen Tituskopf ein grosses weisses
Bündel tragend. Beide gingen barfuss und zwar sie in einem rosafarbenen Kattun-
kleid mit himmelblauen Volants, er das Buschmesser, sie eine ungeschlachte Pistole in
der Hand. Woher? »Von Cuyabá.« Wohin? »Zu den Bakaïrí am Paranatinga.« Er
war Fuhrknecht in der Stadt gewesen und sie, die er heiraten wollte, Sklavin; ihr
Herr hatte seinen Konsens verweigert, und der Preis, sie loszukaufen, war uner-
schwinglich gewesen. Der gute Bischof, den sie um Beistand anflehte, riet
ihnen — er heisst Carlos Luiz d’Amour — das Weite zu suchen, bis er die
Angelegenheit in Ordnung gebracht habe. Ob auch er oder ein anderer milder
Genius den Gedanken eingegeben hat, ich weiss es nicht — sie liessen sich auf
ihrer Flucht durch unsern Zug Ziel und Weg weisen, pilgerten, ohne dass wir
eine Ahnung davon hatten, dicht hinter uns her, schliefen in der Nähe unserer
Lagerplätze und fanden dort nach unserm Abmarsch, wenn wir Jagdglück gehabt
hatten, auch noch einen Rest Wildpret zum Morgenimbiss. Einer der Fazendeiros,

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[23/0047] Zum Fluss hinunter war am Morgen und Abend ein fortwährendes Kommen und Gehen. Die Frauen holten Wasser, erschienen aber stets zu mehreren oder in Begleitung eines Mannes. Natürlich wurden wir, da wir Bücher bei uns hatten, Notizen machten und mit wunderbaren Instrumenten hantirten, von der schlecht ernährten, kränklichen Gesellschaft fleissig um unsern ärztlichen Rath gefragt. »Ich bitte«, lautete dann die Ansprache, »um die grosse Freundlickeit, mir den Puls zu fühlen«, oder »sind Sie der Herr, der den Puls fühlt?« Gern suchten wir aus unserer Apotheke ein Trostmittelchen hervor und erhoben Ehrenreich, der von uns das ernsteste Gesicht hatte, ein für alle Mal auf den Posten des »Herrn, der den Puls fühlt«. Von dem Neuen, was sie bei uns sahen, erregten ausser einem überall bewunderten dreiläufigen Gewehr am meisten ihr Erstaunen die aus Kautschuk und Gummi verfertigten Sachen, da sie gelegentlich ausziehen, um die »Seringa«, den Saft der Siphonia, zumal im Distrikt des Rio Beijaflor, zu sammeln. Es war die reine Zauberei, als wir mit zwei aufgeblasenen Gummikissen ein schwer lahmendes Maultier, das in einem vorspringenden Ast gerannt war und nicht zu schwimmen vermochte, hinter dem Kanu über den Rio Manso bugsirten. Ein Kamm und gar eine Tabakspfeife aus Kautschuck! »Was gibt es nicht alles in dieser Gotteswelt, ihr Leute — neste mundo de Christo, oh, djente, djente!« Die Frauen, die wir im Sitio des Boaventura sprachen, waren Zeit ihres Lebens noch nicht einmal in Rosario oder bei der heiligen Senhora von Guia gewesen. Alles wird aber besser werden, »wenn erst die — Eisenbahn kommt«. Hier möchte ich auch einer kleinen romantischen Episode gedenken, in der wir unbewusst als Schützer treuer Liebe wirkten. Am 17. Tage sahen wir, in aller Morgenfrühe aufbrechend, vor uns ein seltsames Paar wandern, das wir bald einholten. Es war ein Neger, zerlumpt, hässlich schielend, aber gutmütig ausschauend, und eine Negerin, jung, hübsch, jedenfalls viel zu hübsch für ihren Begleiter, er auf dem Rücken, sie auf ihrem schwarzen Tituskopf ein grosses weisses Bündel tragend. Beide gingen barfuss und zwar sie in einem rosafarbenen Kattun- kleid mit himmelblauen Volants, er das Buschmesser, sie eine ungeschlachte Pistole in der Hand. Woher? »Von Cuyabá.« Wohin? »Zu den Bakaïrí am Paranatinga.« Er war Fuhrknecht in der Stadt gewesen und sie, die er heiraten wollte, Sklavin; ihr Herr hatte seinen Konsens verweigert, und der Preis, sie loszukaufen, war uner- schwinglich gewesen. Der gute Bischof, den sie um Beistand anflehte, riet ihnen — er heisst Carlos Luiz d’Amour — das Weite zu suchen, bis er die Angelegenheit in Ordnung gebracht habe. Ob auch er oder ein anderer milder Genius den Gedanken eingegeben hat, ich weiss es nicht — sie liessen sich auf ihrer Flucht durch unsern Zug Ziel und Weg weisen, pilgerten, ohne dass wir eine Ahnung davon hatten, dicht hinter uns her, schliefen in der Nähe unserer Lagerplätze und fanden dort nach unserm Abmarsch, wenn wir Jagdglück gehabt hatten, auch noch einen Rest Wildpret zum Morgenimbiss. Einer der Fazendeiros,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/47>, abgerufen am 23.11.2024.