Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

schmale Bänder, in die Borsten vom Stachelschwein eingeflochten und die nach
Art der Hosenträger, vgl. Abb. 141 und 129 als Brustschnüre von beiden Ge-
schlechtern getragen wurden, sowie Armbänder durch künstliche Verschlingung
des Fadens zwischen zwei dünnen Stäbchen.

Wie zierlich und nett die Männer arbeiteten, fiel namentlich bei dem
Herrichten der Pfeile auf. Da gab es so manche kleine Geschicklichkeiten, die
man nur zarten Frauenhänden zugetraut hätte. Dahin rechne ich besonders
das Ausschmücken mit winzigen bunten Federchen, deren jedes Stück für Stück
auf den Boden gelegt und sorgfältig zurechtgezupft wurde.

Auch kann in einer Spinnstube nicht mehr geschwatzt und gelacht werden
als hier im Baito. Gewiss war es wenig frauenhaft, wenn sich plötzlich der
Abwechslung halber zwei der Arbeiter erhoben und einen regelrechten Ring-
kampf aufführten, der von den Uebrigen mit grossem Interesse verfolgt wurde.
Sie standen auf, rangen, warfen sich und nahmen ihre Arbeit wieder auf oder
legten sich wieder zum dolce far niente nieder. Denn behaglich Faulenzende
fehlten niemals; selten fehlte es auch, während die Frauen sonst fern blieben,
an einem Liebespärchen, das unter einer gemeinsamen roten Decke lag und
schäkerte. Niemand kümmerte sich darum, ausser einigen von gelinder Eifer-
sucht geplagten Freunden, die augenblicklich von der gemeinsamen Geliebten
vernachlässigt wurden und zufrieden sein mussten, neben dem Pärchen zu sitzen
und mit ihm zu plaudern.

Zuweilen gab Dyapokuri eine Vorstellung. Man war weit davon entfernt,
den Geistesschwachen, der nur lallen konnte, als ein höheres Wesen anzusehen.
Mit Vorliebe stellte er den Zank der Weiber dar, indem er sich in den wütigsten
Geberden erging und das gegenseitige Kratzen und Haarausreissen kräftig ver-
anschaulichte. In fürchterliche Aufregung geriet er aber selbst, als ein Soldat
ihn wegen seines Auszugs zur Verfolgung der Kayapo (Seite 460) hänselte und,
einen Stock über der Schulter, mit mächtig ausholenden Schritten daher hinkte:
der arme Teufel schäumte vor Wut, warf seine brennenden Holzkloben nach
dem Spötter und, als er sich nicht mehr zu helfen wusste, griff er ein paar
Hobelspähne vom Boden auf und markierte mit einer zähnefletschenden Grimasse
unter unverständlichen Zornlauten -- den Schnurrbart des Soldaten. Nach einer
Weile kam er wieder zur Ruhe und übte sich für die Totenfeier im Klappern
mit zwei Rasselkürbissen und taktfestem Aroe-Grunzen.

Es waren lehrreiche und gemütliche Stunden im Ranchao. Nur Eins war
unleidlich, das unaufhörliche Betteln um Tabak. Meine Pfeife wanderte von
Mann zu Mann. Die Leute diktierten mir Seiten lang Bororo, wobei jeder ge-
rade sich abspielende Vorgang für die Sätze herhalten musste, überhörten mich
und lachten dann ebenso befriedigt wie die Bakairi. Je vertrauter wir mitein-
ander wurden, desto auffälliger wurde überhaupt die Uebereinstimmung in Tem-
perament und Charakter mit den Kulisehuindianern. An einem Pfosten im
Männerhaus wurde auch, nachdem wir die anthropologischen Messungen vorge-

schmale Bänder, in die Borsten vom Stachelschwein eingeflochten und die nach
Art der Hosenträger, vgl. Abb. 141 und 129 als Brustschnüre von beiden Ge-
schlechtern getragen wurden, sowie Armbänder durch künstliche Verschlingung
des Fadens zwischen zwei dünnen Stäbchen.

Wie zierlich und nett die Männer arbeiteten, fiel namentlich bei dem
Herrichten der Pfeile auf. Da gab es so manche kleine Geschicklichkeiten, die
man nur zarten Frauenhänden zugetraut hätte. Dahin rechne ich besonders
das Ausschmücken mit winzigen bunten Federchen, deren jedes Stück für Stück
auf den Boden gelegt und sorgfältig zurechtgezupft wurde.

Auch kann in einer Spinnstube nicht mehr geschwatzt und gelacht werden
als hier im Baitó. Gewiss war es wenig frauenhaft, wenn sich plötzlich der
Abwechslung halber zwei der Arbeiter erhoben und einen regelrechten Ring-
kampf aufführten, der von den Uebrigen mit grossem Interesse verfolgt wurde.
Sie standen auf, rangen, warfen sich und nahmen ihre Arbeit wieder auf oder
legten sich wieder zum dolce far niente nieder. Denn behaglich Faulenzende
fehlten niemals; selten fehlte es auch, während die Frauen sonst fern blieben,
an einem Liebespärchen, das unter einer gemeinsamen roten Decke lag und
schäkerte. Niemand kümmerte sich darum, ausser einigen von gelinder Eifer-
sucht geplagten Freunden, die augenblicklich von der gemeinsamen Geliebten
vernachlässigt wurden und zufrieden sein mussten, neben dem Pärchen zu sitzen
und mit ihm zu plaudern.

Zuweilen gab Dyapokuri eine Vorstellung. Man war weit davon entfernt,
den Geistesschwachen, der nur lallen konnte, als ein höheres Wesen anzusehen.
Mit Vorliebe stellte er den Zank der Weiber dar, indem er sich in den wütigsten
Geberden erging und das gegenseitige Kratzen und Haarausreissen kräftig ver-
anschaulichte. In fürchterliche Aufregung geriet er aber selbst, als ein Soldat
ihn wegen seines Auszugs zur Verfolgung der Kayapó (Seite 460) hänselte und,
einen Stock über der Schulter, mit mächtig ausholenden Schritten daher hinkte:
der arme Teufel schäumte vor Wut, warf seine brennenden Holzkloben nach
dem Spötter und, als er sich nicht mehr zu helfen wusste, griff er ein paar
Hobelspähne vom Boden auf und markierte mit einer zähnefletschenden Grimasse
unter unverständlichen Zornlauten — den Schnurrbart des Soldaten. Nach einer
Weile kam er wieder zur Ruhe und übte sich für die Totenfeier im Klappern
mit zwei Rasselkürbissen und taktfestem Aróe-Grunzen.

Es waren lehrreiche und gemütliche Stunden im Ranchão. Nur Eins war
unleidlich, das unaufhörliche Betteln um Tabak. Meine Pfeife wanderte von
Mann zu Mann. Die Leute diktierten mir Seiten lang Bororó, wobei jeder ge-
rade sich abspielende Vorgang für die Sätze herhalten musste, überhörten mich
und lachten dann ebenso befriedigt wie die Bakaïrí. Je vertrauter wir mitein-
ander wurden, desto auffälliger wurde überhaupt die Uebereinstimmung in Tem-
perament und Charakter mit den Kulisehuindianern. An einem Pfosten im
Männerhaus wurde auch, nachdem wir die anthropologischen Messungen vorge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0561" n="489"/>
schmale Bänder, in die Borsten vom Stachelschwein eingeflochten und die nach<lb/>
Art der Hosenträger, vgl. Abb. 141 und 129 als Brustschnüre von beiden Ge-<lb/>
schlechtern getragen wurden, sowie Armbänder durch künstliche Verschlingung<lb/>
des Fadens zwischen zwei dünnen Stäbchen.</p><lb/>
          <p>Wie <hi rendition="#g">zierlich</hi> und <hi rendition="#g">nett</hi> die Männer arbeiteten, fiel namentlich bei dem<lb/>
Herrichten der Pfeile auf. Da gab es so manche kleine Geschicklichkeiten, die<lb/>
man nur zarten Frauenhänden zugetraut hätte. Dahin rechne ich besonders<lb/>
das Ausschmücken mit winzigen bunten Federchen, deren jedes Stück für Stück<lb/>
auf den Boden gelegt und sorgfältig zurechtgezupft wurde.</p><lb/>
          <p>Auch kann in einer Spinnstube nicht mehr geschwatzt und gelacht werden<lb/>
als hier im Baitó. Gewiss war es wenig frauenhaft, wenn sich plötzlich der<lb/>
Abwechslung halber zwei der Arbeiter erhoben und einen regelrechten Ring-<lb/>
kampf aufführten, der von den Uebrigen mit grossem Interesse verfolgt wurde.<lb/>
Sie standen auf, rangen, warfen sich und nahmen ihre Arbeit wieder auf oder<lb/>
legten sich wieder zum dolce far niente nieder. Denn behaglich Faulenzende<lb/>
fehlten niemals; selten fehlte es auch, während die Frauen sonst fern blieben,<lb/>
an einem Liebespärchen, das unter einer gemeinsamen roten Decke lag und<lb/>
schäkerte. Niemand kümmerte sich darum, ausser einigen von gelinder Eifer-<lb/>
sucht geplagten Freunden, die augenblicklich von der gemeinsamen Geliebten<lb/>
vernachlässigt wurden und zufrieden sein mussten, neben dem Pärchen zu sitzen<lb/>
und mit ihm zu plaudern.</p><lb/>
          <p>Zuweilen gab Dyapokuri eine Vorstellung. Man war weit davon entfernt,<lb/>
den Geistesschwachen, der nur lallen konnte, als ein höheres Wesen anzusehen.<lb/>
Mit Vorliebe stellte er den Zank der Weiber dar, indem er sich in den wütigsten<lb/>
Geberden erging und das gegenseitige Kratzen und Haarausreissen kräftig ver-<lb/>
anschaulichte. In fürchterliche Aufregung geriet er aber selbst, als ein Soldat<lb/>
ihn wegen seines Auszugs zur Verfolgung der Kayapó (Seite 460) hänselte und,<lb/>
einen Stock über der Schulter, mit mächtig ausholenden Schritten daher hinkte:<lb/>
der arme Teufel schäumte vor Wut, warf seine brennenden Holzkloben nach<lb/>
dem Spötter und, als er sich nicht mehr zu helfen wusste, griff er ein paar<lb/>
Hobelspähne vom Boden auf und markierte mit einer zähnefletschenden Grimasse<lb/>
unter unverständlichen Zornlauten &#x2014; den Schnurrbart des Soldaten. Nach einer<lb/>
Weile kam er wieder zur Ruhe und übte sich für die Totenfeier im Klappern<lb/>
mit zwei Rasselkürbissen und taktfestem Aróe-Grunzen.</p><lb/>
          <p>Es waren lehrreiche und gemütliche Stunden im Ranchão. Nur Eins war<lb/>
unleidlich, das unaufhörliche Betteln um Tabak. Meine Pfeife wanderte von<lb/>
Mann zu Mann. Die Leute diktierten mir Seiten lang Bororó, wobei jeder ge-<lb/>
rade sich abspielende Vorgang für die Sätze herhalten musste, überhörten mich<lb/>
und lachten dann ebenso befriedigt wie die Bakaïrí. Je vertrauter wir mitein-<lb/>
ander wurden, desto auffälliger wurde überhaupt die Uebereinstimmung in Tem-<lb/>
perament und Charakter mit den Kulisehuindianern. An einem Pfosten im<lb/>
Männerhaus wurde auch, nachdem wir die anthropologischen Messungen vorge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[489/0561] schmale Bänder, in die Borsten vom Stachelschwein eingeflochten und die nach Art der Hosenträger, vgl. Abb. 141 und 129 als Brustschnüre von beiden Ge- schlechtern getragen wurden, sowie Armbänder durch künstliche Verschlingung des Fadens zwischen zwei dünnen Stäbchen. Wie zierlich und nett die Männer arbeiteten, fiel namentlich bei dem Herrichten der Pfeile auf. Da gab es so manche kleine Geschicklichkeiten, die man nur zarten Frauenhänden zugetraut hätte. Dahin rechne ich besonders das Ausschmücken mit winzigen bunten Federchen, deren jedes Stück für Stück auf den Boden gelegt und sorgfältig zurechtgezupft wurde. Auch kann in einer Spinnstube nicht mehr geschwatzt und gelacht werden als hier im Baitó. Gewiss war es wenig frauenhaft, wenn sich plötzlich der Abwechslung halber zwei der Arbeiter erhoben und einen regelrechten Ring- kampf aufführten, der von den Uebrigen mit grossem Interesse verfolgt wurde. Sie standen auf, rangen, warfen sich und nahmen ihre Arbeit wieder auf oder legten sich wieder zum dolce far niente nieder. Denn behaglich Faulenzende fehlten niemals; selten fehlte es auch, während die Frauen sonst fern blieben, an einem Liebespärchen, das unter einer gemeinsamen roten Decke lag und schäkerte. Niemand kümmerte sich darum, ausser einigen von gelinder Eifer- sucht geplagten Freunden, die augenblicklich von der gemeinsamen Geliebten vernachlässigt wurden und zufrieden sein mussten, neben dem Pärchen zu sitzen und mit ihm zu plaudern. Zuweilen gab Dyapokuri eine Vorstellung. Man war weit davon entfernt, den Geistesschwachen, der nur lallen konnte, als ein höheres Wesen anzusehen. Mit Vorliebe stellte er den Zank der Weiber dar, indem er sich in den wütigsten Geberden erging und das gegenseitige Kratzen und Haarausreissen kräftig ver- anschaulichte. In fürchterliche Aufregung geriet er aber selbst, als ein Soldat ihn wegen seines Auszugs zur Verfolgung der Kayapó (Seite 460) hänselte und, einen Stock über der Schulter, mit mächtig ausholenden Schritten daher hinkte: der arme Teufel schäumte vor Wut, warf seine brennenden Holzkloben nach dem Spötter und, als er sich nicht mehr zu helfen wusste, griff er ein paar Hobelspähne vom Boden auf und markierte mit einer zähnefletschenden Grimasse unter unverständlichen Zornlauten — den Schnurrbart des Soldaten. Nach einer Weile kam er wieder zur Ruhe und übte sich für die Totenfeier im Klappern mit zwei Rasselkürbissen und taktfestem Aróe-Grunzen. Es waren lehrreiche und gemütliche Stunden im Ranchão. Nur Eins war unleidlich, das unaufhörliche Betteln um Tabak. Meine Pfeife wanderte von Mann zu Mann. Die Leute diktierten mir Seiten lang Bororó, wobei jeder ge- rade sich abspielende Vorgang für die Sätze herhalten musste, überhörten mich und lachten dann ebenso befriedigt wie die Bakaïrí. Je vertrauter wir mitein- ander wurden, desto auffälliger wurde überhaupt die Uebereinstimmung in Tem- perament und Charakter mit den Kulisehuindianern. An einem Pfosten im Männerhaus wurde auch, nachdem wir die anthropologischen Messungen vorge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/561
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/561>, abgerufen am 22.11.2024.