durch die logische Grammatik bietet, umgestalten, wenn sie es annimmt, aber auch liegen lassen: so ist sie überhaupt und über- all selbstherrschend, und keine Logik hat das Recht, Forde- rungen an sie zu stellen, welche von der Sprache so wenig an- gehört werden, als sie selbst ein Bedürfniß nach Logik kund giebt. Wo wäre denn je in der Natur ein solches Verhältniß, daß berechtigte Forderungen unerfüllt blieben? ein Bedürfniß die dargebotene Befriedigung zurückwiese? Vielmehr überall in ihr, wo wir etwas vermissen, haben wir kein Recht zu fordern oder ein Bedürfniß zu erdichten. Wir können uns freilich auf einen ästhetischen, idealen Standpunkt stellen und die Dinge rücksichtlich ihrer Vollkommenheit messen; wir können die Na- tur kritisiren. War es zweckmäßig, schön von ihr, die Dinge so einzurichten, wie sie sind? Ist das Auge ein guter optischer, das Ohr ein guter akustischer Apparat? Fügen sich die Muskeln so an die Knochen, daß die größte Kraft der Bewegung er- reicht wird? und wenn nicht, geschah es vielleicht im Dienste eines höhern Zweckes? u. s. w. Man braucht oder darf sogar sich von solchen Untersuchungen nicht dadurch abhalten lassen, daß man leicht Gefahr läuft, subjective Bedürfnisse zum Maß- stabe zu nehmen; aber man muß auch diese Gefahr wirklich überwinden, indem man die Untersuchung gänzlich auf die ob- jective Erkenntniß des Dinges an und für sich gründet. Die Forderung, die dem Dinge gestellt wird, muß von ihm selbst ausgesprochen sein. Das Auge will sehen, das Ohr hören; da- von können wir nicht absehen; und so läßt sich fragen, ob sie dergestalt organisirt sind, daß sie sich selbst genügen. Wodurch bekundet nun aber wohl die Sprache, daß sie der Logik genü- gen, logisch sein wolle? sie, die der Logik spottet? sie nüancirt, d. h. verhöhnt? Was giebt uns ein Recht, ihre Vortrefflichkeit an der Logik zu messen? Wenn die Logik immer der Sprache fremd ist, bleiben wir dann nicht mit diesem logischen Maß- stabe außerhalb der Sprache? durchaus subjectiv? Ist die Spra- che autonom, so liegt ihre Vortrefflichkeit auch nur darin, diese Autonomie recht kräftig walten zu lassen; die Kraft ihrer Au- tonomie ist der objective Maßstab für die Vortrefflichkeit der Sprache. Und selbst wenn die Sprache die Entwickelung der Erkenntniß, des logischen, verständigen Denkens fördert, so kann sie es nur durch ihre Autonomie, nicht durch Unterwerfung unter die ihr fremde Logik; sie kann nur kräftig wirken vermittelst
durch die logische Grammatik bietet, umgestalten, wenn sie es annimmt, aber auch liegen lassen: so ist sie überhaupt und über- all selbstherrschend, und keine Logik hat das Recht, Forde- rungen an sie zu stellen, welche von der Sprache so wenig an- gehört werden, als sie selbst ein Bedürfniß nach Logik kund giebt. Wo wäre denn je in der Natur ein solches Verhältniß, daß berechtigte Forderungen unerfüllt blieben? ein Bedürfniß die dargebotene Befriedigung zurückwiese? Vielmehr überall in ihr, wo wir etwas vermissen, haben wir kein Recht zu fordern oder ein Bedürfniß zu erdichten. Wir können uns freilich auf einen ästhetischen, idealen Standpunkt stellen und die Dinge rücksichtlich ihrer Vollkommenheit messen; wir können die Na- tur kritisiren. War es zweckmäßig, schön von ihr, die Dinge so einzurichten, wie sie sind? Ist das Auge ein guter optischer, das Ohr ein guter akustischer Apparat? Fügen sich die Muskeln so an die Knochen, daß die größte Kraft der Bewegung er- reicht wird? und wenn nicht, geschah es vielleicht im Dienste eines höhern Zweckes? u. s. w. Man braucht oder darf sogar sich von solchen Untersuchungen nicht dadurch abhalten lassen, daß man leicht Gefahr läuft, subjective Bedürfnisse zum Maß- stabe zu nehmen; aber man muß auch diese Gefahr wirklich überwinden, indem man die Untersuchung gänzlich auf die ob- jective Erkenntniß des Dinges an und für sich gründet. Die Forderung, die dem Dinge gestellt wird, muß von ihm selbst ausgesprochen sein. Das Auge will sehen, das Ohr hören; da- von können wir nicht absehen; und so läßt sich fragen, ob sie dergestalt organisirt sind, daß sie sich selbst genügen. Wodurch bekundet nun aber wohl die Sprache, daß sie der Logik genü- gen, logisch sein wolle? sie, die der Logik spottet? sie nüancirt, d. h. verhöhnt? Was giebt uns ein Recht, ihre Vortrefflichkeit an der Logik zu messen? Wenn die Logik immer der Sprache fremd ist, bleiben wir dann nicht mit diesem logischen Maß- stabe außerhalb der Sprache? durchaus subjectiv? Ist die Spra- che autonom, so liegt ihre Vortrefflichkeit auch nur darin, diese Autonomie recht kräftig walten zu lassen; die Kraft ihrer Au- tonomie ist der objective Maßstab für die Vortrefflichkeit der Sprache. Und selbst wenn die Sprache die Entwickelung der Erkenntniß, des logischen, verständigen Denkens fördert, so kann sie es nur durch ihre Autonomie, nicht durch Unterwerfung unter die ihr fremde Logik; sie kann nur kräftig wirken vermittelst
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durch die logische Grammatik bietet, umgestalten, wenn sie es
annimmt, aber auch liegen lassen: so ist sie überhaupt und über-
all selbstherrschend, und keine Logik hat das Recht, Forde-
rungen an sie zu stellen, welche von der Sprache so wenig an-
gehört werden, als sie selbst ein Bedürfniß nach Logik kund
giebt. Wo wäre denn je in der Natur ein solches Verhältniß,
daß berechtigte Forderungen unerfüllt blieben? ein Bedürfniß
die dargebotene Befriedigung zurückwiese? Vielmehr überall in
ihr, wo wir etwas vermissen, haben wir kein Recht zu fordern
oder ein Bedürfniß zu erdichten. Wir können uns freilich auf
einen ästhetischen, idealen Standpunkt stellen und die Dinge
rücksichtlich ihrer Vollkommenheit messen; wir können die Na-
tur kritisiren. War es zweckmäßig, schön von ihr, die Dinge
so einzurichten, wie sie sind? Ist das Auge ein guter optischer,
das Ohr ein guter akustischer Apparat? Fügen sich die Muskeln
so an die Knochen, daß die größte Kraft der Bewegung er-
reicht wird? und wenn nicht, geschah es vielleicht im Dienste
eines höhern Zweckes? u. s. w. Man braucht oder darf sogar
sich von solchen Untersuchungen nicht dadurch abhalten lassen,
daß man leicht Gefahr läuft, subjective Bedürfnisse zum Maß-
stabe zu nehmen; aber man muß auch diese Gefahr wirklich
überwinden, indem man die Untersuchung gänzlich auf die ob-
jective Erkenntniß des Dinges an und für sich gründet. Die
Forderung, die dem Dinge gestellt wird, muß von ihm selbst
ausgesprochen sein. Das Auge will sehen, das Ohr hören; da-
von können wir nicht absehen; und so läßt sich fragen, ob sie
dergestalt organisirt sind, daß sie sich selbst genügen. Wodurch
bekundet nun aber wohl die Sprache, daß sie der Logik genü-
gen, logisch sein wolle? sie, die der Logik spottet? sie nüancirt,
d. h. verhöhnt? Was giebt uns ein Recht, ihre Vortrefflichkeit
an der Logik zu messen? Wenn die Logik immer der Sprache
fremd ist, bleiben wir dann nicht mit diesem logischen Maß-
stabe außerhalb der Sprache? durchaus subjectiv? Ist die Spra-
che autonom, so liegt ihre Vortrefflichkeit auch nur darin, diese
Autonomie recht kräftig walten zu lassen; die Kraft ihrer Au-
tonomie ist der objective Maßstab für die Vortrefflichkeit der
Sprache. Und selbst wenn die Sprache die Entwickelung der
Erkenntniß, des logischen, verständigen Denkens fördert, so kann
sie es nur durch ihre Autonomie, nicht durch Unterwerfung unter
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/159>, abgerufen am 23.11.2024.
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