ihrer Zeichensprache nicht nach den Gesetzen der Logik der Schule auf einander folgen ließen. Mir ist völlig unbekannt, daß in der Logik der Schule ein Abschnitt eine bestimmte Wort- folge festsetze, daß überhaupt in der Wortstellung eine logische Bedeutung liege. Die Logik lehrt wohl, unter welchen Um- ständen zwei Begriffe verbunden werden können; aber welches Wort hierbei im Satze voranstehen, welches folgen solle, bleibt ihr gleichgültig; a = b und b = a sind für die Logik nicht verschieden: das gerade lehrt sie, z. B. bei Aristoteles peri erm. 10. -- Wir fügen aber zu dieser Einzelheit noch eine allgemeine Bemerkung eines der schärfsten Denker, Herbarts: "Und die Logik ist keine Sprachlehre", womit er mancherlei aus der Lo- gik streicht, was hier nicht weiter zu erörtern ist. Wir wollen nur die Grammatik von aller Einmischung der Logik befreien.
D. Humboldt.
Es wäre jetzt unsere Aufgabe, was wir oben durch Kritik wie durch Analogien wahrscheinlich gemacht haben, ein durch- aus selbständiges, von der Logik unberührtes Wesen der Sprache und Grammatik, durch positive Erörterungen zur Gewißheit und zur vollen Klarheit der Erkenntniß zu bringen. Wenn wir un- sere Kritik nicht als bloße Bekämpfung anderer Ansichten, son- dern vorzüglich als die eine Seite der Begründung unserer An- sicht betrachtet wissen wollen, so wird doch auch hinwiederum erst durch die positive Darlegung dieser das volle Licht auf den Werth oder Unwerth der entgegenstehenden Meinungen fallen. Wir wollen nur zuvor Einiges über Humboldt bemerken.
§. 53. Abweichungen Beckers von Humboldt.
Becker beruft sich vielfach auf Humboldt, und es herrscht die Ansicht, er habe das Princip des Organismus der Sprache von Humboldt entlehnt oder mit ihm gemeinsam und habe es besonders entwickelt. Aus unserer Kritik indeß geht wohl hin- länglich hervor, wohin Becker im Allgemeinen mit seiner phi- losophischen Anschauungsweise gehört: in die Naturphilosophie, wie sie am Anfange unseres Jahrhunderts ihr Wesen trieb -- eine Richtung, die von allen ernsten Denkern verachtet, vielfach gegeißelt worden ist, und mit der Humboldt nicht das mindeste gemein hat. Es ist ferner, um eine Uebereinstimmung zwischen Humboldt und Becker durchaus zweifelhaft zu machen, wohl
ihrer Zeichensprache nicht nach den Gesetzen der Logik der Schule auf einander folgen ließen. Mir ist völlig unbekannt, daß in der Logik der Schule ein Abschnitt eine bestimmte Wort- folge festsetze, daß überhaupt in der Wortstellung eine logische Bedeutung liege. Die Logik lehrt wohl, unter welchen Um- ständen zwei Begriffe verbunden werden können; aber welches Wort hierbei im Satze voranstehen, welches folgen solle, bleibt ihr gleichgültig; a = b und b = a sind für die Logik nicht verschieden: das gerade lehrt sie, z. B. bei Aristoteles πεϱὶ ἑϱμ. 10. — Wir fügen aber zu dieser Einzelheit noch eine allgemeine Bemerkung eines der schärfsten Denker, Herbarts: „Und die Logik ist keine Sprachlehre“, womit er mancherlei aus der Lo- gik streicht, was hier nicht weiter zu erörtern ist. Wir wollen nur die Grammatik von aller Einmischung der Logik befreien.
D. Humboldt.
Es wäre jetzt unsere Aufgabe, was wir oben durch Kritik wie durch Analogien wahrscheinlich gemacht haben, ein durch- aus selbständiges, von der Logik unberührtes Wesen der Sprache und Grammatik, durch positive Erörterungen zur Gewißheit und zur vollen Klarheit der Erkenntniß zu bringen. Wenn wir un- sere Kritik nicht als bloße Bekämpfung anderer Ansichten, son- dern vorzüglich als die eine Seite der Begründung unserer An- sicht betrachtet wissen wollen, so wird doch auch hinwiederum erst durch die positive Darlegung dieser das volle Licht auf den Werth oder Unwerth der entgegenstehenden Meinungen fallen. Wir wollen nur zuvor Einiges über Humboldt bemerken.
§. 53. Abweichungen Beckers von Humboldt.
Becker beruft sich vielfach auf Humboldt, und es herrscht die Ansicht, er habe das Princip des Organismus der Sprache von Humboldt entlehnt oder mit ihm gemeinsam und habe es besonders entwickelt. Aus unserer Kritik indeß geht wohl hin- länglich hervor, wohin Becker im Allgemeinen mit seiner phi- losophischen Anschauungsweise gehört: in die Naturphilosophie, wie sie am Anfange unseres Jahrhunderts ihr Wesen trieb — eine Richtung, die von allen ernsten Denkern verachtet, vielfach gegeißelt worden ist, und mit der Humboldt nicht das mindeste gemein hat. Es ist ferner, um eine Uebereinstimmung zwischen Humboldt und Becker durchaus zweifelhaft zu machen, wohl
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ihrer Zeichensprache nicht nach den Gesetzen der Logik der
Schule auf einander folgen ließen. Mir ist völlig unbekannt,
daß in der Logik der Schule ein Abschnitt eine bestimmte Wort-
folge festsetze, daß überhaupt in der Wortstellung eine logische
Bedeutung liege. Die Logik lehrt wohl, unter welchen Um-
ständen zwei Begriffe verbunden werden können; aber welches
Wort hierbei im Satze voranstehen, welches folgen solle, bleibt
ihr gleichgültig; a = b und b = a sind für die Logik nicht
verschieden: das gerade lehrt sie, z. B. bei Aristoteles πεϱὶ ἑϱμ.
10. — Wir fügen aber zu dieser Einzelheit noch eine allgemeine
Bemerkung eines der schärfsten Denker, Herbarts: „Und die
Logik ist keine Sprachlehre“, womit er mancherlei aus der Lo-
gik streicht, was hier nicht weiter zu erörtern ist. Wir wollen
nur die Grammatik von aller Einmischung der Logik befreien.
D. Humboldt.
Es wäre jetzt unsere Aufgabe, was wir oben durch Kritik
wie durch Analogien wahrscheinlich gemacht haben, ein durch-
aus selbständiges, von der Logik unberührtes Wesen der Sprache
und Grammatik, durch positive Erörterungen zur Gewißheit und
zur vollen Klarheit der Erkenntniß zu bringen. Wenn wir un-
sere Kritik nicht als bloße Bekämpfung anderer Ansichten, son-
dern vorzüglich als die eine Seite der Begründung unserer An-
sicht betrachtet wissen wollen, so wird doch auch hinwiederum
erst durch die positive Darlegung dieser das volle Licht auf
den Werth oder Unwerth der entgegenstehenden Meinungen
fallen. Wir wollen nur zuvor Einiges über Humboldt bemerken.
§. 53. Abweichungen Beckers von Humboldt.
Becker beruft sich vielfach auf Humboldt, und es herrscht
die Ansicht, er habe das Princip des Organismus der Sprache
von Humboldt entlehnt oder mit ihm gemeinsam und habe es
besonders entwickelt. Aus unserer Kritik indeß geht wohl hin-
länglich hervor, wohin Becker im Allgemeinen mit seiner phi-
losophischen Anschauungsweise gehört: in die Naturphilosophie,
wie sie am Anfange unseres Jahrhunderts ihr Wesen trieb —
eine Richtung, die von allen ernsten Denkern verachtet, vielfach
gegeißelt worden ist, und mit der Humboldt nicht das mindeste
gemein hat. Es ist ferner, um eine Uebereinstimmung zwischen
Humboldt und Becker durchaus zweifelhaft zu machen, wohl
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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