aber übertrifft Sie noch an Kürze; denn darüber verliert er viel- mehr gar kein Wort. Ihre kurze Rede ist um ihre ganze Kürze zu lang; denn dergleichen braucht nicht gesagt zu werden. Die deutsche Länge und Schwere erstreckt sich über die Frage, ob es denn auch dem Endzweck der Logik und Grammatik för- derlich sei, sie mit einander zu vermischen. Wir glauben mit Kant und Herbart, es ist "nicht Vermehrung, sondern Verun- staltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in einan- der laufen läßt"; und wenn man dagegen bemerkt hat: "Kant mag Recht haben, so lange man die Felder der Wissenschaften neben einander abmarkt, wie verschiedener Herren Eigenthum. Eine solche Ansicht, die die Dinge im Raume fertig neben ein- ander stellt, muß der Entwickelung Platz machen, die das Ver- wandte aus dem gemeinsamen Grunde zu begreifen trachtet"; so ist hier vor allem die Frage, ob Logik und Grammatik der- artig verwandt sind, daß sie aus einem gemeinsamen Grunde begriffen werden können; oder ob sie vielleicht beide getrübt und verfälscht werden, wenn man ihnen einen gemeinsamen Grund unterschiebt.
Der Fehler, die Grammatik durch Logik zu verfälschen, ist freilich sehr alt, so alt wie die Grammatik selbst. Er beginnt mit Plato und wächst fortwährend bis auf Becker. Nach sei- nem vollen Umfange erkannt und in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt kann er erst dann werden, wenn wir das besondere Princip der Grammatik werden kennen gelernt haben. Hier aber können wir dennoch schon einige Punkte hervorheben, wel- che gegen einen gemeinsamen Grund der Grammatik und Logik sprechen und für die Grammatik ein eigenes Dasein, folglich ein eigenes Princip, in Anspruch nehmen. Wir werden sehen, wie eben so wohl die Grammatik als auch die Logik gegen ihre ge- waltsame Vermischung Einspruch erheben, mit dem Unterschiede, daß jene sich gegen ihre Vernichtung, diese gegen unangemes- sene Füllung zu wehren hat.
§. 44. Schluß nach Analogien.
Wir hoffen, schon hier eine wenigstens ungefähr zutreffende Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen der Grammatik er- wecken und dadurch diesen vorläufigen Bemerkungen eine be- stimmtere Richtung und damit zugleich mehr Deutlichkeit und größere Bedeutsamkeit geben, auch über die Möglichkeit und Wichtigkeit des begangenen Fehlers schon ein gewisses Licht
aber übertrifft Sie noch an Kürze; denn darüber verliert er viel- mehr gar kein Wort. Ihre kurze Rede ist um ihre ganze Kürze zu lang; denn dergleichen braucht nicht gesagt zu werden. Die deutsche Länge und Schwere erstreckt sich über die Frage, ob es denn auch dem Endzweck der Logik und Grammatik för- derlich sei, sie mit einander zu vermischen. Wir glauben mit Kant und Herbart, es ist „nicht Vermehrung, sondern Verun- staltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in einan- der laufen läßt“; und wenn man dagegen bemerkt hat: „Kant mag Recht haben, so lange man die Felder der Wissenschaften neben einander abmarkt, wie verschiedener Herren Eigenthum. Eine solche Ansicht, die die Dinge im Raume fertig neben ein- ander stellt, muß der Entwickelung Platz machen, die das Ver- wandte aus dem gemeinsamen Grunde zu begreifen trachtet“; so ist hier vor allem die Frage, ob Logik und Grammatik der- artig verwandt sind, daß sie aus einem gemeinsamen Grunde begriffen werden können; oder ob sie vielleicht beide getrübt und verfälscht werden, wenn man ihnen einen gemeinsamen Grund unterschiebt.
Der Fehler, die Grammatik durch Logik zu verfälschen, ist freilich sehr alt, so alt wie die Grammatik selbst. Er beginnt mit Plato und wächst fortwährend bis auf Becker. Nach sei- nem vollen Umfange erkannt und in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt kann er erst dann werden, wenn wir das besondere Princip der Grammatik werden kennen gelernt haben. Hier aber können wir dennoch schon einige Punkte hervorheben, wel- che gegen einen gemeinsamen Grund der Grammatik und Logik sprechen und für die Grammatik ein eigenes Dasein, folglich ein eigenes Princip, in Anspruch nehmen. Wir werden sehen, wie eben so wohl die Grammatik als auch die Logik gegen ihre ge- waltsame Vermischung Einspruch erheben, mit dem Unterschiede, daß jene sich gegen ihre Vernichtung, diese gegen unangemes- sene Füllung zu wehren hat.
§. 44. Schluß nach Analogien.
Wir hoffen, schon hier eine wenigstens ungefähr zutreffende Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen der Grammatik er- wecken und dadurch diesen vorläufigen Bemerkungen eine be- stimmtere Richtung und damit zugleich mehr Deutlichkeit und größere Bedeutsamkeit geben, auch über die Möglichkeit und Wichtigkeit des begangenen Fehlers schon ein gewisses Licht
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aber übertrifft Sie noch an Kürze; denn darüber verliert er viel-
mehr gar kein Wort. Ihre kurze Rede ist um ihre ganze Kürze
zu lang; denn dergleichen braucht nicht gesagt zu werden. Die
deutsche Länge und Schwere erstreckt sich über die Frage, ob
es denn auch dem Endzweck der Logik und Grammatik för-
derlich sei, sie mit einander zu vermischen. Wir glauben mit
Kant und Herbart, es ist „nicht Vermehrung, sondern Verun-
staltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in einan-
der laufen läßt“; und wenn man dagegen bemerkt hat: „Kant
mag Recht haben, so lange man die Felder der Wissenschaften
neben einander abmarkt, wie verschiedener Herren Eigenthum.
Eine solche Ansicht, die die Dinge im Raume fertig neben ein-
ander stellt, muß der Entwickelung Platz machen, die das Ver-
wandte aus dem gemeinsamen Grunde zu begreifen trachtet“;
so ist hier vor allem die Frage, ob Logik und Grammatik der-
artig verwandt sind, daß sie aus einem gemeinsamen Grunde
begriffen werden können; oder ob sie vielleicht beide getrübt
und verfälscht werden, wenn man ihnen einen gemeinsamen Grund
unterschiebt.
Der Fehler, die Grammatik durch Logik zu verfälschen, ist
freilich sehr alt, so alt wie die Grammatik selbst. Er beginnt
mit Plato und wächst fortwährend bis auf Becker. Nach sei-
nem vollen Umfange erkannt und in seiner ganzen Bedeutung
gewürdigt kann er erst dann werden, wenn wir das besondere
Princip der Grammatik werden kennen gelernt haben. Hier
aber können wir dennoch schon einige Punkte hervorheben, wel-
che gegen einen gemeinsamen Grund der Grammatik und Logik
sprechen und für die Grammatik ein eigenes Dasein, folglich ein
eigenes Princip, in Anspruch nehmen. Wir werden sehen, wie
eben so wohl die Grammatik als auch die Logik gegen ihre ge-
waltsame Vermischung Einspruch erheben, mit dem Unterschiede,
daß jene sich gegen ihre Vernichtung, diese gegen unangemes-
sene Füllung zu wehren hat.
§. 44. Schluß nach Analogien.
Wir hoffen, schon hier eine wenigstens ungefähr zutreffende
Vorstellung von dem eigenthümlichen Wesen der Grammatik er-
wecken und dadurch diesen vorläufigen Bemerkungen eine be-
stimmtere Richtung und damit zugleich mehr Deutlichkeit und
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/146>, abgerufen am 21.11.2024.
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