hatte sie vergeblich verfolgt. Jetzt erst im Quellgebiet des Cuyaba fühlten sie sich in Sicherheit; die wenigen Tagemärsche, die noch zu den Bakairi fehlten, war die junge Frau ausser Stande, zurückzulegen, aber sie fanden Unterkunft und Arbeit bei der letzten Ansiedelung. Wenn ihnen dort im Mai des folgenden Jahres ein pünktlicher Storch, Ciconia Maguary, das erste Pickaninny gebracht hat, konnte er auch der Mutter die Freudenbotschaft melden, dass die Sklaverei abgeschafft sei, und ihr die Stunde der Freiheit geschlagen habe.
Zahme Bakairi. Dem äussern und innern Leben der brasilischen Ansiedler durchaus ähnlich verfliesst den in ihrer Nähe wohnenden Bakairi das Dasein. Sie sind alle getauft -- warum, wissen sie selber nicht, es sei denn, um einen schönen portugiesischen Vornamen, dessen Aussprache ihnen oft schwere Mühe macht, zu bekommen -- und Einige von ihnen radebrechen auch ein wenig das gebildete Idiom Brasiliens.
Das schon zum Arinosgebiet gehörige Dorf am Rio Novo zu besuchen, wo wir sie 1884 zuerst kennen lernten (vergl. "Durch Zentralbrasilien" p. 102 ff.), ging leider nicht an; um so mehr war ich am 11. August überrascht und erfreut, als wir vor dem Uebergang des Cuyaba, den wir trotz seiner 70 bis 80 m Breite durchschreiten konnten, ganz unversehens einem kleinen Zug von etwa neun In- dianern begegneten, guten alten Bekannten, die ihrerseits nicht wenig erstaunt waren, in ihrer Sprache angerufen zu werden. Sie hatten ihr Dorf vor 2 Tagen verlassen und brachten Kautschuk nach Cuyaba; sie reisten langsam, von Last- ochsen begleitet, und schossen sich mit Pfeil und Bogen unterwegs ihre Fische. 22 Arroben Kautschuk führten sie, ein achtbares Quantum mit einem Wert, die Arrobe zu 33 Milreis, von 726 Milreis oder damals über 1400 Mark. So wenigstens rechnete Perrot. Wissen möchte ich aber, wie der Handelsmann in Cuyaba ge- rechnet, und für welchen Gegenwert von Tauschartikeln er ihnen den Kautschuk abgenommen hat. Wäre noch der Häuptling Reginaldo dabei gewesen, der bis 20 zählen konnte.
Die Bakairi des Paranatinga trafen wir schon auf der ehemaligen Fazenda von Corrego Fundo, die nun zu einem "Retiro", einer kleinen Station für die Viehwirtschaft, herabgesunken war; sie hatten sich dort für einige Tage verdingt und gingen am folgenden Tage insgesamt mit uns zu ihrem Dorf am Flusse. Antonio war glücklich, Wilhelm und mich wieder zu sehen und sofort zum Mit- gehen bereit, ohne auch nur ein Wort über die Bedingungen oder über die Einzelheiten unseres Planes zu verlieren. Im Dorf war es wieder urgemütlich: viele Hühner mit ihren Küken, einige unglaubliche Hunde und dicke Schweine liefen umher, für zwei mittlerweile zusammengestürzte Häuser hatte man zwei neue -- eins davon ein kleiner Fremdenstall -- gebaut, Bananen und Mandioka waren reichlich vorhanden und nicht minder der delikate Matrincham-Fisch. Der war jetzt gerade auf seiner nächtlichen Massenwanderung flussaufwärts begriffen und er, dem zu Ehren das schönste Tanzfest mit dem lustigsten Mummenschanz ge-
hatte sie vergeblich verfolgt. Jetzt erst im Quellgebiet des Cuyabá fühlten sie sich in Sicherheit; die wenigen Tagemärsche, die noch zu den Bakaïrí fehlten, war die junge Frau ausser Stande, zurückzulegen, aber sie fanden Unterkunft und Arbeit bei der letzten Ansiedelung. Wenn ihnen dort im Mai des folgenden Jahres ein pünktlicher Storch, Ciconia Maguary, das erste Pickaninny gebracht hat, konnte er auch der Mutter die Freudenbotschaft melden, dass die Sklaverei abgeschafft sei, und ihr die Stunde der Freiheit geschlagen habe.
Zahme Bakaïrí. Dem äussern und innern Leben der brasilischen Ansiedler durchaus ähnlich verfliesst den in ihrer Nähe wohnenden Bakaïrí das Dasein. Sie sind alle getauft — warum, wissen sie selber nicht, es sei denn, um einen schönen portugiesischen Vornamen, dessen Aussprache ihnen oft schwere Mühe macht, zu bekommen — und Einige von ihnen radebrechen auch ein wenig das gebildete Idiom Brasiliens.
Das schon zum Arinosgebiet gehörige Dorf am Rio Novo zu besuchen, wo wir sie 1884 zuerst kennen lernten (vergl. »Durch Zentralbrasilien« p. 102 ff.), ging leider nicht an; um so mehr war ich am 11. August überrascht und erfreut, als wir vor dem Uebergang des Cuyabá, den wir trotz seiner 70 bis 80 m Breite durchschreiten konnten, ganz unversehens einem kleinen Zug von etwa neun In- dianern begegneten, guten alten Bekannten, die ihrerseits nicht wenig erstaunt waren, in ihrer Sprache angerufen zu werden. Sie hatten ihr Dorf vor 2 Tagen verlassen und brachten Kautschuk nach Cuyabá; sie reisten langsam, von Last- ochsen begleitet, und schossen sich mit Pfeil und Bogen unterwegs ihre Fische. 22 Arroben Kautschuk führten sie, ein achtbares Quantum mit einem Wert, die Arrobe zu 33 Milreis, von 726 Milreis oder damals über 1400 Mark. So wenigstens rechnete Perrot. Wissen möchte ich aber, wie der Handelsmann in Cuyabá ge- rechnet, und für welchen Gegenwert von Tauschartikeln er ihnen den Kautschuk abgenommen hat. Wäre noch der Häuptling Reginaldo dabei gewesen, der bis 20 zählen konnte.
Die Bakaïrí des Paranatinga trafen wir schon auf der ehemaligen Fazenda von Corrego Fundo, die nun zu einem »Retiro«, einer kleinen Station für die Viehwirtschaft, herabgesunken war; sie hatten sich dort für einige Tage verdingt und gingen am folgenden Tage insgesamt mit uns zu ihrem Dorf am Flusse. Antonio war glücklich, Wilhelm und mich wieder zu sehen und sofort zum Mit- gehen bereit, ohne auch nur ein Wort über die Bedingungen oder über die Einzelheiten unseres Planes zu verlieren. Im Dorf war es wieder urgemütlich: viele Hühner mit ihren Küken, einige unglaubliche Hunde und dicke Schweine liefen umher, für zwei mittlerweile zusammengestürzte Häuser hatte man zwei neue — eins davon ein kleiner Fremdenstall — gebaut, Bananen und Mandioka waren reichlich vorhanden und nicht minder der delikate Matrincham-Fisch. Der war jetzt gerade auf seiner nächtlichen Massenwanderung flussaufwärts begriffen und er, dem zu Ehren das schönste Tanzfest mit dem lustigsten Mummenschanz ge-
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[24/0048]
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sich in Sicherheit; die wenigen Tagemärsche, die noch zu den Bakaïrí fehlten,
war die junge Frau ausser Stande, zurückzulegen, aber sie fanden Unterkunft
und Arbeit bei der letzten Ansiedelung. Wenn ihnen dort im Mai des folgenden
Jahres ein pünktlicher Storch, Ciconia Maguary, das erste Pickaninny gebracht
hat, konnte er auch der Mutter die Freudenbotschaft melden, dass die Sklaverei
abgeschafft sei, und ihr die Stunde der Freiheit geschlagen habe.
Zahme Bakaïrí. Dem äussern und innern Leben der brasilischen Ansiedler
durchaus ähnlich verfliesst den in ihrer Nähe wohnenden Bakaïrí das Dasein.
Sie sind alle getauft — warum, wissen sie selber nicht, es sei denn, um einen
schönen portugiesischen Vornamen, dessen Aussprache ihnen oft schwere Mühe
macht, zu bekommen — und Einige von ihnen radebrechen auch ein wenig das
gebildete Idiom Brasiliens.
Das schon zum Arinosgebiet gehörige Dorf am Rio Novo zu besuchen, wo
wir sie 1884 zuerst kennen lernten (vergl. »Durch Zentralbrasilien« p. 102 ff.), ging
leider nicht an; um so mehr war ich am 11. August überrascht und erfreut, als
wir vor dem Uebergang des Cuyabá, den wir trotz seiner 70 bis 80 m Breite
durchschreiten konnten, ganz unversehens einem kleinen Zug von etwa neun In-
dianern begegneten, guten alten Bekannten, die ihrerseits nicht wenig erstaunt
waren, in ihrer Sprache angerufen zu werden. Sie hatten ihr Dorf vor 2 Tagen
verlassen und brachten Kautschuk nach Cuyabá; sie reisten langsam, von Last-
ochsen begleitet, und schossen sich mit Pfeil und Bogen unterwegs ihre Fische.
22 Arroben Kautschuk führten sie, ein achtbares Quantum mit einem Wert, die
Arrobe zu 33 Milreis, von 726 Milreis oder damals über 1400 Mark. So wenigstens
rechnete Perrot. Wissen möchte ich aber, wie der Handelsmann in Cuyabá ge-
rechnet, und für welchen Gegenwert von Tauschartikeln er ihnen den Kautschuk
abgenommen hat. Wäre noch der Häuptling Reginaldo dabei gewesen, der bis
20 zählen konnte.
Die Bakaïrí des Paranatinga trafen wir schon auf der ehemaligen Fazenda
von Corrego Fundo, die nun zu einem »Retiro«, einer kleinen Station für die
Viehwirtschaft, herabgesunken war; sie hatten sich dort für einige Tage verdingt
und gingen am folgenden Tage insgesamt mit uns zu ihrem Dorf am Flusse.
Antonio war glücklich, Wilhelm und mich wieder zu sehen und sofort zum Mit-
gehen bereit, ohne auch nur ein Wort über die Bedingungen oder über die
Einzelheiten unseres Planes zu verlieren. Im Dorf war es wieder urgemütlich:
viele Hühner mit ihren Küken, einige unglaubliche Hunde und dicke Schweine
liefen umher, für zwei mittlerweile zusammengestürzte Häuser hatte man zwei neue
— eins davon ein kleiner Fremdenstall — gebaut, Bananen und Mandioka waren
reichlich vorhanden und nicht minder der delikate Matrincham-Fisch. Der war
jetzt gerade auf seiner nächtlichen Massenwanderung flussaufwärts begriffen und
er, dem zu Ehren das schönste Tanzfest mit dem lustigsten Mummenschanz ge-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/48>, abgerufen am 23.11.2024.
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