Die Bruacas und Gepäckstücke, die Holzsättel und das Riemenzeug wurden in guter Ordnung nebeneinander gestapelt, die Eselrücken sorgfältig auf Schwel- lungen und Druckwunden untersucht und behandelt, und vergnügt entfernte sich die vierbeinige Gesellschaft. Sie hatte volle Freiheit; nur in den ersten Tagen wurden den gefürchtetsten Ausreissern, was aber selten bis zum nächsten Morgen vorhielt, die Vorderfüsse zusammengeschnallt, sodass sie nur mit känguruhartigen, schwerfälligen Bewegungen vorwärts hopsen konnten. Wahrhaft erbitterten uns ein paar von einem Herrn Elpidio gekaufte und deshalb kurzweg "die Elpidios" benannte Esel, die noch vom zweiten Lagerplatz recta via nach Cuyaba zurück- gelaufen waren und fortan, in treuer Freundschaft vereint, jede Gelegenheit be- nutzten durchzubrennen.
Manoel hatte rasch seinen Platz für die Küche gefunden, Holz gesammelt, blasend und mit dem Hut fächelnd ein helles Feuer entzündet, rechts und links einen gegabelten Ast eingerammt und über eine Querstange den Bohnenkessel gehängt. Wir waren währenddess beflissen, die Bäume für die Hängematten aus- zuwählen und bemächtigten uns des Sackes, der den Bedarf für die Nacht ent- hielt; der Sack selbst, der Ledergürtel und was man sonst bei Seite legen wollte, wurde sorgsam an einem Ast frei aufgehangen, damit Termiten und Ameisen nicht gar zu leichtes Spiel hatten. Dann aber ging es schleunigst zu der Bruake, in der sich die Farinha befand, und in dem Becher oder besser in der mehr fassenden Kürbisschale wurde aus der Mehlgrütze, einigen möglichst dicken Schnitzeln Rapadura, so lange es von diesen Ziegelsteinkaramellen noch gab, und einem Schuss Bachwasser eine "Jakuba" angerührt: das war stets ein schwel- gerischer Augenblick, der auf allen Gesichtern frohe Laune hervorzauberte. Wasser von 21° galt als kühler Trank; fast eiskalt erschien uns das während der Nacht kalt gestellte am Morgen -- falls es die Hunde nicht ausgetrunken hatten.
Mochte selbst ein Bienchen in unsern Nektar fallen. Eines! Aber freilich wenn sie uns umschwirrten, als ob wir blühende Obstbäume wären, wurden wir traurig. Auf einigen Lagerplätzen, besonders auf dem "Bienenpouso" am 10. August waren die kleinen, dicken fliegenähnlichen Borstentiere eine wirkliche Plage. Wie lebendig gewordene Ordenssterne krochen sie über die Brust und bedeckten die Kleidung zu hunderten, begierig, jeden Flecken und jede Spur von Schweiss mit dem ganzen Fleiss, wegen dessen sie oft gelobt werden, zu bewirtschaften. Sie stachen ja nicht, aber sie suchten, sobald man stehen blieb oder sich setzte, in Nase, Auge und Ohr hineinzugelangen, verbreiteten sich auf allen Wegen vor- dringend über die Haut und krabbelten und kitzelten und zerquatschten ekelhaft, wenn man sie unzart anfasste.
Bienen hasste man, während man die Moskitos fürchtete. Von diesen schlimmeren Quälgeistern hatten wir während der Trockenzeit nicht viel zu leiden und auch später ohne Vergleich weniger als 1884 an den Katarakten des mitt- leren Schingu. Der Moskiteiro, der, durch einige dünne Gerten aufgespannt er- halten, unsere Hängematte als luftiges Gazezelt umgab, bot sichern Schutz; die
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 3
Die Bruacas und Gepäckstücke, die Holzsättel und das Riemenzeug wurden in guter Ordnung nebeneinander gestapelt, die Eselrücken sorgfältig auf Schwel- lungen und Druckwunden untersucht und behandelt, und vergnügt entfernte sich die vierbeinige Gesellschaft. Sie hatte volle Freiheit; nur in den ersten Tagen wurden den gefürchtetsten Ausreissern, was aber selten bis zum nächsten Morgen vorhielt, die Vorderfüsse zusammengeschnallt, sodass sie nur mit känguruhartigen, schwerfälligen Bewegungen vorwärts hopsen konnten. Wahrhaft erbitterten uns ein paar von einem Herrn Elpidio gekaufte und deshalb kurzweg »die Elpidios« benannte Esel, die noch vom zweiten Lagerplatz recta via nach Cuyabá zurück- gelaufen waren und fortan, in treuer Freundschaft vereint, jede Gelegenheit be- nutzten durchzubrennen.
Manoel hatte rasch seinen Platz für die Küche gefunden, Holz gesammelt, blasend und mit dem Hut fächelnd ein helles Feuer entzündet, rechts und links einen gegabelten Ast eingerammt und über eine Querstange den Bohnenkessel gehängt. Wir waren währenddess beflissen, die Bäume für die Hängematten aus- zuwählen und bemächtigten uns des Sackes, der den Bedarf für die Nacht ent- hielt; der Sack selbst, der Ledergürtel und was man sonst bei Seite legen wollte, wurde sorgsam an einem Ast frei aufgehangen, damit Termiten und Ameisen nicht gar zu leichtes Spiel hatten. Dann aber ging es schleunigst zu der Bruake, in der sich die Farinha befand, und in dem Becher oder besser in der mehr fassenden Kürbisschale wurde aus der Mehlgrütze, einigen möglichst dicken Schnitzeln Rapadura, so lange es von diesen Ziegelsteinkaramellen noch gab, und einem Schuss Bachwasser eine »Jakuba« angerührt: das war stets ein schwel- gerischer Augenblick, der auf allen Gesichtern frohe Laune hervorzauberte. Wasser von 21° galt als kühler Trank; fast eiskalt erschien uns das während der Nacht kalt gestellte am Morgen — falls es die Hunde nicht ausgetrunken hatten.
Mochte selbst ein Bienchen in unsern Nektar fallen. Eines! Aber freilich wenn sie uns umschwirrten, als ob wir blühende Obstbäume wären, wurden wir traurig. Auf einigen Lagerplätzen, besonders auf dem »Bienenpouso« am 10. August waren die kleinen, dicken fliegenähnlichen Borstentiere eine wirkliche Plage. Wie lebendig gewordene Ordenssterne krochen sie über die Brust und bedeckten die Kleidung zu hunderten, begierig, jeden Flecken und jede Spur von Schweiss mit dem ganzen Fleiss, wegen dessen sie oft gelobt werden, zu bewirtschaften. Sie stachen ja nicht, aber sie suchten, sobald man stehen blieb oder sich setzte, in Nase, Auge und Ohr hineinzugelangen, verbreiteten sich auf allen Wegen vor- dringend über die Haut und krabbelten und kitzelten und zerquatschten ekelhaft, wenn man sie unzart anfasste.
Bienen hasste man, während man die Moskitos fürchtete. Von diesen schlimmeren Quälgeistern hatten wir während der Trockenzeit nicht viel zu leiden und auch später ohne Vergleich weniger als 1884 an den Katarakten des mitt- leren Schingú. Der Moskiteiro, der, durch einige dünne Gerten aufgespannt er- halten, unsere Hängematte als luftiges Gazezelt umgab, bot sichern Schutz; die
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Die Bruacas und Gepäckstücke, die Holzsättel und das Riemenzeug wurden
in guter Ordnung nebeneinander gestapelt, die Eselrücken sorgfältig auf Schwel-
lungen und Druckwunden untersucht und behandelt, und vergnügt entfernte sich
die vierbeinige Gesellschaft. Sie hatte volle Freiheit; nur in den ersten Tagen
wurden den gefürchtetsten Ausreissern, was aber selten bis zum nächsten Morgen
vorhielt, die Vorderfüsse zusammengeschnallt, sodass sie nur mit känguruhartigen,
schwerfälligen Bewegungen vorwärts hopsen konnten. Wahrhaft erbitterten uns
ein paar von einem Herrn Elpidio gekaufte und deshalb kurzweg »die Elpidios«
benannte Esel, die noch vom zweiten Lagerplatz recta via nach Cuyabá zurück-
gelaufen waren und fortan, in treuer Freundschaft vereint, jede Gelegenheit be-
nutzten durchzubrennen.
Manoel hatte rasch seinen Platz für die Küche gefunden, Holz gesammelt,
blasend und mit dem Hut fächelnd ein helles Feuer entzündet, rechts und links
einen gegabelten Ast eingerammt und über eine Querstange den Bohnenkessel
gehängt. Wir waren währenddess beflissen, die Bäume für die Hängematten aus-
zuwählen und bemächtigten uns des Sackes, der den Bedarf für die Nacht ent-
hielt; der Sack selbst, der Ledergürtel und was man sonst bei Seite legen wollte,
wurde sorgsam an einem Ast frei aufgehangen, damit Termiten und Ameisen
nicht gar zu leichtes Spiel hatten. Dann aber ging es schleunigst zu der Bruake,
in der sich die Farinha befand, und in dem Becher oder besser in der mehr
fassenden Kürbisschale wurde aus der Mehlgrütze, einigen möglichst dicken
Schnitzeln Rapadura, so lange es von diesen Ziegelsteinkaramellen noch gab,
und einem Schuss Bachwasser eine »Jakuba« angerührt: das war stets ein schwel-
gerischer Augenblick, der auf allen Gesichtern frohe Laune hervorzauberte.
Wasser von 21° galt als kühler Trank; fast eiskalt erschien uns das während der
Nacht kalt gestellte am Morgen — falls es die Hunde nicht ausgetrunken hatten.
Mochte selbst ein Bienchen in unsern Nektar fallen. Eines! Aber freilich
wenn sie uns umschwirrten, als ob wir blühende Obstbäume wären, wurden wir
traurig. Auf einigen Lagerplätzen, besonders auf dem »Bienenpouso« am 10. August
waren die kleinen, dicken fliegenähnlichen Borstentiere eine wirkliche Plage. Wie
lebendig gewordene Ordenssterne krochen sie über die Brust und bedeckten die
Kleidung zu hunderten, begierig, jeden Flecken und jede Spur von Schweiss mit
dem ganzen Fleiss, wegen dessen sie oft gelobt werden, zu bewirtschaften. Sie
stachen ja nicht, aber sie suchten, sobald man stehen blieb oder sich setzte, in
Nase, Auge und Ohr hineinzugelangen, verbreiteten sich auf allen Wegen vor-
dringend über die Haut und krabbelten und kitzelten und zerquatschten ekelhaft,
wenn man sie unzart anfasste.
Bienen hasste man, während man die Moskitos fürchtete. Von diesen
schlimmeren Quälgeistern hatten wir während der Trockenzeit nicht viel zu leiden
und auch später ohne Vergleich weniger als 1884 an den Katarakten des mitt-
leren Schingú. Der Moskiteiro, der, durch einige dünne Gerten aufgespannt er-
halten, unsere Hängematte als luftiges Gazezelt umgab, bot sichern Schutz; die
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/59>, abgerufen am 27.11.2024.
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