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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Die Bedeutung ist unklar; wahrscheinlich stellen die Quadrate die Knochenkörbe
und der Kreis den Schädel dar.

Die Mädchen im Ranchao wurden im Gesicht mit den Bildern des Rinden-
gürtels und der Bastbinde bemalt, ebenso wie ein Teil der Schwirrhölzer: der-
selbe Querstreifen über die Stirn und Schläfe, die Augen einschliessend und den
Oberteil der Stirn freilassend, und dieselben Dreiecke auf den Wangen, jeder-
seits eines. Nur wurde diese Malerei, vgl. Seite 477, mit dem fröhlicheren
Urukurot ausgeführt. Die Leute hatten sich eines Tages den Scherz gemacht,
auch uns eine kleine Bemalung im Gesicht angedeihen zu lassen, die uns be-
gegnenden Mädchen hatten grossen Spass daran und riefen, was uns damals rätsel-
haft war, "aidye" "Schwirrhölzer". Sie setzten auch noch ein paar Dreieckchen
hinzu, indem sie von einem geschminkten Bororo, der dabei stand, die Farbe
abtupften. -- Rotgestreift wurden endlich die Fahnen der Feststulpe, vgl. Seite 192,
Abb. 17.

Die Bleistiftzeichnungen der Bororo, vgl. Tafel 18 und 19, habe ich
Seite 249 ff. im Zusammenhang mit denen der Kulisehuindianer besprochen.

Auch ihre Sandzeichnungen sind dort Seite 248, 249 beschrieben. Mit
besonderer Vorliebe wurde ein Indianer, durch ein riesiges Membrum virile ge-
kennzeichnet, auf der Tapirjagd dargestelllt, wie er den Pfeil abschoss. Auch
sahen wir einen Vaqueano, der den Lasso warf. Am schönsten aber war das
schimmernde Jaguargemälde. Wilhelms Zeichnungen erregten stets lebhaftes
Interesse. Abends hatten wir öfter Besuch, der sie genauer studierte und neue
Aufgaben stellte; Einer wünschte ein Bild seines Fingernagels zu sehen, ein
Anderer fing eine Motte zur Vorlage und dergleichen mehr. Sie verstanden
auch die landschaftliche Darstellung und erkannten einen bestimmten Baum bei
einer Hütte, den Wilhelm in grösserem Massstabe gezeichnet hatte.

Recht und Heirat. Der Häuptling befiehlt im Krieg und sagt im Frieden
die Jagd an, wie er am Kulisehu für die Pflanzung sorgte. Sonst ist sein Amt ohne
Bedeutung; es ist erblich. Die Brasilier suchten seine Stellung möglichst zu
befestigen, damit sie sich an eine bestimmte Person halten konnten, allein ein
Ansehen, wie es Moguyokuri besass, war nach dem, was Clemente angab, ein
künstlich gesteigertes. In Wirklichkeit war der Posten eines Medizinmannes
weit besser; denn wenn die Brasilier den Häuptling in erster Linie mit Ge-
schenken bedachten, so sah sich der Bari in der angenehmen Lage, für seine
Einsegnungen jederzeit das Beste zu erhalten. Es war freilich auch ein an-
strengendes Klappern, das zu seinem Handwerk gehörte.

Soviel ich die Dinge begriffen habe, teilte sich der Stamm in zwei grosse
Klassen: die der Familienhütten und die des Männerhauses. Jene begriff die
älteren Familienväter, die in geregeltem Ehestande lebten, diese die Junggesellen,
die sich Mädchen einfingen und sie in kleineren Gruppen gemeinschaftlich be-
sassen. Der Frauenraub, der sich von Stamm zu Stamm abspielt, erfolgte hier
innerhalb des Stammes. Nur ein Teil der Stammesgenossen war im Dauerbesitz

Die Bedeutung ist unklar; wahrscheinlich stellen die Quadrate die Knochenkörbe
und der Kreis den Schädel dar.

Die Mädchen im Ranchão wurden im Gesicht mit den Bildern des Rinden-
gürtels und der Bastbinde bemalt, ebenso wie ein Teil der Schwirrhölzer: der-
selbe Querstreifen über die Stirn und Schläfe, die Augen einschliessend und den
Oberteil der Stirn freilassend, und dieselben Dreiecke auf den Wangen, jeder-
seits eines. Nur wurde diese Malerei, vgl. Seite 477, mit dem fröhlicheren
Urukúrot ausgeführt. Die Leute hatten sich eines Tages den Scherz gemacht,
auch uns eine kleine Bemalung im Gesicht angedeihen zu lassen, die uns be-
gegnenden Mädchen hatten grossen Spass daran und riefen, was uns damals rätsel-
haft war, „aídye“ »Schwirrhölzer«. Sie setzten auch noch ein paar Dreieckchen
hinzu, indem sie von einem geschminkten Bororó, der dabei stand, die Farbe
abtupften. — Rotgestreift wurden endlich die Fahnen der Feststulpe, vgl. Seite 192,
Abb. 17.

Die Bleistiftzeichnungen der Bororó, vgl. Tafel 18 und 19, habe ich
Seite 249 ff. im Zusammenhang mit denen der Kulisehuindianer besprochen.

Auch ihre Sandzeichnungen sind dort Seite 248, 249 beschrieben. Mit
besonderer Vorliebe wurde ein Indianer, durch ein riesiges Membrum virile ge-
kennzeichnet, auf der Tapirjagd dargestelllt, wie er den Pfeil abschoss. Auch
sahen wir einen Vaqueano, der den Lasso warf. Am schönsten aber war das
schimmernde Jaguargemälde. Wilhelms Zeichnungen erregten stets lebhaftes
Interesse. Abends hatten wir öfter Besuch, der sie genauer studierte und neue
Aufgaben stellte; Einer wünschte ein Bild seines Fingernagels zu sehen, ein
Anderer fing eine Motte zur Vorlage und dergleichen mehr. Sie verstanden
auch die landschaftliche Darstellung und erkannten einen bestimmten Baum bei
einer Hütte, den Wilhelm in grösserem Massstabe gezeichnet hatte.

Recht und Heirat. Der Häuptling befiehlt im Krieg und sagt im Frieden
die Jagd an, wie er am Kulisehu für die Pflanzung sorgte. Sonst ist sein Amt ohne
Bedeutung; es ist erblich. Die Brasilier suchten seine Stellung möglichst zu
befestigen, damit sie sich an eine bestimmte Person halten konnten, allein ein
Ansehen, wie es Moguyokuri besass, war nach dem, was Clemente angab, ein
künstlich gesteigertes. In Wirklichkeit war der Posten eines Medizinmannes
weit besser; denn wenn die Brasilier den Häuptling in erster Linie mit Ge-
schenken bedachten, so sah sich der Bari in der angenehmen Lage, für seine
Einsegnungen jederzeit das Beste zu erhalten. Es war freilich auch ein an-
strengendes Klappern, das zu seinem Handwerk gehörte.

Soviel ich die Dinge begriffen habe, teilte sich der Stamm in zwei grosse
Klassen: die der Familienhütten und die des Männerhauses. Jene begriff die
älteren Familienväter, die in geregeltem Ehestande lebten, diese die Junggesellen,
die sich Mädchen einfingen und sie in kleineren Gruppen gemeinschaftlich be-
sassen. Der Frauenraub, der sich von Stamm zu Stamm abspielt, erfolgte hier
innerhalb des Stammes. Nur ein Teil der Stammesgenossen war im Dauerbesitz

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[500/0572] Die Bedeutung ist unklar; wahrscheinlich stellen die Quadrate die Knochenkörbe und der Kreis den Schädel dar. Die Mädchen im Ranchão wurden im Gesicht mit den Bildern des Rinden- gürtels und der Bastbinde bemalt, ebenso wie ein Teil der Schwirrhölzer: der- selbe Querstreifen über die Stirn und Schläfe, die Augen einschliessend und den Oberteil der Stirn freilassend, und dieselben Dreiecke auf den Wangen, jeder- seits eines. Nur wurde diese Malerei, vgl. Seite 477, mit dem fröhlicheren Urukúrot ausgeführt. Die Leute hatten sich eines Tages den Scherz gemacht, auch uns eine kleine Bemalung im Gesicht angedeihen zu lassen, die uns be- gegnenden Mädchen hatten grossen Spass daran und riefen, was uns damals rätsel- haft war, „aídye“ »Schwirrhölzer«. Sie setzten auch noch ein paar Dreieckchen hinzu, indem sie von einem geschminkten Bororó, der dabei stand, die Farbe abtupften. — Rotgestreift wurden endlich die Fahnen der Feststulpe, vgl. Seite 192, Abb. 17. Die Bleistiftzeichnungen der Bororó, vgl. Tafel 18 und 19, habe ich Seite 249 ff. im Zusammenhang mit denen der Kulisehuindianer besprochen. Auch ihre Sandzeichnungen sind dort Seite 248, 249 beschrieben. Mit besonderer Vorliebe wurde ein Indianer, durch ein riesiges Membrum virile ge- kennzeichnet, auf der Tapirjagd dargestelllt, wie er den Pfeil abschoss. Auch sahen wir einen Vaqueano, der den Lasso warf. Am schönsten aber war das schimmernde Jaguargemälde. Wilhelms Zeichnungen erregten stets lebhaftes Interesse. Abends hatten wir öfter Besuch, der sie genauer studierte und neue Aufgaben stellte; Einer wünschte ein Bild seines Fingernagels zu sehen, ein Anderer fing eine Motte zur Vorlage und dergleichen mehr. Sie verstanden auch die landschaftliche Darstellung und erkannten einen bestimmten Baum bei einer Hütte, den Wilhelm in grösserem Massstabe gezeichnet hatte. Recht und Heirat. Der Häuptling befiehlt im Krieg und sagt im Frieden die Jagd an, wie er am Kulisehu für die Pflanzung sorgte. Sonst ist sein Amt ohne Bedeutung; es ist erblich. Die Brasilier suchten seine Stellung möglichst zu befestigen, damit sie sich an eine bestimmte Person halten konnten, allein ein Ansehen, wie es Moguyokuri besass, war nach dem, was Clemente angab, ein künstlich gesteigertes. In Wirklichkeit war der Posten eines Medizinmannes weit besser; denn wenn die Brasilier den Häuptling in erster Linie mit Ge- schenken bedachten, so sah sich der Bari in der angenehmen Lage, für seine Einsegnungen jederzeit das Beste zu erhalten. Es war freilich auch ein an- strengendes Klappern, das zu seinem Handwerk gehörte. Soviel ich die Dinge begriffen habe, teilte sich der Stamm in zwei grosse Klassen: die der Familienhütten und die des Männerhauses. Jene begriff die älteren Familienväter, die in geregeltem Ehestande lebten, diese die Junggesellen, die sich Mädchen einfingen und sie in kleineren Gruppen gemeinschaftlich be- sassen. Der Frauenraub, der sich von Stamm zu Stamm abspielt, erfolgte hier innerhalb des Stammes. Nur ein Teil der Stammesgenossen war im Dauerbesitz

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/572>, abgerufen am 22.11.2024.