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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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von Frauen. Es ist sicher, dass diese merkwürdigen Verhältnisse nicht etwa
ein zufälliges Erzeugnis der Kolonie waren. Clemente erklärte, dass es in den
Dörfern genau ebenso hergehe, und was beweiskräftiger ist, die Gebräuche selbst
zeigen, dass es sich um gewohnte Einrichtungen handelt. In Polygamie lebte
in Thereza Christina anscheinend ausser dem brasilischen Häuptling Duarte mit
seinen zwei Frauen nur Moguyokuri, und es war interessant genug, auf welche
Art. Seine Gattinnen waren eine ältere Frau und deren Tochter aus erster
Ehe; er heiratete eine Wittwe, die eine Tochter hatte, und als die Mutter häss-
lich und die Tochter hübsch wurde, "heiratete" er auch die Tochter. In den
Dörfern ist aber die Polygamie der Aelteren in grösserem Umfang Regel. Nur
durch die Ansprüche der Brasilier bedingt, schien in der Kolonie ein gewisser
Ausnahmezustand zu herrschen, indem sowohl für die Hütten wie für das Männer-
haus ein Mangel an Frauen bestand.

Von den Bororo am Jauru berichtet Waehneldt: "bei ihren Heiraten
haben sie keine andere Zeremonie als so viele Weiber zu nehmen als sie unter-
halten können, oder richtiger gesagt, als dort (von auswärts) erscheinen; fast
alle Ehemänner hatten viele Frauen, bis zu sechs, während in dem Dorf der Bo-
roro bei S. Mathias daran so grosser Mangel war, dass Mädchen von acht und
zehn Jahren als solche dienen mussten." Ein Männerhaus war dort nicht vor-
handen, sondern nur eine Umzäunung von 41/2 m Durchmesser, in der die Padres
einsegneten und die von Frauen und Kindern nicht betreten werden durfte, das
"Sanktuarium".

Eine Einwilligung der Eltern zur Heirat wird nicht verlangt. Die
Eltern geben und empfangen auch Nichts. Widersetzen sie sich, so bricht Streit
aus und Gewalt entscheidet. Wer unterliegt, verlässt das Dorf. Alles
beruht auf dem Recht des Stärkeren.

Die junge Frau bleibt mit ihren Kindern im Hause der Eltern.
Der junge Ehemann bringt nur die Nacht dort im Hause zu und lebt am Tage,
wenn er nicht auf Jagd ist, im Männerhaus. Die jungen Eheleute haben eine
Feuerstelle für sich, etwas abseits sitzt die Grossmutter mit den Enkeln. So
bleibt es bis zum Tode der Grosseltern. Die Grossmutter säugt, wenn die
junge Frau mit dem Mann auf Jagd zieht oder im Wald Palmnüsse holt; "sie
haben immer noch Milch, wenn ihre Kinder heiraten".

Junge Männer sehen sich bei Zeiten vor, dass sie eine Frau finden, und
da giebt es zwei Gebräuche in Beziehung zur Tracht, die von grösstem Interesse
sind. Die Ohrläppchen des Mädchens werden von ihrem zukünftigen
Mann durchbohrt
;*) wenn er sie nicht selbst heiratet, so wird sie von seinem
Sohn geheiratet.

Wer ferner einem Knaben den Stulp anlegt, wird mit ihm "verschwägert"
und heiratet seine Schwester oder seine Tante.


*) Die des Knaben vom Vater.

von Frauen. Es ist sicher, dass diese merkwürdigen Verhältnisse nicht etwa
ein zufälliges Erzeugnis der Kolonie waren. Clemente erklärte, dass es in den
Dörfern genau ebenso hergehe, und was beweiskräftiger ist, die Gebräuche selbst
zeigen, dass es sich um gewohnte Einrichtungen handelt. In Polygamie lebte
in Thereza Christina anscheinend ausser dem brasilischen Häuptling Duarte mit
seinen zwei Frauen nur Moguyokuri, und es war interessant genug, auf welche
Art. Seine Gattinnen waren eine ältere Frau und deren Tochter aus erster
Ehe; er heiratete eine Wittwe, die eine Tochter hatte, und als die Mutter häss-
lich und die Tochter hübsch wurde, »heiratete« er auch die Tochter. In den
Dörfern ist aber die Polygamie der Aelteren in grösserem Umfang Regel. Nur
durch die Ansprüche der Brasilier bedingt, schien in der Kolonie ein gewisser
Ausnahmezustand zu herrschen, indem sowohl für die Hütten wie für das Männer-
haus ein Mangel an Frauen bestand.

Von den Bororó am Jaurú berichtet Waehneldt: »bei ihren Heiraten
haben sie keine andere Zeremonie als so viele Weiber zu nehmen als sie unter-
halten können, oder richtiger gesagt, als dort (von auswärts) erscheinen; fast
alle Ehemänner hatten viele Frauen, bis zu sechs, während in dem Dorf der Bo-
roró bei S. Mathias daran so grosser Mangel war, dass Mädchen von acht und
zehn Jahren als solche dienen mussten.« Ein Männerhaus war dort nicht vor-
handen, sondern nur eine Umzäunung von 4½ m Durchmesser, in der die Padres
einsegneten und die von Frauen und Kindern nicht betreten werden durfte, das
»Sanktuarium«.

Eine Einwilligung der Eltern zur Heirat wird nicht verlangt. Die
Eltern geben und empfangen auch Nichts. Widersetzen sie sich, so bricht Streit
aus und Gewalt entscheidet. Wer unterliegt, verlässt das Dorf. Alles
beruht auf dem Recht des Stärkeren.

Die junge Frau bleibt mit ihren Kindern im Hause der Eltern.
Der junge Ehemann bringt nur die Nacht dort im Hause zu und lebt am Tage,
wenn er nicht auf Jagd ist, im Männerhaus. Die jungen Eheleute haben eine
Feuerstelle für sich, etwas abseits sitzt die Grossmutter mit den Enkeln. So
bleibt es bis zum Tode der Grosseltern. Die Grossmutter säugt, wenn die
junge Frau mit dem Mann auf Jagd zieht oder im Wald Palmnüsse holt; »sie
haben immer noch Milch, wenn ihre Kinder heiraten«.

Junge Männer sehen sich bei Zeiten vor, dass sie eine Frau finden, und
da giebt es zwei Gebräuche in Beziehung zur Tracht, die von grösstem Interesse
sind. Die Ohrläppchen des Mädchens werden von ihrem zukünftigen
Mann durchbohrt
;*) wenn er sie nicht selbst heiratet, so wird sie von seinem
Sohn geheiratet.

Wer ferner einem Knaben den Stulp anlegt, wird mit ihm »verschwägert«
und heiratet seine Schwester oder seine Tante.


*) Die des Knaben vom Vater.
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[501/0573] von Frauen. Es ist sicher, dass diese merkwürdigen Verhältnisse nicht etwa ein zufälliges Erzeugnis der Kolonie waren. Clemente erklärte, dass es in den Dörfern genau ebenso hergehe, und was beweiskräftiger ist, die Gebräuche selbst zeigen, dass es sich um gewohnte Einrichtungen handelt. In Polygamie lebte in Thereza Christina anscheinend ausser dem brasilischen Häuptling Duarte mit seinen zwei Frauen nur Moguyokuri, und es war interessant genug, auf welche Art. Seine Gattinnen waren eine ältere Frau und deren Tochter aus erster Ehe; er heiratete eine Wittwe, die eine Tochter hatte, und als die Mutter häss- lich und die Tochter hübsch wurde, »heiratete« er auch die Tochter. In den Dörfern ist aber die Polygamie der Aelteren in grösserem Umfang Regel. Nur durch die Ansprüche der Brasilier bedingt, schien in der Kolonie ein gewisser Ausnahmezustand zu herrschen, indem sowohl für die Hütten wie für das Männer- haus ein Mangel an Frauen bestand. Von den Bororó am Jaurú berichtet Waehneldt: »bei ihren Heiraten haben sie keine andere Zeremonie als so viele Weiber zu nehmen als sie unter- halten können, oder richtiger gesagt, als dort (von auswärts) erscheinen; fast alle Ehemänner hatten viele Frauen, bis zu sechs, während in dem Dorf der Bo- roró bei S. Mathias daran so grosser Mangel war, dass Mädchen von acht und zehn Jahren als solche dienen mussten.« Ein Männerhaus war dort nicht vor- handen, sondern nur eine Umzäunung von 4½ m Durchmesser, in der die Padres einsegneten und die von Frauen und Kindern nicht betreten werden durfte, das »Sanktuarium«. Eine Einwilligung der Eltern zur Heirat wird nicht verlangt. Die Eltern geben und empfangen auch Nichts. Widersetzen sie sich, so bricht Streit aus und Gewalt entscheidet. Wer unterliegt, verlässt das Dorf. Alles beruht auf dem Recht des Stärkeren. Die junge Frau bleibt mit ihren Kindern im Hause der Eltern. Der junge Ehemann bringt nur die Nacht dort im Hause zu und lebt am Tage, wenn er nicht auf Jagd ist, im Männerhaus. Die jungen Eheleute haben eine Feuerstelle für sich, etwas abseits sitzt die Grossmutter mit den Enkeln. So bleibt es bis zum Tode der Grosseltern. Die Grossmutter säugt, wenn die junge Frau mit dem Mann auf Jagd zieht oder im Wald Palmnüsse holt; »sie haben immer noch Milch, wenn ihre Kinder heiraten«. Junge Männer sehen sich bei Zeiten vor, dass sie eine Frau finden, und da giebt es zwei Gebräuche in Beziehung zur Tracht, die von grösstem Interesse sind. Die Ohrläppchen des Mädchens werden von ihrem zukünftigen Mann durchbohrt; *) wenn er sie nicht selbst heiratet, so wird sie von seinem Sohn geheiratet. Wer ferner einem Knaben den Stulp anlegt, wird mit ihm »verschwägert« und heiratet seine Schwester oder seine Tante. *) Die des Knaben vom Vater.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/573>, abgerufen am 22.11.2024.