und gemäß ihrer eigenthümlichen Natur, nicht durch ihre Unnatur. Ihre Autonomie aber wäre ihre Natur, die Logik ihre Unnatur.
Also entweder die Logik verschlingt die Grammatik, oder die Grammatik macht sich völlig frei von der Logik.
§ 51. Analogie und Anomalie.
Wenn man uns auf Plato und Aristoteles verwiesen hat, welche Logik und Grammatik vereint bearbeitet haben, so ver- weisen wir unsererseits auf die Stoiker, welche an die Anfänge Platons und Aristoteles sich anschließend, von ihnen aus, von dem Principe derselben ausgehend und folgerecht vorschreitend, zu dem Ergebniß gelangten, in der Sprache herrsche nicht Ana- logie, d. h. Uebereinstimmung mit der Logik, sondern Anomalie, Abweichung von ihr. Die alexandrinischen Grammatiker haben sich auf solche Untersuchungen nicht eingelassen; bei ihnen ha- ben die Ausdrücke Analogie und Anomalie eine andere Bedeu- tung erhalten. Jetzt sind wir auf die Frage der Stoiker, des Chrysippos zurückgekommen. Becker ist der moderne Analoget; die Vermittler wollen eine gemäßigte Analogie, sie machen einen modernen Anomalisten, der die Untersuchungen des Chrysippos wieder aufnähme, überflüssig; wir aber treten aus diesem ganzen Streit heraus, indem wir behaupten: die Grammatik ist nicht logisch, also die Sprache weder analog, noch anomal. Die Stoi- ker haben nicht minder geirrt als ihre Gegner, die Anomalisten nicht minder als die Analogeten; denn wer heißt sie die Spra- che an der Logik messen? Indem ich die Logik als Maßstab der Sprache verwerfe, weise ich auch jedes Ergebniß dieses Messens zurück. Die Sprache ist nicht anomal, eben weil sie um die Logik unbekümmert ist, von ihr keine Gesetze anzuneh- men hat.
§ 52. Trübung der Logik.
Endlich noch eins. Man hat, indem man die Grammatik logisch machen wollte, nicht bloß vom Wesen der Grammatik die ungenügendste Vorstellung gehabt, sondern nicht einmal immer das Wesen der Logik fest im Auge behalten. Es würde uns zu weit führen, dies ausführlich darzulegen; aber an einer Einzelheit wollen wir diesen Vorwurf rechtfertigen, weil sie eine unmittelbare Ueberzeugung gewährt. Um zu beweisen, daß die Logik der Sprache nicht immer die der Schule sei, führt, wie wir oben mittheilten, Becker das Beispiel der Taubstummen an, welche, wenn sie ohne Aufsicht des Lehrers waren, die Zeichen
und gemäß ihrer eigenthümlichen Natur, nicht durch ihre Unnatur. Ihre Autonomie aber wäre ihre Natur, die Logik ihre Unnatur.
Also entweder die Logik verschlingt die Grammatik, oder die Grammatik macht sich völlig frei von der Logik.
§ 51. Analogie und Anomalie.
Wenn man uns auf Plato und Aristoteles verwiesen hat, welche Logik und Grammatik vereint bearbeitet haben, so ver- weisen wir unsererseits auf die Stoiker, welche an die Anfänge Platons und Aristoteles sich anschließend, von ihnen aus, von dem Principe derselben ausgehend und folgerecht vorschreitend, zu dem Ergebniß gelangten, in der Sprache herrsche nicht Ana- logie, d. h. Uebereinstimmung mit der Logik, sondern Anomalie, Abweichung von ihr. Die alexandrinischen Grammatiker haben sich auf solche Untersuchungen nicht eingelassen; bei ihnen ha- ben die Ausdrücke Analogie und Anomalie eine andere Bedeu- tung erhalten. Jetzt sind wir auf die Frage der Stoiker, des Chrysippos zurückgekommen. Becker ist der moderne Analoget; die Vermittler wollen eine gemäßigte Analogie, sie machen einen modernen Anomalisten, der die Untersuchungen des Chrysippos wieder aufnähme, überflüssig; wir aber treten aus diesem ganzen Streit heraus, indem wir behaupten: die Grammatik ist nicht logisch, also die Sprache weder analog, noch anomal. Die Stoi- ker haben nicht minder geirrt als ihre Gegner, die Anomalisten nicht minder als die Analogeten; denn wer heißt sie die Spra- che an der Logik messen? Indem ich die Logik als Maßstab der Sprache verwerfe, weise ich auch jedes Ergebniß dieses Messens zurück. Die Sprache ist nicht anomal, eben weil sie um die Logik unbekümmert ist, von ihr keine Gesetze anzuneh- men hat.
§ 52. Trübung der Logik.
Endlich noch eins. Man hat, indem man die Grammatik logisch machen wollte, nicht bloß vom Wesen der Grammatik die ungenügendste Vorstellung gehabt, sondern nicht einmal immer das Wesen der Logik fest im Auge behalten. Es würde uns zu weit führen, dies ausführlich darzulegen; aber an einer Einzelheit wollen wir diesen Vorwurf rechtfertigen, weil sie eine unmittelbare Ueberzeugung gewährt. Um zu beweisen, daß die Logik der Sprache nicht immer die der Schule sei, führt, wie wir oben mittheilten, Becker das Beispiel der Taubstummen an, welche, wenn sie ohne Aufsicht des Lehrers waren, die Zeichen
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[122/0160]
und gemäß ihrer eigenthümlichen Natur, nicht durch ihre Unnatur.
Ihre Autonomie aber wäre ihre Natur, die Logik ihre Unnatur.
Also entweder die Logik verschlingt die Grammatik, oder
die Grammatik macht sich völlig frei von der Logik.
§ 51. Analogie und Anomalie.
Wenn man uns auf Plato und Aristoteles verwiesen hat,
welche Logik und Grammatik vereint bearbeitet haben, so ver-
weisen wir unsererseits auf die Stoiker, welche an die Anfänge
Platons und Aristoteles sich anschließend, von ihnen aus, von
dem Principe derselben ausgehend und folgerecht vorschreitend,
zu dem Ergebniß gelangten, in der Sprache herrsche nicht Ana-
logie, d. h. Uebereinstimmung mit der Logik, sondern Anomalie,
Abweichung von ihr. Die alexandrinischen Grammatiker haben
sich auf solche Untersuchungen nicht eingelassen; bei ihnen ha-
ben die Ausdrücke Analogie und Anomalie eine andere Bedeu-
tung erhalten. Jetzt sind wir auf die Frage der Stoiker, des
Chrysippos zurückgekommen. Becker ist der moderne Analoget;
die Vermittler wollen eine gemäßigte Analogie, sie machen einen
modernen Anomalisten, der die Untersuchungen des Chrysippos
wieder aufnähme, überflüssig; wir aber treten aus diesem ganzen
Streit heraus, indem wir behaupten: die Grammatik ist nicht
logisch, also die Sprache weder analog, noch anomal. Die Stoi-
ker haben nicht minder geirrt als ihre Gegner, die Anomalisten
nicht minder als die Analogeten; denn wer heißt sie die Spra-
che an der Logik messen? Indem ich die Logik als Maßstab
der Sprache verwerfe, weise ich auch jedes Ergebniß dieses
Messens zurück. Die Sprache ist nicht anomal, eben weil sie
um die Logik unbekümmert ist, von ihr keine Gesetze anzuneh-
men hat.
§ 52. Trübung der Logik.
Endlich noch eins. Man hat, indem man die Grammatik
logisch machen wollte, nicht bloß vom Wesen der Grammatik
die ungenügendste Vorstellung gehabt, sondern nicht einmal
immer das Wesen der Logik fest im Auge behalten. Es würde
uns zu weit führen, dies ausführlich darzulegen; aber an einer
Einzelheit wollen wir diesen Vorwurf rechtfertigen, weil sie eine
unmittelbare Ueberzeugung gewährt. Um zu beweisen, daß die
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wir oben mittheilten, Becker das Beispiel der Taubstummen an,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/160>, abgerufen am 23.11.2024.
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