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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Unterschenkel, die Frauen Kautschukbänder. "Allgemein fehlen Männern und
Frauen die oberen Schneidezähne." Der Kapitän hält die "zahmen" Kabischi
für dieselben, die zuweilen die Landstrassen des benachbarten Gebietes unsicher
machen.

Unser Besuch. Das Dorf der für uns zitierten Paressi liegt im Distrikt
von Diamantino am Rio St. Anna, einem rechten Nebenflüsschen des Paraguay.
Hier sind seit Mitte des vorigen Jahrhunderts Gold- und Diamantenminen gewesen
und die Vorfahren unserer Besucher zur Arbeit herangezogen worden. Die Leute
selbst nannten ihren Fluss Zaikurivia und rechneten drei Tage nach Diamantino.

Es waren im Ganzen 12 Individuen, 9 Männer und 3 Frauen. Nur vier
von ihnen nannten sich Paressi
, vier waren Waimare von dem oben als
Maimbare bezeichneten Stamm, und vier, unter ihnen die drei Frauen, Kaschiniti.
Sie verteilten sich mit ihren portugiesischen und einheimischen Namen folgender-
massen:

Paressi: Joao Battista = Kanadalo, Manoel Bito (Brito) = Halasö, Bayano
(aus Bahia) = Totohigasö, Manoel Bibiano = Dalokarihi, Waimare: Manoel Chico
(von Francisco) = Duloizo, Jose de Oliveira Santo = Daremaridi, ferner Waimare-
Vater, Paressi-Mutter: Joao Baixo (Hans Kurz) = Kohiare und Manoel Antonio
(mein Hauptgewährsmann) = Zaruliare, sowie Kaschiniti: Miguel = Waitihare,
Maria Kalara (Clara) = Kameroso, Maria Theresa = Kamemenalo, Antonia (vgl.
Abbildung 125) = Kahuiro. Die Männer waren mit Ausnahme von zweien mehr
als 25 Jahre alt, der älteste vielleicht 50; Antonia war ein Mädchen nahe an
20 Jahren, die beiden andern 40--50jährige Frauen.

Welche ursprünglichen Unterschiede dieser Einteilung in Stämme zu Grunde
liegen, weiss ich nicht anzugeben. Die Waimare wohnten früher nördlich von den
Paressi. Es scheint mit der Zeit des Niedergangs eine Verschmelzung stattgefunden
zu haben. So sagten unsere Waimare, ihre Väter seien Waimare, ihre Müttern Paressi
gewesen, woraus erhellt, dass die Stammbezeichnung sich hier nicht nach den Müttern
richtet, in deren Ort aber immerhin die Väter wohnten. Die Unterscheidung als
Kaschiniti wurde nebensächlicher behandelt; es gebe jetzt keinen selbständigen
Kaschinitistamm mehr. Es war mir nicht möglich, näher in diese Feinheiten
einzudringen, die erst in den letzten Augenblicken entdeckt wurden. Unser Zu-
sammensein beschränkte sich leider auf nur zwei Tage; länger waren die Leute
nicht zu halten.

Sprache. Dass die Sprachunterschiede zwischen Paressi und Waimare nur
dialektischer Art sind, konnte ich noch feststellen. Vater P. aba, W. bawa,
Mutter P. ama, W. mama, Wasser P. one, Feuer P. und W. irigate,
Oheim P. kukure, W. kuku, älterer Bruder P. und W. azö. Mein Vokabular ist
teils von dem Häuptling der Paressi, Joao Battista, teils von den Waimare
Manoel Chico aufgenommen und somit gemischten Inhalts.

Die Sprache gehört zu den Nu-Aruaksprachen und besitzt das typische
Pronominalpräfix nu- der ersten Person. Die Verwandtschaft des Wortschatzes

Unterschenkel, die Frauen Kautschukbänder. »Allgemein fehlen Männern und
Frauen die oberen Schneidezähne.« Der Kapitän hält die »zahmen« Kabischí
für dieselben, die zuweilen die Landstrassen des benachbarten Gebietes unsicher
machen.

Unser Besuch. Das Dorf der für uns zitierten Paressí liegt im Distrikt
von Diamantino am Rio St. Anna, einem rechten Nebenflüsschen des Paraguay.
Hier sind seit Mitte des vorigen Jahrhunderts Gold- und Diamantenminen gewesen
und die Vorfahren unserer Besucher zur Arbeit herangezogen worden. Die Leute
selbst nannten ihren Fluss Zaikuriviá und rechneten drei Tage nach Diamantino.

Es waren im Ganzen 12 Individuen, 9 Männer und 3 Frauen. Nur vier
von ihnen nannten sich Paressí
, vier waren Waimaré von dem oben als
Maimbaré bezeichneten Stamm, und vier, unter ihnen die drei Frauen, Kaschinití.
Sie verteilten sich mit ihren portugiesischen und einheimischen Namen folgender-
massen:

Paressí: João Battista = Kanadaló, Manoel Bito (Brito) = Halásö, Bayano
(aus Bahia) = Totóhigasö, Manoel Bibiano = Dalokarihí, Waimaré: Manoel Chico
(von Francisco) = Dulóizo, José de Oliveira Santo = Daremáridi, ferner Waimaré-
Vater, Paressí-Mutter: João Baixo (Hans Kurz) = Kohiaré und Manoel Antonio
(mein Hauptgewährsmann) = Zaruliaré, sowie Kaschinití: Miguel = Waitiharé,
Maria Kalara (Clara) = Kamerosó, Maria Theresa = Kamemenaló, Antonia (vgl.
Abbildung 125) = Kahuiró. Die Männer waren mit Ausnahme von zweien mehr
als 25 Jahre alt, der älteste vielleicht 50; Antonia war ein Mädchen nahe an
20 Jahren, die beiden andern 40—50jährige Frauen.

Welche ursprünglichen Unterschiede dieser Einteilung in Stämme zu Grunde
liegen, weiss ich nicht anzugeben. Die Waimaré wohnten früher nördlich von den
Paressí. Es scheint mit der Zeit des Niedergangs eine Verschmelzung stattgefunden
zu haben. So sagten unsere Waimaré, ihre Väter seien Waimaré, ihre Müttern Paressí
gewesen, woraus erhellt, dass die Stammbezeichnung sich hier nicht nach den Müttern
richtet, in deren Ort aber immerhin die Väter wohnten. Die Unterscheidung als
Kaschinití wurde nebensächlicher behandelt; es gebe jetzt keinen selbständigen
Kaschinitístamm mehr. Es war mir nicht möglich, näher in diese Feinheiten
einzudringen, die erst in den letzten Augenblicken entdeckt wurden. Unser Zu-
sammensein beschränkte sich leider auf nur zwei Tage; länger waren die Leute
nicht zu halten.

Sprache. Dass die Sprachunterschiede zwischen Paressí und Waimaré nur
dialektischer Art sind, konnte ich noch feststellen. Vater P. abá, W. bawá,
Mutter P. amá, W. mamá, Wasser P. oné, Feuer P. und W. irigaté,
Oheim P. kukúre, W. kukú, älterer Bruder P. und W. azö́. Mein Vokabular ist
teils von dem Häuptling der Paressí, João Battista, teils von den Waimaré
Manoel Chico aufgenommen und somit gemischten Inhalts.

Die Sprache gehört zu den Nu-Aruaksprachen und besitzt das typische
Pronominalpräfix nu- der ersten Person. Die Verwandtschaft des Wortschatzes

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[427/0491] Unterschenkel, die Frauen Kautschukbänder. »Allgemein fehlen Männern und Frauen die oberen Schneidezähne.« Der Kapitän hält die »zahmen« Kabischí für dieselben, die zuweilen die Landstrassen des benachbarten Gebietes unsicher machen. Unser Besuch. Das Dorf der für uns zitierten Paressí liegt im Distrikt von Diamantino am Rio St. Anna, einem rechten Nebenflüsschen des Paraguay. Hier sind seit Mitte des vorigen Jahrhunderts Gold- und Diamantenminen gewesen und die Vorfahren unserer Besucher zur Arbeit herangezogen worden. Die Leute selbst nannten ihren Fluss Zaikuriviá und rechneten drei Tage nach Diamantino. Es waren im Ganzen 12 Individuen, 9 Männer und 3 Frauen. Nur vier von ihnen nannten sich Paressí, vier waren Waimaré von dem oben als Maimbaré bezeichneten Stamm, und vier, unter ihnen die drei Frauen, Kaschinití. Sie verteilten sich mit ihren portugiesischen und einheimischen Namen folgender- massen: Paressí: João Battista = Kanadaló, Manoel Bito (Brito) = Halásö, Bayano (aus Bahia) = Totóhigasö, Manoel Bibiano = Dalokarihí, Waimaré: Manoel Chico (von Francisco) = Dulóizo, José de Oliveira Santo = Daremáridi, ferner Waimaré- Vater, Paressí-Mutter: João Baixo (Hans Kurz) = Kohiaré und Manoel Antonio (mein Hauptgewährsmann) = Zaruliaré, sowie Kaschinití: Miguel = Waitiharé, Maria Kalara (Clara) = Kamerosó, Maria Theresa = Kamemenaló, Antonia (vgl. Abbildung 125) = Kahuiró. Die Männer waren mit Ausnahme von zweien mehr als 25 Jahre alt, der älteste vielleicht 50; Antonia war ein Mädchen nahe an 20 Jahren, die beiden andern 40—50jährige Frauen. Welche ursprünglichen Unterschiede dieser Einteilung in Stämme zu Grunde liegen, weiss ich nicht anzugeben. Die Waimaré wohnten früher nördlich von den Paressí. Es scheint mit der Zeit des Niedergangs eine Verschmelzung stattgefunden zu haben. So sagten unsere Waimaré, ihre Väter seien Waimaré, ihre Müttern Paressí gewesen, woraus erhellt, dass die Stammbezeichnung sich hier nicht nach den Müttern richtet, in deren Ort aber immerhin die Väter wohnten. Die Unterscheidung als Kaschinití wurde nebensächlicher behandelt; es gebe jetzt keinen selbständigen Kaschinitístamm mehr. Es war mir nicht möglich, näher in diese Feinheiten einzudringen, die erst in den letzten Augenblicken entdeckt wurden. Unser Zu- sammensein beschränkte sich leider auf nur zwei Tage; länger waren die Leute nicht zu halten. Sprache. Dass die Sprachunterschiede zwischen Paressí und Waimaré nur dialektischer Art sind, konnte ich noch feststellen. Vater P. abá, W. bawá, Mutter P. amá, W. mamá, Wasser P. oné, Feuer P. und W. irigaté, Oheim P. kukúre, W. kukú, älterer Bruder P. und W. azö́. Mein Vokabular ist teils von dem Häuptling der Paressí, João Battista, teils von den Waimaré Manoel Chico aufgenommen und somit gemischten Inhalts. Die Sprache gehört zu den Nu-Aruaksprachen und besitzt das typische Pronominalpräfix nu- der ersten Person. Die Verwandtschaft des Wortschatzes

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/491>, abgerufen am 22.11.2024.